Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Zweckentfremdung (M. Hellip*), Abgrenzung Wohngemeinschaft zu Boardinghouse, Nutzungsuntersagung, Beweisvereitelung, Non liquet und Amtsermittlung

Aktenzeichen  M 9 K 20.4088

Datum:
14.7.2021
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 31840
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
ZwEWG Art.3
ZeS § 3, § 4 Abs. 1 Nrn.1 und 3
VwGO § 108

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. 
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet. 

Gründe

Die Klage hat keinen Erfolg.
Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung und den Angaben der Klägerseite über die Änderung des Nutzungskonzepts ist die Klage bereits unzulässig (I.). Ungeachtet dessen wäre die Klage auch unbegründet (II.). Die Weigerung der Klägerseite und der Bewohner, ein Betreten der Wohnung im Rahmen des mit Beweisbeschluss vom 1. Juni 2021 angeordneten gerichtlichen Augenscheins zuzulassen, geht zu Lasten der Klägerseite (II.1.). Dies hat zur Folge, dass die zweckentfremdungsrechtliche Nutzungsuntersagung und die Anordnung der Wiederzuführung zu Wohnzwecken mit Bescheid vom 27. August 2020 rechtmäßig ist (II.2.). Die Beschwerdeentscheidung des BayVGH im Eilverfahren beruhte lediglich auf einer summarischen Einschätzung nach Aktenlage (II.3.) und sonstige Gründe, die zu einer Rechtswidrigkeit des Bescheids führen könnten, sind nicht ersichtlich (II.4.). Die Anfechtungsklage war deshalb abzuweisen, § 113 Abs. 1 VwGO.
I. Die Klage gegen den Bescheid vom 27. August 2020 ist bereits unzulässig, da der Klägerin das Rechtsschutzbedürfnis für eine Entscheidung des Gerichts über die erhobene Anfechtungsklage fehlt.
1. Die Klägerin hat ihr bisheriges Nutzungskonzept, das dem angefochtenen Bescheid zu Grunde lag, mittlerweile nach eigenen Angaben geändert und hält nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung und ihren detailreichen Ausführungen im Termin an dem früheren Konzept für ihre Objekte in M. … dauerhaft nicht mehr fest. Eine gerichtliche Überprüfung dieser behaupteten Änderung des Nutzungskonzepts hat die Klägerin bzw. ihr Bevollmächtigter allerdings vereitelt, da sie gegenüber ihren Mietern nicht ihr Betretungsrecht zur Ermöglichung des gerichtlichen Augenscheins geltend gemacht hat. Dieses widersprüchliche Verhalten führt dazu, dass der Anfechtungsklage jedenfalls das Rechtsschutzbedürfnis fehlt. Als besondere Umstände, die das Rechtschutzbedürfnis entfallen lassen können, kommt sowohl der Wegfall des objektiven als auch des subjektiven Interesses an einer gerichtlichen Entscheidung in Betracht (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Januar 1989 – 9 C 44/87 -, BVerwGE 81, 164-170, Rn. 9). Vorliegend ist nach dem prozessualen Verhalten der Klägerin zumindest das subjektive Interesse an der Entscheidung über die Anfechtungsklage entfallen. Denn wenn das dem Bescheid zugrundeliegende Nutzungskonzept durch die Klägerin nicht mehr betrieben wird ist nicht erkennbar, welches rechtlich schützenswerte Interesse an der gerichtlichen Überprüfung noch besteht. Der Bescheid ist dann wegen inhaltlicher Überholung gegenstandslos geworden, da die ihm innewohnende Steuerungsfunktion entfallen und seine Aufhebung sinnlos ist (BVerwG U.v.25.9.2008 – 7 C 5/08; Schoch/Schneider, VwGO § 113, Stand Feb.2021, Rn.112; Schenke in Kopp/Schenke, VwGO, § 113 Rn.102); er ist nur noch Grundlage der Kostenentscheidung. Trotz umfassender Erörterung des geänderten Nutzungskonzepts und eingehender Erläuterung in der mündlichen Verhandlung, dass und warum über das aktuelle Nutzungskonzept neu entschieden werden sollte, hat der Bevollmächtigte der Klägerin an der Anfechtungsklage festgehalten. Der Klageantrag wurde auch nicht gem.§ 113 Abs. 4 VwGO umgestellt und es wurde nicht dargelegt, welches rechtliche Interesse die Klägerin an einer Entscheidung des Gerichts über den Bescheid noch hat, da sie offensichtlich nach den Ausführungen ihres Bevollmächtigten ihrer Verpflichtung aus dem Bescheid nachkommen will und nach Bescheiderlass ihr Geschäftsmodell für alle Wohnungen in München dauerhaft geändert hat.
