Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Richterliche Überzeugung vom Eigenbedarf und Notwehr gegen nächtliche Weckerattacken des Vermieters

Aktenzeichen  14 S 11239/18

Datum:
16.1.2019
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 15696
Gerichtsart:
LG
Gerichtsort:
München I
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
BGB § 227, § 573 Abs. 2 Nr. 2
StGB § 240
ZPO § 415, § 417, § 418

 

Leitsatz

1 Von der Ernsthaftigkeit des Erlangungsinteresses muss sich der Richter überzeugen, dagegen kann es sprechen, wenn der Vermieter sich bereit erklärt, die Wohnung zu einer höheren Miete dem Mieter zu belassen. (Rn. 17 – 25) (redaktioneller Leitsatz)
2 Der Beweiswert einer in einem anderen Verfahren protokollierten Zeugenaussage geht gem. § 418 ZPO nur dahin, dass die Zeugin so ausgesagt und ihre Aussage richtig protokolliert ist, nicht dass die Aussage inhaltlich zutrifft. (Rn. 28 – 29) (redaktioneller Leitsatz)
3 Wenn der Vermieter in einem leeren Appartement in der Dusche einen Wecker mit Vibrationsalarm installiert, der nachts die Bewohner aus dem Schlaf reißt liegt ein rechtswidriger Angriff nach § 227 Abs. 2 BGB vor, gegen den der Mieter sich durch eine Kappung der Stromzufuhr im Wege der Notwehr (§ 227 Abs. 2 BGB) verteidigen kann. (Rn. 40) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

423 C 1636/18 2018-07-05 Endurteil AGMUENCHEN AG München

Tenor

1. Die Berufung der Kläger gegen das Endurteil des Amtsgerichts München vom 05.07.2018 wird zurückgewiesen.
2. Die Klagepartei hat die Kosten des Berufungsverfahren zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I. Hinsichtlich des Sachverhalts wird gem. § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO auf den Tatbestand des amtsgerichtlichen Endurteils Bezug genommen. Ergänzend bzw. zusammenfassend hat die Kammer folgende Feststellungen getroffen:
Die Parteien streiten um Räumung und Herausgabe einer Mietwohnung nach einer vermieterseits ausgesprochenen Eigenbedarfskündigung. Der Beklagte mietete mit schriftlichem Mietvertrag vom 22.10.1976 die streitgegenständliche 2-Zimmer Wohnung nebst einem Dachgeschossraum in München, …. Stock von den ursprünglichen Eigentümern an. Die Kläger sind nach Erwerb und Eintragung ins Grundbuch am 23.12.2016 als Rechtsnachfolger in das bestehende Mietverhältnis eingetreten. Die derzeitige Grundmiete beträgt 1.150,- €.
Mit Schreiben vom 28.03.2017 kündigten die Kläger das oben genannte Mietverhältnis wegen Eigenbedarfs des Klägers zu 3). Nach der Begründung der Kündigung beabsichtigt der Miteigentümer der Immobilie, der Kläger zu 3) gemeinsam mit seiner Ehefrau … in die streitgegenständliche Wohnung als neuen Hauptwohnsitz umzuziehen. Der Kläger zu 3) arbeite seit 01.10.2016 in der familiengeführten Hausverwaltung in unmittelbarer Nähe der streitgegenständlichen Wohnung. Der Arbeitsweg betrage ca. 15 km, wobei die Fahrtzeit pro Person und Tag im Durchschnitt ca. 1,5 bis 2 Stunden beanspruche. Die im dritten Stock gelegene Wohnung des Beklagten solle durch Umbaumaßnahmen mit der Wohnung im 3. Obergeschoss links des Mitmieters … zusammengelegt werden und damit ausreichend Platz für die junge Familie bieten.
Nach Ausspruch der Kündigung fand am 10.04.2018 ein Gespräch zwischen den Klägern zu 1) und 3) einerseits sowie dem Beklagten andererseits statt, dessen Ausgang im Einzelnen zwischen den Parteien streitig ist. Im Nachgang dieses Gespräches jedenfalls sandte der Kläger zu 1) den Entwurf eines Mietvertrages an den Beklagten mit einer erhöhten Grundmiete von € 1.475,-. Im Text der E-Mail des Klägers zu 1) (Anlage B 2) heißt es wörtlich:
„Sehr geehrter Herr …
anbei erhalten Sie den Mietvertrag wie besprochen. In § 17 Nr. 14 finden Sie die Vereinbarung, dass wir von einer erneuten Kündigung wegen Eigenbedarfs mindestens bis Ende 2025 absehen.
