Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Unklare Kostenverteilungsregelung in Gemeinschaftsordnung einer Wohnungseigentümergemeinschaft

Aktenzeichen  483 C 9844/19 WEG

Datum:
24.10.2019
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 41292
Gerichtsart:
AG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Ordentliche Gerichtsbarkeit
Normen:
WEG § 10, § 16 Abs. 2, § 28, § 43 Nr. 4
BGB § 242

 

Leitsatz

Wenn die Gemeinschaftsordnung bei Regelungen mit Vereinbarungsinhalt Unklarheiten, Widersprüche oder Unvollständigkeiten enthält, die auch im Wege der (ergänzenden) Auslegung nicht zu beseitigen sind, gilt die gesetzliche Regelung. Die Gemeinschaftsordnung kann insoweit auch nicht durch Mehrheitsbeschluss klargestellt oder ergänzt werden. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Auch eine jahrelange Verteilung von Kosten für die Unterhaltung und Instandsetzung einer Anlage ausschließlich unter bestimmter Wohnungseigentümern führt nicht zu einer konkludenten Änderung des gesetzlichen Verteilungsschlüssels in § 16 Abs. 2 WEG, wenn es hierfür an dem erforderlichen Bewusstsein der Wohnungseigentümer fehlt, eine Änderung des geltenden Verteilungsschlüssels herbeizuführen (s. BGH BeckRS 2011, 29797 Rn. 12). (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

1. Der in der ordentlichen Eigentümerversammlung der WEG H…, 14, 14 … Putzbrunn vom 09.05.2019 zu TOP 4 („Genehmigung der Gesamt- und Einzelabrechnung für das Wirtschaftsjahr 2018“) gefasste Beschluss wird insoweit für ungültig erklärt, als er sämtliche Einzelabrechnungen betrifft und beschränkt auf die folgenden Positionen
– die Pos. „Wartung Duplexparker“ € 967,16
– die Pos. „Lfd. Instandh. Duplexpl. € 13.519,85
– die Pos. „Intstandh.rückl. Duplex“ € 11.400,00
2. Es wird festgestellt, dass diejenigen Kosten, die für die Wartung oder Instandsetzung der Hebebühnen (Fahrbleche, Gestänge, Hydraulik usw.) und der Aggregate der Duplexstellplätze anfallen, nicht anteilig auf sämtliche Eigentümer von Duplexstellplätzen nach der Anzahl der Duplexstellplätze (Umlageschlüssel 1: 38) umzulegen sind, sondern nach Miteigentumsanteilen auf alle Wohnungseigentümer aufzuteilen und von diesen zu tragen sind.
3. Die Beklagten haben die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
4. Das Urteil ist in Ziff. 3. vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten können die Vollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Gründe

