Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Mitgliedstaat, Verletzung, Verfahren, Frist, Notfrist, Bindungswirkung, Zustellung, FamFG, Verweisungsbeschluss, Aufenthalt, Wohnsitz, Antragsgegner, Ausland, Verweisung, keine Bindungswirkung

Aktenzeichen  101 AR 145/21

Datum:
11.11.2021
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 34816
Gerichtsart:
BayObLG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

Örtlich zuständig ist das Amtsgericht – Familiengericht – Augsburg.

Gründe

I.
Der in A. wohnhafte Antragsteller mit deutscher Staatsangehörigkeit hat mit Schriftsatz vom 19. Januar 2021 beim Amtsgericht – Familiengericht – Augsburg einen Antrag auf Abänderung von Kindesunterhalt gestellt. Er begehrt, den bei dem Amtsgericht – Familiengericht – Oberhausen am 17. November 2011 unter dem Az. … abgeschlossenen Vergleich dahingehend abzuändern, dass der Antragsteller verpflichtet ist, für seinen 2008 geborenen Sohn, den Antragsgegner, Kindesunterhalt in Höhe von 1/2 von 160,2% des geltenden Mindestbedarfs nach der jeweils gültigen Düsseldorfer Tabelle zahlen. Zur Begründung hat er unter anderem vorgetragen, zum Zeitpunkt des Vergleichsschlusses habe sein Sohn, der die deutsche und die brasilianische Staatsangehörigkeit besitze, in Deutschland gelebt. Zwischenzeitlich sei er nach Brasilien verzogen. Die örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts – Familiengericht – Augsburg ergebe sich aus § 232 Abs. 3 Nr. 3 FamFG.
Das Amtsgericht – Familiengericht – Augsburg hat mit Verfügung vom 18. März 2021 die Durchführung eines schriftlichen Vorverfahrens angeordnet und den Antragsgegner aufgefordert, die Absicht der Verteidigung binnen einer Notfrist von einem Monat ab Zustellung der Antragsschrift anzuzeigen. Dem Antragsgegner ist zugleich eine Frist von zwei weiteren Wochen zur Erwiderung auf den Antrag gesetzt worden.
Der Verfahrensbevollmächtigte des Antragsgegners, dem die Antragsschrift am 24. März 2021 zugestellt worden ist, hat mit Schriftsatz vom 26. März 2021 angekündigt, die Zurückweisung des Antrags zu beantragen. Zur Begründung hat er mit Schriftsatz vom 14. April 2021 ausgeführt, der vom Antragsteller zu zahlende Unterhaltsbetrag sei angebracht und angemessen, auch wenn der Antragsgegner in Brasilien lebe.
Mit Verfügung vom 15. April 2021 hat das Amtsgericht – Familiengericht – Augsburg darauf hingewiesen, dass es sich „international“ nicht für zuständig halte. Der Antragsgegner, der der Unterhaltsberechtigte sei, habe seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Brasilien. § 232 Abs. 3 Nr. 3 FamFG sei nicht anwendbar, da er nur gelte, wenn der Unterhaltspflichtige seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland habe. Einschlägig seien vielmehr die Art. 3 ff. EuUnthVO, die auch dann eingriffen, wenn der Antragsgegner seinen Aufenthalt nicht in einem Mitgliedstaat habe. Die EuUnthVO regele die Zuständigkeit abschließend und sehe dementsprechend in Art. 6 und Art. 7 Regelungen über eine Auffangzuständigkeit sowie Notzuständigkeit vor. Art. 5 EuUnthVO gelte erst, wenn sich der Antragsgegner nach Hinweis weiterhin rügelos einlasse.
Der Antragsgegner hat mit Schriftsatz vom 26. April 2021 die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts gerügt.
Der Antragsteller hat die Ansicht vertreten, die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte ergebe sich jedenfalls aus der Notzuständigkeit nach Art. 7 EuUnthVO, da eine Abänderung des deutschen Unterhaltstitels in Brasilien nicht erreicht werden könne.
