Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Kosten der Unterkunft – kein schlüssiges Konzept

Aktenzeichen  S 11 AS 863/19

Datum:
20.5.2020
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 22371
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB II § 7 Abs. 1 Nr. 3, § 9 Abs. 1, § 19 Abs. 1 S. 1, S. 3

 

Leitsatz

Zu den Anforderungen an die Repräsentativität und Validität der erhobenen Daten und an die Auswertung der erhobenen Daten im Zusammenhang mit der Erstellung eines schlüssigen Konzepts.
1. Ein schlüssiges Konzept zur Angemessenheit von Kosten der Unterkunft besteht nicht, wenn der gesamte Wohnungsmarkt nicht gleichmäßig abgebildet wurde, weil insbesondere Substandstandardwohnungen berücksichtigt wurden, aber Wohnungen mit weniger als 40 qm Wohnfläche unberücksichtigt geblieben sind. (Rn. 37 – 42) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die Gerichte sind nicht befugt, ihrerseits ein schlüssiges Konzept zu erstellen, sondern haben auf einen vorhandenen qualifizierten Mietspiegel zurückgreifen.  (Rn. 48) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Der Beklagte wird unter Abänderung der Bescheide vom 25. März 2019 und 15. Mai 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16. Juli 2019 verurteilt, der Klägerin für den Zeitraum 1. Mai 2019 bis 30. September 2019 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch im gesetzlichen Umfang unter Berücksichtigung von Kosten der Unterkunft (Bruttokaltmiete) in Höhe von monatlich 477,40 € zu gewähren.
II. Der Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klage zu erstatten.

Gründe

Das Gericht macht von der Möglichkeit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) Gebrauch. Die Beteiligten haben deren Einverständnis hierzu erklärt.
Die Klage ist zulässig und begründet.
1.) Die Klage ist zum sachlich und örtlich zuständigen Sozialgericht Augsburg (§§ 8, 51 Abs. 1 Nr. 4, 57 Sozialgerichtsgesetz – SGG -) gemäß §§ 87, 90, 92 SGG form- und fristgerecht erhoben. Gegenstand der Klage ist ausgehend von den angefochtenen Bescheiden und des Klageantrages die Höhe des Leistungsanspruchs der Klägerin hinsichtlich der Kosten der Unterkunft und Heizung im Hinblick auf die Bruttokaltmiete im Zeitraum vom 01.05.2019 bis 30.09.2019. Hierbei handelt es sich um einen abtrennbaren prozessualen Anspruch (u.a. Bundessozialgericht – BSG -, Urteil vom B 14 AS 42/13 R), welcher eigenständig mit der Klage verfolgt werden kann.
2.) Die Klage ist begründet, die Klägerin hat einen Anspruch auf Bewilligung höherer Kosten der Unterkunft betreffend die Bruttokaltmiete im tenorierten Umfang. Der streitgegenständliche Bewilligungsbescheid des Beklagten ist insoweit rechtswidrig und aufzuheben, da er die Rechte der Klägerin verletzt.
Gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 3 SGB II setzt die Gewährung von Leistungen nach dem SGB II u.a. Hilfebedürftigkeit des Antragstellers voraus. Nach § 9 Abs. 1 SGB II ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält. Hilfebedürftig ist auch derjenige, dem der sofortige Verbrauch oder die sofortige Verwertung von zu berücksichtigendem Vermögen nicht möglich ist oder für den dies eine besondere Härte bedeuten würde, § 9 Abs. 4 SGB II.
Erwerbsfähige Leistungsberechtigte erhalten Arbeitslosengeld II. Die Leistungen umfassen den Regelbedarf, Mehrbedarfe und den Bedarf für Unterkunft und Heizung, § 19 Abs. 1 Satz 1 und 3 SGB II. Die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts werden in Höhe der Bedarfe nach den Abs. 1 und 2 erbracht, soweit diese nicht durch das zu berücksichtigende Einkommen und Vermögen gedeckt sind, § 19 Abs. 3 Satz 1 SGB II.
Die Bedarfe für Unterkunft und Heizung sind in § 22 SGB II geregelt. Danach werden Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anerkannt, soweit diese angemessen sind. Erhöhen sich nach einem nicht erforderlichen Umzug die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, wird nur der bisherige Bedarf anerkannt. Soweit die Aufwendungen für die Unterkunft und Heizung den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, sind sie als Bedarf so lange anzuerkennen, wie es der oder dem alleinstehenden Leistungsberechtigten oder der Bedarfsgemeinschaft nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. Eine Absenkung der nach Satz 1 unangemessenen Aufwendungen muss nicht gefordert werden, wenn diese unter Berücksichtigung der bei einem Wohnungswechsel zu erbringenden Leistungen unwirtschaftlich wäre.
