Miet- und Wohnungseigentumsrecht

(Anrechnung von reisevertraglichen Ausgleichszahlungen auf Schadensersatzansprüche)

Aktenzeichen  X ZR 128/18

Datum:
6.8.2019
Gerichtsart:
BGH
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:BGH:2019:060819UXZR128.18.0
Normen:
§ 651f Abs 1 BGB vom 04.05.1979
§ 651p Abs 3 S 1 Nr 1 BGB
Art 12 EGV 261/2004
Art 14 Abs 5 EURL 2015/2302
Spruchkörper:
10. Zivilsenat

Leitsatz

Nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung sind nach der Fluggastrechteverordnung wegen Beförderungsverweigerung gewährte Ausgleichsansprüche auf Schadensersatzansprüche nach § 651f Abs. 1 BGB a.F. anzurechnen, die auf dieser Beförderungsverweigerung beruhen.

Verfahrensgang

vorgehend LG Frankfurt, 24. Mai 2018, Az: 2-24 S 271/17vorgehend AG Frankfurt, 22. September 2017, Az: 32 C 3620/16 (22)

Tenor

Die Revision gegen das Urteil der 24. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 24. Mai 2018 wird auf Kosten der Kläger zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand

1
Die Kläger buchten bei der beklagten Reiseveranstalterin für die Zeit vom 17. Juli bis 7. August 2016 eine Urlaubsreise, die Flüge von Frankfurt am Main nach Las Vegas und zurück sowie verschiedene Hotelaufenthalte umfasste. Beiden Klägern wurde die Beförderung auf dem für sie gebuchten Hinflug verweigert. Sie flogen daher am folgenden Tag über Vancouver nach Las Vegas, wo sie mehr als 30 Stunden später als geplant eintrafen. Wegen der Beförderungsverweigerung erhielten sie von dem ausführenden Luftverkehrsunternehmen auf der Grundlage der Fluggastrechteverordnung (Verordnung (EG) Nr. 261/2004, ABl. EU L 46 vom 17. Februar 2004, S. 1 ff.) Ausgleichszahlungszahlungen in Höhe von jeweils 600 Euro.
2
Die Kläger verlangen von der Beklagten einen Betrag von insgesamt 532,64 Euro als Erstattung für die an den beiden ersten Tagen der Urlaubsreise angefallenen Kosten des Mietwagens und des gebuchten, aber nicht genutzten Hotelzimmers sowie der Kosten für eine wegen der geänderten Reiseplanung erforderlich gewordene Übernachtung in einem anderen Hotel und der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten. Die Beklagte macht geltend, auf die Forderungen der Kläger seien die diese übersteigenden Ausgleichszahlungen des Luftverkehrsunternehmens nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 FluggastrechteVO anzurechnen.
3
Das Amtsgericht hat die Ausgleichszahlungen angerechnet und die Klage abgewiesen. Die hiergegen gerichtete Berufung der Kläger hatte keinen Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihre Klageansprüche weiter.