Mit Verfügung vom 5. Mai 2021 hat das Amtsgericht – Familiengericht – darauf hingewiesen, es sei bisher nicht bestritten worden, dass der Antragsgegner auch die deutsche Staatsangehörigkeit besitze. Es komme daher eine „Notzuständigkeit“ nach Art. 6 EuUnthVO in Betracht. Damit ergebe sich die Zuständigkeit aus § 27 AUG. Die Beteiligten hätten offensichtlich in Deutschland einen gemeinsamen Wohnsitz gehabt, vermutlich in Oberhausen. Der letzte gemeinsame Wohnsitz der Beteiligten sei jedenfalls nicht Augsburg gewesen. Das angerufene Gericht sei daher örtlich unzuständig. In der Verfügung wird eine Kommentierung zu Art. 7 EuUnthVO (Wurmnest in BeckOGK, EU-UnterhaltsVO Art. 7 Rn. 28) wiedergegeben, wonach für den Fall, dass die Beteiligten einen letzten gemeinsamen Wohnsitz in Deutschland hatten, seit 26. November 2015 nach § 27 Abs. 1 Satz 1 AUG dasjenige Amtsgericht – Familiengericht – örtlich zuständig ist, welches für den Sitz desjenigen Oberlandesgerichts zuständig ist, in dessen Bezirk der gemeinsame Wohnsitz der Beteiligten lag.
Der Antragsteller hat mit Schriftsatz vom 7. Mai 2021 mitgeteilt, dass die Beteiligten ihren letzten gemeinsamen Wohnsitz in Oberhausen gehabt hätten, und Verweisung an das örtlich zuständige Amtsgericht – Familiengericht – Oberhausen beantragt.
Der Antragsgegner hatte Gelegenheit, sich zu diesem Antrag zu äußern.
Mit Beschluss vom 7. Juni 2021 hat sich das Amtsgericht – Familiengericht – Augsburg für örtlich unzuständig erklärt und das Verfahren auf Antrag des Antragstellers an das Amtsgericht – Familiengericht – Oberhausen verwiesen. Das Familiengericht Augsburg sei örtlich unzuständig. Zur Begründung wurden die Ausführungen in dem zuvor erteilten Hinweis vom 15. April 2021 wiederholt. Aus Art. 5 EuUnthVO ergebe sich wegen der Rüge des Antragsgegners keine Zuständigkeit. Die Zuständigkeit folge daher aus § 27 AUG i. V. m. Art. 6 EuUnthVO. Die Beteiligten hätten zuletzt in Deutschland einen gemeinsamen Wohnsitz gehabt und zwar in Oberhausen.
Das Amtsgericht – Familiengericht – Oberhausen hat die Akten mit Verfügung vom 23. Juni 2021 an das Amtsgericht – Familiengericht – Augsburg zurückgeleitet mit der Bitte um Aufhebung/Berichtigung des Verweisungsbeschlusses. Mit an die Beteiligten hinausgegebenem Vermerk hat es die Ansicht vertreten, das Amtsgericht – Familiengericht – Augsburg dürfte nach Art. 5 EuUnthVO zuständig sein, da der Antragsgegner zunächst auf den Sachantrag vom 19. Januar 2021 erwidert habe. Da keine Hinweispflicht bestanden habe, dürfte es sich um eine rügelose Einlassung handeln. Dessen ungeachtet sei auch eine Zuständigkeit des Amtsgerichts – Familiengericht – Oberhausen nach Art. 6 EuUntVO i. V. m. § 27 AUG nicht gegeben. Das für Oberhausen zuständige Oberlandesgericht sei das Oberlandesgericht Düsseldorf. Das Gericht, welches für den Sitz des Oberlandesgerichts Düsseldorf zuständig sei, sei das Amtsgericht – Familiengericht – Düsseldorf, nicht jedoch das Amtsgericht – Familiengericht – Oberhausen.
Das Amtsgericht – Familiengericht – Augsburg hat die Akte mit Verfügung vom 1. Juli 2021 an das Amtsgericht – Familiengericht – Oberhausen zurückgeschickt. Ein Verweisungsbeschluss sei nach § 113 FamFG, § 281 ZPO auch für das verweisende Gericht bindend, das den Verweisungsbeschluss nicht aufheben könne. Sollte sich das Gericht, an das verwiesen worden sei, für unzuständig halten, könne es selbst nach entsprechender Anhörung weiterverweisen.
Mit Verfügung vom 14. Juli 2021 hat das Amtsgericht – Familiengericht – Oberhausen den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme zur beabsichtigten Zurückverweisung an das Amtsgericht – Familiengericht – Augsburg gegeben. Es halte den Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Augsburg vom 7. Juni 2021 mangels hinreichender Auseinandersetzung mit der „Notzuständigkeit“ nach Art. 6 EuUnthVO i. V. m. § 27 AUG nicht für bindend.
