Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Anforderungen an den Eigenbedarf bei entfernten Verwandten

Aktenzeichen  5 C 364/19

Datum:
9.8.2019
Fundstelle:
WuM – 2020, 35
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
Fürstenfeldbruck
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 242, § 573 Abs. 2 Nr. 2

 

Leitsatz

Im Rahmen einer Eigenbedarfskündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB für einen entfernten Verwandten (hier Großneffe), bedarf es einer engen sozialen Verbundenheit, aus der sich eine moralische Verpflichtung des Vermieters etwa zur Gewährung von Unterhalt oder sonstigen Fürsorge ergeben muss. (Rn. 14 und 16) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kläger haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger können die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Der Streitwert wird auf 7.800,00 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.
Das Gericht geht mit Blick auf die Vermieterstellung beider Kläger von deren Aktivlegitimation aus. Auch geht das Gericht mit Blick auf die Bezeichnung der gegenständlichen Wohnung von abweichenden Perspektiven in der Formulierung der Lage der Wohnung und der Eigentümerstellung des Klägers zu 2) aus, zumal unstreitig nur diese Wohnung im Eigentum des Klägers zu 2) steht und damit eine Verwechslung ausscheidet.
Ferner geht das Gericht aus nicht davon aus, dass die Kündigung bereits aufgrund des Umstandes unwirksam ist, weil sie lediglich gegenüber der Beklagten ausgesprochen wurde. Das Gericht geht von einem Ausscheiden des ursprünglichen Mitmieters … unter Beteiligung aller und im Einvernehmen aller aus. Auf Basis des Akteninhalts, insbesondere der Anlagen K2 und K6, geht das Gericht von einer einvernehmlichen Änderung des Mietvertrages dahingehend aus, dass der Mitmieter … ausscheidet und die Beklagte das Mietverhältnis alleine fortsetzt. Dies entsprach auch der gelebten Praxis und der Praxis bezüglich der Mietzinszahlungen, welche unstreitig zunächst anteilig von Herrn … getragen wurden und seit seinem Ausscheiden vollständig für die Beklagte von dem Jobcenter getragen werden. Auch wenn man in dem Schreiben gem. Anlage K2 damit ein Angebot der Beklagten auf Mietvertragsänderung sieht, haben die Kläger dieses zumindest konkludent durch den tatsächlich gelebten Mietvertrag angenommen. Mit Blick auf die Anlagen K 2 und K 6 erscheint es jedenfalls rechtsmissbräuchlich im Sinne von § 242 BGB sich auf einen Fortbestand des Mietverhältnisses mit dem Mitmieter … zu berufen.
Zur Überzeugung des Gerichts ergab die durchgeführte Beweisaufnahme kein Näheverhältnis zwischen den Klägern und dem Zeugen J. … wie es für den gesetzlichen Ausnahmefall zur Überzeugung des Gerichts zu fordern ist, sodass die Klage mangels geeigneter Eigenbedarfsperson abzuweisen war. Die weiteren streitigen Punkte, etwa ob ein hinreichend konkretisierter und ernsthafter Nutzungswunsch seitens des Zeugen J. … besteht, konnten dahinstehen.
Unstreitig handelt es sich bei dem Zeugen J. … Großneffe des Klägers zu 2), nicht um einen Familienangehörigen, der zum engen Familienkreis beziehungsweise zu der „Kernfamilie“ gehört und für den das Gesetz und die höchstrichterliche Rechtsprechung in Orientierung an den gesetzlich geregelten Zeugnisverweigerungsrechten eine Eigenbedarfskündigung bereits aufgrund der engen familiären Verwandtschaft, ungeachtet eines zusätzlichen Kriteriums und der konkreten persönlichen und sozialen Beziehung zulässt.
Soweit dann für entferntere Verwandte, wie etwa den Großneffen, eine Kündigungsmöglichkeit wegen Eigenbedarfs mit der Literatur und Teilen der Rechtsprechung überhaupt anzunehmen ist, was höchstrichterlich noch nicht bejaht und bislang offen gelassen wurde, besteht in der Literatur wie auch in der Rechtsprechung hierzu Einigkeit, dass es eines in § 573 BGB nicht vorgesehenen, einschränkenden Merkmals in Form einer engen sozialen Verbundenheit bedarf, aus der sich eine moralische Verpflichtung des Vermieters etwa zur Gewährung von Unterhalt oder sonstigen Fürsorge ergeben muss und damit einer indvidualisierenden Betrachtungsweise unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls.
Dahingestellt werden kann dann, sofern man diese Ausweitung im Grundsatz anerkennt (dagegen etwa Milger in NZM 2014, 769, 771 und Feindl in NZM 2016, 289, 296), ob man die Subsumtion entfernterer Verwandter unter § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB oder § 573 Abs. 1 BGB fasst.
