Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Anspruch auf Beseitigung eines Gehwegüberbaus

Aktenzeichen  M 2 K 18.1194

Datum:
6.11.2018
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 46180
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 900 Abs. 1, § 937, § 940 Abs. 1, § 1004

 

Leitsatz

1 Ein Folgenbeseitigungsanspruch kann ausnahmsweise ausgeschlossen sein, wenn die Beseitigung mit unverhältnismäßigen, vernünftigerweise nicht zumutbaren Aufwendungen verbunden wäre. (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)
2 Maßgeblich für den Neubeginn der Verjährungsfrist für eine Folgenbeseitigungsanspruch ist, ob die (neue) Maßnahme einen eigenständigen rechtswidrigen hoheitlichen Eingriff darstellt. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt, die im Grundstück der Klägerin FlNr. … der Gemarkung … gesetzten Granitsteine zu beseitigen.
II. Es wird festgestellt, dass die Beklagte kein Recht zum Besitz an den klägerischen Grundstücken FlNrn. …, …, … und … der Gemarkung … hat.
III. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
IV. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet.
1. Die Klägerin hat Anspruch auf Beseitigung der Granitsteine, welche die Beklagte auf dem Grundstück der Klägerin FlNr. … der Gemarkung … gesetzt hat (Klageantrag Nr. 1.).
Anspruchsgrundlage für das Beseitigungsbegehren der Klägerin ist der öffentlich-rechtliche Folgenbeseitigungsanspruch, der sich nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U.v. 26.8.1993 – 4 C 24.91 – BVerwGE 94, 100) und des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (vgl. z.B. BayVGH, B.v. 5.11.2012 – 8 ZB 12.116 – BayVBl. 2013, 473 Rn. 10 m.w.N.) aus dem verfassungsrechtlichen Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechten herleitet.
Die Voraussetzungen für einen solchen Folgenbeseitigungsanspruch liegen hier vor.
Die Grundstücksfläche, auf der die Granitsteine, die – nach den Angaben der Beklagten – im Oktober 2017 gesetzt wurden (s. Schriftsatz der Beklagten vom 17.1.2018, S. 5) war – unstreitig – zu keinem Zeitpunkt als öffentliche Straßenfläche gewidmet und ist auch derzeit nicht gewidmet.
Mit der Setzung der Granitsteine hat die Beklagte rechtswidrig in das Eigentum der Klägerin eingegriffen.
Der Umstand, dass sich früher an gleicher Stelle bereits ein Gehsteig befand, gibt der Beklagten kein Recht zum Besitz zur Errichtung eines neuen Gehwegs. Ein etwaiger Besitz der Beklagten wurde durch die vollständige Beseitigung des früheren Gehsteigs durch die Beklagte aufgegeben. Die fragliche Fläche ging wieder in den Eigenbesitz der Klägerin über. Ein Recht zum Besitz kann die Beklagte auch nicht aus dem Grundstücksabtretungsvertrag vom 23. September 1965 und der daraus hergeleiteten Auflassungsvormerkung herleiten. Etwaige Ansprüche auf Einräumung des Besitzes und Eigentumsübertragung sind spätestens mit Ablauf von 30 Jahren (also etwa Mitte der 90er Jahre) verjährt, worauf sich die Klägerin auch berufen hat. Mangels eines (durchsetzbaren) Anspruchs auf Eigentumsübertragung besteht auch kein durchsetzbarer Anspruch auf Vollzug der Auflassungsvormerkung.
