Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Die Verwirkung eines notariellen Kaufangebots über ein Grundstück

Aktenzeichen  73 O 390/18

Datum:
23.11.2018
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 46651
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Landshut
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 242, § 307 Abs. 1 S. 1, § 873 Abs. 1, § 925 Abs. 1

 

Leitsatz

1. Eine unangemessene Benachteiligung im Sinne von § 307 Abs. 1 S. 1 BGB liegt nicht vor, wenn der Verwender wegen der jederzeitigen Widerruflichkeit des Angebots durch den Vertragspartner nicht durch einseitige Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene Interessen ohne angemessenen Ausgleich durchzusetzen kann. (Rn. 16 – 19) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Kaufvertrag über ein Grundstück kommt infolge Verwirkung gemäß § 242 BGB nicht wirksam zustande, wenn der Käufer das notariell beurkundete Kaufangebote des Verkäufers nach einem Ablauf von mehr als 10 Jahren nicht angenommen hat. Insbesondere spricht eine erhebliche Wertsteigerung des Grundstückswerts für eine Unzumutbarkeit der Rechtsausübung. (Rn. 20 – 23) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 52.000,00 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage erweist sich als unbegründet.
1. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Auflassung des streitgegenständlichen Grundstücks gemäß §§ 873 Abs. 1, 925 Abs. 1 BGB, denn ein wirksamer Kaufvertrag ist nicht zustande gekommen. Zwar lag zum Zeitpunkt der Annahmeerklärung der Klägerin am 20.07.2017 mit dem Angebot der Beklagten vom 11.08.2005 ein wirksames Angebot vor, an dessen Annahme die Klägerin jedoch nach dem Grundsatz von Treu und Glauben gehindert war, § 242 BGB.
Im Gegensatz zur Rechtsauffassung der Beklagten liegt zwar ein notarielles Kaufangebot vom 11.08.2005 vor. Dieses ist insbesondere nicht durch Fristablauf erloschen. Zwar erklärte sich die Beklagte ausdrücklich bis zum 11.02.2006 an das Angebot gebunden. Nach Ablauf der Frist sollte das Angebot jedoch nicht erlöschen, sondern vielmehr durch die Beklagte unter Einhaltung einer 14-tägigen Frist jederzeit widerrufen werden können. Das Schreiben vom 16.02.2006 ist dabei nicht als Widerruf anzusehen. Zwar muss eine Widerrufserklärung die ausdrückliche Bezeichnung als Widerruf nicht enthalten. Allerdings muss die Erklärung eindeutig zum Ausdruck bringen, dass der Widerrufende nicht mehr an seine Willenserklärung gebunden sein will. Ob dies der Fall ist, ist durch Auslegung zu ermitteln.
Im Schreiben vom 16.02.2006 nimmt die Beklagte zwar Bezug darauf, dass das Angebot innerhalb der Frist bis zum 11.02.2006 nicht angenommen wurde. Sie lässt dann aber nicht erkennen, dass sie sich vom Kaufangebot lösen will. Vielmehr weist sie die Klägerin ausdrücklich auf ihre weiterhin bestehenden Verkaufsabsichten hin. Auch betont sie, das Grundstück zunächst nicht anderweitig weiterveräußern zu wollen. Ein Widerruf des Angebots lässt sich darin nicht erkennen.
Weiterhin steht entgegen der Ansicht der Beklagten der Wirksamkeit der Klausel in Ziffer A I die §§ 305 ff. BGB nicht entgegen. Dabei bedarf es keiner Entscheidung, ob überhaupt Allgemeine Geschäftsbedingungen vorliegen. Denn bei der Klägerin handelt es sich um eine Unternehmerin, so dass die Anwendbarkeit der §§ 308, 309 BGB beschränkt ist, § 310 Abs. 1 Satz 1 BGB. Die Inhaltskontrolle richtet sich in diesem Fall alleine nach § 307 Abs. 1 BGB, wobei die in den §§ 308, 309 BGB aufgeführten Punkte allerdings Indizwirkung haben. Jedoch liegt eine unangemessene Benachteiligung im Sinne von § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB vorliegend nicht vor. Unangemessen ist eine Benachteiligung dann, wenn der Verwender durch einseitige Vertragsgestaltung missbräuchlich eigene Interessen ohne angemessenen Ausgleich durchzusetzen versucht. Dies ist jedoch durch die jederzeitige Widerruflichkeit des Angebots für die Beklagte vorliegend nicht der Fall.
