Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Kündigung einer Pauschalreise aufgrund Terrorgefahr

Aktenzeichen  15 C 89/16

Datum:
7.7.2016
Fundstelle:
DAR – 2017, 321
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB BGB § 651j

 

Leitsatz

Bei höherer Gewalt iSd § 651j BGB handelt es sich um ein ungewöhnliches und unvorhersehbares Ereignis, auf das die Vertragsparteien keinen Einfluss haben und dessen Folgen trotz Anwendung der gebotenen Sorgfalt nicht hätte vermieden werden können. Hierunter können – neben Krieg, Naturkatastrophen und Reaktorunfällen – auch Terrorakte fallen, jedenfalls dann, wenn es sich nicht nur um Einzelakte handelt, sondern diese aufgrund ihrer Häufung zu einer für den Buchenden nicht vorhersehbaren Verschärfung der Sicherheitslage in der betreffenden Region geführt haben. (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 728,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 28.02.2016 zu zahlen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet.
Die Beklagte schuldet die Rückzahlung der für die streitgegenständliche Pauschalreise (Rechnung und Bestätigung vom 26.06.2015) geleisteten Anzahlung von Euro 728,00, da der Kläger rechtswirksam das Vertragsverhältnis am 28.01.2016 gemäß § 651 j BGB gekündigt hat (§ 651 e Abs. 3 BGB).
Es lag eine bei Vertragsschluss noch nicht vorhersehbare höhere Gewalt im Sinne des § 651 j Absatz 1 BGB vor, welche die gebuchte Reise erhebliche gefährdete.
Bei höherer Gewalt i. S. d. § 651 j BGB handelt es sich um ein ungewöhnliches und unvorhersehbares Ereignis, auf das die Vertragsparteien keinen Einfluss haben und dessen Folgen trotz Anwendung der gebotenen Sorgfalt nicht hätte vermieden werden können. In der Rechtssprechung anerkannte Ereignis sind hier z. B. Krieg oder Kriegsgefahr, Naturkatastrophen, Reaktorunfälle. Auch Terrorakte können ein solches Ereignis sein, wobei die Rechtssprechung zurückhalten ist, soweit es sich um Einzelakte handelt und nicht von flächendeckenden, bürgerkriegsähnlichen Unruhen auszugehen ist (vgl. Beckscher Online-Kommentar BGB, 39. Edition, § 651 j BGB Rn. 5; Amtsgericht Bad Homburg, Urteil vom 27.01.1994, NJW-RR 1994, 635; Amtsgericht Charlottenburg, Urteil vom 11.10.1993, NJW-RR 1994, 312). Nach Auffassung des Amtsgerichts Homburg fallen einzelne Terroranschläge in das von jedem Einzelnen zu tragende allgemeine Lebensrisiko. Der streitgegenständliche Fall unterscheidet sich jedoch von den Fällen, welche jener Rechtssprechung zugrunde liegen.
Es ist gerichtskundig, dass angesichts der Kurdenproblematik in der Türkei seit Jahren eine unzureichende Sicherheitslage im Ost/Südostteil des Landes besteht, dies auch mit Terroranschlägen. Ausgehend von den Ausführungen der Parteien geht das Gericht davon aus, dass bis zum Zeitpunkt der Buchung der streitgegenständlichen Pauschalreise im Juni 2015 keine Anschläge in jenen Regionen vorkamen, in welche die gebuchte Reise führte. Soweit die Beklagte in der Klageerwiderung ausführt, dass seit Januar 2015 immer wieder Anschläge durch terroristische Gruppen mit mehreren Todesopfern vorgekommen seien, so beruft sich die Beklagte auf einen Sicherheitshinweis des Auswärtigen Amtes vom 10.04.2016. Dieser Hinweis belegt keine Terroranschläge in den Regionen, in welchen die gebuchte Reise führte. Daher sind entgegen der Meinung des Klägers bei der Beurteilung, ob höhere Gewalt vorliegt, die von ihm vorgetragenen Selbstmordanschläge in Suruc, Südostanatollen, wie auch Anschläge in Istanbul auf Polizeiwachen und Polizisten nicht relevant.