Mit freundlichen Grüßen
…“.
Der Abschluss eines neuen Mietvertrages zwischen den Parteien kam infolge nicht zustande.
Im Räumungsverfahren vor dem Amtsgericht bestritt der Beklagte den geltend gemachten Eigenbedarf. Die Kläger benannten zunächst die Ehefrau des Klägers zu 3), …, zum Beweis für den bestrittenen Eigenbedarf. Diese wurde vom Amtsgericht zum Beweistermin am 11.06.2018 geladen, ließ sich aber unter Vorlage eines ärztlichen Attestes aus „gesundheitlichen Gründen“ entschuldigen. Im Termin vom 11.06.2018 verzichteten die Kläger ausdrücklich auf die Einvernahme der Zeugen und boten stattdessen zum Beweis des Eigenbedarfs das Protokoll über die Aussage der Zeugin im Verfahren 473 C 18980/17 vom 04.05.2018 an. Das Amtsgericht zog das Protokoll aus dem Parallelverfahren über die Einvernahme der Zeugin … Räumungsklage gegen den Mitmieter …) im Verfahren 473 C 18980/17 bei, hörte die Kläger zu 1) und 3) sowie den Beklagten persönlich an und wies die Räumungsklage mit Endurteil vom 05.07.2018 ab. Das Amtsgericht führte im Wesentlichen aus, dass es sich aufgrund der persönlichen Anhörung der Parteien nicht mit der nötigen Sicherheit vom Vorliegen des Eigenbedarfs überzeugen könne. Das Beweisangebot auf Einvernahme der Zeugin … sei zurückgezogen worden, aus dem Protokoll über ihre Einvernahme im Parallelverfahren alleine könne das Gericht keine umfassende Einschätzung zur Glaubwürdigkeit der Aussage treffen. Zwar sei der Nachweis des Eigenbedarfs alleine durch die vorgenommene Parteianhörung möglich, vorliegend habe das Gericht aber erhebliche Zweifel am Erlangungsinteresse, weil dem Beklagten unmittelbar nach Ausspruch der Eigenbedarfskündigung am 11.04.2017 der Entwurf eines neuen Mietvertrages übersandt wurde.
Gegen dieses Endurteil richtet sich die von den Klägern mit Schriftsatz vom 02.08.2018 eingelegte und mit Schriftsatz vom 19.10.2018 auch begründete Berufung. Die Kläger rügen im Wesentlichen, dass das Amtsgericht die nachvollziehbare Bedarfssituation nicht in ausreichendem Maße gewürdigt habe. Diese habe sich durch den mittlerweile beim Kläger zu 3) eingestellten Nachwuchs nochmals deutlich erhöht. Bei der Übersendung des Mietvertrags durch den Kläger zu 1) an den Beklagten am 11.04.2018 habe es sich lediglich um einen unverbindlichen Entwurf gehandelt, der zudem mit den Klägern zu 2) bis 4) nicht abgestimmt gewesen sei. Das Amtsgericht habe auch nicht ausreichend gewürdigt, dass das gesamte Anwesen … als „Familienresidenz“ zukünftig genutzt werden soll – teilweise als Haupt-, teilweise als Zweitwohnung der im Raum München wohnenden Kläger. Ferner hätte das Amtsgericht den Urkundenbeweis über den Inhalt der Zeugenaussage der … würdigen und zu dem Ergebnis kommen müssen, dass das geltend gemachte Erlangungsinteresse nachgewiesen sei.
Während des Berufungsverfahrens sprach die Klagepartei zwei weitere fristlose, hilfsweise ordentliche verhaltensbedingte Kündigungen gegenüber dem Beklagten aus. Die Klagepartei kündigte das streitgegenständliche Mietverhältnis mit Schreiben vom 06.11.2018 (nach Abmahnung) und 02.01.2019 jeweils mit der Begründung, dass der Beklagte zu verschiedenen Zeiten sämtliche Sicherungsschalter für das über seiner Wohnung liegende und im Besitz der Kläger befindliche Appartement stromlos geschaltet hatte.
Hintergrund der weitgehend unstreitigen Handlungen des Beklagten und des Ausspruchs der Kündigungen war folgender:
Bei dem Dachgeschoss-Appartement handelt es sich um den früheren Hobbyraum des Mitmieters T, der mittlerweile – jedenfalls weitgehend – ausgebaut ist, aber leer steht und unbewohnt ist. Dieser Hobbyraum ist im Besitz der Kläger. Der Beklagte seinerseits hat einen weiteren Dachgeschoss-Raum daneben angemietet und zu einem früheren Zeitpunkt auf eigene Kosten ausgebaut. Der Strom des im Besitz der Kläger befindlichen teilausgebauten Appartements im Dachgeschoss läuft über den Zähler des Beklagten und wird ausschließlich von diesem bezahlt.
