Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Räumungsfrist wegen Corona-Pandemie

Aktenzeichen  12 T 3267/20

Datum:
29.9.2020
Fundstelle:
WuM – 2020, 805
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München II
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 574
ZPO § 91 Abs. 1, § 721 Abs. 6 Nr. 1

 

Leitsatz

Die Wohnungssuche wird durch die Corona-Pandemie erheblich erschwert, da nach wie vor eine sehr fragile öffentliche Gesundheitsstruktur besteht, die das öffentliche Leben und reale zwischenmenschliche Kontakte, die beim Suchen einer Wohnung unerlässlich sind, erheblich beeinträchtigt. Deshalb kann nach Abwägung beidseitiger Interessen die Gewährung einer Räumungsfrist erforderlich sein. (Rn. 22 – 23) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

9 C 121/20 2020-06-25 Endurteil AGEBERSBERG AG Ebersberg

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde des Beklagten wird das Endurteil des Amtsgerichts Ebersberg vom 25.06.2020, Az. 9 C 121/20, in Ziff. 2. des Tenors abgeändert:
Dem Beklagten wird eine Räumungsfrist bis 31.12.2020 gewährt.
2. Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
3. Der Beschwerdewert wird auf 1.500,00 € festgesetzt.

Gründe

I.
Aufgrund Mietvertrag vom 08.04.2015 mit Mietbeginn 01.04.2015 bewohnte der Beklagte ein im Dachgeschoss gelegenes möbliertes Zimmer mit Einbauküche und Bad in dem Anwesen … in P.. Mit Schreiben vom 14.10.2019 kündigten die Kläger ordentlich wegen Eigenbedarf. Auf das Kündigungsschreiben vom 14.10.2019 wird Bezug genommen. Der Beklagte widersprach mit Anwaltsschreiben vom 15.01.2020.
Die Kläger erhoben mit Schriftsatz vom 18.02.2020 Räumungsklage. In der Klageerwiderung vom 22.03.2020 äußerte sich der Beklagte unter Ziffer 2.1 und 2.2 (unklar) zum Eigenbedarf.
Beide Parteivertreter erklärten ihr Einverständnis mit der Entscheidung im schriftlichen Verfahren. Mit Schriftsatz vom 12.05.2020 beantragte der Beklagte eine Räumungsfrist von mindestens drei Monaten.
Durch Beschluss vom 14.05.2020 ordnete das Amtsgericht eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren an.
Mit Schriftsatz vom 01.06.2020 ließ der Beklagte vortragen, dass der Behauptung der Kläger, der Eigenbedarf sei zwischen den Parteien unstreitig, „widersprochen“ werde.
Durch Urteil vom 25.06.2020 gab das Amtsgericht der Klage statt und wies unter Ziffer 2. des Urteilstenors den Antrag auf Gewährung einer Räumungsfrist zurück. Insoweit führte das Amtsgericht aus, dass sich die Abwägung für die Gewährung bzw. die Nichtgewährung der Räumungsfrist im Wesentlichen an der Interessenabwägung im Rahmen des § 574 BGB orientiere. Das Amtsgericht stellte (unklar) fest, dass der Beklagte erkennen konnte, dass das Mietverhältnis bereits seit 31.01.2020 beendet sei. Er habe auch in seinem Widerspruchsschreiben vom 15.01.2020 konzediert, dass der geltend gemachte Eigenbedarfsgrund zutreffend sei.
Dieses Urteil ist dem Beklagtenvertreter am 08.07.2020 zugestellt worden.
Mit Schriftsatz vom 16.07.2020, beim Amtsgericht eingegangen am 20.07.2020, ließ der Beklagte sofortige Beschwerde gegen die Zurückweisung der Räumungsfrist einlegen und beantragte (unter Ziffer 6.), ihm eine Räumungsfrist von drei Monaten zu gewähren. Zur Begründung führte er aus, dass es gerichtsbekannt sei, dass das öffentliche Leben aufgrund der Corona-Pandemie eingeschränkt sei. Dem trage die Verweigerung einer Räumungsfrist nicht Rechnung. Dies habe seine Wohnungssuche erschwert.
Die Kläger beantragen mit Schriftsatz vom 31.07.2020, die sofortige Beschwerde zurückzuweisen. Sie halten sie für unbegründet. Dem Beklagten hätten neun Monate zur Verfügung gestanden, Ersatzwohnraum anzumieten.
Durch Beschluss vom 18.08.2020 half das Amtsgericht der sofortigen Beschwerde nicht ab. Es führt aus, dass in der „Endentscheidung“ nicht unterstellt würde, dass der Beklagte die Eigenbedarfskündigungsgründe unstreitig gestellt hätte. Gerade das Gegenteil sei der Fall. Unstreitig sei, dass die Kläger zur Betreuung der minderjährigen schulpflichtigen Kinder bei vollschichtiger Berufstätigkeit die Schwester bzw. Schwägerin bräuchten, um in Zeiten der Pandemie eine ausreichende Kinderbetreuung zur Verfügung stellen zu können. Demgegenüber könne der Beklagte als Einzelperson bei entsprechenden Bemühungen im Landkreis Ebersberg ohne Weiteres eine Wohnung finden. Auch sei zu berücksichtigen, dass die pandemiebedingten Beschränkungen spätestens seit Mai 2020 nicht mehr vorhanden seien. Die „Notlage auf Seiten der Kläger“ führe unter Berücksichtigung der „Wohnungsnot auf Seiten des Beklagten“ zu dem Ergebnis, dass eine Räumungsfrist nicht gewährt werden könne.
