Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Reichweite der Verkehrssicherungspflicht bei Pflasterarbeiten auf dem Gelände einer Autowaschanlage

Aktenzeichen  32 S 5/16

Datum:
24.6.2016
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 21508
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
Coburg
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 823
StVO § 9 Abs. 5

 

Leitsatz

1 Werden auf dem Gelände einer Autowaschanlage Pflasterarbeiten durchgeführt, so verlangt die allgemeine Verkehrssicherungspflicht jedenfalls in nur mit Schrittgeschwindigkeit zu befahrenden Bereichen nicht, am Rande der Baustelle auf einer Palette gelagerte Pflastersteine (hier: zwei oder drei Lagen) etwa durch eine Umzäunung oder eine auf die Steine gestellte Pylone besonders abzusichern.  (redaktioneller Leitsatz)
2 Dies gilt auch gegenüber solchen Fahrzeugen, die so unübersichtlich sind, dass der Fahrer die Steine aus seiner Position nicht erkennen kann. Er muss notfalls anhalten und aussteigen, um sich den erforderlichen Überblick zu verschaffen. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

1 C 16/15 2016-01-07 Urt AGLICHTENFELS AG Lichtenfels

Tenor

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts Lichtenfels vom 07.01.2016, … wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Amtsgerichts Lichtenfels ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 4.899,36 € festgesetzt.

Gründe

I.
Der Kläger begehrt Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall wegen behaupteter Verkehrssicherungspflichtverletzung.
Der Kläger fuhr mit seinem Pkw …, amtliches Kennzeichen … auf dem Betriebsgelände der Beklagten zu 1) in Richtung der von dieser betriebenen Autowaschanlage. Wie der Kläger bemerkte, fanden auf dem Gelände an einer durch Absperrschilder abgetrennten Baustelle Pflasterungsarbeiten der Beklagten zu 2) statt. Nach einem Abbiegevorgang auf dem Betriebsgelände kollidierte der vom Kläger gesteuerte Pkw mit einer Euro-Palette, auf der sich zwei oder drei Lagen Pflastersteine befanden, und die sich neben der Baustelle außerhalb der Absperrung befand. Hierdurch wurde das Auto des Klägers beschädigt, den Schaden beziffert er auf 4.899,36 €.
Das Amtsgericht Lichtenfels hat die Klage abgewiesen. Weder die Beklagte zu 1) noch die Beklagte zu 2) habe ihre Verkehrssicherungspflicht verletzt. Im Baustellenbereich seien Verkehrsteilnehmer nur vor den Gefahren zu schützen, die für sie bei der gebotenen erhöhten Aufmerksamkeit nicht erwartbar und nicht ohne weiteres erkennbar seien. Dem Vorbringen des Klägers, er habe die Palette nicht erkannt und aus seiner Position heraus auch nicht erkennen können, hat es keinen Glauben geschenkt. Aus dem bloßen Vorhandensein der von ihm unstreitig erkannten Baustelle habe er mit auf dem Fahrbahnbereich herumliegenden Gegenständen rechnen müssen.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers. Er ist der Ansicht, mit einem Hindernis außerhalb der Baustelle habe er deshalb nicht rechnen müssen, weil diese im Übrigen abgesperrt und außerdem auffallend ordentlich gewesen sei. Auch sei es ihm wegen des Standorts der Palette kurz hinter einem Knick der Fahrbahn, dem an dieser Stelle vorliegenden leichten Gefälle und der Ausmaße seines Pkw, namentlich der Länge der Motorhaube, gar nicht möglich gewesen, aus seiner Position heraus das Hindernis zu erkennen. Hierüber hätte, wie erstinstanzlich bereits beantragt, ein Sachverständigengutachten eingeholt werden müssen.
Der Kläger beantragt,
unter Abänderung des am 07.01.2016 verkündeten und am 19.01.2016 zugestellten Urteils des Amtsgerichts Lichtenfels, Aktenzeichen 1 C 16/15, die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an ihn 4.899,37 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus einem Betrag von 4.374,38 € seit dem 19.12.2014 sowie aus dem Restbetrag von 525,00 € ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagten beantragen,
die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.
Sie verteidigen das angegriffene Urteil. Die örtlichen Verhältnisse seien in zutreffender Weise berücksichtigt worden, mit einer Materiallagerung außerhalb des Bauzaunes sei zu rechnen gewesen und die mit den Pflastersteinen beladene Palette sei für den Kläger bei gehöriger Sorgfalt ohne weiteres erkennbar gewesen.
Wegen der Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen ergänzend verwiesen.
II.
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Schadensersatz gegen die Beklagten wegen Verkehrssicherungspflichtverletzung.
Das Erstgericht hat zutreffend ausgeführt, dass die Verkehrssicherungspflicht nur diejenigen Vorkehrungen umfasst, die nach den konkreten Umständen zur Beseitigung der Gefahr erforderlich und zumutbar sind. Vor Gefahren, mit denen der Verkehrsteilnehmer bei gehöriger Sorgfalt rechnen musste, muss nicht in besonderer Weise geschützt werden. Nach diesen Maßstäben ist das Erstgericht zutreffend davon ausgegangen, dass eine besondere Absicherung der mit Pflastersteinen beladenen Palette nicht erforderlich war. Der Kläger fuhr nach seiner eigenen Einlassung nur mit Schrittgeschwindigkeit. Er sah, dass auf dem Betriebsgelände der Beklagten zu 1) gerade Pflasterungsarbeiten durchgeführt wurden. In dieser Situation muss ein durchschnittlich aufmerksamer Verkehrsteilnehmer mit am Rande der Baustelle herumliegenden Gerätschaften oder Werkstoffen rechnen. Konkret entspricht es bei Pflasterungsarbeiten der allgemeinen Lebenserfahrung, dass sich noch zu verlegende Steine auf Paletten gelagert neben der Baustelle befinden. Eine besondere Absicherung, etwa durch eine Umzäunung oder eine auf die Steine gestellte Pylone, wäre bei den Bauarbeiten hinderlich und ist zumindest in nur mit Schrittgeschwindigkeit befahrenden Bereichen auch nicht üblich.
Mit seinem Argument, er habe aufgrund der Fahrzeugausmaße die in Rede stehende Palette von seiner Position aus gar nicht sehen können, kann der Kläger nicht durchdringen. Selbst wenn man seiner Behauptung entgegen der Würdigung des Erstgerichts folgen würde, änderte dies an den Obliegenheiten der Beklagten nichts. Der Umfang der Verkehrssicherungspflicht bestimmt sich nicht nach den vom Verkehrsteilnehmer gefahrenen Fahrzeugtyp. Umgekehrt ist die Sorgfaltspflicht desjenigen, der ein besonders großes oder unübersichtliches Auto steuert, entsprechend gesteigert. Insbesondere kann vom durchschnittlich aufmerksamen Verkehrsteilnehmer erwartet werden, dass er in einer Verkehrssituation, in der einerseits mit dem Herumliegen von Werkstoffen gerechnet werden muss und andererseits der zu befahrende Grund bis zur Höhe einer Euro-Palette inklusive mindestens zweier Lagen Pflastersteine nicht sichtbar ist, nicht einfach weiterfährt. Hier muss er notfalls aussteigen, um sich so den erforderlichen Überblick zu verschaffen (Rechtsgedanke des § 9 Abs. 5 StVO). Das Amtsgericht ist daher im Ergebnis zu Recht dem Beweisangebot eines Sachverständigengutachtens über die Frage, ob der Kläger aus seiner Position heraus die Palette hätte erkennen können, nicht nachgegangen.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.


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