Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Kein Verlust der Haftungsfreistellung eines Mietvertrages bei Verkehrsunfall nach Ablenkung durch Infotainmentsystem bei hoher Geschwindigkeit

Aktenzeichen  8 O 1980/16

Datum:
1.6.2017
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 156301
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Nürnberg-Fürth
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 276
StGB § 142

 

Leitsatz

1. Es widerspricht zwar der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt und ist damit fahrlässig, den Blick von der Straße weg auf das Infotainmentsystem (Navigationssystem) zu lenken. Ein derartiges Verhalten begründet aber, soweit es nur kurzzeitig geschieht, jedenfalls dann nicht den Vorwurf grober Fahrlässigkeit, wenn das Fahrzeug mit Assistenzsystemen ausgerüstet ist, und führt daher nicht zum Verlust der Haftungsfreistellung in den einer Kaskoversicherung nachgebildeten Bedingungen eines Mietvertrages. (Rn. 34) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Befreiung des Vermieters von der am Leitbild der Kaskoversicherung orientierten vertraglichen Haftungsfreistellung eines Kfz-Mietvertrages tritt nicht ein, wenn dessen berechtigter Fahrer nach einem Unfallereignis den Anforderungen des § 142 StGB genügt, nicht hingegen die Polizei informiert. Inhalt und Grenzen einer entsprechenden Obliegenheit in den Bedingungen des Mietvertrages stimmen grds. mit den gesetzlichen Vorgaben des § 142 StGB überein. Sollen mit der Ermöglichung der erforderlichen Feststellungen weitergehende Pflichten erfasst werden, müsste hierauf gesondert hingewiesen werden (Anschluss an OLG München BeckRS 2016, 4573 zu E.1.3 AKB 2008). (Rn. 41) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 19.552,79 € festgesetzt.