2. Hinsichtlich des neuen Nutzungskonzept, das zu dem hier für die Anfechtungsklage maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlass im August 2020 noch nicht existierte, liegt ebenfalls keine zulässige Klage vor, da ebenfalls das Rechtsschutzbedürfnis fehlt.
a.) Zum einen ist das neue Nutzungskonzept nicht Verfahrensgegenstand der hier vorliegenden Anfechtungsklage, da es der Nutzungsuntersagung mangels Existenz nicht zugrunde lag. Verfahrensgegenstand der Anfechtungsklage ist nur die dem Bescheid zugrunde liegende Sach- und Rechtslage.
b) Zum anderen hatte die Beklagte bisher keine ausreichende Möglichkeit, das geänderte Geschäftsmodell mit dem neuen Nutzungskonzept zu prüfen. Bis zur mündlichen Verhandlung lagen nur die seit März 2021 geltenden geänderten Mietverträge mit den fünf Untermietern vor, wonach durch Nachtrag zum Mietvertrag die Kündigungsfristen an die gesetzliche Rechtslage nach dem BGB angepasst wurden sowie das Ergebnis der Befragung eines Untermieters vom 30.Juni 2021, der die Angaben der Klägerin über das geänderte Nutzungskonzept für die hier verfahrensgegenständliche Wohnung bestätigte, jedoch keine Besichtigung ermöglichte und dies bereits vorher mit Schreiben an das Verwaltungsgericht vom 25. Juni 2021 als Mitunterzeichner mitgeteilt hatte. Die Klägerin hat nach der Untersagung der Nutzung zum Zwecke der Fremdenbeherbergung und Anordnung der Wiederbelegung zu Wohnzwecken durch den Bescheid der Beklagten vom 27.8.2020 die Änderungen ihres Nutzungskonzepts erstmals in der mündlichen Verhandlung ausführlich vorgestellt und ausführlich erklärt, dass diese Änderungen für alle Objekte in M. … auf Dauer durchgeführt werden. Bis zur mündlichen Verhandlung war weder vorgetragen noch aus den Akten ersichtlich, dass ein neues Nutzungskonzept für das gesamte Geschäftsmodell eingeführt wurde und nicht nur vorübergehend für die verfahrensgegenständliche Wohnung zur Vermeidung der Vollstreckung. Die Beklagte hatte deshalb bis dahin keine Gelegenheit zur Prüfung der geänderten Sach- und Rechtslage und in der mündlichen Verhandlung dazu erklärt, dass sie aus diesem Grund die Behauptungen der Klägerseite nur mit Nichtwissen bestreiten könne.
Das Rechtsschutzbedürfnis für eine Klage besteht nur dann, wenn der Rechtssuchende ein berechtigtes Interesse daran hat, gerichtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, weil er sein Ziel nicht auf einem einfacheren, billigeren Weg erreichen kann. Dazu gehört auch, dass bei einer Änderung der Sachlage zunächst die zuständige Behörde mit der Angelegenheit befasst wird und über den Fortbestand der Nutzungsuntersagung bei Änderungen entscheiden kann. Ein rechtliches Interesse daran, dass ein Gericht über den Fortbestand der Nutzungsuntersagung trotz nachträglicher Änderung der tatsächlichen Umstände entscheidet, besteht erst, wenn diese Prüfung der Behörde nicht zu einer Entscheidung im Sinne der Klägerseite führt.