Entscheidungsgründe

4
Die zulässige Revision hat keinen Erfolg.
5
I. Das Berufungsgericht hat angenommen, die von den Klägern geltend gemachten Ansprüche seien aufgrund der von der Beklagten erklärten Anrechnung der von dem ausführenden Luftverkehrsunternehmen auf der Grundlage der Fluggastrechteverordnung geleisteten Ausgleichszahlungen erloschen. Die Voraussetzungen für eine Anrechnung seien zu bejahen. Die geltend gemachten Schäden seien unmittelbare Folge der Beförderungsverweigerung. Die Klageansprüche seien auch nicht auf eine Kompensation für die nach Art. 8 und Art. 9 FluggastrechteVO in einem solchen Fall vom ausführenden Luftverkehrsunternehmen geschuldeten Betreuungs- und Unterstützungsleistungen gerichtet. Diese Leistungen seien den Klägern im Streitfall gewährt worden. Dass die Ausgleichszahlungen durch das ausführende Luftverkehrsunternehmen erbracht worden seien, während die geltend gemachten Ansprüche sich gegen die Beklagte als Reiseveranstalterin richteten, hindere eine Anrechnung nicht. Einer Anrechnung stehe auch nicht entgegen, dass die Kläger ausschließlich Ersatz für materielle Schäden geltend machten. Die Ausgleichsleistung, mit der Unannehmlichkeiten eines Zeitverlusts infolge der verzögerten Beförderung ausgeglichen werden sollten, diene nicht nur dem Ausgleich immaterieller Schäden, sondern auch dazu, es dem Fluggast zu ermöglichen, Ersatz seiner materiellen Schäden zu erlangen, ohne deren Höhe im Einzelnen darlegen und beweisen zu müssen.
6
II. Dies hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand. Das Berufungsgericht hat zu Recht entschieden, dass die Ausgleichszahlungen des Luftverkehrsunternehmens, das den Klägern die Beförderung auf dem ursprünglich für sie gebuchten Hinflug verweigert hat, auf die geltend gemachten Ersatzansprüche anzurechnen sind, und die Kläger daher von der Beklagten darüber hinaus keinen weiteren Ersatz verlangen können.
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1. Die von den Klägern geltend gemachten Ersatzansprüche ergeben sich aus § 651f Abs. 1 BGB in der bis zum 30. Juni 2018 geltenden, im Streitfall maßgeblichen Fassung (Art. 229 § 42 EGBGB). Sie dienen der Kompensation von durch Nicht- oder Schlechterfüllung der reisevertraglichen Verpflichtung zur Luftbeförderung hervorgerufenen Beeinträchtigungen, die zum einen in durch die verspätete Ankunft am Reiseziel nutzlos gewordenen Aufwendungen, zum anderen in Zusatzkosten für eine notwendig gewordene andere Hotelunterkunft bestehen. Dementsprechend handelt es sich bei den eingeklagten Ansprüchen um Ansprüche auf weitergehenden Schadensersatz, auf die nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 FluggastrechteVO eine nach dieser Verordnung wegen Beförderungsverweigerung gewährte Ausgleichszahlung angerechnet werden kann.
8
2. Die Anrechnung der den Klägern auf der Grundlage der Fluggastrechteverordnung gewährten Ausgleichszahlungen auf die Schadensersatzansprüche der Kläger richtet sich im Streitfall nach den von der Rechtsprechung zum Schadensersatzrecht entwickelten Grundsätzen der Vorteilsausgleichung.
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a) § 651p Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BGB, wonach sich ein Reisender auf seine Schadensersatzansprüche gegenüber dem Reiseveranstalter denjenigen Betrag anrechnen lassen muss, den er aufgrund desselben Ereignisses als Entschädigung nach Maßgabe der Fluggastrechteverordnung erhalten hat ist, gilt erst für ab dem 1. Juli 2018 geschlossene Reiseverträge und ist daher im Streitfall nicht anwendbar (Art. 229 § 42 EGBGB).
10
b) Nach den im Streitfall maßgeblichen Grundsätzen der Vorteilsausgleichung sind dem Geschädigten in gewissem Umfang diejenigen Vorteile zuzurechnen, die ihm in adäquatem Zusammenhang mit dem Schadensereignis zugeflossen sind. Es soll ein gerechter Ausgleich zwischen den bei einem Schadensfall widerstreitenden Interessen herbeigeführt werden. Der Geschädigte darf einerseits im Hinblick auf das schadensersatzrechtliche Bereicherungsverbot nicht besser gestellt werden, als er ohne das schädigende Ereignis stünde. Andererseits sind nur diejenigen durch das Schadensereignis bedingten Vorteile auf den Schadensersatzanspruch anzurechnen, deren Anrechnung mit dem jeweiligen Zweck des Ersatzanspruchs übereinstimmt, also dem Geschädigten zumutbar ist und den Schädiger nicht unangemessen entlastet (BGH, Urteil vom 30. September 2014 – X ZR 126/13, NJW 2015, 553 Rn. 14; Urteil vom 28. Juni 2007 – VII ZR 81/06, BGHZ 173, 83 Rn. 18).