Die Angemessenheitsprüfung unterliegt der vollen gerichtlichen Kontrolle. Bei der Prüfung der Angemessenheit werden die Kaltmiete und die Betriebs- bzw. Nebenkosten ohne die Heizkosten (sogenannte kalte Betriebskosten) auf der einen und die Heizkosten auf der anderen Seite gesondert betrachtet. Die Angemessenheitsprüfung hat unter Berücksichtigung des allgemeinen Gleichheitssatzes nach einheitlichen Kriterien zu erfolgen, wobei zur Konkretisierung der Angemessenheitsgrenze auf der ersten Stufe eine abstrakte und auf einer zweiten Stufe eine konkret-individuelle Prüfung vorzunehmen ist (BSG, Urteil vom 26.05.2011, B 14 AS 132/10 R). Weiter müssen die Unterkunftsbedarfe als Teil eines menschenwürdigen Existenzminimums folgerichtig in einem transparenten und sachgerechten Verfahren, also realitätsgerecht, berechnet werden (BSG, Urteil vom 10.09.2013, B 4 AS 77/12).
Zu überprüfen ist zunächst, ob die Wohnung abstrakt angemessen ist, das heißt, ob ihr Mietpreis dem entspricht, was für eine abstrakt als angemessen geltende Wohnung auf dem maßgeblichen Wohnungsmarkt aufzubringen ist. Wie bei Ermittlung des Regelbedarfs ist auch bei der Angemessenheit der Kosten der Unterkunft auf die in der Referenzgruppe unterer Einkommensgruppen herrschenden (wohnraumbezogenen) Lebensgewohnheiten abzustellen (BSG, Urteil vom 19.02.2009, B 4 AS 30/08 R). Dabei ist auszugehen von einer abstrakt angemessenen Wohnungsgröße, die nach den landesrechtlichen Bestimmungen, in Bayern also den Verwaltungsvorschriften zum Vollzug des Wohnungsbindungsrechts (VVWOBindR – Bekanntmachung des Bayerischen Staatsministeriums des Innern vom 07.07.2017, AllMbl. Seite 269 in Verbindung mit § 10 Wohnraumförderungsgesetz – WoFöG -), zum sozialen Wohnungsbau zu bestimmten ist, und den im maßgeblichen örtlichen Vergleichsraumherrschenden Verhältnissen hinsichtlich Ausstattung, Lage und Bausubstanz von Wohnungen, die einfachen und grundlegenden Bedürfnissen entsprechen und keinen gehobenen Wohnstandard ausweisen. Insoweit gilt die Produkttheorie: ausgehend von der abstrakt angemessenen Wohnungsgröße und einem abstrakt angemessenen Quadratmeterpreis im räumlichen Vergleichsraum, wird eine Referenzmiete (auch Vergleichsmiete) ermittelt. Entsprechen die Kosten der innegehabten Wohnung bereits den abstrakt angemessenen Kosten, sind sie zu übernehmen (abstrakte Angemessenheit, Krauß in: Hauck/Noftz, SGB, 10/12, § 22 SGB II, Rn. 72). Überschreiten die tatsächlichen Kosten für die Unterkunft den so gebildeten Wert, ist im letzten Schritt schließlich zu prüfen, ob eine nach dem ermittelten Wert angemessene Unterkunft für den Leistungsberechtigten auch konkret verfügbar ist (konkrete Angemessenheit). Allerdings ist zunächst davon auszugehen, dass hierzulande angemessener Wohnraum verfügbar ist, weil keine allgemeine Wohnungsnot herrscht. Wenn zur Ermittlung der angemessenen Unterkunftskosten ein sogenanntes schlüssiges Konzept erstellt wurde und dabei auch Mietwerte erhoben worden sind, ist die Annahme begründet, dass angemessene Wohnungen auch konkret verfügbar sind. Um dies zu widerlegen, muss deshalb der Leistungsberechtigte konkret darlegen, dass er sich intensiv, aber vergebens um eine Unterkunftsalternative bemüht hat. Erfolgt dies in ausreichender Weise, liegt es am beklagten Grundsicherungsträger nachzuweisen, dass dennoch eine angemessene Unterkunft konkret verfügbar war (vgl. BSG, Urteil vom 18.11.2014, B 4 AS 9/14 R). Eine konkrete Darlegung in diesem Sinne ist, trotz entsprechender Hinweise des Beklagten und des Gerichts nicht erfolgt.