II. Ungeachtet der fehlenden Zulässigkeit und ohne dass es hier vorliegend darauf ankommt ist die Anfechtungsklage gegen den Bescheid vom 27.8.2020 darüberhinaus auch unbegründet.
1. Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung liegt eine „non liquet“ Situation vor, die wegen der Vereitelung der Beweiserhebung nach der Überzeugung der Kammer unter Zugrundelegung der Grundsätze der freien Beweiswürdigung im Verwaltungsprozess, § 108 VwGO, zu Lasten der Klägerin geht.
a) Die Durchführung der Beweiserhebung durch Augenschein des Gerichts hat die Klägerin im Einvernehmen mit den fünf Untermietern vereitelt. Trotz eines Beweisbeschlusses der Kammer im gerichtlichen Verfahren hat die Klägerin die Besichtigung der Wohnung durch das Gericht nicht zugelassen und ihr Betretungsrecht nicht ausgeübt. Das gesetzlich nach Art. 4 ZwEWG bestehende Betretungsrecht einer Wohnung durch die zuständigen Mitarbeiter der Beklagten verpflichtet die Klägerin als Mieterin ebenso wie die Untermieter der Wohnung als unmittelbare Besitzer nicht nur im Verwaltungsverfahren, sondern auch im Verwaltungsprozess. Als Vermieterin hat die Klägerin ausserdem die zivilrechtliche Berechtigung, die Wohnung zu betreten und ihre Mieter müssen dies als vertragliche Nebenpflicht zum Mietvertrag dulden, §§ 241 Abs. 2, 242 BGB (AG München, U.v. 28.7.2020 – 473 C 6285/20 mit weiteren Nachweisen). Es bestehen keine Zweifel daran, dass eine durch ein Gericht angeordnete Beweiserhebung durch Augenschein ein solcher berechtigter Grund ist. Aus der Tatsache, dass die Untermieter das Betreten der Gemeinschaftsräume bereits schriftlich abgelehnt haben bevor das Gericht sie überhaupt gefragt hat und dass als Absendeort des Schreibens Berlin genannt wird steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die Klägerin ihre Untermieter diesbezüglich zumindest ermuntert hat. Zugunsten der Mieter geht die Kammer davon aus, dass diese mit der hiesigen Rechtsordnung nicht vertraut sind. Für die Bevollmächtigten der Klägerin gilt dies nicht.
