Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Berufung, Rechtsanwaltskosten, Beschaffenheit, Revision, Zustimmung, Anspruch, Schallschutz, Kostenentscheidung, Nutzung, Grenzeinrichtung, Bestandsschutz, Zinsen, Umfang, Beseitigung, vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten

Aktenzeichen  2 S 941/20

Datum:
15.9.2020
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 53591
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München II
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Verfahrensgang

7 C 1488/17 2020-02-14 Urt AGFUERSTENFELDBRUCK AG Fürstenfeldbruck

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts Fürstenfeldbruck vom 14.02.2020, Az. 7 C 1488/17, abgeändert:
a) Der Beklagte wird verurteilt, die an die Hauswand des Klägers angebrachte Stromleitung nebst Kabelkanal zu entfernen, die Bohrlöcher zu schließen und zu überstreichen.
b) Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Kosten in Höhe von 147,56 € nebst Zinsen in Höhe von 5%-Punkten über dem Basiszinssatz ab 5.11.2017 zu zahlen.
2. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.
5. Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 1.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger verlangt vom Beklagten die Entfernung einer Stromleitung nebst Kabelkanal von der Hauswand des Klägers.
Bezüglich der näheren Einzelheiten wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils vom 17.01.2030 verwiesen.
Der Kläger hat in erster Instanz beantragt,
1.Der Beklagte wird verurteilt, die an der Hauswand des Klägers angebrachte Stromleitung nebst Kabelkanal zu entfernen, die Bohrlöcher zu schließen und zu überstreichen.
2.Der Beklagte wird weiter verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 147,56 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Der Beklagte beantragte Klageabweisung.
Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen und die Kosten des Rechtsstreits dem Kläger auferlegt.
Zur Begründung hat es ausgeführt, dem Kläger stehe der geltend gemachte Anspruch aus § 1004 BGB nicht zu, weil der Beklagte aus §§ 921, 922 BGB zur streitgegenständlichen Nutzung der Wand berechtigt sei. Dem Kläger sei es nicht gelungen, zur Überzeugung des Gerichts nachzuweisen dass der Kläger durch die Anbohrung der Wand bzw. durch die Anbringung des Kabelkanals in seinem Mitbenutzungsrecht gestört bzw. beeinträchtigt sei. Die streitgegenständliche Mauer sei als Grenzeinrichtung im Sinne des § 921 BGB zu qualifizieren. Ergänzend wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.
Mit seiner form- und fristgerecht eingelegten Berufung verfolgt der Kläger seine erstinstanzlichen Klageanträge weiter. Er führt aus, dass das Amtsgericht zu Unrecht vom Vorliegen einer Grenzeinrichtung im Sinne des § 921 BGB ausgehe. Vielmehr handle es sich um ein zweischaliges Mauerwerk und nicht um eine Kommunwand. Erst durch das Gutachten des Amtes für Digitalisierung, Breitband und Vermessung Dachau vom 28.07.2016 hätten die Eigentümer festgestellt, dass die streitgegenständliche Wand von der Grundstücksgerenze durchschnitten werde. Jedoch ergebe sich aus der Baubeschreibung aus den 1970er Jahren, dass die Häuser bautechnisch voneinander komplett durch ein jeweils eigenes Mauerwerk getrennt seien. Die vorliegende Wand stehe im alleinigen Eigentum des Klägers. Die Erhaltungspflicht sei stets allein vom Kläger wahrgenommen worden. Es sei auch keine schlüssige Zustimmung zur Errichtung der Grenzeinrichtung durch den Nachbarn erteilt worden. Ergänzend wird auf den Inhalt der Berufungsbegründung vom 18.05.2020 Bezug genommen.
Der Beklagte hat die Zurückweisung der Berufung beantragt. Auf seine Ausführungen wird Bezug genommen.
II.
Die Berufung erweist sich als begründet.
Der Kläger kann vom Beklagten die Vornahme der beantragten Handlungen verlangen (§ 1004 I S. 1 BGB).
Es kann hier dahin stehen, ob eine gemeinsame Grenzeinrichtung vorliegt. Denn auch beim Vorliegen einer gemeinsamen Grenzeinrichtung hätte der Kläger gegen den Beklagten den geltend gemachten Anspruch.