Der Antragsteller hat die Ansicht vertreten, der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Augsburg sei bindend. Sollte das Amtsgericht – Familiengericht – Oberhausen das Amtsgericht – Familiengericht – Düsseldorf für zuständig erachten, werde beantragt, den Rechtsstreit an das Amtsgericht – Familiengericht – Düsseldorf zu verweisen.
Mit Beschluss vom 11. August 2021 hat sich das Amtsgericht – Familiengericht – Oberhausen für örtlich unzuständig erklärt und das Verfahren an das Amtsgericht – Familiengericht – Augsburg zurückverwiesen. Eine örtliche Zuständigkeit des Amtsgerichts – Familiengericht – Oberhausen sei nicht gegeben. Sie folge insbesondere nicht aus § 281 ZPO. Der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Augsburg vom 7. Juni 2021 entfalte keine Bindungswirkung. Aus Art. 6 EuUnthVO i. V. m. § 27 AUG folge keine Zuständigkeit des Amtsgerichts – Familiengericht – Oberhausen. Diese Normen begründeten eine „Notzuständigkeit“, soweit die Art. 3 bis 5 EuUnthVO nicht einschlägig seien. Nach Art. 6 EuUnthVO i. V. m. § 27 AUG wäre – eine Zuständigkeit nach Art. 5 EuUnthVO außer Acht lassend – das Amtsgericht – Familiengericht – Düsseldorf zuständig. Verweisungsbeschlüsse entfalteten keine Bindungswirkung, wenn sich das verweisende Gericht über die Zuordnung des von ihm für maßgeblich gehaltenen Ortes zu dem Bezirk des Gerichts, an das verwiesen worden sei, offensichtlich geirrt habe. Dies gelte umso mehr für Verweisungsbeschlüsse, wenn gar keine ersichtliche Auseinandersetzung mit den Voraussetzungen der für maßgeblich gehaltenen Zuständigkeitsnorm erfolgt sei. Zuständig sei das zunächst angerufene Amtsgericht – Familiengericht – Augsburg, da sich der Antragsgegner mit seiner Antragserwiderung vom 14. April 2021 rügelos eingelassen habe. Eine Hinweispflicht des Amtsgerichts – Familiengerichts – Augsburg habe nicht bestanden.
Mit Verfügung vom 25. August 2021 hat das Amtsgericht – Familiengericht – Augsburg das Verfahren dem Bayerischen Obersten Landesgericht zur Bestimmungsentscheidung vorgelegt.
Die Beteiligten hatten im Bestimmungsverfahren Gelegenheit zur Stellungnahme. Der Antragsteller hält die Verweisung des Amtsgerichts – Familiengericht – Augsburg an das Amtsgericht – Familiengericht – Oberhausen für bindend, dem es unbenommen geblieben sei, die Angelegenheit an das zuständige Amtsgericht – Familiengericht – Düsseldorf zu verweisen. Eine Zurückverweisung an das Amtsgericht – Familiengericht – Augsburg sei aufgrund der Bindungswirkung der Erstverweisung nicht in Betracht gekommen. Der Antragsgegner hat sich nicht geäußert.
II.
Auf die zulässige Vorlage des Amtsgerichts – Familiengericht – Augsburg ist dessen Zuständigkeit auszusprechen.
1. Das Bayerische Oberste Landesgericht ist zur Entscheidung über das Ersuchen berufen.
a) In Unterhaltssachen wie der vorliegenden erfolgt gemäß § 2 AUG i. V. m. § 231 Abs. 1 Nr. 1, § 112 Nr. 1 und § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG die Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 36 ZPO. Das Bayerische Oberste Landesgericht ist nach § 36 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 9 EGZPO zuständig für die Bestimmungsentscheidung, weil die Bezirke der am negativen Kompetenzkonflikt beteiligten Gerichte zu den Zuständigkeitsbereichen unterschiedlicher Oberlandesgerichte (München und Düsseldorf) gehören, so dass das für sie gemeinschaftliche im Rechtszug zunächst höhere Gericht der Bundesgerichtshof ist. An dessen Stelle befindet das Bayerische Oberste Landesgericht über das Ersuchen, weil das mit der Rechtssache zuerst befasste Gericht in Bayern liegt. Die genannten Vorschriften sind gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG in Familienstreitsachen entsprechend anzuwenden. Zu diesen gehören gemäß § 112 Nr. 1 FamFG insbesondere Unterhaltssachen nach § 231 Abs. 1 Nr. 1 FamFG, also Verfahren, die wie das vorliegende die durch Verwandtschaft begründete gesetzliche Unterhaltspflicht betreffen (vgl. BayObLG, Beschluss vom 23. Juli 2020, 1 AR 54/20, juris Rn. 23).
b) Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor.