In der Duschwanne des leerstehenden Appartements installierte der Kläger zu 1) einen Wecker mit zusätzlichem Vibrationsalarm und Zeitschaltuhr, der die Bewohner des Anwesens – jedenfalls die in den oberen Stockwerken – wiederholt nachts aus dem Schlaf riss. Am 18.08.2018 kam es zu einem Feuerwehreinsatz, weil der Beklagte aufgrund des läutenden Weckers über ihm vom Vorliegen des Signals eines Rauchmelders ausging und befürchtete, im Dachgeschoss sei ein Brand ausgebrochen. Der mit einer Zeitschaltuhr versehene Wecker beeinträchtigt die Mieter des Anwesens bis zum heutigen Zeitpunkt und reißt sie immer wieder zu unterschiedlichen Zeiten aus dem Schlaf.
Der Beklagte bestreitet, am 04.11.2018 die Sicherung herausgedreht zu haben, im Übrigen beruft er sich auf Nothilfe.
Die Kläger beantragen:
1.Das Urteil des Amtsgerichts München vom 05.07.2018 (Az.: 423 C 1636/18) wird aufgehoben.
2.Der Beklagte wird verurteilt, die sich im 3. OG (rechts) und DG des Anwesens: … München befindliche Wohnung (bestehend aus: zwei Zimmern, eine Küche, ein Duschbad, ein Keller, ein Speicherabteil sowie ein großer Dachgeschossraum) zu räumen und an die Kläger herauszugeben.
3.Hilfsweise: Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Gericht des ersten Rechtszuges zurückverwiesen.
Der Beklagte beantragt:
Zurückweisung der Berufung.
Die Kammer hat am 16.01.2019 die Kläger zu 1) und 3) sowie den Beklagten persönlich, insbesondere zu dem Sachvortrag der in zweiter Instanz neu eingeführten Kündigungen angehört. Hinsichtlich der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Berufungsverfahren wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 16.01.2019 Bezug genommen.
II. Die Berufung der Kläger war zurückzuweisen, weil die Eigenbedarfskündigung vom 28.03.2017 auch aus Sicht der Kammer das Mietverhältnis nicht beendet hat. Die in zweiter Instanz in den Räumungsrechtsstreit eingeführten Kündigungen sind zwar nach §§ 529, 531 Abs. 2 Nr. 3, 533 ZPO zur berücksichtigen, haben das Mietverhältnis aber mangels Pflichtverletzung des Beklagten ebenfalls nicht beendet. Aufgrund der durchgeführten mündlichen Verhandlung und den Angaben der Parteien ist das Gericht vielmehr davon überzeugt, dass der Beklagte in Notwehr gem. § 227 BGB gehandelt hat.
1. Eigenbedarfskündigung vom 28.03.2017
Das Endurteil des Amtsgerichts München vom 05.07.2018 begegnet aus Sicht der Kammer keinen rechtlichen Bedenken. Der Prüfungsumfang des Berufungsgerichts bemisst sich nach § 529 ZPO. Demnach sind die vom Gericht der ersten Instanz festgestellten Tatsachen zugrundezulegen. Berücksichtigungsfähige neue Tatsachen im Sinne des § 529 Abs. 1 Nr. 2 ZPO wurden nicht dargelegt. Auch eine Rechtsverletzung ist im angefochtenen Urteil nicht erkennbar, insbesondere zeigt die Berufung kein übergangenes und rechtserhebliches Beweisangebot zu den streitigen Tatsachenbehauptungen der ersten Instanz auf. Es kann daher zunächst auf die zutreffenden Gründe des amtsgerichtlichen Urteils verwesen werden. Im Übrigen ist hinsichtlich der Angriffe der Berufung Folgendes auszuführen:
Die Darlegungs- und Beweislast bei bestrittenem Eigenbedarf trägt der Vermieter. Dieser hat das berechtigte Interesse nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB schlüssig darzulegen. Hiervon zu unterscheiden ist die Ernsthaftigkeit des Erlarngungsinteresses, also der im Räumungsrechtsstreit zu erbringende Nachweis, dass die für den Eigenbedarf vorgetragenen Gründe zutreffen, vorliegend der Kläger zu 3) also tatsächlich in die gekündigte Wohnung einziehen möchten (Milger, NZM 2014, 769, 779). Das Gericht hat im Rahmen der freien Beweiswürdigung nach § 286 Abs. 1 ZPO unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme zu entscheiden, ob der geltend gemachte Eigennutzungswunsch tatsächlich besteht oder nicht. Das Gericht muss sich mit einer persönlichen Gewissheit begnügen, die den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen. Es ist hierbei lediglich an Denk-, Natur- oder Erfahrungssätze gebunden und darf ansonsten die im Prozess gewonnenen Erkenntnisse grundsätzlich ohne Bindung an gesetzliche Beweisregeln nach seiner individuellen Einschätzung bewerten (Zöller/Greger, ZPO, 32. Aufl. § 286, Rn. 13). Kann sich das Gericht nach durchgeführter Beweisaufnahme nicht von der Richtigkeit des geltend gemachten Eigenbedarfs überzeugen, hat es die Klage abzuweisen (LG Berlin, NZM 2016, 46).
