Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Gutgläubiger Erwerb eines Sondernutzungsrechtes

Aktenzeichen  483 C 3475/17 WEG

Datum:
30.11.2017
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 157764
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 249 Abs. 1, § 823 Abs. 1
WEG § 13, § 23 Abs. 4 S. 2, § 27 Abs. 3 Nr. 7

 

Leitsatz

Ein Sondernutzungsrecht kann gutgläubig erworben werden. Es ist nicht entscheidend, dass das Sondernutzungsrecht im Aufteilungsplan ersichtlich ist, denn dieser ist nicht für die Begründung des Gemeinschaftseigentums maßgeblich. (Rn. 36) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits und die der Nebenintervention.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Der Streitwert wird auf 60.000,00 € festgesetzt.

Gründe

Die Klage ist zulässig, jedoch im Hauptantrag unbegründet. Die in der mündlichen Verhandlung vom 07.09.2017 vorgenommene hilfsweise Klageerweiterung ist unzulässig. Im einzelnen:
1. Die Klage ist zulässig.
Da Klägerin vorliegend der teilrechtsfähige Verband ist, genügt zur ordnungsgemäßen Parteibezeichnung die Bezeichnung der Wohnungseigentümergemeinschaft unter Angabe ihrer Adresse. Die namentliche Bezeichnung der Mitglieder der Klägerin ist nicht erforderlich, eine etwaige diesbezügliche Falschangabe führt daher nicht zur Unzulässigkeit der Klage.
Die Prozessführungsbefugnis der Klägerin ergibt sich aus § 10 Abs. 6 Satz 3 1. HS WEG, für den hier geltend gemachten Schadensersatzanspruch in Form der Naturalrestitution besteht eine geborene Ausübungsbefugnis der Klägerin.
Die Ermächtigung des zuständigen Verwalters der Klägerin zur Klageerhebung ergibt sich aus dem auf der Eigentümerversammlung vom 13.04.2017 unter TOP 4.1 gefassten Beschluss. Dieser Beschluss ist ungeachtet seiner Anfechtung, sofern er nicht nichtig ist, gemäß § 23 Abs. 4 S. 2 WEG, gültig, solange er nicht durch rechtskräftiges Urteil für ungültig erklärt wurde. Gründe, aus denen sich eine Nichtigkeit des Beschlusses ergeben könnte, sind weder dargetan, noch ersichtlich. Die dem früheren Verwalter erteilte Ermächtigung bzw. Genehmigung gilt bei Verwalterwechsel fort.
Die ordnungsgemäße Bevollmächtigung der Klägervertreter nach § 88 ZPO ist durch die Anlage K 36 nachgewiesen.
Der Klageantrag ist hinreichend bestimmt. Ungeachtet dessen, dass Gegenstand der Klage ein auf Naturalrestitution gerichteter Schadensersatzanspruch ist, ist der Hauptantrag auf Vorname einer Handlung gerichtet. Ein solcher Antrag muss Art und Umfang der begehrten Handlung bestimmt bezeichnen. Ist er auf Beseitigung einer Störung oder eines Mangels gerichtet, genügt die Angabe des begehrten Erfolgs, denn in der Regel bleibt die Wahl mehrerer zur Beseitigung geeigneter Mittel dem Schuldner überlassen, es sei denn, es kommt ausnahmsweise nur eine bestimmte Beseitigungsmaßnahme als erfolgversprechend und zumutbar in Betracht (vgl. Zöller, § 253 Rz 13 c). Diesen Anforderungen genügt der gestellte Hauptantrag.
2. Die Klage ist im Hauptantrag unbegründet, der Klägerin steht der geltend gemachte Anspruch auf Rückbau der Fußbodendecke, der tragenden Wände im Erdgeschoss und des darunter befindlichen als „Raum 1“ bezeichneten Kellerraums gegenüber der Beklagten unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt, insbesondere nicht als auf Naturalrestitution gerichtetem Schadensersatzanspruch gem. §§ 823 Abs. 1, 249 Abs. 1 BGB zu.
Unstreitig hat die Beklagte die Wohnung Nr. 1 ausgebaut, unterhalb der Wohnung Nr. 1 einen Kellerraum erstellt und durch Öffnung des Bodens unterhalb der Wohnung Nr. 1 und Entfernung des raumhoch verfüllten Kieses einen Zugang zu diesem Raum geschaffen.
