Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Kein Anspruch auf Wohngeld – Fehlender Mittelpunkt der Lebensbeziehungen

Aktenzeichen  Au 8 K 17.1000

Datum:
12.9.2017
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
WoGG WoGG § 1 Abs. 2, § 5 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

1 Der Mittelpunkt der Lebensbeziehungen iSv § 5 Abs. 1 S. 1 WoGG muss sich gerade auf den Wohnraum beziehen, für den Wohngeld beantragt wird, nicht auf einen anderen von denselben Personen etwaig zusätzlich bewohnten Wohnraum (ebenso VG Braunschweig BeckRS 2017, 128514). Dies ist bei einem nur vorübergehendem Aufenthalt nicht der Fall. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)
2 Wohngeld kann nach § 1 Abs. 2 WoGG nur als Mietzuschuss zu den tatsächlichen Aufwendungen für den Wohnraum geleistet werden (ebenso OVG NRW BeckRS 2012, 45284). (Rn. 19) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe und Anwaltsbeiordnung wird abgelehnt.

Gründe

I.
Die Klägerin begehrt die Bewilligung von Wohngeld in Form eines Mietzuschusses für zwei von ihr vom 8. März 2015 bis 30. April 2015 angemietete, möblierte Zimmer in der …straße … im Stadtgebiet der Beklagten.
Die Klägerin beantragte am 17. März 2015 für den vorgenannten Wohnraum Wohngeld. Laut Formblattantrag verfüge sie noch über einen anderen Wohnraum in, der aber gekündigt worden sei. Sie erziele keinerlei Einkommen. Es werde gebeten zu prüfen, ob ggf. Anspruch auf „Sozialhilfe“ bestehe. Nach dem von ihr vorgelegten Untermietvertrag hat sie für die Dauer einer „medizinischen Behandlung“ vom 8. März 2015 bis längstens 30. April 2015 zwei möblierte Zimmer zur alleinigen und weiteren Wohnraum (Küche, Bad, WC, Flur) zur Mitbenutzung angemietet. Der vereinbarte Mietzins beträgt inklusive Nebenkosten 565 EUR/Monat.
Die Klägerin erteilte ihrem Untervermieter am 3. Mai 2015 eine Vollmacht und berechtigte ihn, bei der Beklagten hinsichtlich der für März/April 2015 beantragten Sozialleistungen Informationen einzuholen und tätig zu werden. Sie selbst befinde sich seit 1. Mai 2015 wieder in …. Mit Schreiben vom 7. Juni 2015 teilte der Untervermieter und Bevollmächtigte der Beklagten mit, dass er keine Mietzahlungen für die Zeit vom 8. März 2015 bis 30. April 2015, während der sich die Klägerin „in … aufhielt“, erhalten habe und regte an, zu prüfen, ob für die Klägerin ein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II oder auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB XII bestehe.
Zum 3. Juli 2015 meldete sich die Klägerin behördlich auf die Anschrift …straße … in … um.
Mit Bescheid vom 16. Juli 2015 lehnte die Beklagte, Amt für Soziale Leistungen, Senioren und Menschen mit Behinderung, den Antrag auf Gewährung von Leistungen nach dem SGB XII ab. Bei der Klägerin liege keine durch den Rententräger festgestellte volle Erwerbsminderung vor, so dass zuständiger Leistungsträger das Jobcenter der Beklagten sei.
Mit Bescheid vom 17. Juli 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19. August 2015 lehnte das Jobcenter den Antrag auf Sozialleistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 8. März 2015 bis 30. April 2015 ab. Die Klägerin habe sich nur vorübergehend in … befunden und damit keinen gewöhnlichen Aufenthalt begründet.
Mit Schreiben vom 14. August 2015 erklärte die Klägerin unter Bezugnahme auf von ihr vorgelegte Kontoauszüge, keine Mietzahlungen entrichtet zu haben. Sie bestätigte dies mit weiteren Schreiben vom 20. Januar 2016 und 26. Juni 2016.
Mit Bescheid vom 11. März 2016 wurden der Klägerin für die Zeit ab Juli 2015 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts durch die Beklagte in Höhe von insgesamt 821,22 EUR/Monat bewilligt.