Entgegen der Auffassung der Beklagten in der mündlichen Verhandlung kommt auch kein Eigentumserwerb durch Ersitzung in Betracht. Ein Eigentumserwerb durch Ersitzung ist grundsätzlich nur hinsichtlich beweglicher Sachen möglich (§ 937 BGB) durch ihren Einbau wesentlicher Bestandteile des Grundstücks (§ 940 Abs. 1 BGB). Eine Ersitzung des Grundstücks bzw. Grundstückteils scheidet aus. Eine solche wäre nur möglich gewesen, wenn die Beklagte 30 Jahre lang, ohne Eigentümer zu sein, im Grundbuch als Eigentümerin eigentragen gewesen wäre (§ 900 Abs. 1 BGB). Davon kann hier jedoch keine Rede sein, weil die Beklagte zu keinem Zeitpunkt insoweit als Eigentümerin in das Grundbuch eingetragen war.
Das Beseitigungsverlangen ist auch nicht unzumutbar oder unverhältnismäßig, wie die Beklagte in der mündlichen Verhandlung meinte. Das Beseitigungsverlangen kann ausnahmsweise ausgeschlossen sein, wenn die Beseitigung mit unverhältnismäßigen, vernünftigerweise nicht zumutbaren Aufwendungen verbunden wäre. Nach § 275 BGB kann der Schuldner die Leistung verweigern, soweit diese einen Aufwand erfordert, der unter Beachtung des Inhalts des Schuldverhältnisses und des Gebots von Treu und Glauben in einem großen Missverhältnis zu dem Leistungsinteresse des Gläubigers steht. Bei der Bestimmung der dem Schuldner zumutbaren Anstrengungen ist auch zu berücksichtigen, ob der Schuldner das Leistungshindernis zu vertreten hat. Es muss sich sonach bei der gebotenen Abwägung zwischen dem Leistungsinteresse des Gläubigers und dem mit der Anspruchserfüllung verbundenen Aufwand des Schuldners ein grobes Missverhältnis ergeben, das ein besonderes krasses, nach Treu und Glauben untragbares Ausmaß erreicht (vgl. BayVGH, B.v. 5.11.2012 – 8 ZB 12.116 – juris Rn. 11 ff.). Denn zum einen wurde mit dem Beginn der Neuerrichtung des Gehsteigs in erheblichem Maße in das Eigentum der Klägerin eingegriffen, wobei der Eingriff von der Beklagten auch zu vertreten war. Dem gegenüber hat die Beklagte in keiner Weise substantiiert vorgetragen, dass die Beseitigung der Granitsteine einen für sie völlig unzumutbaren Aufwand bedeuten würde. Dies ist auch nicht ersichtlich.
Schließlich ist der Folgenbeseitigungsanspruch auch nicht verjährt. Die dreijährige Verjährungsfrist begann hier nämlich erst mit der Setzung der Granitsteine im Oktober 2017 zu laufen. Maßgeblich für den Neubeginn der Verjährungsfrist ist, ob die Maßnahme einen eigenständigen rechtswidrigen hoheitlichen Eingriff darstellt (vgl. BayVGH, U.v. 13.1.2016 – 8 B 15.522 – BayVBl. 216, 590 = juris Rn. 33 f.; st. Rspr. des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs, vgl. zuletzt B.v. 9.1.2018 – 8 ZB 17.473 – juris Rn. 22 m.w.N.). Ein solcher eigenständiger Eingriff erfolgte hier nach vollständiger Beseitigung des früheren Gehsteigs durch die Setzung neuer Granitsteine, um einen neuen Gehsteig zu errichten. Da die Klägerin bereits am 9. November 2017 Beseitigungsklage erhoben hat, ist die dreijährige Verjährungsfrist (§ 195 BGB) nicht abgelaufen (vgl. § 294 Abs. 1 Nr. 1 BGB).
Das Beseitigungsverlangen der Klägerin ist daher begründet.
2. Auch die Feststellungsklage (Antrag Nr. 2.) hat Erfolg.
Nachdem die Beklagte den Standpunkt vertrat und vertritt, dass sie ein Recht zum Besitz auf den in dem Klageantrag Nr. 2. genannten Grundstücken bzw. Teilflächen der Grundstücke habe, um dort wieder einen Gehsteig zu errichten, besteht für die Klägerin ein Feststellungsinteresse.
Die Feststellungsklage ist aus dem oben zu 1. Gesagten auch begründet.
Der Klage war daher insgesamt mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung folgt aus § 173 VwGO i.V.m. §§ 708 f. ZPO.


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