Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Verwaltungsgerichte, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Dachgeschossausbau, Rechtsmittelbelehrung, Bevollmächtigter, Wohnraumeigenschaft, Prozeßbevollmächtigter, Duldungsanordnung, Entscheidung durch Gerichtsbescheid, Wohnzwecke, Gesamtschuldner, Quadratmetermiete, Prozeßkostenhilfeverfahren, Bestimmtheitsgrundsatz, Zweckentfremdung von Wohnraum, Ordnungswidrigkeiten, Aussetzung des Verfahrens, Ermächtigungsgrundlage, Androhung eines Zwangsgeldes, Reihenmittelhaus

Aktenzeichen  M 9 K 20.2606

Datum:
22.2.2021
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 4178
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
ZwEWG Art. 1 S. 2 Nr. 4
ZeS §§ 3 Abs. 3 Nr. 5, 4 Abs. 2 Nrn. 1 und 2

 

Leitsatz

Tenor

I.Die Klage wird abgewiesen.
II.Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner.
III.Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar.  

Gründe

Über die Klage konnte nach Anhörung der Beteiligten durch Gerichtsbescheid entschieden werden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist (§ 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die beiden identischen verfahrensgegenständlichen Bescheide verletzen die Kläger nicht in ihren subjektiv-öffentlichen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das im Miteigentum der Kläger stehende Reihenmittelhaus ist Wohnraum im Sinne von § 3 Abs. 1, 2 der Satzung der Landeshauptstadt München über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum i.d.F. vom 4. November 2019 (MüABl. S. 452). Diese Wohnraumeigenschaft ist nicht entfallen und der seit 2012 anhaltende Leerstand erfüllt den zweckentfremdungsrechtlichen Tatbestand (Art. 1 Satz 2 Nr. 4 Zweckentfremdungsgesetz – ZwEWG – v. 10.12.2017 (GVBl. 2007, 864), zuletzt geändert mit G. v. 19.6.2017 i.V.m. §§ 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4, Abs. 2 Nr. 2, § 3 Abs. 3 Nr. 5 ZeS).
Zweifel daran, dass es sich bei dem Reihenmittelhaus nach wie vor objektiv und subjektiv um Wohnraum im Sinne von § 3 Abs. 1 und 2 ZeS handelt, bestehen keine. Das Haus wurde als Wohnraum baurechtlich genehmigt und bis zum Auszug der letzten Mieter im Jahr 2012 zu Wohnzwecken genutzt. Auch die aktuelle Baugenehmigung – insbesondere zum Ausbau des Dachgeschosses – aus dem Jahre 2013 genehmigt den Ausbau zu Wohnzwecken. Soweit der Bevollmächtigte der Kläger vorträgt, die objektive Eignung zu Wohnzwecken fehle, da die alte Heizung nicht mehr betrieben werden durfte, führt dies zu keinem anderen Ergebnis. Ausweislich der Akten ist die alte Heizung längst erneuert. Im Übrigen ändert die Notwendigkeit zur Renovierung, wozu auch der Austausch von Verschleißteilen – wie veralteten Geräten – gehört, nichts an der objektiven Eignung zu Wohnzwecken.
Die Wohnraumeigenschaft ist nicht wegen schwerer Mängel entfallen, § 3 Abs. 3 Nr. 5 ZeS. Danach liegt kein Wohnraum vor, wenn ein dauerndes Bewohnen unzulässig oder unzumutbar ist, weil der Raum einen schweren Mangel bzw. Missstand aufweist oder unerträglichen Umwelteinflüssen ausgesetzt ist und die Wiederbewohnbarkeit nicht mit einem objektiv-wirtschaftlichen und zumutbaren Aufwand hergestellt werden kann.
Im vorliegenden Fall ist bereits nicht dargelegt, dass schwere Mängel bzw. Missstände vorliegen. Nach Aktenlage sind Heizung und Dach bereits erneuert und mit der Renovierung der Sanitäranlagen wurde begonnen. Die Tatsache, dass eine Renovierung noch nicht abgeschlossen ist, stellt keinen schweren Mangel bzw. Missstand des Wohnraums dar, da maßgeblich der Zustand vor der Renovierung ist. Nach den hier vorgelegten Unterlagen und der Stellungnahme des Fachbereichs Technik vom 18. März 2020 über das Ergebnis der Begehung betrifft und betraf der Renovierungsbedarf die Dacheindeckung, Heizung und Sanitär, Erneuerung der elektrischen Leitungen, Erneuerung von Bad, Toiletten, Küche sowie den Fußboden im Erdgeschoss.