Das Amtsgericht – Familiengericht – Augsburg hat sich durch unanfechtbaren Verweisungsbeschluss vom 7. Juni 2021 (§ 2 AUG, § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG i. V. m. § 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO) für unzuständig erklärt, das Amtsgericht – Familiengericht – Oberhausen durch die zuständigkeitsverneinende Entscheidung vom 23. Juni 2021 sowie durch den unanfechtbaren Verweisungsbeschluss vom 11. August 2021. Die jeweils ausdrücklich ausgesprochene Leugnung der eigenen Zuständigkeit erfüllt das Tatbestandsmerkmal „rechtskräftig“ im Sinne des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO (st. Rspr. vgl. BGH, Beschluss vom 15. August 2017, X ARZ 204/17, NJW-RR 2017, 1213 Rn. 12 m. w. N.).
2. Das Amtsgericht – Familiengericht – Augsburg ist für das Verfahren örtlich zuständig. Dessen Verweisungsbeschluss vom 7. Juni 2021 entfaltet ausnahmsweise keine Bindungswirkung, wohl aber der des Amtsgerichts – Familiengericht – Oberhausen vom 11. August 2021, § 2 AUG, § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG i. V. m. § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO.
a) Der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Augsburg hat die Zuständigkeit des Amtsgerichts – Familiengericht – Oberhausen nicht begründet.
aa) Allerdings sind im Interesse der Prozessökonomie und zur Vermeidung von Zuständigkeitsstreitigkeiten und dadurch bewirkten Verzögerungen und Verteuerungen des Verfahrens Verweisungsbeschlüsse gemäß § 2 AUG, § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG, § 281 Abs. 2 Sätze 2 und 4 ZPO unanfechtbar und für das Gericht, an welches verwiesen wird, grundsätzlich bindend. Dies entzieht auch einen sachlich zu Unrecht ergangenen Verweisungsbeschluss und die diesem Beschluss zugrunde liegende Entscheidung über die Zuständigkeit grundsätzlich jeder Nachprüfung (vgl. BGH, Beschluss vom 13. Dezember 2005, X ARZ 223/05, NJW 2006, 847 [juris Rn. 12]). Dies hat der Senat im Verfahren nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu beachten. Im Falle eines negativen Kompetenzkonflikts innerhalb der ordentlichen Gerichtsbarkeit ist daher grundsätzlich das Gericht als zuständig zu bestimmen, an das die Sache in dem zuerst ergangenen Verweisungsbeschluss verwiesen worden ist.
Jedoch entfällt die Bindungswirkung dann, wenn der Verweisungsbeschluss schlechterdings nicht als im Rahmen des § 2 AUG, § 113 Abs. 1 Satz 2 FamFG,
§ 281 ZPO ergangen anzusehen ist, etwa weil er auf einer Verletzung rechtlichen Gehörs beruht, nicht durch den gesetzlichen Richter erlassen wurde oder jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als objektiv willkürlich betrachtet werden muss (st. Rspr.; vgl. BGH NJW-RR 2017, 1213 Rn. 15; Beschluss vom 9. Juni 2015, X ARZ 115/15, NJW-RR 2015, 1016 Rn. 9; BayObLG, Beschluss vom 5. März 2020, 1 AR 144/19, juris Rn. 84; Greger in Zöller, ZPO, § 281 Rn. 16 f.; jeweils m. w. N.). Dieser Maßstab gilt auch bezüglich der vom verweisenden Gericht vorzunehmenden Prüfung der Zuständigkeit des angewiesenen Gerichts (vgl. OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 17. November 2015, 11 SV 72/15, juris Rn. 11; OLG Köln, Beschluss vom 10. März 2004, 5 W 8/04, juris Rn. 3).
bb) Nach diesen Maßstäben bindet der Verweisungsbeschluss vom 7. Juni 2021 nicht.