b) Die Missachtung des Beweisbeschlusses hat zur Folge, dass nach den Grundsätzen der Beweiswürdigung im Verwaltungsprozess unter Berücksichtigung des hier kraft Gesetz angeordneten Verbots mit Befreiungsvorbehalt, Art. 1 Abs. 1 S.1 ZwEWG iVm § 5 Abs. 1 ZeS die Nichterweislichkeit der bestrittenen Tatsachen zu Lasten der Klägerin geht, da eine weitere Amtsermittlung wegen fehlender Mitwirkung auf Klägerseite nicht möglich war. Nach den Grundsätzen des Verantwortungsbereichs sind Tatsachen von demjenigen nachzuweisen, in dessen Verantwortungsbereich und Sphäre sie fallen. Bei Nichtaufklärbarkeit von Tatsachen wegen fehlender Mitwirkung geht dies zu Lasten desjenigen, aus dessen Verantwortungsbereich sie stammen (Rixen in Sodan/Ziekow, VwGO,5. Auflage 2018, § 108 VwGO Rn.135). Eine weitere Sachverhaltsaufklärung, ob trotz der nach überwiegender höchstrichterlicher Rechtsprechung für Fremdenverkehrsnutzung typischen beherbergungsmäßigen Ausstattung und Rundum-Versorgung eine WG vorliegt, war aus Gründen in der Sphäre der Klägerin im Gerichtsverfahren nicht möglich. Diese Feststellungen hat die Klägerseite verhindert. Ihre Behauptungen sind vielleicht wahr und vielleicht nicht wahr, der Sachverhalt existiert möglicherweise, möglicherweise aber auch nicht, weshalb eine „non liquet“ Situation besteht. Wenn wie hier in der Situation des non liquet ungewiss ist, ob die für eine Änderung erforderlichen Tatsachen vorhanden sind oder nicht, präferiert die beweislastrechtliche Grundregel den status quo. (Dawin in Schoch/Schneider, VwGO, Stand Februar 2021, § 108 Rn.87, 97). Dies bedeutet bei dem hier nach Art.1 Abs. 1 S.1 ZwEWG kraft Gesetz bestehendem repressiven Verbot mit Befreiungsvorbehalt, dass die Nichterweislichkeit der Tatsache zu Lasten desjenigen geht, der eine für ihn günstige Rechtsfolge ableitet (Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 15.Aufl.2019, § 86 Rn.5).
c) Im Rahmen der Amtsermittlung konnte auf die Beweiserhebung durch Augenschein auch nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung und nach Aktenlage aus folgenden Gründen nicht verzichtet werden:
aa) Nach Aktenlage und dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung ist nach wie vor lediglich bekannt, wer die aktuellen Mieter sind und seit wann sie in der hier verfahrensgegenständlichen Wohnung wohnen. Die für die rechtliche Beurteilung der zweckentfremdungsrechtlichen Nutzungsuntersagung und Wiederbelegungsanordnung entscheidungserheblichen näheren Umstände waren im Rahmen der Amtsermittlung nicht in gleich geeigneter Weise feststellbar. Es gehört zum prozessualen Grundwissen, das bloße Behauptungen einer Partei zur richterlichen Überzeugungsbildung im Verwaltungsprozess nicht ausreichen und dass der Augenschein ein zulässiges sowie geeignetes Beweismittel ist, wenn es um die örtlichen Verhältnisse geht.
bb) Weiterhin offen und bestritten ist die Größe der Gemeinschaftsfläche (50 oder 100 qm). Die in der mündlichen Verhandlung vorhandenen und vorgelegten Pläne und Fotografien lassen die Größe gar nicht und die Anordnung der Flächen nur ungefähr erkennen. Die Erörterung anhand der Pläne ergab keine Klarheit. Da sich die Gemeinschaftsflächen über zwei Stockwerke, verbunden mit einer Treppe, erstrecken ist die Größe sowie die Anordnung für die Beurteilung eines Wohnens in Gemeinschaft von Bedeutung.
cc) Bestritten und ungeklärt ist weiterhin die Ausstattung der Küche und der Gemeinschaftsflächen. Die vorgelegten Fotografien über die sparsam möblierten Räumlichkeiten geben keinen hinreichenden Aufschluss, da sie nicht erkennen lassen, ob überhaupt dort gewohnt wird. Es ist nicht feststellbar, dass die über zwei Stockwerke im Gang und Treppenhaus angeordneten Flächen mehr sein können als eine Gelegenheit zum Sitzen und Abstellen oder ob es sich tatsächlich um zum Wohnen nutzbare Gemeinschaftsflächen handelt. Ebenso lassen die Fotografien keinen Schluss darauf zu, ob die Küche überhaupt von irgendjemanden benutzt wird.
dd) Offen ist nach wie vor, ob die Wohnung tatsächlich im Sinne einer eigenen Häuslichkeit bewohnt wird, da die vorgelegten Fotografien weitgehend leere und unpersönliche Räume zeigen, ähnlich z.B. dem Katalogbild einer Ferienwohnung. Maßgeblich für die Einordnung, ob eine Wohnung tatsächlich bewohnt oder nur als temporäre Unterkunft genutzt wird ist nach den Erfahrungen des Gerichts in erster Linie ein Augenschein. Es entspricht der allgemeinen Lebenserfahrung und ist offenkundig, dass ein bewohnter Eindruck nur durch das Vorhandensein von eigenen Gebrauchsgegenständen und Gebrauchsspuren entsteht, die für jedermann offensichtlich erkennbar sind, der einen eigenen Haushalt hat.