a) Das Amtsgericht hat nach alledem zutreffend festgestellt dass sich alleine aufgrund der Parteianhörung der Kläger zu 1) und 3) der Nachweis der Ernsthaftigkeit des Erlangungsinteresses nicht führen lässt. Zwar haben beide Kläger den Nutzungswunsch des Klägers zu 3) bestätigt, eine tatrichterliche Überzeugung konnte das Amtsgericht allein aufgrund der Anhörung der Parteien allerdings nicht gewinnen. Das Amtsgericht hat hierzu ausgeführt, es sei nicht per se ausgeschlossen, dass die Schilderung der Kläger zutreffend sei. Sie ist jedoch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass dem Beklagten bereits kurze Zeit nach Ausspruch der Eigenbedarfskündigung ein neuer Mietvertragsentwurf mit einer höheren Miete zum Abschluss angeboten wurde, nicht so naheliegend, als dass ihr unter den gegebenen Umständen gegenüber der Schilderung des Beklagten eine höhere Glaubwürdigkeit zukomme. Zwar sei, so das Amtsgericht, damit auch nicht festgestellt, dass sich der Sachverhalt so zugetragen habe, wie vom Beklagten vorgetragen. Notwendig für eine Klagestattgabe wäre jedoch, dass der von den Klägern vorgetragene Sachverhalt zur Überzeugung des Gerichts feststehe, was nicht der Fall sei. Die Kammer schließt sich dieser Bewertung des Amtsgerichts ausdrücklich an; der Nachweis des Vorliegens eines Erlangungsinteresses ist durch die Parteianhörung alleine nicht geführt. Die Einwände der Berufung hiergegen dringen nicht durch:
Zwar führt die Berufung zutreffend aus, dass bei der Prüfung der Frage, ob der Vermieter vernünftige und billigenswerte Gründe geltend macht den Absichten, den Motiven und der Lebensplanung des Vermieters gebührend Rechnung zu tragen ist, darauf kommt es jedoch vorliegend nicht an. Das Amtsgericht hat die Klage nicht etwa deshalb abgewiesen, weil es den Lebenswunsch des Klägers zu 3), in der streitgegenständlichen Wohnung nach Zusammenschluss mit der Wohnung … den Hauptwohnsitz zu begründen, um längere Fahrtzeiten in Zukunft zu vermeiden nicht anerkennt, sondern weil es den Nachweis des Erlangungsinteresses als nicht geführt ansieht. Soweit die Berufung auf S. 5 ausführt, die Kläger hätten nachvollziehbare und vernünftige Erwägungen geschildert, weshalb sie die ernsthafte Absicht verfolgten, die streitgegenständliche Wohnung selbst (wenn möglich unter Hinzugewinnung der Nachbarwohnung) zu nutzen, so reicht die bloße Schilderung bzw. Darlegung der streitigen Tatsachen zum Eigenbedarf nicht aus, um den Nachweis als geführt anzusehen. Ein zulässiger Zeugenbeweis auf Einvernahme der Ehefrau des Klägers zu 3), der Zeugin … wurde zwar angeboten, aber ausdrücklich wieder zurückgezogen. Auch aus Sicht der Kammer spricht der nachgewiesene Umstand, dass die Kläger im Zuge der mit dem Beklagten geführten Nachverhandlungen vom 10.04.2017 bereits kurze Zeit nach Ausspruch der Kündigungen bereit waren, das Mietverhältnis mit dem Beklagten zu einer höheren Miete fortzuführen, als Indiz gegen die von ihnen behauptete und in der Kündigung dargelegte Nutzungsabsicht als Hauptwohnung durch den Kläger zu 3) mit Familie. Die Schilderung der Kläger, man habe sich lediglich aufgrund der emotionalen Bitte des Beklagten zu Vergleichsverhandlungen zur Fortsetzung des Mietverhältnisses hinreißen lassen, ist möglich, aber nicht zwingend. Das Amtsgericht hat diesen Schluss nicht gezogen, sondern ausgeführt, dass es zumindest ungewöhnlich erscheine, dass eine Partei, die