Strittig ist zwischen den Parteien, ob dies zu einem Zeitpunkt geschah, als die Beklagte bereits Eigentümerin der Wohnung Nr. 1 war, und ob sie bei der Ausführung der Arbeiten im eigenen Interesse oder in Erfüllung eines mit der Klägerin geschlossenen Generalübernahmewerkvertrags oder eines mit der teilenden Eigentümerin geschlossenen Vertrags oder in deren Auftrag handelte. Die Frage der Passivlegitimation der Beklagten kann vorliegend jedoch letztlich offen bleiben.
Denn jedenfalls war die Beklagte aufgrund des 4. Nachtrags zur Teilungserklärung vom 27.10.2010 zur Schaffung des Raums 1 berechtigt mit der Folge, dass die Schaffung des Raumes 1 schon keine rechtswidrige Eigentumsbeeinträchtigung der Klägerin darstellt.
Der 4. Nachtrag zur Teilungserklärung ist wirksam. Die … handelte auch bei Beurkundung des 4. Nachtrags, wie dort ausdrücklich angegeben ist, nicht aufgrund der in der ursprünglichen Teilungserklärung erteilten Ermächtigung, sondern „aufgrund der in den Erwerbsverträgen erteilten und bisher ausnahmslos unwiderrufenen Vollmachten, die in Urschrift heute vorlagen“. Diese Vollmachten sind auch – insbesondere in AGB-rechtlicher Hinsicht – wirksam. Da sich die Bestellung des Sondernutzungsrechts auf bislang nicht vorhandenes Gemeinschaftseigentum bezieht, liegt weder eine unangemessene Benachteiligung nach § 307 BGB vor, noch ein Verstoß gegen § 308 Nr. 4 BGB.
Unabhängig davon haben die Streithelfer der Beklagten jedenfalls das Sondernutzungsrecht gemäß dem 4. Nachtrag gutgläubig erworben. Das im Grundbuch eingetragene Sondernutzungsrecht nimmt nach zutreffender herrschender Meinung mit seinem Inhalt und Bestand am öffentlichen Glauben des Grundbuchs teil (Bärmann, 13. Aufl., Rn 127 zu § 13 WEG). Unstreitig erfolgte die Eintragung des Sondernutzungsrechtes am 05.12.2012. Der Kaufvertrag zwischen der Beklagten und den Streithelfern wurde am 04.02.2013 abgeschlossen, die Eintragung einer Vormerkung zugunsten der Streithelfer erfolgte am 25.03.2013, die Eigentumsumschreibung am 12.03.2015. Dass es keinen Aufteilungsplan gibt, der den Raum 1 in seiner jetzigen Form vorsieht, sondern lediglich den dem 4. Nachtrag als Anlage 3 beigefügten Lageplan „Sondernutzungsrechtsplan Keller“, steht entgegen der Entscheidung des Amtsgerichts München vom 23.02.2016, Az.: 483 C 3007/15 WEG, einer wirksamen Begründung des Sondernutzungsrechts nicht entgegen, weil der Aufteilungsplan zwar für die Abgrenzung des Sondereigentums, nicht jedoch für die Begründung von Gemeinschaftseigentum maßgebend ist.
Ein gutgläubiger Erwerb des Sondernutzungsrechts durch die Streithelfer ist auch nicht wegen positiver Kenntnis der Streithelfer von der Unrichtigkeit des Grundbuchs ausgeschlossen. Die Anlage 3 zum Kaufvertrag vom 04.02.2013 (mod. Baubeschreibung aus dem Generalübernehmerwerkvertrag zwischen der Klägerin und der Beklagten) betrifft lediglich den Umfang der von der Klägerin beauftragten Sanierungs- und Renovierungsarbeiten am Gemeinschaftseigentum, besagt jedoch nichts über eine Zulässigkeit oder Unzulässigkeit baulicher Maßnahmen im Keller.