Gründe

Die zulässige Klage erweist sich, soweit sie noch zur Entscheidung stand, als unbegründet.
Die Klägerin ist auch hinsichtlich des Beklagten zu 1) an der im Mietvertrag vom 13.4.2015 vereinbarten Haftungsfreistellung festzuhalten.
1. Herbeiführung des Unfalles (I.2.Satz 4 AVB)
Das streitgegenständliche Unfallereignis wurde durch den Beklagten zu 1) zur Überzeugung der Einzelrichterin nicht grob fahrlässig herbeigeführt.
Der Beklagte zu 1) hat, informatorisch angehört, erklärt, er sei mit dem Infotainmentsystem bzw. mit dem Bordcomputer beschäftigt gewesen, als das Fahrzeug offensichtlich nach links gezogen worden sei. Mit der linken Hand habe er das Lenkrad gehalten und mit der rechten Hand das Infotainmentsystem, wobei er kurz einen Blick nach rechts gemacht habe. Die Assistenzsysteme des Fahrzeugs seien eingeschaltet gewesen.
Im Hinblick hierauf liegt zwar eine fahrlässige, nicht aber eine grob fahrlässige Herbeiführung des Unfalles durch den Versicherungnehmer vor. So widerspricht es zwar der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt, den Blick von der Straße weg auf das Infotainmentsystem zu lenken. Dies ist aber, soweit es, wie vorliegend, nur kurzzeitig geschiet, jedenfalls dann nicht grob fahrlässig, wenn das Fahrzeug mit Assistenzsystemen ausgerüstet ist.
Insoweit hat der Zeuge T… glaubhaft angegeben, die Assistenzsysteme seien tatsächlich in der Lage, die Spur selbst zu halten, wenn man „den richtigen Knopf“ drücke.
Es kann insoweit dahinstehen, ob dem Beklagten zu 1) hinsichtlich des „Drücken des richtigen Knopfes“ ein Fehler unterlaufen ist mit der Folge, dass das Fahrzeug deshalb nicht selbständig die Spur gehalten hat. Jedenfalls läge auch hierin keine grobe Fahrlässigkeit.
Für eine grobe Fahrlässigkeit hinsichtlich fehlender Fahrtüchtigkeit haben sich keinerlei Anhaltspunkte ergeben. Insbesondere hat der Zeuge T…, der dem Beklagten zu 1) wenige Stunden nach dem Unfall begegnete, hierzu keine Feststellungen gemacht, die auf einen Mangel an Fahrtüchtigkeit hindeuten würden. Auch im Übrigen hat die Klägerin hierzu nicht substantiiert vorgetragen.
2. Obliegenheitsverletzung hinsichtlich des Verhaltens nach dem Unfall (I.2.Satz 6 der AVB iVm G. AVB)
Eine Befreiung der Klägerin von der Haftungsfreistellung tritt auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer grob fahrlässigen Obliegenheitsverletzung dadurch, dass der Beklagte zu 1) unstreitig nicht die Polizei von dem streitgegenständlichen Unfallereignis informiert hatte, ein.
Zur Überzeugung der Einzelrichterin hat der Beklagte zu 1) jedenfalls versucht, die Vermietstation der Klägerin in Erlangen telefonisch zu erreichen. Dies hat er unter Vorlage eines Einzelverbindungsnachweises dargelegt, wobei er auch den Namen des Anschlussinhabers plausibel erklärte.
Seitens der Einzelrichterin bestehen daher keine Zweifel daran, dass der Beklagte zu 1) tatsächlich entsprechende Anrufversuche unternahm, diese jedoch ohne Erfolg blieben.
Weiter hat der Beklagte zu 1) anlässlich der informatorischen Anhörung glaubhaft angegeben, 30 Minuten lang am Unfallort verblieben zu sein, bevor er seine Fahrt zum Zwecke der Rückgabe des Fahrzeuges fortgesetzt habe. Beide Angaben stimmen schlüssig mit dem Einzelverbindungsnachweis, den der Beklagte zu 1) vorgelegt hat, überein. Aus diesem gehen sowohl die seitens des Beklagten zu 1) geschilderten Verbindungsversuche zum Beklagten zu 2) als auch ein Versuch, die Klägerin telefonisch zu erreichen, hervor. Die Klägerin hat insoweit unstreitig gestellt, dass es sich hierbei um die Telefonnummer ihrer Vermietstation in Erlangen handelt. Der Beklagte zu 1) hat somit im Sinne von § 142 Abs. 1 Nr. 2 StGB eine nach den Umstände angemessene Zeit gewartet, ohne dass jemand bereit war, die erforderlichen Feststellungen zu treffen. Der Beklagte zu 1) hat daher seinen Verpflichtungen aus § 142 StGB genüge getan. Das Oberlandesgericht München hat in einem vergleichbaren Fall, dort zur Kaskoversicherung, ausgeführt: „…Die erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen“ heißt nicht gleichzeitig, in jedem Fall die Polizei hinzuziehen oder endlos auf alle Geschädigten warten zu müssen. Der BGH hat in der in NJW 2013, 936 veröffentlichten Entscheidung für ausreichend erachtet, dass der Versicherungsnehmer sich, nachdem er sich berechtigt oder entschuldigt vom Unfallort entfernt hatte, unverzüglich statt an die in § 142 II StGB Genannten an seine Versicherung wandte, den Unfall mitteilte und dieser so Gelegenheit zu weiteren Weisungen gab. Damit wäre eine Auslegung der Klausel AKB E 1.3., die ein Entfernen nach Ablauf einer Wartezeit verböte, unvereinbar. Gegen eine derartige Erweiterung der Obliegenheiten des Versicherungsnehmer gegenüber der früheren Rechtsprechung spricht, dass ein Versicherungsnehmer die Aufklärung auch „ermöglicht“, wenn er sich als Unfallbeteiligter zu erkennen gibt und für Feststellungen passiv zur Verfügung hält. Einem Versicherungsnehmer ist bewusst, was das Gesetz von ihm nach einem Verkehrsunfall verlangt. Hält er sich daran, wäre es überraschend, würde ihm vorgehalten, sein Versicherungsvertrag verlange mehr als das Gesetz, nämlich gleichsam eine Verewigung der Wartepflicht oder entgegen dem allgemeinen Rechtsverständnis die Pflicht, doch die Polizei in jedem Fall zu verständigen. Dies gilt vorliegend umso mehr, als nach E. 3.3 der Bedingungen zusätzlich zu den allgemeinen Pflichten im Schadensfall gerade für die Kaskoversicherung lediglich bei bestimmten – hier nicht vorliegenden – Schäden die Pflicht zur unverzüglichen Anzeige des Schadensereignisses bei der Polizei normiert ist. Diese Erweiterung wäre dann unverständlich, müsste der Versicherungsnehmer auch in allen anderen Fällen immer die Polizei hinzuziehen.“ (OLG München, Urteil vom 26.02.2016, 10 U 2166/15)
Die Einzelrichterin schließt sich dieser Rechtsprechung unter dem Gesichtspunkt, dass die vertragliche Haftungsfreistellung einen an dem Leitbild der Kaskoversicherung orientierten vertraglichen Haftungsausschluss darstellt, an. Eine grob fahrlässige Obliegenheitsverletzung entfällt aus diesem Grund.
Die erkennende Einzelrichterin ist im Zusammenhang auch davon überzeugt, dass sich das streitgegenständliche Unfallereignis an dem seitens des Beklagten zu 1) angegebenen Ort und zu dem dort angegebenen Zeitpunkt zugetragen hatte.
Dies ergibt sich neben dem Einzelverbindungsnachweis, der schlüssig mit der Schilderung des Beklagten zu 1) übereinstimmt, aus den von diesem vorgelegten Lichtbildern des Fahrzeugs noch vor dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall sowie aus dem im Termin zur mündlichen Verhandlung gezeigten Video.
Seitens der Einzelrichterin bestehen hieran auch nicht unter dem Gesichtspunkt, dass das Fahrzeug unmittelbar vor seiner Beschädigung nochmals aufgenommen sein soll, Zweifel an der Authentizität. Insoweit entnimmt das Gericht den Angaben des Zeugen T…, dass es sich um ein außergewöhnliches Fahrzeug handelt, das diesen als Mitarbeiter einer Autovermieterin nachhaltig im Gedächtnis geblieben ist.
Insoweit geht das Gericht davon aus, dass der Beklagte zu 1) die Fahrt mit einem derart hochwertigen Fahrzeug bildlich festhalten wollte.
Zudem haben sich dem Gericht keinerlei Hinweise auf eine Manipulation aufgedrängt, sodass im Zusammenhang mit den Angaben des Beklagten anlässlich der informatorischen Anhörung keine Zweifel daran bestehen, dass das Video authentisch ist und dass es das Fahrzeug am 19.4.2015 gegen 21 Uhr in unbeschädigtem Zustand zeigt.
Es verbleibt daher bei der zwischen der Klägerin und dem Beklagten zu 2) vereinbarten Haftungsfreistellung, die auch zugunsten des Beklagten zu 1) als berechtigtem Fahrer wirkt.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 269 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 709 Abs. 2 ZPO.


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