wie die Kläger in geschäftlichen Dingen erfahren und mit den im Zusammenhang mit der Wohnungsvermietung auftretenden Themen vertraut ist, einen Mietvertrag anbietet, um auf eine emotionale Situation zu reagieren. Das Amtsgericht hat diesen Umstand als Indiz dafür gewertet, dass es den Klägern von Anfang an nicht um einen ernsthaften Erlangungswillen hinsichtlich der streitgegenständlichen Mietwohnung ging. Unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles und den Angaben der Parteien scheint es auch aus Sicht der Kammer nicht ausgeschlossen, dass es den Klägern mit dem Ausspruch der Eigenbedarfskündigung letztlich darum ging, die Wohnung freizukündigen und zu einer höheren Miete zu vermieten. Dafür spricht jedenfalls der Umstand, dass sie sich nur zu einer deutlich höheren Miete (1.475,- € gegenüber 1.150,- €) zu einem Neuabschluss gemäß vom Kläger zu 1) übersandten Mietvertragsentwurf bereit erklärten.
Gegen die Glaubhaftigkeit der Angaben des Klägers zu 3) zum Erlangungsinteresse spricht im Übrigen auch dessen eigene Einlassung in der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht am 11.06.2018 (Bl. 26/32 d.A.):
Der Kläger zu 3) hatte dort im Rahmen seiner Anhörung als Partei Folgendes angegeben: „Mein Bruder … hat sich wohl aufgrund des emotionalen Drucks genötigt gefühlt, Herrn … einen Mietvertragsentwurf zu schicken. Dies war vorher nicht abgesprochen. Wir waren zwar bei der E-Mail auf cc gesetzt, eine Absprache hatte jedoch nicht stattgefunden. Ich war hiermit überhaupt nicht einverstanden und es gab auch einen intensiven Austausch dazu. Hier sagte mein Bruder, es sei nur ein Entwurf gewesen und wir haben dann auch weiter nichts mehr von Herrn … gehört.“
Diese Angaben des Klägers zu 3) stehen im ausdrücklichen Widerspruch zum Sachvortrag im klägerischen Schriftsatz vom 05.04.2018 (Bl. 14/19 d.A.): Dort heißt es auf S. 5:
„Das letzte Gespräch zwischen den Klägern und Herrn S fand am 10.04.2017 statt. In diesem Gespräch bot der Mieter von sich aus an, einen im Vergleich zur aktuell geschuldeten Miete höheren Mietpreis zu bezahlen, wenn nur die Kläger von einem Eigenbedarf für seine Wohnung absehen würden. Nach einem sehr langen und sehr emotionalen Gespräch sagten die Kläger zu 1) und zu 3) sodann zu, dem Beklagten zunächst einen unverbindlichen Mietvertragsentwurf zukommen zu lassen, der jedoch auch noch mit den übrigen Eigentümern diskutiert werden müsse, zumal einer der Kläger zu dieser Zeit im Urlaub war und vor dessen Rückkehr keine Entscheidung getroffen werden könne. Am 11.04.2017 versandten die Kläger sodann den Vertragsentwurf per E-Mail an den Beklagten, wie er am Tag zuvor besprochen war (…)“.
Über die beweiswürdigenden Feststellungen des Amtsgerichts hinaus spricht daher auch dieser Widerspruch im Sachvortrag der Klagepartei einerseits und der Anhörung des Klägers zu 3) andererseits nicht für die Glaubhaftigkeit seiner Äußerungen im Rahmen der Parteianhörung.
Das Amtsgericht ist daher im Ergebnis zutreffend im Rahmen seiner beweiswürdigenden Feststellungen zu dem Ergebnis gekommen, dass der Nachweis alleine aufgrund der Anhörung der Kläger zu 1) und 3) und unter Berücksichtigung der persönlichen Anhörung des Beklagten als nicht geführt anzusehen ist und hat aufgrund dessen die Klage mangels Nachweises des Erlangungsinteresses abgewiesen. Diesen beweiswürdigenden Feststellungen schließt sich die Kammer ausdrücklich an.