Nach § 10 WoFöG in Verbindung mit Nr. 5.8 Abs. 2 VVWOBindR sind in Bayern für einen Ein-Personen-Haushalt, wie vorliegend bei der Klägerin, 50 m2 angemessen. Zur Ermittlung eines angemessenen Quadratmeterpreises bedarf es als Ausgangspunkt eines schlüssigen Konzepts. Ob dieses förmlich bekanntgemacht werden muss, wie es in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zu den Richtlinien für die Pauschalierung nach § 101a Bundessozialhilfegesetz (BSHG) wegen ihrer unmittelbaren Außenwirkung gegenüber Dritten gefordert wurde (vgl. Bundesverwaltungsgericht – BverwG -, Urteil vom 25.11.2004, 5 CN 1/03), ist im Rahmen des § 22 SGB II nicht ausschlaggebend. Ein schlüssiges Konzept muss die Gewähr dafür bieten, dass die aktuellen Verhältnisse des Mietwohnungsmarktes im Vergleichsraum der Angemessenheitsgrenze zugrunde liegen. Dazu muss es – bei Methodenfreiheit – insbesondere folgende Anforderungen erfüllen (vgl. BSG, Urteil vom 16.06.2015, B 4 AS 44/14 R):
– die Datenerhebung darf ausschließlich in dem genau eingegrenzten und muss über den gesamten Vergleichsraum erfolgen;
– es bedarf einer nachvollziehbaren Definition des Gegenstandes der Beobachtung (Art von Wohnungen, Differenzierung nach Standard der Wohnungen, Brutto- und Nettomiete/Vergleichbarkeit, Differenzierung nach Wohnungsgröße);
– Angaben über den Zeitraum, auf den sich die Datenerhebung bezieht;
– Angaben über die Art und Weise der Datenerhebung (Erkenntnisquellen, z.B. Mietspiegel);
– Repräsentativität des Umfangs der einbezogenen Daten;
– Validität der Datenerhebung;
– Einhaltung anerkannter mathematisch-statistischer Grundsätze bei der Datenauswertung;
– Vermeidung von „Brennpunkten“ durch soziale Segregation;
– eine Begründung, in der die Ermittlung der Angemessenheitswerte aus den Daten dargelegt wird, bzw. Angaben über die gezogenen Schlüsse (z.B. Spannoberwert oder Kappungsgrenze).
Unter Berücksichtigung dieser Maßgaben hat der Beklagte die Referenzmiete bzw. die Angemessenheitsgrenze nicht in schlüssiger Art und Weise ermittelt. Neben der fehlenden Repräsentativität und Validität der erhobenen Daten ist auch die Datenauswertung zur Überzeugung des Gerichts fehlerhaft.
Der Beklagte hat ausweislich der dem Gericht zur Verfügung gestellten Daten und nach seinem Vortrag Rohdatensätze zum Wohnungsbestand der Leistungsempfänger (Jahre 2015 bis 2017) nach dem SGB ll mit insgesamt 32.599 Fällen, Rohdatensätze aus dem Landratsamt zum Wohnungsbestand der Leistungsempfänger nach den SGB Xll mit insgesamt 9.457 Fällen, Rohdatensätze zum Wohnungsbestand der Wohngeldempfänger mit insgesamt 9.518 Fällen, jedoch nur 2.608 Rohdatensätze zu den Neuvermietungen aus Inseraten in Zeitungen und Internet herausgearbeitet. Die vier Datensätze stammen aus den Jahren 2015, 2016 und 2017. Wohnungen mit einer Wohnfläche von weniger als 40 qm wurden nicht berücksichtigt. Die Daten bezüglich SGB II, SGB XII und WoGG hat der Beklagte im Verhältnis 50:50 ins Verhältnis gesetzt und einen Medianwert (50 Perzentil) gebildet.
Zu beanstanden ist zunächst, dass im Konzept der Beklagten nicht der gesamte Wohnungsmarkt gleichmäßig abgebildet wurde (vgl. hierzu auch Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 28. März 2018 – L 11 AS 620/16 -, Rn. 50 ff.). Bei den erhobenen Daten bezüglich des SGB II, SGB XII und WoGG, die zu 50% berücksichtigt wurden, handelt es nicht um einen repräsentativen Wohnungsbestand, der sich verhältnismäßig aus Wohnungen mit einfachem, mittlerem und gehobenem Wohnungsstandard zusammensetzt. Vielmehr handelt es sich um einen Rückgriff auf Daten aus dem einfachen Segment (vgl. BSG, Urteil vom 16.06.2015 – B 4 AS 44/14 R; Urteil vom 23.08.2011 – B 14 AS 91/10 R – beide nach juris).