b) Allerdings war die Klägerin nach einem Ablauf von mehr als 10 Jahren an der Annahme des Angebots infolge Verwirkung gemäß § 242 BGB gehindert. Nach dem Grundsatz von Treu und Glauben ist die Ausübung eines Rechts dann zu versagen, wenn der Inhaber über einen längeren Zeitraum hiervon keinen Gebrauch gemacht hat und dadurch bei der Gegenseite der Eindruck erweckt wurde, mit der Inanspruchnahme des Rechts sei in Zukunft nicht mehr zu rechnen (ständige Rechtsprechung, vgl. BGH, NJW 1984, 1684). Maßgeblich ist, ob sich ein Schuldner bei objektiver Beurteilung darauf einrichten darf und eingerichtet hat, dieser (der Gläubiger) werden sein Recht nicht mehr geltend machen (BGH, NJW 1980, 880). Erforderlich ist dabei ein sog. Zeitmoment und ein sog. Umstandsmoment. Dabei besteht zwischen Zeit- und Umstandsmoment eine Wechselwirkung dergestalt, dass an das Umstandsmoment umso geringere Anforderungen zu stellen sind je größer das Zeitmoment ist.
Ein Zeitmoment ist vorliegend gegeben. Seit der ersten Möglichkeit, das Recht geltend zu machen, muss eine längere Zeit verstrichen sein. Maßgeblich sind dabei allerdings die Umstände des Einzelfalls. Vorliegend ist neben dem Rechtsgedanken der Verjährung (Schubert in Münchener Kommentar, BGB, § 242, RdNr. 364) auch der Rechtsgedanke des § 124 Abs. 2 BGB heranzuziehen, wonach eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung dann ausgeschlossen ist, wenn seit der Abgabe der Willenserklärung 10 Jahre verstrichen sind. Dem ist die Wertung des Gesetzgebers zu entnehmen, dass rechtliche Schwebezustände wie der vorliegende nicht unbegrenzt aufrechterhalten werden sollen. Vielmehr solle nach 10 Jahren Rechtssicherheit hergestellt sein. Ebenfalls spricht der Rechtsgedanke des § 308 Nr. 1 BGB (vgl. o.) gegen die Wirksamkeit eines „ewigen“ Angebotes und damit für die Erfüllung des Zeitmoments. Selbiges gilt für den Rechtsgedanken des § 147 Abs. 2 BGB, nachdem der einem Abwesenden gemachte Antrag nur bis zu dem Zeitpunkt angenommen werden kann, in welchem der Antragende den Eingang der Antwort unter regelmäßigen Umständen erwarten darf. Vorliegend hat die Klägerin das Angebot der Beklagten erst nach einem Ablauf von fast 12 Jahren angenommen. Damit ist ein derartig langer Zeitraum gegeben, dass mit der Annahme des Angebots vernünftigerweise nicht mehr zu rechnen war.
Weiterhin ist vorliegend auch das Umstandsmoment gegeben. Dieses verlangt, dass sich der Verpflichtete auf Grundlage des Verhaltens des Berechtigten darauf eingerichtet hat, dieser werde sein Recht nicht mehr geltend machen. Der Berechtigte muss einen Vertrauenstatbestand geschaffen haben. Der Verpflichtete muss sich daraufhin so eingerichtet haben, dass ihm durch die verspätete Ausübung des Rechts unzumutbare Nachteile entstünden. So etwa, wenn er entsprechende Dispositionen getroffen hat (Grüneberg in Palandt, BGB, 77. Aufl., § 242, RdNr. 95).
Zwar wird vorliegend nicht verkannt, dass während der gesamten Zeit eine Auflassungsvormerkung zugunsten der Klägerin eingetragen war. Nachdem die Klägerin jedoch auf das Schreiben vom 16.02.2006 während eines Zeitraumes von über 10 Jahren keine Reaktion zeigte, konnte die Beklagte darauf vertrauen, dass die Klägerin das Angebot nicht mehr annehmen werde. Sie hat dieses Vertrauen auch ausgeübt und das Grundstück einer anderweitigen Nutzung zugeführt. So wurden zur Sicherung des dahinter gelegenen Staudamms Wegebaumaßnahmen durchgeführt und ein Teil des Grundstücks überbaut. In diesem Zusammenhang sind auch die E-Mails vom 24.11.2017 und vom 01.12.2017 zu sehen, welche bereits auf die teilweise anderweitige Nutzung des Grundstücks abstellen (“Hinterdammweg“). Weiter entspricht die zweifellos vorliegende erhebliche Wertsteigerung des Grundstückswerts seit 2006 für eine Unzumutbarkeit der Rechtsausübung. Von einer deutlichen Wertsteigerung des Grundstücks ist angesichts der allgemeinen Preisentwicklung auf diesem Sektor im Landkreis Landshut auszugehen.
2. Die Nebenforderungen teilen das Schicksal der Hauptforderung.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 709 Satz 2 ZPO.
4. Der Streitwert war gemäß §§ 3 ff. ZPO festzusetzen.


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