Die Klage ist zulässig und begründet.
1. Das Amtsgericht München ist örtlich und sachlich ausschließlich zuständig, §§ 43 Nr. 4 WEG, 23 Nr. 2 c GVG.
2. Das hinsichtlich des Klageantrags zu 2. erforderliche Feststellungsinteresse folgt aus dem Bestreiten der klägerischen Auslegung der Teilungserklärung durch die Beklagten.
3. Sowohl die einmonatige Klage – als auch die zweimonatige Klagebegründungsfrist des § 46 Abs. 1 Satz 2 WEG wurden eingehalten.
4. Der zu TOP 4 der Eigentümerversammlung 09.05.2019 gefasste Beschluss war im Rahmen seiner Anfechtung für ungültig zu erklären, da er im Widerspruch zu § 14 Ziffer 3 c) der Gemeinschaftsordnung steht und daher nicht ordnungsgemäßer Verwaltung entspricht:
Der Inhalt von Teilungserklärung und Gemeinschaftsordnung als in das Grundbuch eingetragene Vereinbarungen sind nach den für die Auslegung von Grundbucheintragungen geltenden Grundsätzen zu ermitteln. Maßgebend für die Auslegung ist zunächst der Wortlaut. Dabei ist nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften, sondern der mit der Regelung verfolgte Sinn und Zweck zu berücksichtigen, wie er sich aus unbefangener Sicht als nächstliegende Bedeutung der Eintragung ergibt. Umstände außerhalb der Eintragung dürfen nur herangezogen werden, wenn sie nach den besonderen Verhältnissen des Einzelfalls für jedermann ohne weiteres erkennbar sind (vgl. Bärmann/Suilmann, 14. Aufl. 2018, WEG § 10 Rn. 130).
Vorliegend trägt nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut der Gemeinschaftsordnung die Eigentümergemeinschaft „Die Kosten für die etwaige Instandsetzung der Hebeanlagen (einschließlich Aggregat) bei den Tiefgaragen-Vierfach- bzw. doppelparkern (…) im Verhältnis der Miteigentumsanteile“.
Angesichts dieser eindeutigen Regelung führen auch die Bestimmungen in den §§ 3 und 14 Ziff. 1 der Gemeinschaftsordnung zu keinem anderen Ergebnis, so dass für die beklagtenseits vorgeschlagenen Auslegungsvarianten kein Raum ist.
Dafür, dass es sich bei der Regelung in § 14 Nr. 3c) der Gemeinschaftsordnung um eine bewusst von den §§ 3 und 14 Nr. 1 abweichende Regelung handelt, spricht i. ü.auch die in § 14 Ziff. 3 c) Satz 2 der Gemeinschaftsordnung geregelte Verpflichtung der Eigentümer von Vierfach- bzw. Doppelstockgaragen zur schonenden Behandlung der Hebeanlagen. Die dort verwendeten Formulierung „aber“ ist – worauf Kläger zutreffend hinweist – dahingehend zu verstehen, dass es sich bei der Verpflichtung zur schonenden Behandlung der Hebeanlagen um das Pendant zur Kostentragung durch die Gemeinschaft handelt.
Auch wäre, wenn die Gemeinschaftsordnung bei Regelungen mit Vereinbarungsinhalt Unklarheiten, Widersprüche oder Unvollständigkeiten enthielte, die auch im Wege der (ergänzenden) Auslegung nicht zu beseitigen sind, ein bestimmter Inhalt nach dem das Grundbuchrecht beherrschenden Bestimmtheitsgrundsatz nicht feststellbar. Auch in diesem Fall würde die gesetzliche Regelung gelten (vgl. OLG Hamburg, ZMR 2004, 614), hier § 16 Abs. 2 WEG. Die Gemeinschaftsordnung kann insoweit auch nicht durch Mehrheitsbeschluss klargestellt oder ergänzt werden (vgl. Bärmann/Suilmann, 14. Aufl. 2018, WEG § 10 Rn. 132).
Soweit die Beklagten vortragen, bereits seit der Eigentümerversammlung vom 20.07.2007 sei es innerhalb der WEG so gehandhabt worden, dass die Kosten für die Unterhaltung und Instandsetzung der Hebeanlagen ausschließlich unter den Eigentümern der Duplex-Garage aufgeteilt worden seien, so kann weder in einer derartigen unwidersprochen gebliebenen Handhabung, noch in dem angefochtenen Beschluss eine konkludente Ingebrauchnahme der in § 22 Ziff. 2 der Gemeinschaftsordnung enthaltenen Öffnungsklausel gesehen werden, da es hierfür an dem nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGH, Urteil vom 08.06.2018, V ZR 195/17, NJW 2012, 603) erforderlichen Bewusstsein der Wohnungseigentümer fehlt, eine Änderung des geltenden Verteilungsschlüssels herbeizuführen.
Schließlich greift auch der Einwand, der Kläger, der selbst im Oktober 2018 eine Aufstellung über die Zuführungen und Entnahmen aus der Instandhaltungsrücklage nur für die 38 Duplexparker erstellt hat, verhalte sich mit der vorliegenden Klage widersprüchlich, nicht, denn selbst wenn der Kläger für den angefochtenen Beschluss gestimmt hätte, wäre er aufgrund des altruistischen Charakters der Beschlussanfechtungsklage zur Anfechtung berechtigt.
4. Die begehrte Feststellung entspricht der Rechtslage, so dass auch dem Feststellungsantrag stattzugeben war.
II.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO. Die Streitwertfestsetzung erfolgte in der öffentlichen Sitzung vom 26.09.2019.


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