Bei den von dem Beklagten erhobenen Angebotsmieten kann keine Differenzierung oder eine bestimmte Aufteilung nach Standard der Wohnungen erkannt werden. Eine Differenzierung nach Wohnungsstandards im Zusammenhang mit den Angebotsmieten ist in Anbetracht der erhobenen Daten, die dem Gericht zur Verfügung gestellt wurden, ebenfalls nicht erfolgt bzw. möglich. Die Datensätze enthalten nur Angaben bezüglich des Baujahres, den Wohnungsort (Gemeinde), der Anzahl der Zimmer, der Wohnfläche, der Grundmiete und Nebenkosten, nicht jedoch im Hinblick auf konkrete Ausstattungsmerkmale.
Auch wenn der Beklagte in Anbetracht dieser Problematik die Daten aus dem einfachen Segment (SGB II, SGB XII und WoGG) und die Angebotsmieten im Verhältnis 50:50 gewichtet hat, kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Gesamtdatenbestand dennoch deutlich überproportional durch den Anteil der Wohnungen einfachen Standards geprägt wird. Eine gleichmäßige Berücksichtigung wird hierdurch jedenfalls nicht erreicht. Werden nur Wohnungen des einfachen Standards berücksichtigt, muss zur Vermeidung von Zirkelschlüssen als Angemessenheitsgrenze grundsätzlich die obere Preisgrenze dieses Segments gewählt werden, nicht aber von diesen nochmals ein Durchschnittswert gebildet werden (vgl. BSG, Urteil vom 23.08.2011 – B 14 AS 91/10 R; Urteil vom 16.06.2015 – B 4 AS 44/14 R – Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 28. März 2018 – L 11 AS 620/16 -, Rn. 50.
Eine obere Preisobergrenze nach Maßgabe der Rechtsprechung wurde jedoch vorliegend nicht gebildet, eine Änderung des Perzentils bzw. der Berechnung vermag im Übrigen hieran nichts zu ändern, da zudem auch die vorliegende Datengrundlage nicht repräsentativ und valide ist:
Zum einen sind die Datensätze nicht um Substandstandardwohnungen bereinigt worden. Es handelt sich hierbei um Wohnungen, welche lediglich einzelne Öfen zur Beheizung der Wohnung haben oder eine Toilette innerhalb der Wohnung nicht vorhanden ist. Diese Wohnungen dürfen nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. BSG, Urteil vom 19.10.2010, B 14 AS 65/09 R, Rn. 31) nicht zur Bildung eines grundsicherungsrelevanten Mietwertes herangezogen werden, denn auf Wohnungen mit diesem untersten Ausstattungsgrad können Hilfebedürftige bei der Wohnungssuche grundsätzlich von vornherein nicht verwiesen werden. Wie der Beklagte selbst vorgetragen hat ist ein Ausschluss von Substandardwohnungen oder eine konkrete Prüfung nach Standards der Wohnungen bei den Wohnungen der Datenquellen aus dem SGB II, dem SGB XII und dem WoGG nicht erfolgt. Vielmehr wurde nach den Angaben des Beklagten im Jahr 2012 eine untere Grenze von 2 € bzw. indexiert von 2,18 € gebildet. Aufgrund welcher konkreten Erkenntnisse / Erhebungen der Beklagte zum Schluss gelangt, dass mit der von ihm festgelegten Untergrenze von 2 € bzw. 2,18 € sämtliche Substandardwohnungen ausgeschlossen sind, erschließt sich dem Gericht nicht. Auch ist der Einwand des Beklagten, wonach durch den Ansatz des Medianwertes sowohl Substandardwohnungen wie auch Luxuswohnungen ausgeschlossen insoweit nicht zielführend, da sich der aus der Anwendung des Median zu berechnende Wert zu Ungunsten der Leistungsempfänger bei dem Ansatz von Substandardwohnungen verlagert werden kann, worauf der Bevollmächtigte zu Recht hinweist.
Zum anderen sind Wohnungen bei der Erhebung nicht berücksichtigt worden, welche weniger als 40 qm Wohnfläche haben. Die Begründung des Sachverständigen für diese Vorgehensweise besteht darin, dass es sich bei diesen Wohnungen um Wohnungen handele, die überwiegend möbliert seien und daher überdurchschnittlich teuer sind. Diese Behauptung ist jedoch nicht durch konkretes Zahlenmaterial bzw. Erhebungen verifiziert worden und vermögen daher das Gericht nicht zu überzeugen.