3. Soweit die Klägerin erstmals in der öffentlichen Sitzung am 07.09.2017 hilfsweise beantragt hat festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, diejenigen baulichen Maßnahmen auf eigene Kosten durchzuführen, die geeignet sind, die Setzungsrisse in der Wohnung Nr. 5 wie in Ziffer 1.6.4.1, Ziffer 1.6.4.2, Ziffer 1.6.4.3, Ziffer 1.6.4.4, Ziffer 1.6.4.6, Ziffer 1.6.5.7 der Klageschrift vom 30.12.2016 auf der Südseite im Bereich der Glasschiebetüre der Wohnung Nr. 9/1 O im Bereich des Gemeinschaftseigentums gemäß Schriftsatz vom 30.8.2017, Seite 5, zu beseitigen, liegt eine Klageänderung vor (vgl. Zöller, Zivilprozessordnung, 31. Auflage 2016, § 263 Rz 2 m.w.N.), welche analog § 263 ZPO unzulässig ist, da weder eine Einwilligung der Beklagtenpartei vorliegt, noch Sachdienlichkeit gegeben ist.
Obwohl die nachträgliche Anspruchs- oder Klagenhäufung (§ 260 ZPO) keine Klageänderung im Sinne der §§ 263 ff. ZPO ist, sind auf die nachträgliche Anspruchshäufung die Vorschriften über die Klageänderung entsprechend anzuwenden, da durch eine nachträgliche Erweiterung der Klage regelmäßig die Verteidigung des Beklagten erschwert, die Erledigung des Rechtsstreits verzögert wird, und die Befassung mit einem nachgeschobenen weiteren prozessualen Anspruch möglicherweise nicht sachdienlich ist. Diese Interessenlage, die vom Normzweck des § 263 ZPO voll abgedeckt wird, ist entscheidend. Ihr werden die §§ 301, 145 ZPO nur unvollkommen gerecht (vgl. Münchener Kommentar, ZPO, § 263 Rz. 21 m.w.N.).
Der in der Sitzung vom 07.09.2017 vorgenommenen und der Beklagten und ihren Streithelfern erstmals zur Kenntnis gebrachten Klageerweiterung haben diese nicht zugestimmt.
Sie ist auch nicht sachdienlich. Sachdienlichkeit im Sinne des § 263 ZPO ist gegeben, wenn mit der Klageerweiterung die noch bestehenden Streitpunkte miterledigt werden können und dadurch ein neuer Prozess vermieden wird. Nicht entscheidend ist, ob neue Parteierklärungen oder Beweiserhebungen nötig werden, und dadurch das Verfahren sich verzögert. Sachdienlichkeit fehlt jedoch in der Regel, wenn mit dem neuen Anspruch ein völlig neuer Streitstoff eingeführt wird, bei dessen Beurteilung die bisherigen Prozessergebnisse nicht verwertet werden können (vgl. Zöller, a.a.O., § 263 Rz. 13).
Nach diesen Maßstäben ist Sachdienlichkeit vorliegend zu verneinen, da das Verfahren ohne die Klageerweiterung bereits entscheidungsreif war, und mit dem erstmals in der Sitzung vom 07.09.2017 in den Prozess eingeführten Feststellungsantrag ein völlig neuer Streitstoff eingeführt wurde, für den der bisherige Prozess keinerlei verwertbare Prozessergebnisse enthält.
I. ü. dürfte der gestellte Hilfsantrag auch mangels Prozessführungsbefugnis unzulässig sein, da von der Beschlussfassung der Eigentümer zu TOP 4.1 der ETV vom 13.04.2017 nicht umfasst.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 101 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 708 Nr. 11, 711 ZPO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 49 a GKG.
Eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nach § 156 ZPO wie mit klägerischem Schriftsatz vom 26.09.2017 beantragt, war nicht veranlasst, insbesondere liegen die Voraussetzungen des § 156 Abs. 2 ZPO, unter denen das Gericht zu einer Wiedereröffnung verpflichtet ist, nicht vor. Richterliche Hinweise, die über eine Erörterung der Sach- und Rechtslage hinausgehen, wurden nicht erteilt und waren auch nicht zu erteilen, da alle rechtlichen Gesichtspunkte, auf die die Entscheidung gestützt wurde, sowohl Gegenstand der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze waren, als auch im Rahmen der öffentlichen Sitzung erörtert wurden. Die Pflicht zur Hinwirkung auf sachdienliche Anträge beinhaltet weder die Pflicht, noch das Recht, auf eine Änderung des klägerischen Prozessziels hinzuwirken.


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