Eine Verletzung des Willkürverbots liegt nicht schon in jeder fehlerhaften Anwendung des einfachen Rechts, sondern kommt nur in seltenen Ausnahmefällen in Betracht. Selbst eine zweifelsfrei fehlerhafte Gesetzesanwendung begründet noch keinen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Für die Annahme eines Verstoßes gegen das Willkürverbot ist vielmehr erforderlich, dass die Rechtsanwendung krass fehlerhaft und unter Berücksichtigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden Erwägungen beruht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Dezember 2020, 1 BvR 117/16, juris Rn. 13 m. w. N.).
Ein solcher Fall liegt hier vor. Das Amtsgericht – Familiengericht – Augsburg ist zwar zutreffend von der Anwendbarkeit der Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 4/2009 des Rates vom 18. Dezember 2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen (im Folgenden: EuUnthVO) ausgegangen (s. u. b] bb] [1]). Die Auffassung, die Zuständigkeit des Amtsgerichts – Familiengericht – Oberhausen, folge aus § 27 AUG i. V. m. Art. 6 EuUntVO entbehrt jedoch jeder Rechtsgrundlage. Dabei kann dahinstehen, ob die der Verweisung wohl zugrundeliegende Ansicht, die vom Antragsgegner erst mit Schriftsatz vom 26. April 2021 erhobene Rüge der Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts stehe einer Zuständigkeit des Amtsgerichts – Familiengericht – Augsburg nach Art. 5 EuUnthVO entgegen, als willkürlich anzusehen ist. Denn für die Zuständigkeit des Amtsgerichts Oberhausen ist – bei unterstellter Anwendung von Art. 6 EuUnthVO i. V. m. § 27 AUG – nichts ersichtlich. Liegen die Voraussetzungen einer internationalen Auffangzuständigkeit deutscher Gerichte nach Art. 6 EuUnthVO vor, bestimmt sich die örtliche Zuständigkeit nach § 27 AUG (vgl. Wurmnest in BeckOGK, Stand: 1. Dezember 2020, EU-UnterhaltsVO Art. 6 Rn. 19). Danach ist das Amtsgericht örtlich zuständig, welches für den Sitz desjenigen Oberlandesgerichts zuständig ist, in dessen Bezirk die Beteiligten ihren letzten inländischen gemeinsamen Wohnsitz hatten. Das Amtsgericht hat im Verweisungsbeschluss die Norm zwar genannt und zuvor in der Hinweisverfügung vom 5. Mai 2021 eine entsprechende Kommentarstelle zitiert, den zentralen Regelungsgehalt der Norm aber völlig unberücksichtigt gelassen. Die Beteiligten hatten ihren letzten gemeinsamen Wohnsitz in Oberhausen, also im Bezirk des Oberlandesgerichts Düsseldorf. Die Verweisung an das Amtsgericht Oberhausen statt an das Amtsgericht Düsseldorf ist somit nicht mehr verständlich.
Es kann dahinstehen, ob der Verweisungsbeschluss zudem unter Verstoß gegen das Gebot des rechtlichen Gehörs ergangen ist, weil das Amtsgericht – Familiengericht – Augsburg abweichend von dem zuvor erteilten Hinweis nicht auf den Sitz des Oberlandesgerichts, in dessen Bezirk die Beteiligten ihren letzten inländischen gemeinsamen Wohnsitz hatten, abgestellt hat, sondern auf den letzten gemeinsamen Wohnsitz im Inland. Aus Art. 103 Abs. 1 GG folgt das Verbot von „Überraschungsentscheidungen“. Von einer solchen ist auszugehen, wenn sich eine Entscheidung ohne vorherigen richterlichen Hinweis auf einen Gesichtspunkt stützt, mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter nicht zu rechnen brauchte (st. Rspr., vgl. BVerfG, Beschluss vom 13. Februar 2019, 2 BvR 633/16, juris Rn. 24 m. w. N.; BayObLG, Beschluss vom 5. März 2020, 1 AR 152/19, juris Rn. 20). Erteilt das Gericht einen rechtlichen Hinweis in einer entscheidungserheblichen Frage, so darf es diese Frage zwar nicht ohne erneuten Hinweis abweichend von seiner geäußerten Rechtsauffassung entscheiden (vgl. BGH, Beschluss vom 29. April 2014, VI ZR 530/12, VersR 2014, 1102 Rn. 4). Hier hat der Antragsgegner aber zumindest Gelegenheit erhalten, sich zu dem Antrag zu äußern, das Verfahren an das Amtsgericht – Familiengericht – Oberhausen zu verweisen.
