Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Wohnraum als Mittelpunkt der Lebensbeziehungen

Aktenzeichen  12 C 19.286

Datum:
16.4.2020
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 6669
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
WoGG § 1, § 5 Abs. 1 S. 1
BGB § 481 Abs. 1
VwGO § 152, § 166, § 188 S. 2, 1
ZPO § 114 Abs. 1 S, 1, § 127 Abs. 4

 

Leitsatz

Der Mittelpunkt der Lebensbeziehungen einer wohngeldberechtigten Person liegt in dem Wohnraum, den sie überwiegend nutzt, in dem sie familiäre Beziehungen pflegt und verschiedenen Aktivitäten des Lebens, wie Arbeiten und Freizeitbeschäftigungen, nachgeht. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

Au 8 K 18.1783 2019-01-16 Ent VGAUGSBURG VG Augsburg

Tenor

Die Beschwerde gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe wird zurückgewiesen.

Gründe

Mit ihrer Beschwerde verfolgt die Klägerin die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Anwaltsbeiordnung für ihre auf die Gewährung von Wohngeld gerichtete Klage weiter.
1. Sie beantragte am 30. April 2018 für sich und ihre drei Kinder Wohngeld für eine Wohnung in W.. Nach dem ab 1. Mai 2018 unbefristet abgeschlossenen Mietvertrag betrug der monatlich zu entrichtende Mietzins für die 60 m² umfassende Wohnung 600,- €. Gesondert vereinbart wurde darüber hinaus, dass die Klägerin die Wohnung trotz des monatlich durchgängig zu entrichtenden Mietzinses nur maximal 20 Wochen pro Kalenderjahr nutzen dürfe, wobei eine Nutzung während der bayerischen Schulferienzeiten zusätzlich ausgeschlossen war. Während dieser Zeiträume war dem Vermieter das Recht eingeräumt, die Wohnung selbst als Ferienwohnung zu vermieten.
Ihren persönlichen Verhältnissen nach betreute die geschiedene Klägerin im Jahr 2018 ihre drei Kinder zusammen mit dem Kindsvater im sog. „Wechselmodell“, wobei ein Sohn ein Internat besuchte. In den Zeiträumen, in denen ihr die (Ferien-) Wohnung in W. nicht zur Verfügung stand, bewohnte sie in S. ein ihr unentgeltlich zur Verfügung gestelltes Zimmer in der „Wohnung“ von Bekannten – nach der Akte des Beklagten in einer gewerblich genutzten Immobilie – oder hielt sich – auch zusammen mit ihren Kindern – in der Wohnung ihres Lebensgefährten in Spanien auf, der seinerseits in Deutschland keinen Wohnsitz unterhielt. Ab 1. November 2018 mietete die Klägerin ebenfalls in dem Anwesen in W. eine ihr ganzjährig zur Verfügung stehende Wohnung an, für die sie erneut beim Beklagten Wohngeld beantragte. Wie sich der Wohngeldakte des beklagten Landkreises entnehmen lässt, hielt sich die Klägerin in der streitgegenständlichen Wohnung in W. im maßgeblichen Zeitraum von Anfang Mai 2018 bis Ende Oktober 2018 lediglich vom 4. Juni 2018 bis zum 9. Juli 2018 und vom 10. September 2018 bis zum 30. September 2018 auf. Sie war, ebenso wie ihre Kinder, mit Hauptwohnsitz in S., an der Wohnung in W. hingegen mit Nebenwohnsitz gemeldet. Darüber hinaus unterhielten die Kinder der Klägerin in der Wohnung des Kindsvaters in S. ebenfalls einen Nebenwohnsitz. Weiterhin besuchten zwei der Kinder in S. die Schule. Nach den Erkenntnissen des Landratsamts waren sie dort auch ins Vereinsleben eingebunden. Schließlich teilte die Klägerin im Laufe des Verfahrens dem Landratsamt mit, dass sie postalisch in der Wohnung in W. schwierig zu erreichen sei, da an der dortigen Adresse kein Briefkasten vorhanden sei.
2. Mit Bescheid vom 27. September 2018 lehnte das Landratsamt die Gewährung eines Mietzuschusses für die Wohnung in W. ab, da kein mietähnliches Nutzungsverhältnis im Sinne von §§ 1 bis 3 Wohngeldgesetz (WoGG) vorliege. Es fehle an einer dauerhaften Selbstnutzung des angemieteten Wohnraums. Die Begründung lediglich eines Teilnutzungsrechts im Sinne von § 481 Abs. 1 BGB an einer Wohnung könne nicht zur Bewilligung von Wohngeld führen.
3. Hiergegen ließ die Klägerin durch ihren Bevollmächtigten am 16. Oktober 2018 Klage erheben und beantragte zugleich die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Anwaltsbeiordnung. Diesen Antrag lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 16. Januar 2019 mangels hinreichender Erfolgsaussichten der Klage ab. Bei der streitgegenständlichen Wohnung handele es sich weder um von der Klägerin ununterbrochen selbst genutzten Wohnraum im Sinne von § 1 Abs. 2 WoGG noch habe sie dort den Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 1 WoGG. Auf die Frage, ob die finanzielle Unterstützung durch ihren Lebensgefährten oder durch dessen Vater als Einkommen im wohngeldrechtlichen Sinne oder als Darlehen angesehen werden müsse, komme es nicht mehr entscheidungserheblich an. Mit ihrer gegen diesen Beschluss erhobenen Beschwerde, der das Verwaltungsgericht nicht abgeholfen hat, verfolgt die Klägerin die Prozesskostenhilfebewilligung weiter.