Das Finanzamt … teilte unter dem 2. Januar 2017 mit, dass die Klägerin für das Jahr 2015 nicht zur Einkommenssteuer veranlagt worden sei.
Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 29. Mai 2017 den Antrag auf Gewährung von Mietzuschuss für den Zeitraum von März bis April 2015 ab, da ein Anspruch auf Wohngeld nicht bestehe, wenn Aufwendungen für Wohnraum nicht gezahlt würden. Sowohl der Vermieter als auch die Klägerin hätten schriftlich bestätigt, dass keine Mietzahlungen geleistet worden seien.
Hiergegen erhob die Klägerin am 28. Juni 2016 beim Bayerischen Verwaltungsgericht Augsburg Klage, ohne ausdrücklich einen Antrag zu stellen.
Am 11. Juli 2017 zeigte der Prozessbevollmächtigte die Vertretung der Klägerin an und beantragte die Bewilligung von Prozesskostenhilfe. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass die Ablehnung von Mietzuschuss unbillig sei und gegen höherrangiges Recht verstoße. Die Beklagte sei ihrer Fürsorge- und Betreuungspflicht nicht hinreichend nachgekommen. Denn bereits bei Antragstellung sei ersichtlich gewesen, dass die Klägerin keine Mietzahlungen leisten könne und einen Antrag beim Jobcenter stellen müsse. Die Versagung von Wohlgeldzuschuss verstoße demnach gegen das Grundgesetz.
Die Beklagte trat der Klage mit Schriftsatz vom 18. Juli 2017 entgegen. Für sie ist beantragt,
die Klage abzuweisen.
Ein Verstoß gegen Treu und Glauben liege nicht vor, da die Beklagte dem handschriftlichen Zusatz im Antragsformular entsprechend geprüft habe, ob ein Anspruch auf andere in Betracht kommende Sozialleistungen bestehe. Die Versagung von Wohngeld verstoße auch nicht gegen das Grundgesetz, denn zur Wahrung des Existenzminimums seien Sozialleistungen nach dem SGB II und XII vorgesehen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Behördenakten.
II.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe war abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung zum Zeitpunkt der Bewilligungsreife keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hatte (§ 166 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 ZPO). Der angegriffene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf den geltend gemachten Mietzuschuss (§ 113 Abs. 1 Satz 1, Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Bewilligung von Wohngeld, weil der Wohnraum, für den Wohngeld beantragt wurde, zum fraglichen Zeitraum nicht der Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen war (vgl. § 5 Abs. 1 Satz 1 WoGG). Der Mittelpunkt der Lebensbeziehungen muss sich gerade auf den Wohnraum beziehen, für den Wohngeld beantragt wird, nicht auf einen anderen von denselben Personen etwaig zusätzlich bewohnten Wohnraum (vgl. VG Braunschweig, U.v. 26.11.2012 – 3 A 30/12 – UA S. 3; Stadler/Gutekunst/Dietrich/Fröba, WoGG, Stand April 2016, § 5 Rn. 21, 22). Zwar hat der Untervermieter und damalige Bevollmächtigte der Klägerin im Schreiben vom 7. Juni 2015 gegenüber der Beklagten die Aussage getroffen, dass sich die Klägerin im fraglichen Zeitraum im Stadtgebiet der Beklagten aufgehalten habe. Allerdings geht aus dem Antragsformblatt auch hervor, dass die Klägerin „noch“ über anderen Wohnraum verfügte. Sie meldete sich erst zum 3. Juli 2015 behördlich auf die Anschrift …straße … in … an und hat sich nach eigenen Angaben seit 1. Mai 2015 wieder in … aufgehalten (siehe Vollmachterklärung vom 3.5.2015, Bl. 45, 49 der Behördenakten). An die Klägerin unter der Anschrift in der …straße … in … gerichtete Schreiben konnten nicht zugestellt