Über die verwandtschaftliche Beziehung hinaus ist also jedenfalls ein besonders enger sozialer Kontakt zu fordern oder eine solche persönliche Verbundenheit, dass der Vermieter wenigstens moralisch zur Unterhaltsgewährung oder sonstigen Fürsorge verpflichtet ist und sich damit eine sittliche Verwantwortlichkeit des Vermieters für den Wohnbedarf des Großneffen ergibt. Als zusätzliches Kriterium ist auf die konkrete persönliche oder soziale Bindung zwischen dem Vermieter und seinem Angehörigen im Einzelfall abzustellen.
Die Abwägung der grundrechtlich geschützten Eigentumsposition des Vermieters und andererseits der ebenfalls grundrechtlich geschützten Besitzposition von Mietern als Eigentum im Sinne des Grundgesetzes (vgl. dazu: Beschluss des BVerfG vom 26.05.1993, Az.: 1 BvR 208/93) unter Berücksichtigung der Stellung des Kündigungsschutzes von Mietern im BGB führt zur Überzeugung des Gerichts dazu, dass es sich bei der streitgegenständlichen, entfernteren Verwandtschaftsbeziehung um eine besonders herausgehobene persönliche Beziehung, auch im Verhältnis zu anderen entfernteren Verwandtschaftsbeziehungen handeln muss, um die Ausweitung im Rahmen der gebotenen restriktiven Auslegung begrenzbar zu gestalten, zumal es sich bei dem in Literatur und Teilen der Rechtsprechung angewandten Kriterium der engen sozialen Kontakte beziehungsweise Beziehung um kein Kriterium handelt, dass einer generalisierenden Betrachtung zugänglich ist sondern unter Einbußen bezüglich der Objektivität und Rechtssicherheit um ein solches, was sich zwingend nach den Umständen des Einzelfalls bemisst.
Eine solche herausgehobene Stellung zu dem Zeugen J. … vermag das Gericht auf Basis der durchgeführten Beweisaufnahme nicht zu erkennen. So ergab die Beweisaufnahme regelmäßige jährliche Treffen, etwa zehn Mal im Jahr und eine jährliche gemeinsame mehrtätige Bildungsreise. Diese geschilderten Kontakte erreichen zur Überzeugung des Gerichts kein solches Ausmaß, dass von einer moralischen Verpflichtung der Kläger speziell gegenüber dem Großneffen Johannes … zur Versorgung mit Wohnraum auszugehen ist. Der Zeuge J. … hat seine soziale Bindung offenbar überwiegend noch im Elternhaus, in dem er lebt und damit zu seiner Mutter. Auch ergibt sich etwa nicht, dass gerade der Zeuge J. … über die Familientreffen hinaus einen großen Anteil seiner Freizeit mit den Klägern verbringt (vgl. Hierzu etwa LG Hagen, Urteil vom 13.08.2008, Az.: 10 S 93/08).
Über diesen generellen Zusammenhalt in der Familie und die Verbindung aller Familienangehörigen hinaus, ergab die Beweisaufnahme aber kein speziell im Verhältnis zum Zeugen J. … herausragend enges beziehungsweise intensives Verhältnis. Vielmehr beschrieb der Zeuge J. … das Verhältnis zu den Klägern als gleichermaßen gut und intensiv wie zu der Verwandtschaft mütterlicherseits. Über diese familiären Treffen hinaus wurde kein individueller, herausgehobener sozialer und persönlicher Kontakt gerade des Zeugen J. … zu den Klägern beschrieben, was die Annahme rechtfertigen würde, dass hier im Sinne eines Ausnahmefalles von einem speziell zwischen den Klägern und dem Zeugen J. … herausragend engen Verhältnis auszugehen ist. Es ergab sich vielmehr das Bild eines engen und herzlichen Kontakts innerhalb der ganzen Familie und damit auch zum Zeugen J. …. Dies reicht zur Überzeugung des Gerichts nicht (vgl. zu dieser Auffassung auch LG Wiesbaden, Urteil vom 26.02.19991, Az.: 8 S 490/90).
Auch die finanziellen Zuwendungen in der Vergangenheit, zum Teil bis zur Gegenwart, als Dokumentation einer persönlichen Beziehung und etwaiges Indiz für eine moralische Unterhaltsverpflichtung kamen anlässlich der Familientreffen und der jährlichen Reise allen teilnehmenden Familienangehörigen gleichermaßen zu Gute. Soweit die Schenkung des Klaviers im Raum steht, kam dieses gleichermaßen dem Bruder des Zeugen J. … zugute. Soweit es um die Finanzierung des Führerscheins geht, ist nicht vorgetragen, dass diese nicht in gleicher Form auch dem Bruder des Zeugen J. … zuteil wurde.
Würde man die engen familiären Beziehungen, die gleichermaßen oder zumindest vergleichbar nach der Beweisaufnahme etwa auch zum Bruder des Zeugen J. … bestehen, als ausreichend erachten und darin eine ausreichende soziale Fürsorgepflicht sehen, geht das Gericht von einer übermäßigen Ausweitung unter Verstoß gegen die Notwendigkeit einer sehr restriktiven Auslegung aus. Es ist ein besonderes und herausgehobenes Näheverhältnis über die enge „Familienbande“ hinaus zu fordern, woran es hier zur Überzeugung des Gerichts fehlt. Es besondere Fixierung gerade des Zeugen J. … auf die Kläger oder aber umgekehrt ist nicht erkennbar.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit basiert auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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