b) Das Amtsgericht hat darüber hinaus zutreffend den Inhalt der Aussage der Zeugin … aus dem Parallelverfahren 473 C 18980/17 (Zeugenaussage vom 04.05.2018) nicht gewürdigt:
aa) Die Kläger haben in der mündlichen Verhandlung in der hier vorliegenden Sache am 11.06.2018 das Beweisangebot auf Einvernahme der Zeugin … ausdrücklich nicht mehr aufrechterhalten und vielmehr die Würdigung von deren Aussage im Parallelverfahren im Rahmen des Urkundenbeweises beantragt. Vernehmungsprotokolle aus anderen Verfahren können grundsätzlich im Wege des Urkundenbeweises in das Verfahren eingeführt werden (vgl. Zöller/Greger vor § 373 ZPO Rn. 12). Vorliegend hat weder der Beklagte der Verwertung des Protokolls aus dem Parallelverfahren im Wege des Urkundenbeweises widersprochen noch selbst die Vernehmung der Zeugin unter Berücksichtigung des Unmittelbarkeitsgrundsatzess beantragt. Damit war grundsätzlich die Verwertung des Protokolls aus dem Parallelverfahren 473 C 18980/17, wie vom Amtsgericht duitch Beschluss verfügt, zulässig.
bb) Der Inhalt der Aussage der Zeugin ist jedoch nicht vom der Beweiskraft des Protokolls umfasst. Nach § 165 ZPO kann die Beachtung der für die Verhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten nur durch das Protokoll bewiesen werden. Gegen seine diese Förmlichkeiten betreffenden Inhalt ist nur der Nachweis der Fälschung zulässig. Damit bringt die förmliche Beweiskraft des Protokolls zwar den Beweis dafür, dass die Formalien des zivilprozessualen Verfahrens beachtet werden, zu diesen Förmlichkeiten gehört jedoch nicht der Inhalt von Zeugenaussagen (BGH NJW 1982, 1052, 1053). Soweit es um den Inhalt der Aussage einer vernommenen Zeugin geht, hat das gerichtliche Protokoll nach § 165 ZPO daher nicht den Beweiswert einer öffentlichen Urkunde nach §§ 415, 417 ZPO. Insbesondere handelt es sich bei der Wiedergabe der Aussage einer Zeugin in einem gerichtlichen Protokoll wegen der eingeschränkten Beweiskraft des Protokolls nicht um eine solche von dem Zeugen abgegebene Erklärung, die gemäß § 415 ZPO vollen Beweis des durch die Behörde oder die Urkundsperson beurkundeten Vorganges erbringt.
cc) Soweit es um die Beweiskraft der Zeugenaussage geht, ist daher von einer öffentlichen Urkunde mit einem anderen Inhalt nach § 418 Abs. 1 ZPO auszugehen. Diese begründen vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen, soweit nach § 418 Abs. 3 ZPO das Zeugnis aber nicht auf einer eigenen Wahrnehmung der Behörde oder der Urkundsperson beruht, gilt die volle Beweiskraft nur dann, wenn sie von der eigenen Wahrnehmung der beurkundenden Person unabhängig ist. Die Beweiskraft des Urkundenbeweises und des Protokolls aus dem Parallelverfahren 473 C 18980/17 kann sich daher nur dahingehend erstrecken, dass die Zeugin so ausgesagt und ihre Aussage richtig protokolliert ist. Durch den Urkundenbeweis im Rahmen des beigezogenen Protokolls kann aber nicht der Nachweis geführt werden, dass die Aussage auch inhaltlich der Wahrheit entspricht. Das Amtsgericht hat daher im Ergebnis zu Recht von einer Glaubwürdigkeitsprüfung abgesehen und den Inhalt der Aussage nicht zu Gunsten der Kläger im Hinblick auf den Nachweis des Erlangungsinteresses als richtig unterstellt.
dd) Da die Kammer auch das Berufungsverfahren aus dem Parallelverfahren 473 C 18980/17 geführt hat, ist überdies gerichtsbekannt, dass das Amtsgericht in seinem Endurteil im Parallelverfahren 473 C 18980/17 die Aussage der Zeugin als nicht glaubhaft und die Zeugin im Übrigen als unglaubwürdig angesehen hat. Ohne dass es hierauf letztendlich ankam, dürfte dies im Übrigen auch der Grund gewesen sein, weshalb der Antrag auf Einvernahme der Zeugin … im vorliegenden Verfahren nicht aufrechterhalten wurde.
c) Weitere Beweismittel zu dem streitigen Eigenbedarf wurden seitens der Kläger nicht dargeboten, insbesondere fehlt jeglicher Zeugenbeweis. Das Amtsgericht hat die in den beiden Verhandlungsterminen anwesenden Kläger beide angehört und ist zu dem Ergebnis gelangt, dass das Erlangungsinteresse nicht nachgewiesen ist. Dieser Wertung schließt sich die Kammer an, weshalb eine wirksame Kündigung nicht vorliegt.