3. Unterstellt, die Klage wäre zulässig, geht diese Nichterweislichkeit zu Lasten der Klägerseite und die Klage ist unbegründet. Da eine weitere Sachaufklärung aus Gründen in der Sphäre der Klägerin nicht möglich war ist nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung von einer gewerblichen Nutzung zu Fremdenverkehrszwecken trotz einer mittlerweile im Durchschnitt etwas längeren, aber weiterhin befristeten Verweildauer der Bewohner auszugehen. Die Nutzungsuntersagung und Anordnung der Wiederbelegung zu Wohnzwecken nach dem Zweckentfremdungsrecht sind unter Berücksichtigung dieser Unaufklärbarkeit rechtmäßig.
a) Rechtsgrundlage der angeordneten Untersagung der Nutzung zur Fremdenbeherbergung und der Anordnung zur Wiederbelegung zur Wohnnutzung ist Art. 3 Abs. 2 des Gesetzes über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum (Zweckentfremdungsgesetz -ZwEWG-) i.V.m. § 13 der Satzung der Landeshauptstadt München über das Verbot der Zweckentfremdung von Wohnraum (ZeS) vom 11. Dezember 2017; die aufgrund der Änderung vom 4. November 2019 (MüABl. S.452) ab dem 1. Januar 2020 geltende Fassung betraf nicht § 13 ZeS. Zweifelsfrei liegt Wohnraum im Sinne von § 3 ZeS vor. Die Wohnung wurde als Wohnraum genehmigt und nach Angaben des Wohnungseigentümers auch so genutzt.
b) Eine Fremdenbeherbergung im Sinne des Zweckentfremdungsrechts, Art. 1 Satz 2 Nr. 1 ZwEWG i.V.m. § 4 Abs. 1 Satz 2 Nrn. 1 und 3 ZeS, liegt immer dann vor, wenn ein lediglich beherbergungsartiges Unterkommen vorliegt und nach dem Nutzungskonzept so angeboten wird. Dies ist immer dann anzunehmen, wenn eine Wohnung für die Dauer eines bestimmten Zwecks, aber einen vorübergehenden Aufenthalt zur Verfügung gestellt wird (BayVGH, B.v. 1.8.2016 – 12 CS 16.969). Dies ist aber auch dann der Fall, wenn der Aufenthalt zu einem bestimmten Zweck zwar von längerer Dauer ist, die angebotenen Leistungen und die Ausstattung jedoch beherbergungsgleich sind und die Vermietung der Deckung eines vorübergehenden Sonderbedarfs der Mieter dient (VG Berlin U v.4.3.2020 – 6 K 420.19). Maßstab ist zunächst die tatsächliche Möglichkeit und eine gewisse Dauer der eigenen Häuslichkeit in der Wohnung im Sinne einer Heimstatt im Alltag in Abgrenzung zu einer flexiblen, vorübergehenden Unterkunft ohne Verlegung des Lebensmittelpunkts in diese Unterkunft. Dafür entscheidend ist zunächst das Nutzungskonzept und das konkrete Geschäftsmodell des Wohnungsgebers sowie als Indiz die Nachhaltigkeit des Aufenthalts der Bewohner, wenn im konkreten Fall das Nutzungskonzept nicht