In welchem Ausmaß diese umfangreichen Renovierungsarbeiten auf einem schweren Mangel zurückzuführen sind, lässt sich den von der Klägerseite vorgelegten Unterlagen nicht entnehmen. Zugunsten der Kläger wird davon ausgegangen, dass es sich im Hinblick auf das Alter des Hauses zumindest in Teilen um einen schweren Mangel gehandelt hat, weil durch Abnutzung, Alter oder Witterungseinflüsse die bestimmungsgemäße Nutzung der baulichen Anlage nicht nur unerheblich beeinträchtigt wurde (§ 177 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauGB). Zu berücksichtigen ist dabei allerdings, dass das Wohnhaus bis 2012 vermietet war, so dass bis zu diesem Zeitpunkt nicht von einer Unbewohnbarkeit wegen eines schweren Mangels oder Misssstands ausgegangen werden kann.
Im vorliegenden Fall ist ungeachtet dessen die Wiederbewohnbarkeit mit einem objektiv-wirtschaftlichen und zumutbaren Aufwand herstellbar mit der Folge, dass ungeachtet eines vor der Renovierung möglicherweise vorliegenden Missstandes oder Mangels nach der Renovierung zweifelsfrei Wohnraum im Sinne des § 3 Abs. 1, 2 ZeS vorliegt, der ohne weiteres wiederbewohnbar ist. Die Auffassung der Klägerseite, dass die Renovierungskosten nicht innerhalb eines Zeitraums von 10 Jahren durch entsprechende Erträge ausgeglichen werden können, § 3 Abs. 3 Nr. 5, S.2, erster Spiegelstrich ZeS, trifft offensichtlich nicht zu. Dies hat folgende Gründe:
Die von dem dritten Architekten erstellten Baukosten – einschließlich der Nebenkosten – in Höhe von 232.456,46 EUR beruhen auch auf den Kosten für den Ausbau des Dachgeschosses mit Bad, 2 Zimmern und zwei Dachgauben. Eine Kostenkalkulation, in der die erforderlichen baulichen Instandsetzungs- und Instandhaltungsmaßnahmen im Einzelnen mit konkreten Positionen der Gewerke aufgeschlüsselt werden, wurde nicht vorgelegt. Unter Berücksichtigung dessen, dass nur die Kosten für die Herstellung der Bewohnbarkeit anzusetzen sind, können die über die Bestandserhaltung hinausgehenden Kosten für den erstmaligen Dachgeschoßausbau bei der Ermittlung der Erträge nicht berücksichtigt werden. Die Darlegung geht insoweit von falschen rechtlichen Voraussetzungen aus (VG München v. 29.3.2017 – M 9 K 15.3795 – m.w.N.).
Die Annahme der Kläger einer monatlichen Nettomiete von 1.667,86 EUR nach Renovierung ist unter Berücksichtigung dessen, dass es sich um ein Reihenmittelhaus mit Garten handelt, mit und ohne ausgebautem Dachgeschoss zu niedrig angesetzt. Es entspricht nicht der Realität der Neuvermietung eines renovierten Reihenmittelhauses in N. … mit Garten, dass eine Quadratmeter-Miete von unter 14,- EUR bei Neuvermietung zugrunde gelegt wird. Es erübrigt sich, auf die Einzelheiten der Mietspiegelberechnung des Klägers einzugehen, da bereits Etagenwohnungen in vergleichbarer Lage zu einer Quadratmeter-Miete von deutlich über 20,- EUR angeboten werden (Quelle: ImmoScout24).
Der Einholung eines Sachverständigen-Gutachtens bedarf es nicht. Zum einen ist der Kläger dafür beweispflichtig, dass eine Ausnahme von der Eignung zu Wohnzwecken vorliegt. Die Ausführungen zur Beweislast der Beklagten gehen bereits deshalb fehl, da keinerlei Unterlagen über den tatsächlichen Renovierungsbedarf und die einzelnen Gewerke vorgelegt wurden, anhand derer eine Prüfung möglich wäre. Zum anderen ist die Berechnung durch die Kläger unter Einbeziehung der Kosten für den Dachgeschossausbau erfolgt und unter Zugrundelegung einer außerordentlich geringen Quadratmeter-Miete, sodass auch ohne detaillierte Begutachtung nicht ansatzweise dargelegt ist, dass die bestandserhaltenden Renovierungskosten nicht durch entsprechende Erträge ausgeglichen werden können.