2. Verhaltensbedingte Kündigungen vom 05.11.2018 und 02.01.2019
Die beiden während des Berufungsverfahrens ausgesprochenen Kündigungen haben mangels Pflichtverletzungen des Beklagten das Mietverhältnis weder als fristlose noch als ordentliche beendet.
a) Zunächst ist allerdings festzuhalten, dass beide Kündigungen zum Gegenstand der Berufung gemacht werden konnten. Da die behaupteten Pflichtverletzungen erst nach Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz vom Beklagten begangen wurden, konnten sie in erster Instanz gem. §§ 529, 531 Abs. 2 ohne Nachlässigkeit nicht geltend gemacht werden. Da in der Geltendmachung weiterer Kündigungen in zweiter Instanz zugleich eine Klageänderung im Sinne einer nachträglichen objektiven Klagehäufung nach §§ 260, 263 ZPO liegt, sind allerdings zusätzlich die Voraussetzungen des § 533 ZPO zu prüfen. Diese sind allerdings vorliegend zu bejahen. Die Klageänderung nach §§ 263, 533 Nr. 1 ZPO ist schon deshalb zulässig, weil die Beklagten der in zweiter Instanz vorgenommenen Klageänderung nicht widersprochen, sondern sich vielmehr inhaltlich auf die nachträglich ausgesprochene Kündigung eingelassen haben (§ 267 ZPO). Aber auch die Vorschrift des § 533 Nr. 2 ZPO ist vorliegend zu bejahen, weil die der Kündigung zugrundeliegenden Tatsachen zwischen den Parteien weitgehend unstreitig sind und von der Kammer aus diesem Grund ihrer Entscheidung über die Berufung zugrunde gelegt werden müssen.
b) Ein Kündigungsgrund liegt jedoch hinsichtlich beider ausgesprochener Kündigungen wegen Abschaltens der Stromversorgung für das Dachgeschoss-Appartement nicht vor. Eine Pflichtverletzung des Beklagten ist zu verneinen, weil er jeweils in Notwehr (§ 227 BGB) gehandelt hat.
aa) Zunächst ist festzuhalten, dass der Sachverhalt des Beklagten in den Schriftsätzen vom 14.01. und 15.01.2019 weitgehend unstreitig geblieben ist. Insbesondere im Schriftsatz vom 14.01.2019 ließ der Beklagte im Hinblick auf die erste streitgegenständliche Kündigung im Berufungsverfahren vom 05.11.2018 Folgendes vortragen:
Eine Pflichtverletzung des Beklagten liegt nicht vor. Der Beklagte und weitere Mieter werden seit Monaten von einem in dem ehemaligen Hobbyraum DG befindlichen Wecker immer nachts geweckt und um den Schlaf gebracht. Die Kläger wurden mehrfach aufgefordert, diesen Wecker aus dem Raum zu entfernen. Auch würden sie aufgefordert, die widerrechtlich angebrachte Videokamera über der Tür dieses Raumes zu entfernen. Weiter ließ der Beklagte vortragen: „In diesem Zusammenhang gab es bereits am 18.08.2018 einen Polizei- und Feuerwehreinsatz, da die Mieter gegen 3.25 Uhr von einem extrem lauten Alarmgeräusch, ausgehend von einem Wecker und dazugehörigem Vibrationsgerät aus dem Schlaf gerissen wurden. Dieses Alarmgeräusch war so laut, dass der Beklagte von einem Rauchmelder ausging und die Feuerwehr rief. Die Feuerwehr musste beim Einsatz die Wohnungstüre (des im Besitz der Kläger befindlichen Dachgeschoss-Appartements) aufbrechen.“
Weiter ließen die Kläger vortragen, der Beklagte konnte insbesondere an den Tagen am 11.09., 13.09., 01.10., 26.10., 13.11.2018 und 02.01.2019 beobachten, wie der Kläger zu 1) diesen Raum (gemeint ist das Dachgeschoss-Appartement) betrat.
