Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Sonderumlagenbeschluß, Mitglieder einer Wohnungseigentümergemeinschaft, Einzelner Wohnungseigentümer, Miteigentumsanteil, Eigentümerversammlung, Rechtshängigkeit, Beschlüsse, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Verteilungsschlüssel, Elektronischer Rechtsverkehr, Streitwertfestsetzung, Elektronisches Dokument, Kostenüberbürdung, Aufteilungsplan, Wert des Beschwerdegegenstandes, Rechtswirksamkeit, Finanzierungsbeschluss, Kostenentscheidung, Basiszinssatz, Anderweitige Erledigung

Aktenzeichen  483 C 9855/19 WEG

Datum:
23.1.2020
Fundstelle:
ZMR – 2020, 540
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin, zu Händen der Verwalterin, für die Wohnung Nummer 6 laut Aufteilungsplan € 3.283,79 zzgl. Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus € 3.268,79 vom 03.05.2017 bis zur Rechtshängigkeit und aus € 3.283,79 seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin, zu Händen der Verwalterin, € 413,64 zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 16.10.2018 zu bezahlen.
3. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. Das Urteil ist für die Klägerin gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Der Streitwert wird auf 3.283,79 € festgesetzt.

Gründe

I.
Die zulässige Klage ist begründet.
1. Die Klägerin hat gegen die Beklagte Anspruch auf Zahlung rückständiger Sonderumlage in Höhe von € 3.268,79 aus § 16 Abs. 2 WEG, in Verbindung mit dem zu TOP 24 der Eigentümerversammlung vom 11.08.2016 gefassten Sonderumlagebeschluss.
Entgegen der Rechtsansicht der Beklagten sind weder die zu TOP 17,19, 20,22 gefassten Beschlüsse, noch der zu TOP 24 gefasste Sonderumlagebeschluss nichtig:
Die Unbestimmtheit eines Beschlusses führt grundsätzlich nur dann zur Nichtigkeit, wenn der Beschluss eine durchführbare Regelung überhaupt nicht erkennen lässt (vgl. Merle/Bärmann WEG 14. Auflage 2018, § 23 Rz 163). Andernfalls führt mangelnde inhaltliche Klarheit allenfalls zur Anfechtbarkeit des Beschlusses. Ist der Inhalt eines Beschlusses nicht klar bestimmt, so ist er durch Auslegung zu ermitteln. Beschlüsse einer Wohnungseigentümergemeinschaft sind, da sie auch einen etwaigen Sonderrechtsnachfolger binden sollen, nach den für eine Grundbucheintragung geltenden Regeln objektivnormativ auszulegen. Maßgebend ist dabei der sich aus dem Protokoll der Eigentümerversammlung ergebende Wortlaut des Beschlusses und der Sinn, wie er sich aus unbefangener Sicht als nächstliegende Bedeutung des Wortlauts ergibt; Umstände außerhalb der Eintragung dürfen nur herangezogen werden, wenn sie nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalls für jedermann ohne weiteres erkennbar sind (vgl. Spielbauer/Then, WEG, 3. Auflage 2017, § 10 Randziffer 32 m.w.N.). Dabei ist auch der Grundsatz der interessengerechten Auslegung zu berücksichtigen. Auf die subjektiven Vorstellungen der an der Abstimmung beteiligten Personen kommt es nicht an. Bei Vorliegen einer Regelungslücke ist auch eine ergänzende Auslegung dahingehend zulässig, was redliche Wohnungseigentümer bei einer angemessenen Interessenabwägung geregelt haben würden, wenn sie den nicht geregelten Fall bedacht hätten (vgl. Bärmann, a.a.O. § 23 Rz. 63).
Vor diesem Hintergrund sind weder die zu TOP 17, 19, 20 und 22 gefassten Beschlüsse, noch der Sonderumlagebeschluss nichtig, da sie jeweils durchführbare Regelungen – nämlich bestimmte Instandhaltungs- bzw. Instandsetzungsmaßnahmen oder bauliche Maßnahmen – erkennen lassen.
Ein Umlagebeschluss muss zwar als Änderung oder Nachtrag des Wirtschaftsplanes gem. § 28 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 grundsätzlich die anteilmäßige Verpflichtung der Eigentümer festsetzen und unter Angabe des maßgeblichen Verteilungsschlüssels die Zahlungspflicht des einzelnen Wohnungseigentümers betragsmäßig festlegen, jedoch kann die betragsmäßige Festsetzung ausnahmsweise fehlen, wenn die geschuldeten Einzelbeträge nach objektiven Maßstäben eindeutig bestimmbar sind und von den Wohnungseigentümern einfach selbst, etwa mittels Taschenrechners, errechnet werden können, was wiederum i.d.R. nur der Fall sein dürfte, wenn wenigstens der Verteilungsschlüssel im Beschluss enthalten ist (vgl. Bärmann/Becker, 14. Aufl. 2018, WEG § 28 Rn. 46a). Es wäre nämlich unnötige Förmelei, einen wirksamen Beschluss zu verneinen, wenn alle beteiligten Wohnungseigentümer den von einer Umlage auf sie entfallenden Betrag leicht errechnen können (vgl. OLG Braunschweig, Beschluss vom 29. Mai 2006, 3 W9/06, ZMR 2006, 787 m. w. N.).