eindeutig ist oder nicht umgesetzt wurde (VG Berlin, U. v. 4.3.2020 – 6 K 420.19). Wenn, wie hier, eine Wohneinheit nach ihrer Ausstattung mit Möbeln, Küche und Gemeinschaftsflächen dafür geeignet ist, dass die Benutzer in den jeweiligen Räumen ihren häuslichen Wirkungskreis unabhängig gestalten können, kommt es maßgeblich auf das zugrunde liegende Nutzungskonzept und das konkrete Geschäftsmodell des Vermieters im Einzelfall dafür an, ob eine Fremdenverkehrsnutzung vorliegt, da das Nutzungskonzept einem Boardinghouse gleicht oder ob es sich um eine Wohngemeinschaft der Nutzer handelt, die dort über einen längeren Zeitraum zumindest zeitweilig ihren Lebensmittelpunkt und sich entsprechend häuslich eingerichtet haben, da sie die Wohnung als ihre Heimstatt im Alltag betrachten (OVG Berlin-Brandenburg, B.v. 26.4.2019 – OVG 5 S 24.18; VG Berlin U.v.4.3.2020- – 6 K 420.19 und U.v.11.3.2020 – 6.L 441.19). Anknüpfungspunkt für eine Verlegung des Lebensmittelpunktes können die Regelungen des Bundesmeldegesetzes und des Umsatzsteuergesetzes als weiteres Indiz sein, die an eine Dauer von einem halben Jahr anknüpfen; soweit in der Rechtsprechung bayerischer Gerichte drei Monate als ausreichend angesehen wurden ist dies der Anlehnung an gesetzliche Regelungen anderer Bundesländer geschuldet. Ein Wohnheim ist nach § 3 Abs. 1 Satz 2 ZeS Wohnraum. Der Betrieb eines Boardinghouse ist bei entsprechender Hotelähnlichkeit nach ständiger Rechtsprechung ein Fremdenverkehrsbetrieb und gekennzeichnet durch ein Serviceangebot sowie eine flexible Mietdauer. Die Nutzung einer Wohnung durch eine Wohngemeinschaft zählt unter den Wohnbegriff, wenn ein entsprechendes Nutzungskonzept vorliegt und gelebt wird. Typisch dafür ist, dass mehrere Personen in einer Wohnung zusammenleben und sich Küche, Bad und die Kosten teilen. In Abgrenzung zur Zimmervermietung mit geteiltem Bad und Küchenmitbenutzung ist wesentlich, dass ein gemeinsamer Raum vorhanden ist, der gemeinsam bewohnt wird und in dem gelebt wird. Typisch für eine Wohngemeinschaft ist auch, dass die WG-Mitglieder Einfluss darauf haben, wer mit ihnen zusammenwohnt. Es gibt normalerweise im Interesse des Vermieters und der einzelnen Mieter einen Mietvertrag, der eine entsprechende WG-Nutzung vorsieht. Von einer WG kann außerdem nur ausgegangen werden, wenn die Bewohner unter Verzicht auf Teile ihrer Privatsphäre und Eigenständigkeit ein gemeinschaftliches Leben organisieren, Küche und Bad gemeinsam nutzen und sich selber versorgen um vor allem Wohnkosten zu sparen und nicht alleine zu leben.