Die Voraussetzungen des § 4 Abs. 2 Nr. 2 ZeS, wonach eine Zweckentfremdung nicht vorliegt, wenn der Wohnraum nachweislich zügig umgebaut, instandgesetzt oder modernisiert wird, liegen nicht vor. 7 Jahre sind keine zügige Renovierung. Die Wechsel der Architekten und die Prozesse gegen Architekten, Vormieter und Handwerker waren nach den vorgelegten Unterlagen bereits im Jahre 2016 beendet. Die Kläger hatten seitdem 3 Jahre Zeit, die Renovierung zu beenden. Auf die Frage, ob während der Gerichtsprozesse eine Unterbrechung der Renovierungsarbeiten zum Zwecke der Beweissicherung erforderlich war, kommt es im Hinblick auf diesen Zeitablauf daher nicht an.
Sonstige entscheidungserhebliche Gründe für eine Rechtswidrigkeit der Bescheide liegen nicht vor. Beide Bescheide genügen dem Bestimmtheitsgrundsatz, da inhaltlich identisch von jedem Miteigentümer verlangt wird, das Reihenhaus wieder Wohnzwecken zuzuführen. Es verstößt nicht gegen den Bestimmtheitsgrundsatz, sondern berücksichtigt den zivilrechtlichen freien Gestaltungsspielraum des Eigentümers, wenn diesem überlassen bleibt, in welcher Form er dies tut.
Soweit vorgetragen wird, dass die Unbestimmtheit auf unterschiedlichen Fristen in Ziff. 1 und Ziff. 2 des Bescheides beruht, erschließt sich dies wegen der unterschiedlichen Regelungsgegenstände nicht. Die Verpflichtung besteht unverzüglich und diese Formulierung ist für den Laien und den Juristen unmissverständlich. Das Zwangsgeld wird fällig, wenn diese Verpflichtung 8 Monate lang nicht erfüllt wird, wobei die Einräumung einer angemessenen Frist zur Erfüllung gesetzliche Voraussetzung nach dem Vollstreckungsrecht ist; der Wortlaut ist auch für den Laien eindeutig.
Hinsichtlich des Vortrags zu Grundrechtsverstößen wird darauf hingewiesen, dass das Zweckentfremdungsrecht nach gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung ein Ausfluss der Sozialpflichtigkeit des Eigentums ist (Art. 14 GG). Inwieweit gegen das Recht auf Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) oder das Verbot von Dienstleistungspflichten (Art. 12 Abs. 2 GG) verstoßen sein könnte, ist nicht erkennbar. Von den Klägern wird keine höchstpersönliche Tätigkeit erwartet, zumal der Bevollmächtigte selber vorgetragen hat, dass ab Ende 2019 die Renovierung fortgeführt wird; das Gericht geht davon aus, dass dies durch Handwerker erfolgt.
Von den Klägern wird auch nichts Unmögliches verlangt, da sie Miteigentümer sind, die Verpflichtungen inhaltsgleich sind und korrekt an den jeweiligen Eigentümer als eigener Bescheid adressiert wurden. Da beide Miteigentümer unmittelbar als Störer in Anspruch genommen wurden, bedarf es für die Vollstreckung keiner wechselseitigen Duldungsanordnungen.
Soweit der Bevollmächtigte der Kläger vorträgt, dass der Bescheid im Hinblick auf die Ordnungswidrigkeit zu Unrecht auf Vorschriften des LStVG gestützt wurde trifft dies zu, führt rechtlich jedoch zu keinem anderen Ergebnis. Die in der Bescheidsbegründung genannte Ermächtigungsgrundlage ist veraltet. Dies ist ohne Einfluss auf die Rechtmäßigkeit, da sich die rechtlichen Voraussetzungen nicht geändert haben (VG München, B.v. 20.8.2019 – M 9 S 18.3233).
Die Klage war nach alledem mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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