Dieser Sachvortrag ist in der mündlichen Verhandlung nicht rechtlich wirksam bestritten worden, so dass der Vortrag als zugestanden anzusehen ist: Zunächst haben die Parteien unstreitig gestellt, dass das Dachgeschoss-Appartement zum Zeitpunkt der angeblichen Tathandlungen des Beklagten leer stand und der dort verbrauchte Strom über den Zähler des Beklagten lief, dieser also die Kosten für die Stromversorgung des im Besitz der Kläger befindlichen Dachgeschoss-Appartements zu tragen hat. Auf den Wecker und den Feuerwehreinsatz angesprochen, erklärte der Kläger zu 1) wörtlich; „Dazu kann ich nichts sagen“. Als das Gericht ein Lichtbild in Augenschein nahm, dass die Auffindesituation des Weckers mit Vibrationsalarm in der Dusche des Dachgeschoss-Appartements anlässlich des Feuerwehreinsatzes vom 18.08.2018 zeigte, erklärte der Kläger zu 1) ebenfalls: „Dazu kann ich nichts sagen.“
Der Beklagte hat substantiiert zu den Vorgängen rund um den in dem ehemaligen Hobbyraum des Dachgeschosses befindlichen Wecker sowie die nächtlichen Ruhestörungen vorgetragen. Der Beklagte hat ferner substantiiert vorgetragen, dass der Kläger zu 1) an vielen Tagen von dem Beklagten persönlich gesehen wurde, als er den Raum im Dachgeschoss betrat. Der Sachvortrag des Beklagten ist daher jedenfalls Gegenstand eigener Wahrnehmung des Klägers zu 1), weshalb er gemäß § 138 Abs. 1 ZPO im Rahmen seiner Anhörung vor der Kammer in der mündlichen Verhandlung vom 16.01.2019 vollständig und der Wahrheit gemäß zu erklären hatte. Er hatte sich ferner gem. § 138 Abs. 2 ZPO über die vom Gegner behaupteten Tatsachen zu erklären. Die lapidare Einlassung „dazu könne er nichts sagen“, ist weder ein vollständiger Tatsachenvortrag noch ein wirksames Bestreiten. Der Vortrag des Beklagten ist vielmehr als unstreitig zu behandeln, so dass für die Prüfung der Pflichtverletzung von den insbesondere im Schriftsatz vom 14.01.2019 geschilderten Vortrag auszugehen war.
bb) Ein Wecker mit Vibrationsalarm, der nachts die Bewohner aus dem Schlaf reißt und sogar zu einem Feuerwehreinsatz führt, weil die Bewohner aufgrund des lauten Warntones vom Anspringen eines Rauchwarnmelders ausgehen, stellt einen rechtswidrigen Angriff auf die Anwohner nach § 227 Abs. 2 BGB (mindestens eine Nötigung nach § 240 StGB) dar, gegen den sich der Beklagte im Rahmen der Notwehr nach § 227 Abs. 1 BGB mit dem nach Sachlage mildesten Mittel (Abstellen des Stroms außerhalb des Appartements) verteidigen durfte. Zur Überzeugung der Kammer liegt kein Fehlverhalten des Mieters, sondern vielmehr eine schikanöse Entmietungsmethode der Kläger vor. Dies wurde auch durch die Äußerung des (Klägers zu 1) im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor der Kammer deutlich, der ausdrücklich erklärte: „Und wenn ich ein Schlagzeug in das Appartement stelle und nachts um 3.00 Uhr Schlagzeug spiele, ist das auch meine Sache“.
cc) Lediglich ergänzend führt die Kammer vorsorglich aus, dass zwischen den Parteien ausdrücklich unstreitig war, dass das Dachgeschoss-Appartement leer steht und die Stromkosten hierfür vom Beklagten getragen werden. Selbst wenn man die Lärmstörungen durch den Wecker mit Zeitschaltuhr vollständig bei der Prüfung der Kündigungsgründe ausblenden würde, liegt nach Würdigung aller Umstände keine Unzumutbarkeit der Vertragsfortsetzung nach § 543 I BGB und auch keine erhebliche Pflichtverletzung des Beklagten nach § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB vor. Auch für diesen Fall wären die Kündigungen mithin unwirksam gewesen.
Nach alledem haben die von der Klagepartei ausgesprochenen Kündigungen das zwischen ihnen und dem Beklagten bestehende Mietverhältnis nicht beendet. Das Amtsgericht hat die Klage daher zu Recht abgewiesen, die Berufung der Kläger war auch unter Berücksichtigung der im Berufungsrechtszug neu ausgesprochenen Kündigungen zurückzuweisen.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 10 ZPO.
IV. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 543 ZPO sind nicht ersichtlich. Es handelt sich ersichtlich um die Entscheidung in einem Einzelfall. Insbesondere weicht die Kammer nicht von der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ab, auch ist eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten.


Ähnliche Artikel


Nach oben