4. Indes führt auch die Berücksichtigung des Beschwerdevorbringens nicht zur Annahme hinreichender Erfolgsaussichten der Klage, die nach § 166 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO die Bewilligung von Prozesskostenhilfe rechtfertigen würden. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend angenommen hat, fehlt es für die Bewilligung von Wohngeld nach den Angaben der Klägerin an den Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Satz 1 WoGG, wonach es sich bei dem Wohnraum, für den Wohngeld begehrt wird, um den Mittelpunkt der Lebensbeziehungen handeln muss. Der Mittelpunkt der Lebensbeziehungen einer wohngeldberechtigten Person liegt in dem Wohnraum, den sie überwiegend nutzt (vgl. Winkler in BeckOK-Sozialrecht, Stand 1.12.2019, § 5 WoGG Rn. 4; Stadler/Gutekunst/Dietrich/Bräuer/Wiedmann, WoGG, Stand Oktober 2019, § 5 Rn. 5 ff.), von dem sie familiäre Beziehungen pflegt und verschiedenen Aktivitäten des Lebens, wie Arbeiten und Freizeitbeschäftigungen, nachgeht (vgl. Zimmermann, Wohngeldgesetz, 1. Aufl. 2014, § 5 Rn. 3).
Ausgehend hiervon fehlt es bei der Klägerin an der zeitlich überwiegenden Nutzung der Wohnung in W. im Zeitraum Mai 2018 bis Oktober 2018, in der sie sich lediglich an 8 Wochen innerhalb eines halben Jahres aufgehalten hat. Auch die sonstigen vom Beklagten herangezogenen Tatsachen sprechen, wie das Verwaltungsgericht zutreffend angenommen hat, gegen einen Mittelpunkt der Lebensbeziehungen in W.. Dies gilt auch, soweit der Bevollmächtigte der Klägerin erstinstanzlich vorgetragen hat, es treffe zu, dass die betreffende Wohnung in W. nicht den einzigen Lebensmittelpunkt der Klägerin darstelle, wohl aber den wesentlichen, da sie sich dort mit ihren Kindern aufhalte. Denn aufgrund der sonstigen Tatsachen – Schulbesuch der Kinder in S., Teilnahme am Vereinsleben in S., Meldung in S. mit Hauptwohnsitz, kein Briefkasten in der Wohnung in W. -, die die Klägerin auch im Beschwerdeverfahren nicht bestritten hat, liegt es gerade nahe, von einem Mittelpunkt der Lebensbeziehungen in S. auszugehen, wenn nicht aufgrund der Aktenlage der Mittelpunkt der Lebensbeziehungen der Klägerin ohnehin bei ihrem Lebensgefährten in Spanien anzusiedeln wäre.
Soweit die Klägerin im Beschwerdeverfahren vortragen lässt, eine Ummeldung der Kinder nach W. sei nur deshalb nicht erfolgt, da dies zu Problemen mit den jeweiligen Schulen hätte führen können, zumal sich der Ort W. nicht im Schulsprengel der Grundschule S. befinde, bestätigt dies nur, dass die Kinder im vorliegend streitgegenständlichen Zeitraum Mai 2018 bis Oktober 2018 die Grundschule in S. besucht haben, was wiederum indiziell für den Mittelpunkt der Lebensbeziehungen in S. und eben nicht in W. spricht. Dass sich die Situation „zum November 2018“ dergestalt verändert hat, dass nunmehr ein Gastschulantrag positiv verbeschieden wurde und eine Ummeldung nach W. erfolgte, tangiert den vorliegend streitgegenständlichen Zeitraum nicht.
Auch das weitere Vorbringen der Klägerin, die zuständige Sachbearbeiterin des beklagten Landkreises hätte ihr aus „Vereinfachungsgründen“ zum Abschluss des Mietvertrages über die Wohnung in W. in der gewählten Form – durchgängige Mietzahlung bei nur zeitlich begrenztem „Nutzungsrecht“ – geraten, vermag der Klage nicht zum Erfolg zu verhelfen, selbst wenn man den Vortrag als zutreffend unterstellen würde. Denn ungeachtet der Form des „Mietverhältnisses“ würde auch in diesem Fall der gemietete Wohnraum nicht den Mittelpunkt der Lebensverhältnisse der Klägerin bilden.
Unabhängig von der weiteren Frage, ob der von der Klägerin abgeschlossene Mietvertrag tatsächlich zu dauerhaft selbstgenutztem Wohnraum im Sinne der §§ 1 bis 3 WoGG führt, fehlt es damit für die Bewilligung eines Mietzuschusses an den Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Satz 1 WoGG, sodass die Klage auch unter Anlegung des spezifisch prozesskostenhilferechtlichen Maßstabs keine hinreichenden Erfolgsaussichten im Sinne von § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO bietet. Die Beschwerde war daher als unbegründet zurückzuweisen.
5. Eine Kostenentscheidung war vorliegend entbehrlich, da in Wohngeldangelegenheiten nach § 188 Satz 2, 1 VwGO Gerichtskosten nicht erhoben (vgl. BVerwG, U.v. 23.4.2019 – 5 C 2.18 – BeckRS 2019, 17035, Änderung der Rechtsprechung) und Kosten im Prozesskostenhilfebeschwerdeverfahren nach § 166 VwGO in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO nicht erstattet werden.
Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.


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