Das Bild, welches sich aus dem erholten Gutachten des Sachverständigen ergibt, ist zwiespältig. Aus dem Gesamtbild ergibt sich, dass die Außenmauern der beiden Nachbargebäude durch eine Fuge getrennt sind. Die Mauerschalen sind eindeutig dem jeweiligen Gebäude zuzuordnen. Die Außenmauern erfüllen jeweils für sich für die zugehörigen Gebäude die Erfordernisse des Brandschutzes und der Gebäudestatik, nicht aber hinsichtlich des Schallschutzes, der Feuchtigkeits- und Wärmeisolierung. Insoweit folgt die Kammer dem erholten Gutachten.
Hinsichtlich des hier gegenständlichen Mauerabschnitts ist es so, dass dieser auch die Funktionen des Wärme- und Feuchtigkeitsschutzes – der Schallschutz kann insoweit vernachlässigt werden, weil in diesem Bereich der klägerische Baukörper frei steht und nicht an den des Beklagten angrenzt – allein für das klägerische Gebäude wahrnimmt. Insoweit beurteilt die Kammer diesen Sachverhalt als Überbau. Diese Eigentumsverhältnisse schließen indes nicht aus, dass die Mauer insgesamt eine Grenzeinrichtung im Sinne des § 921 BGB handelt. Dies hätte aber nach Sachlage insbesondere Bedeutung für einen Bestandsschutz nach § 922 S. 3 BGB. Zu der beanspruchten Mitbenutzung ist der Beklagte indes nicht befugt. Umfang und Inhalt dieses Mitbenutzungsrechts ergäben sich allein aus § 922 S. 1 BGB, soweit sich dies aus der Beschaffenheit ergibt. Aus der Beschaffenheit ergäbe sich ein Recht auf Benutzung dadurch, dass er den Fortbestand verlangen könnte. Weiteres ergibt sich nicht aus der Beschaffenheit der Mauer.
Der in § 922 S. 3 BGB vorgesehene Bestandsschutz ist nicht auf die Substanz der Grenzeinrichtung beschränkt. Die Vorschrift will auch die Aufhebung oder Minderung des Bestimmungszwecks der Einrichtung und deren Brauchbarkeit in dem bisherigen Umfang für diesen Zweck zum Nachteil des Nachbarn verhindern (vgl. BGH ZfIR 2012, 802 = GE 2012, 1309 = BeckRS 2012, 18858 Rn. 8). Durch die beanstandeten Maßnahmen der beklagten Partei ist bereits die Substanz des klägerischen Eigentums betroffen, nämlich das Mauerwerk seines Gebäudes, an dem der Kläger grundsätzlich keine Beeinträchtigung dulden muss. Geschützt ist ferner auch das nach außen hervortretende Bild der Grenzanlage vor Veränderungen (vgl. Senat, NJW 1985, 1458 [1460]; BGHZ 73, 272 [274 f.] = NJW 1979, 1408). Das Erscheinungsbild einer Grenzeinrichtung ist Bestandteil ihrer Zweckbestimmung und kann von der ihr immanenten Ausgleichsfunktion zwischen den Interessen der Grundstücksnachbarn nicht getrennt werden. Es kann daher ohne Zustimmung des Nachbarn nicht verändert werden. Die Ausgleichsfunktion umfasst rein optisch-ästhetische Gesichtspunkte, kann aber auch darüber hinausgehen. So kann das äußere Erscheinungsbild auch Bedeutung für den Lichteinfall auf ein Grundstück oder für gestalterische Aspekte, etwa der Erhaltung einer räumlich großzügigen Wirkung einer Außenfläche, haben. Demgegenüber bestehen wegen dieser Teilhabe an dem Bestandsschutz einer Grenzanlage nach § 922 S. 3 BGB entgegen der Ansicht der Beklagten keine Bedenken gegen den hier geltend gemachten Beseitigungsanspruch unter dem Gesichtspunkt der Eigentumsgarantie nach Art. 14 I GG. Die Regelungen der §§ 921, 922 BGB sind (BGH NJW-RR 2018, 528 Rn. 18, beck-online) Ausprägungen der Inhalts- und Schrankenbestimmung des Art. 14 I 2 GG (vgl. BGH NJW 2008, 2032 Rn. 18).
Die vom Beklagten vorgenommenen Veränderungen stellen eine Beeinträchtigung der Substanz und des äußeren Erscheinungsbildes der Wand dar. Ohne Zustimmung des Klägers kann dies nicht erfolgen. Da der Kläger die Zustimmung nicht erteilt hat, kann er vom Beklagten die Beseitigung verlangen (§§ 1004 I S. 1, 922 S. 3 BGB). Daher hat er auch die beantragten Rechtsanwaltskosten zu tragen.
IV.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 91 ZPO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10 und 713 ZPO, vgl. Zöller, ZPO, § 540 Rz. 22 u. 25; § 708 Rz. 12; § 713 Rz. 2.
Die Kammer hat die Revision zugelassen, weil die Gründe hierfür nach § 543 Abs. 2 ZPO vorliegen. Es handelt sich um eine Sachlage, deren rechtliche Seite in Anbetracht der Häufigkeit von Reihenhaussiedlungen der Klärung bedarf.
Die Streitwertentscheidung ergibt sich aus §§ 3 ZPO, 47 GKG.


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