Die Parteien konnten sich mit Schriftsätzen vom 10.09.2020 und 15.09.2020 zu dem Nichtabhilfebeschluss äußern.
II.
Die statthafte (§ 721 Abs. 6 Nr. 1 ZPO) und auch im Übrigen zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde ist in der Sache begründet.
Dem Beklagten war auf seinen Antrag hin gemäß § 721 Abs. 1 S. 1 ZPO eine Räumungsfrist bis einschließlich 31.12.2020 zu gewähren.
Rechtskräftig steht fest, dass der Beklagte zur Räumung der Wohnung verpflichtet ist.
Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts gelangt das Beschwerdegericht zu dem Ergebnis, dass nach Interessenabwägung dem Beklagten eine Räumungsfrist zu gewähren ist. An Interessen konnten diejenigen der Parteien berücksichtigt werden, die sich hinreichend deutlich und substantiiert aus dem Akteninhalt ergeben.
2.1 Interessen der Kläger:
Das Gericht geht nicht davon aus, dass die Kläger in ihrer Kündigung vom 14.10.2019 oder einem anderen Schriftsatz im Verfahren erster Instanz schlüssig und substantiiert vorgebracht haben, dass die Schwester bzw. Schwägerin zur Kinderbetreuung benötigt wird. Diese Behauptung wird lediglich apodiktisch in den Raum gestellt, ohne sie mit Tatsachen zu untermauern. Eine Beweiserhebung des Amtsgerichts insoweit hat zutreffend nicht stattgefunden. Diese Umstände gehörten auch zum Tatbestand der Eigenbedarfskündigung.
Soweit die Schwester bzw. Schwägerin aufgrund des Todes ihres Lebensgefährten psychisch beeinträchtigt ist und sich in psychologischer Behandlung befindet und die Kläger deswegen die Eigenbedarfsperson in ihrer Nähe wissen wollen, ist dies vom Ansatz her nachvollziehbar. Doch auch insoweit ist über die psychische Befindlichkeit weder hinreichend vorgetragen, noch ein Attest vorgelegt. Auch dieser Vortrag bleibt unsubstantiiert.
Die sich aus der Akte ergebenden objektivierbaren Interessen der Kläger sind deswegen nur bruchstückhaft beurteilbar, da es insoweit an einem substantiierten Vortrag der Kläger fehlt.
2.2. Interessen des Beklagten:
Ähnliches gilt für den Vortrag des Beklagten zu seinen Bemühungen, vor Ausbruch der Corona-Pandemie eine Ersatzwohnung zu finden. Die in der Klageerwiderung vom 22.03.2020 vorgebrachten Bemühungen, eine Ersatzwohnung zu finden, sind nicht im Ansatz ausreichend. Die These des Beklagten im Schriftsatz vom 10.09.2020 (Seite 5 unter Ziffer 9.), sich „intensiv“ um eine Ersatzwohnung bemüht zu haben, sind nicht im Ansatz hinreichend nachvollziehbar dargetan. Die wenigen Bemühungen, die der Beklagte vorgenommen hat, reichen keinesfalls aus, um aus dem Grunde des Nichtfindens einer Ersatzwohnung einen Abwägungspunkt im Rahmen des § 721 ZPO zu erkennen.
Allerdings ist es gerichtsbekannt, dass die Wohnungssuche durch die Corona-Pandemie erheblich erschwert wurde. Das Gericht übersieht hierbei nicht, dass diese Erschwerungen erst deutlich nach Beendigung des Mietverhältnisses eingesetzt haben und der Mieter grundsätzlich verpflichtet ist, ab Erhalt der Kündigung sich um Ersatzwohnraum zu bemühen. Dem kam der Beklagte eindeutig nicht hinreichend nach. Allerdings zeigen gerade die Entwicklungen in den letzten Wochen, dass nach wie vor eine sehr fragile öffentliche Gesundheitsstruktur besteht, die das öffentliche Leben und reale zwischenmenschliche Kontakte, die beim Suchen einer Wohnung unerlässlich sind, erheblich erschwert.
Unter Berücksichtigung und Abwägung dieser Umstände hält das Gericht auch im Hinblick auf die wenigen Interessen der Kläger an einer unmittelbaren Räumung eine Frist bis zum Ende des Jahres für angemessen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
Der Beschwerdewert bemisst sich an dem Interesse des Beklagten. Dieser hat eine 3-monatige Räumungsfrist begehrt. Damit bestimmt sich der Beschwerdewert nach dem dreifachen monatlichen Mietbetrag, also mit 1.500,00 Euro.


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