b) Der Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Oberhausen entfaltet Bindungswirkung, mit der Folge, dass das Amtsgericht – Familiengericht – Augsburg als örtlich zuständiges Gericht zu bestimmen ist.
aa) Der Rückverweisung stand aus den oben dargestellten Gründen die Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses nicht entgegen. Entfaltet die Erstverweisung ausnahmsweise keine Bindungswirkung, wird vertreten, das Gericht, an das verwiesen worden sei und das sich nach den Zuständigkeitsvorschriften nicht für zuständig halte, könne das Verfahren mit einem Beschluss nach § 281 ZPO, also nach erneuter Anhörung der Parteien, zurück- oder auch weiterverweisen (vgl. OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 17. November 2015, 11 SV 72/15, juris Rn. 15 – zu einer Weiterverweisung; OLG Hamm, Beschluss vom 8. Juni 2012, 32 SA 38/12, NJW-RR 2012, 1464 Rn. 19 – zu einer Rückverweisung; Greger in Zöller, ZPO, § 281 Rn. 19; vgl. auch zur Rückverweisung nach Klageänderung: BGH, Beschluss vom 17. Mai 1989, I ARZ 254/89, NJW 1990, 53 [juris Rn. 8]; vgl. dagegen zur fortdauernden Bindungswirkung der Erstverweisung: BGH, Beschluss vom 18. Januar 1995, XII ARZ 36/94, FamRZ 1995, 792 [juris Rn. 5]; Beschluss vom 6. Oktober 1993, XII ARZ 22/93, NJW-RR 1994, 126 [juris Rn. 7]; OLG Hamm, Beschluss vom 11. Mai 2016, 32 SA 19/16 Rn. 20; offenlassend BayObLG, Beschluss vom 8. April 2020, 1 AR 23/20, juris 30). Vor diesem Hintergrund ist die Annahme des Amtsgerichts – Familiengericht – Oberhausen, es sei zur Rückverweisung befugt, jedenfalls nicht willkürlich, auch wenn es – auch aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung – geboten ist, dass das Gericht, das die Erstverweisung für nicht bindend hält, durch Vorlage eine Entscheidung nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO herbeiführt.
bb) Es ist nicht ersichtlich, dass dem rückverweisenden Beschluss aus anderen Gründen keine Bindungswirkung zukäme. Der Beschluss ist nicht unter Verstoß gegen das Gebot rechtlichen Gehörs ergangen, so dass der Umstand, dass die Verweisung ohne ausdrücklichen Antrag erfolgte, der Bindungswirkung nicht entgegensteht (vgl. BGH, Beschluss vom 22. Oktober 1997, XII ARZ 24/97, juris Rn. 8). Zudem ist die Annahme, das Amtsgericht – Familiengericht – Augsburg sei aufgrund der mit der Anspruchsbegründung erfolgten rügelosen Einlassung nach Art. 5 EuUnthVO, der neben der internationalen auch die örtliche Zuständigkeit regelt (OLG Stuttgart, Beschluss vom 17. Januar 2014, 17 WF 229/13, FamRZ 2014, 850 [juris Rn. 8]; Wurmnest in BeckOGK, EU-UnterhaltsVO, Art. 5 Rn. 10), zuständig geworden, nicht schlechthin unhaltbar.
(1) Die EuUnthVO ist in sachlicher und zeitlicher Hinsicht anwendbar (Art. 1 Abs. 1 und Art. 75 Abs. 1 EuUnthVO). Die Zuständigkeitsvorschriften der EuUnthVO gelten universal, greifen also auch dann ein, wenn der Antragsgegner seinen Aufenthalt nicht in einem Mitgliedstaat hat (Borth/Grandel in Musielak/Borth, FamFG, 6. Aufl. 2018, Vorb zu §§ 98 ff., Rn. 19; Sieghörtner in BeckOK FamFG/Sieghörtner, 40. Ed. 1.10.2021, VO (EG) 4/2009 Art. 1 Rn. 17).