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aa) Die Ausgleichszahlung nach der Fluggastrechteverordnung dient nicht nur dem pauschalierten Ersatz immaterieller Schäden in Form von Unannehmlichkeiten infolge des durch die Beförderungsverweigerung und der dadurch bedingten späteren Ankunft am Reiseziel erlittenen Zeitverlusts (vgl. EuGH, Urteil vom 23. Oktober 2012, C-581/10 und C-629/10, NJW 2013, 671 Rn. 74 – Nelson), sondern soll dem Fluggast ermöglichen, auch Ersatz seiner materiellen Schäden zu erlangen, ohne im Einzelnen aufwändig deren Höhe darlegen und beweisen zu müssen (EuGH, Urteil vom 13. Oktober 2011 – C-83/10, NJW 2011, 3776 Rn. 39 – Sousa Rodríguez u.a./Air France; Nelson, aaO Rn. 46).
12
bb) Die geltend gemachten reiserechtlichen Ersatzansprüche beruhen wie die den Klägern auf der Grundlage der Fluggastrechteverordnung gewährten Ausgleichszahlungen auf der Weigerung des den gebuchten Hinflug ausführenden Luftverkehrsunternehmens, die Kläger auf diesem Flug zu befördern, und dienen dem Ausgleich derselben durch die verweigerte Beförderung und die dadurch bedingte spätere Ankunft am Reiseziel entstandenen Schäden. Eine Kumulierung der Ausgleichszahlungen nach der Fluggastrechteverordnung und des Schadensersatzes nach § 651f Abs. 1 BGB aF führte zu einer nicht gerechtfertigten Überkompensation der den Klägern durch dasselbe Ereignis entstandenen Schäden. Die Kläger müssen sich daher die bereits erhaltenen Ausgleichszahlungen anrechnen lassen, mit der Folge, dass ihre reiserechtlichen Ersatzansprüche, deren Höhe dahinter zurückbleibt, erloschen sind.
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cc) Die Zumutbarkeit der Anrechnung ist auch nicht deshalb zu verneinen, weil einem Reisenden die wegen einer Beförderungsverweigerung auf der Grundlage der Fluggastrechteverordnung gewährte Ausgleichszahlung ungeschmälert verbleibt, wenn er anders als im Streitfall weder nutzlos gewordene Aufwendungen noch Zusatzkosten für eine eventuell notwendig gewordene andere Unterkunft tragen muss. Dies ist als einer pauschalierten Abgeltung immanent hinzunehmen.
14
3. Eine Anrechnung ist – wie das Berufungsgericht zu Recht angenommen hat – schließlich auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil Schuldner des Ausgleichsanspruchs nach Art. 7 FluggastrechteVO das ausführende Luftverkehrsunternehmen und Schuldner des Anspruchs auf Erstattung zusätzlich angefallener Reisekosten nach § 651f BGB aF der Reiseveranstalter ist. Denn bei Erfüllung der ihm aus Art. 7 ff. FluggastrechteVO erwachsenden Verpflichtungen ist davon auszugehen, dass das ausführende Luftverkehrsunternehmen mit Wirkung für und gegen den Reiseveranstalter handelt, wie sich aus Art. 3 Abs. 5 Satz 2 FluggastrechteVO ergibt (BGH, NJW 2015, 553 Rn. 16; Beschluss vom 11. März 2008 – X ZR 49/07, NJW 2008, 2119 Rn. 18).
15
4. Es handelt sich auch um eine hinreichend geklärte Rechtslage, so dass es keiner Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 AEUV zur Auslegung von Art. 12 Abs. 1 FluggastrechteVO bedarf.
16
a) Der Bundesgerichtshof hat in einem früheren Verfahren für klärungsbedürftig gehalten, ob eine Anrechnung dem Zweck der Ausgleichsleistung nach der Fluggastrechteverordnung entspricht, und deshalb dem Gerichtshof der Europäischen Union eine entsprechende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt (Beschluss vom 30. Juli 2013 – X ZR 111/12); das Verfahren hat sich jedoch anderweitig erledigt.
17
b) Eine erneute Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union ist im Streitfall (indessen) nicht erforderlich. Durch Erwägungsgrund 36 und Art. 14 Abs. 5 der neuen Pauschalreiserichtlinie (Richtlinie (EU) 2015/2302) ist geklärt worden, dass jedenfalls seit Inkrafttreten dieser Richtlinie Ausgleichszahlungen nach der Fluggastrechteverordnung auf vertragliche Ersatzansprüche gegen den Reiseveranstalter anzurechnen sind und umgekehrt, um eine Überkompensation zu vermeiden. Für das geltende deutsche Pauschalreiserecht ist dies mit der Regelung in § 651p Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BGB umgesetzt worden. Die neue Pauschalreiserichtlinie ist am 31. Dezember 2015 in Kraft getreten und damit vor Abschluss des Reisevertrags, der ausweislich der Reiseunterlagen im Januar 2016 erfolgt ist. Damit entfällt auch für Ansprüche nach dem bis zum 30. Juni 2018 geltenden Reiserecht, wie sie im Streitfall in Rede stehen, ein aus dem Sinn und Zweck der Ausgleichsleistung nach der Fluggastrechteverordnung abzuleitendes Hindernis für eine Anrechnung, wie es der Bundesgerichtshof vor Inkrafttreten der neuen Pauschalreiserichtlinie für denkbar gehalten hat.
18
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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