Auch die These des Sachverständigen, dass davon auszugehen sei, dass die niedrigen Bestandsmieten, durch die „besonders hohen Quadratmetermieten“ aus den aktuellen Angeboten und Zeitungen ausgeglichen würde, vermag nicht zu überzeugen. Zwar ist dem Beklagten zuzugestehen, dass Angebotsmieten im Mittel meist höher als der Mittelwert von repräsentativ erhobenen Neuvertragsmieten liegen (vgl. hierzu Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 12. Oktober 2017 – L 19 AS 502/16 -, Rn. 60 ff.).
Diese Annahme ist jedoch nicht zwingend (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 24.05.2018, L 8 SO 193/13, Rn. 52) und kann auch keine Allgemeingültigkeit beanspruchen, zumal vorliegend zudem der Erhebungszeitraum für die Angebotsmieten mit einem Zeitraum von Januar 2015 bis Oktober 2017 sehr lang gewählt wurde. Gerade vor dem Hintergrund, dass nach zwei Jahren jeweils ein neues Konzept zu erstellen ist, erkennt das Gericht nicht die Notwendigkeit drei Jahre alte Daten zu verwenden, insbesondere unter dem Hintergrund des allgemein bekannten Anstiegs der Mietpreise in den letzten Jahren.
Dahingestellt bleiben konnte daher die Frage, ob und in welchem Umfang die Verwendung von Daten aus Bestandsmieten, deren Abschluss oder letzte Änderung mehr als vier Jahre zurückliegen, zulässig ist, was der Bevollmächtigte unter Berufung auf das Bayerisches Landessozialgericht, Urteil vom 19. April 2018 – L 7 AS 773/15 -, Rn. 46 bestritt. Hierfür spricht zumindest, dass Bestandsmieten, was der Konzeptersteller selbst eingeräumt hat, regelmäßig niedrigere Quadratmeterpreise aufweisen und diese somit tendenziell die Datenlage zu Ungunsten der Leistungsempfänger verzerren.
Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass das Konzept der Beklagten aus Sicht des Gerichts nicht schlüssig ist.
Nachdem sich der Beklagte nicht in der Lage sah, ihr Konzept durch neue Datenerhebungen schlüssig zu machen kam eine Nachbesserung – wie vom BSG (Urteil vom 02.07.2009, B 14 AS 33/08 R; Urteil vom 20.08.2009, B 14 AS 41/08 R) gefordert – damit nicht in Betracht.
Die Gerichte sind zur Herstellung der Spruchreife der Sache nicht befugt, ihrerseits – gegebenenfalls mit Hilfe von Sachverständigen – ein schlüssiges Konzept zu erstellen und haben daher zur Herstellung der Spruchreife, wenn ein qualifizierter Mietspiegel vorhanden ist, auf diesen zurückgreifen. Ist dies nicht möglich, sind mangels in rechtlich zulässiger Weise bestimmter Angemessenheitsgrenze die tatsächlichen Aufwendungen für die Unterkunft diesem Bedarf zugrunde zu legen, begrenzt durch die Werte nach dem WoGG zuzüglich eines Zuschlages von 10 Prozent (BSG, Urteil vom 30.01.2019, B 14 AS 24/18 R). Dadurch soll den Gegebenheiten des örtlichen Wohnungsmarkts zumindest ansatzweise gemäß gesetzgeberischer Entscheidungen – wenn auch für einen anderen Personenkreis – durch eine „Angemessenheitsobergrenze“ Rechnung getragen werden, die die Finanzierung extrem hoher und per se unangemessener Mieten verhindert (BSG, Urteil vom 17.12.2009, B 4 AS 50/09 R).
Ausgehend hiervon ergeben sich abstrakt angemessene Kosten der Unterkunft (Bruttokaltmiete) in Höhe von monatlich 477,40 Euro. Dieser Betrag errechnet sich bei Rückgriff auf den Höchstwert für eine Person und der für A-Stadt geltenden Mietenstufe IV (434 EUR, § 12 Abs. 1 WoGG) zuzüglich eines Sicherheitszuschlags von 10 Prozent (43,40 Euro).
Der Klage war daher mit der Kostenfolge des § 193 SGG im vollen Umfang statt zu geben.
3.) Die Berufung ist zulassungsbedürftig, da der Wert des Beschwerdegegenstandes 750 € nicht überschreitet (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Die Berufung ist nicht zuzulassen, da die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat (§ 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG) und das Urteil auch nicht von den Entscheidungen der in § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG benannten Gerichte abweicht.


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