Relevant für die Beurteilung der Sicherheitslage ist der Doppelanschlag in Ankara mit 100 Toten vom 10.10.2015, der Rohrbombenanschlag in Istanbul nahe einer Metrostation mit verletzten Personen vom 01.12.2015, der Angriff mit Mörsergranaten auf den Flughafen Istanbul mit einer Toten am 23.12.2015 und insbesondere der Selbstmordanschlag in der historischen Altstadt Istanbuls am 12.01.2016 mit 10 Toten, darunter 8 getöteten deutschen Touristen. Hier handelt es sich nicht mehr nur um Einzelakte i. S. d. oben dargestellten Rechtssprechung. Das Amtsgericht Augsburg geht davon aus, dass es sich hier trotz nicht existierenden Warnhinweisen des Auswärtigen Amtes (sondern nur Sicherheitshinweisen) um höhere Gewalt i. S. d. § 651 j BGB handelt, welche den Kläger zur Kündigung berechtigte.
Diese Verschärfung der Sicherheitslage war für den Kläger bei Vertragsschluss nicht vorhersehbar. Abzustellen ist bei dieser Beurteilung auf den Kenntnishorizont des Kündigenden, ein etwaiger Informationsvorsprung des Reiseveranstalters wäre irrelevant (vgl. Beckscher Online-Kommentar BGB, 39. Edition, § 651 j BGB Rn. 3). Wie oben dargestellt bestand eine Vorhersehbarkeit bezüglich einer verschärften Sicherheitslage im Osten/Südosten der Türkei, das heißt im Kurdengebiet, nicht aber hinsichtlich der Reiseregion.
Soweit die Beklagte vorträgt, dass nur ein Tag Istanbul in der Reise enthalten sei und im Übrigen die Reise in Gebieten statt fände, in denen keine Sicherheitsgefahr bestünde, so steht für das Gericht ausweislich der Reisebeschreibung Anlage K2 fest, dass ein Istanbul-Aufenthalt vom 03.04.2016 (Tag der Anreise) bis zum 05.04.2016 (Tag der Abreise) bestand. Im Übrigen war die Reise als Pauschalreise gebucht und ist insoweit als einheitliche Reise zu betrachten. Die Pauschalreise konnte vom Kläger nur komplett gekündigt werden. Deshalb war der Kläger berechtigt, die gesamte Pauschalreise zu kündigen.
Der Zinsanspruch erfolgt aus §§ 286, 288 Abs. 1 BGB als Verzugschaden, da der Kläger der Beklagten eine Zahlungsfrist bis zum 28.02.2016 zur Rückzahlung der Anzahlung gesetzt hat und die Beklagte die Anzahlung nicht zurückgezahlt hat.
Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit gemäß §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Rechtsbehelfsbelehrung:
Gegen die Entscheidung kann das Rechtsmittel der Berufung eingelegt werden. Die Berufung ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands 600 Euro übersteigt oder das Gericht des ersten Rechtszuges die Berufung im Urteil zugelassen hat.
Die Berufung ist binnen einer Notfrist von einem Monat bei dem
Landgericht Augsburg
Am Alten Einlaß 1
86150 Augsburg
einzulegen.
Die Frist beginnt mit der Zustellung der vollständigen Entscheidung, spätestens mit Ablauf von fünf Monaten nach der Verkündung der Entscheidung.
Die Berufung muss mit Schriftsatz durch eine Rechtsanwältin oder einen Rechtsanwalt eingelegt werden. Die Berufungsschrift muss die Bezeichnung der angefochtenen Entscheidung und die Erklärung enthalten, dass Berufung eingelegt werde.
Die Berufung muss binnen zwei Monaten mit Anwaltsschriftsatz begründet werden. Auch diese Frist beginnt mit der Zustellung der vollständigen Entscheidung.


Ähnliche Artikel


Nach oben