werden (Retoursendung vom 23.5.2015, Bl. 40 der Behördenakte). Nach eigener Aussage habe die Klägerin vorübergehend – zum Zwecke der ärztlichen Behandlung und weil in ihrer Wohnung in … der Aufzug defekt gewesen sei – die Zimmer im Stadtgebiet der Beklagten angemietet (Aktenvermerk über ein Telefonat vom 23.6.2015, Bl. 59 f. der Behördenakte). Nach den zeitlichen Umständen und bei objektiver Betrachtung des Einzelfalls insbesondere aber mit Blick auf den Zweck des Aufenthalts zur medizinischen Behandlung (siehe hierzu § 5 des Mietvertrags) kann demnach nur von einem vorübergehenden Aufenthalt im Stadtgebiet der Beklagten ausgegangen werden. Der Schwerpunkt der Lebensbeziehungen wurde dadurch nicht begründet.
Im Übrigen hat die Klägerin auch deswegen keinen Anspruch auf Wohngeld, weil Wohngeld als Mietzuschuss nach § 1 Abs. 2 WoGG nur als Zuschuss zur tatsächlich entrichteten Miete für den selbst genutzten Wohnraum geleistet wird. Zwar ist nach § 9 Abs. 1 WoGG der Wohngeldberechnung als Miete das vereinbarte Entgelt für die Gebrauchsüberlassung von Wohnraum aufgrund von Mietverträgen oder ähnlichen Nutzungsverhältnissen zu Grunde zu legen, doch hat nach § 7 SGB I ein Recht auf Zuschuss zur Miete oder zu vergleichbaren Aufwendungen nur derjenige, der für eine angemessene Wohnung (tatsächlich) Aufwendungen erbringen muss, die ihm nicht zugemutet werden können. Wohngeld wird dementsprechend nach § 1 Abs. 2 WoGG (vgl. auch § 26 Abs. 1 SGB I) nur als Zuschuss zur (tatsächlich gezahlten) Miete für den selbst genutzten Wohnraum geleistet. Wohngeld als Mietzuschuss kann daher nur zu den tatsächlichen Aufwendungen für den Wohnraum geleistet werden (vgl. OVG NW, B.v. 24.3.2011 – 12 A 2784/10 – juris Rn. 5; NdsOVG, B.v. 29.5.2012 – 4 LA 114/12 – BeckRS 2012, 51302 m.w.N.; VG München, U.v. 22.8.2013 – M 22 K 11.1912 – juris Rn. 22; Stadler/Gutekunst/Dietrich/Fröba, WoGG, Stand April 2016, § 1 Rn. 9, § 9 Rn. 39 m.w.N.).
Vorliegend hat die Klägerin für den streitigen Bewilligungszeitraum keine Aufwendungen für den Wohnraum erbracht. Der Untervermieter teilte der Beklagten bereits am 7. Juni 2015 mit, dass er keine Mietzahlungen erhalten habe. Dies hat die Klägerin mit Schreiben vom 14. August 2015, 20. Januar 2016 und 26. Juni 2016 bestätigt. Auch aus den vorgelegten Kontoauszügen sind keinerlei Mietzahlungen ersichtlich. Ein Anspruch auf das nur zuschussweise zu zahlende Wohngeld besteht demnach nicht.
Die Klägerin kann auch keinen Anspruch auf Wohngeldzuschuss wegen Verstoßes gegen die Grundsätze von Treu und Glauben geltend machen. Eine Verletzung der Beratungs- und Aufklärungspflicht (siehe bspw. § 14 Satz 1, § 16 Abs. 2, 3, § 17 Abs. 1 Nr. 3 SGB I; Art. 25 Abs. 2 BayVwVfG) ist vorliegend nicht erkennbar. Vielmehr ist die Beklagte der Bitte der Klägerin nachgekommen und hat zeitnah eine Leistungsberechtigung sowohl nach dem SGB II als auch nach dem SGB XII geprüft (siehe hierzu Aktenvermerk vom 23.6.2015, Bl. 60 der Behördenakte) und hierüber entschieden. Außerdem gestaltete sich das Verfahren auch deswegen als schwierig und aufwändig, weil die Klägerin nicht bzw. nur schlecht erreichbar war (vgl. bspw. Retoursendung vom 23.5.2015, Bl. 9, 40; Schreiben vom 30.7.2015 und 6.8.2015, Bl. 80 f., 85; Aktenvermerke vom 29.12.2016 und 13.1.2017, Bl. 159, 199 der Behördenakte). Zudem waren Angaben der Klägerin bzw. ihres Untervermieters und damaligen Bevollmächtigten teilweise widersprüchlich oder nicht nachvollziehbar (vgl. bspw. Aktenvermerk vom 29.7.2015, Bl. 74 der Behördenakte), so dass es weiterer Aufklärung bedurfte.


Ähnliche Artikel


Nach oben