(2) Art. 5 EuUnthVO ist – anders als Art. 4 nach dessen Absatz 3 – auch bei Unterhaltsverfahren über den Kindesunterhalt anzuwenden (vgl. Lipp in Münchener Kommentar zum FamFG, 3. Aufl. 2019, EG-UntVO Art. 5 Rn. 6) und verdrängt die nationalen Vorschriften zur rügelosen Einlassung (Lipp a. a. O. Rn. 9).
Ein nach den Vorschriften der EuUnthVO an sich unzuständiges Gericht wird gemäß Art. 5 Satz 1 EuUnthVO zuständig, wenn sich die beklagte Partei vor ihm „auf das Verfahren einlässt“. Das Tatbestandsmerkmal „Einlassung“ auf das Verfahren ist unionsrechtlich autonom zu interpretieren (OLG Koblenz, Beschluss vom 18. März 2015, 13 UF 825/14, NJW-RR 2015, 1482 Rn. 14 f.; Reuß in Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, 62. EL Stand: Juli 2021, VO [EG] 4/2009 Art. 5 Rn. 5). Hierunter ist jede Verteidigungshandlung des Beklagten zu verstehen, die eine Sachentscheidung herbeiführen will, ohne zugleich eine Rüge der Unzuständigkeit auszusprechen (vgl. Wurmnest in BeckOGK, EUUnterhaltsVO Art. 5 Rn. 12). Als Einlassung genügt jede Verteidigungshandlung, die auf eine Klageabweisung zielt, insbesondere ein Antrag auf Klageabweisung (BeckOK FamFG/Sieghörtner VO (EG) 4/2009 Art. 5 Rn. 1). Die Zuständigkeitsrüge ist spätestens mit der Stellungnahme zu erheben, die nach dem innerstaatlichen Verfahrensrecht des angerufenen Gerichts als das erste Verteidigungsvorbringen anzusehen ist (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 20. November 2019, 20 AR 5/19, juris Rn. 11; OLG Koblenz, NJW-RR 2015, 1482 Rn. 14; OLG Stuttgart, FamRZ 2014, 850 [juris Rn. 8]; Hausmann, Internationales und Europäisches Familienrecht, 2. Aufl. 2018, Abschnitt C. Unterhaltssachen Rn. 187; vgl. auch BGH, Urt. v. 19. Mai 2015, XI ZR 27/14, WM 2015, 1381 Rn. 17 [zu Art. 24 Brüssel-I-VO] sowie Urt. v. 31. Mai 2011, VI ZR 154/10, BGHZ 190, 28 n. 35 [Art. 18 LugÜ 1988]; kritisch Staudinger in Rauscher, Europäisches Zivilprozess- und Kollisionsrecht, 5. Aufl. 2021 Art. 26 Brüssel-Ia-VO Rn. 18 f.). Die zuständigkeitsbegründende Wirkung des Art. 5 EuUnthVO setzt nicht voraus, dass der Beklagte über sein Rügerecht und die Rechtsfolgen der unterlassenen Rüge belehrt worden ist (vgl. BeckOK FamFG/Sieghörtner VO (EG) 4/2009 Art. 5 Rn. 3; Wurmnest a. a. O. Rn. 22; Hausmann a. a. O. Rn. 192; Reuß a. a. O. Rn. 10; Andrae, Internationales Familienrecht, 4. Aufl. 2019, EuUntVO Art. 5 Rn. 69; Lipp a. a. O. Rn. 9, der allerdings von einer gesetzlichen Hinweispflicht des Gerichts nach nationalem Prozessrecht ausgeht). Eine Art. 26 Abs. 2 Brüssel-Ia-VO oder Art. 8 Abs. 2 EheGüVO entsprechende Regelung enthält Art. 5 EuUnthVO nicht (vgl. Hausmann und Andrae a. a. O., die sich allerdings de legenda ferenda für eine Belehrungspflicht aussprechen; so auch Wurmnest a. a. O. Rn. 23).
Die Verweisung an das Amtsgericht – Familiengericht – Augsburg, weil dieses durch die rügelose Einlassung des Antragsgegners im Schriftsatz vom 14. April 2021 zuständig geworden sei, ist daher keinesfalls willkürlich, sondern ohne weiteres nachvollziehbar, wenn nicht sogar naheliegend.


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