Auch diesen Anforderungen genügt der zu TOP 24 der Eigentümerversammlung vom 11.08.2016 gefasste Beschluss:
Ihm ist eindeutig zu entnehmen, dass eine Verteilung nach Miteigentumsanteilen erfolgen soll. Auch die Gesamthöhe der zu erhebenden Sonderumlage ist im Beschluss angegeben.
Schließlich ist auch angegeben, dass die Sonderumlage nicht von sämtlichen Miteigentümern zu erheben ist, sondern nur von den im Beschluss konkret angegebenen Eigentumseinheiten. Zwar ist im Beschluss selbst nicht angegeben, wie hoch die Summe der Miteigentumsanteile dieser Einheiten ist, jedoch ergibt sich diese Angabe aus den zu TOP 17,19, 20 und 22 gefassten Beschlüssen, wonach diese 878/10.000stel betragen. Die zu TOP 17,19, 20,22 und 24 gefassten Beschlüsse bauen aufeinander auf. In einer demnach zulässigen Gesamtschau nennen die zu TOP 17,19, 20 und 22 gefassten Beschlüsse die Anzahl der von der Sonderumlage insgesamt betroffenen Miteigentumsanteile (vgl. OLG Braunschweig a. a. O.). Dies ist nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalls für jedermann ohne weiteres erkennbar. Im Übrigen ergeben sich die Miteigentumsanteile der von der Sonderumlage betroffenen Einheiten auch aus der Teilungserklärung, sodass die von den einzelnen Wohnungseigentümern zu erbringenden Beträge durch eine simple Multiplikation mit der Anzahl ihrer Wohnungseigentumsanteile zu errechnen waren.
Welche verschiedene Möglichkeiten es geben soll, den Inhalt des zu TOP 24 gefassten Beschlusses zu verstehen, erschließt sich dem Gericht nicht. Weshalb eine Kostenüberbürdung nur auf einige Wohnungseigentümer erfolgt, ist zwar nicht in dem zu TOP 24 gefassten Finanzierungsbeschluss, jedoch in den zu TOP 17,19, 20 und 22 gefassten Beschlüssen, auf denen der Sonderumlagebeschluss aufbaut, explizit ausgeführt. Im Übrigen wäre ein ggf. unzutreffender Verteilungsschlüssel für die Abrechnung nicht bindend, da Sonderumlagebeschlüsse keine abschließende Regelung zur Zahlungsverpflichtung beinhalten (vgl. BGH NJW 2012,603), weshalb auch der Einwand der Beklagten, sie sei nach § 16 Abs. 6 WEG nicht verpflichtet, die Kosten der beschlossenen Baumaßnahmen mitzutragen, da sie diesen nicht zugestimmt habe, vorliegend nicht greift.
Soweit die Beklagte weiter rügt, die als Sonderumlage beschlossene Summe sei vollkommen aus der Luft gegriffen und ohne jegliche Grundlage von der Mehrheitseigentümerin lediglich über den Daumen gepeilt geschätzt worden, führt auch dies nicht zur Nichtigkeit des Sonderumlagebeschlusses, denn die Höhe einer Sonderumlage richtet sich jeweils nach einem lediglich geschätzten Finanzbedarf, wobei bei der Prognose der erforderlichen Mittel eine großzügige Handhabung zulässig ist (vgl. Bärmann, a.a.O., § 28 Rz 45 m. w. N.).
Auch aus anderen Gründen sind die zu TOP 17,19, 20 und 22 gefassten Beschlüsse nicht nichtig:
Ein Beschluss ist im Sinne von § 23 Abs. 4 Satz 1 WEG nur dann nichtig, wenn er gegen eine Rechtsvorschrift verstößt, auf deren Einhaltung rechtswirksam nicht verzichtet werden kann. Solche unabdingbaren Rechtsvorschriften ergeben sich entweder aus den zwingenden Bestimmungen und Grundsätzen des Wohnungseigentumsgesetzes oder aus den Normen des übrigen Privat- oder öffentlichen Rechts, namentlich aus §§ 134,138 BGB und § 56 Satz 2 ZVG. DIN-Normen, welche schon keine Gesetzesqualität haben, gehören nicht dazu.
Schließlich begründet auch die Delegation von Planung, Ausschreibung und Bauüberwachung der beschlossenen Maßnahmen auf die Mehrheitseigentümerin auch keine Nichtigkeit der gefassten Beschlüsse. Zwar hat die Wohnungseigentümergemeinschaft die notwendigen Entscheidungen über das „Ob“ und „Wie“ von Maßnahmen der Instandhaltung und Instandsetzung des gemeinschaftlichen Eigentums grundsätzlich selbst zu treffen. Dies hat sie jedoch mit den zu TOP 17, 19, 20 und 22 gefassten Beschlüssen getan und – in zulässiger Weise – Planung, Ausschreibung und Bauüberwachung der von der Wohnungseigentümergemeinschaft selbst beschlossenen delegiert. Jedenfalls ihrer Kernkompetenz hat sich die Wohnungseigentümergemeinschaft hierdurch nicht begeben.
2. Die Nebenforderungen gründen auf §§ 280 Abs. 2, 286 Abs. 1 und 2 Nr. 1, 288 Abs. 1 Satz 2, 291 BGB.
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 709 Satz 1 ZPO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 49 a GKG unter Zugrundelegung der Klageforderung.


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