c) Die Abgrenzung hängt jeweils vom Einzelfall ab, wobei es für die Entscheidung der Behörde auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt des Bescheiderlasses ankommt, dessen Voraussetzungen bei der hier vorliegenden Nutzungsuntersagung als Dauerverwaltungsakt zum Zeitpunkt der Gerichtsentscheidung noch fortbestehen müssen. Die Klägerin hat nach eigenen Angaben ein Co-Living-Konzept betrieben, dass sie selber als „Transformation bisher gebräuchlicher Wohnformen zu neuen Wohnkonzepten“ bezeichnet. Dabei handelt es sich um ein gewerbliches Geschäftsmodell der zimmerweisen Vermietung möblierter Wohnungen an unterschiedliche Mieter, die überwiegend neu in der Stadt sind, mit Gemeinschafträumen, gemeinsamer Küche und gemeinsamen Bad zu einer erheblichen Inklusivmiete und nach dem zum maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt vorhandenen Nutzungskonzept mit umfangreichem Service sowie der Bereitstellung einer ferienwohnungsähnlichen Grundausstattung und Versorgung mit den Verbrauchsgütern des täglichen Lebens. Die vorgelegten Mietverträge in ihrer ursprünglichen Form haben durch die kurzen Kündigungsfristen dem Modell einer kurzfristigen Vermietung entsprochen, weshalb nach § 549 Abs. 2 Nr.1 BGB die Mietpreisbremse und die Mieterschutzbestimmungen für dieses Konzept keine Rolle gespielt haben. Die Ausstattung und die Serviceleistungen waren hotelähnlich und gingen über eine möblierte Vermietung weit hinaus, da nach dem ursprünglichen Konzept der Antragstellerin die Grundversorgung mit Verbrauchsgütern des täglichen Lebens in Küche und Bad (Salz, Pfeffer, Öl, Essig, Zucker, Klopapier Seife etc) gestellt und diese monatlich aufgefüllt werden. Die begrenzte Aufenthaltszeit von unter drei Monaten eines Teils der Mieter und die Inserate, die sich ausdrücklich an Interessenten mit Wohnsitz im Ausland wenden, die neu zu einem bestimmten Aufenthaltszweck nach M. … kommen sind ein gewichtiges Indiz für das Nutzungskonzept einer vorübergehenden Unterkunft für Nutzer, die entweder keine Wohnnutzung suchen, also dem Wohnungsmarkt Wohnraum entziehen, oder Nachfrager auf dem allgemeinen Wohnungsmarkt bleiben, weil sie weiter hin eine Wohnung suchen (VG Berlin U.v.4.3.2020 – 6 K 420.199).
4. Dem Beschluss des Bayrischen Verwaltungsgerichtshofs im Beschwerdeverfahren vom 5.5.2021 (12 CS 21.564) lässt sich nichts Gegenteiliges entnehmen. Die nach summarischer Prüfung im Eilverfahren getroffenen Feststellungen entsprechen nicht den Feststellungen des Verwaltungsgerichts nach ausführlicher Erörterung der Sach- und Rechtslage mit den Parteien und dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung. Die Rechtsache wirft auch nicht lediglich Rechts- oder Tatsachenfragen auf, die sich unter Heranziehung der Akten und der schriftlichen Erklärungen der Parteien angemessen lösen lassen (BVerwG B.v.2.6.2021 – BVerwG 5 BN 1.21), da hier bereits die tatsächlichen Grundlagen strittig sind und deshalb von einer Beweiserhebung durch Augenschein mit anschließender mündlicher Verhandlung nicht abgesehen werden konnte. Die enge Anlehnung der Beschwerdeentscheidung an die Rechtsprechung des VG und OVG Berlin übersieht, dass die Landesgesetze unterschiedlich sind. Soweit sich dem Senat nicht erschließt, warum umfangreiche Serviceleistungen und die Bereitstellung von Essen und Verbrauchsgütern des täglichen Lebens untypisch für einen eigenen Haushalt sind (RN.10) besteht darin nicht nur ein deutlicher Widerspruch zu der herrschenden Rechtsprechung u.a. des erkennenden Senats, sondern erschließt sich auch außerhalb der rechtstheoretischen Diskussionen dem durchschnittlichen Erwachsenen nicht, der regelmäßig für die Eigenversorgung selbstständig verantwortlich ist.
5. Ohne dass es hier darauf ankommt wird abschließend auch darauf hingewiesen, dass keine Anhaltspunkte für ein fehlerhaftes Verwaltungsverfahren bestehen. Das Zweckentfremdungsrecht berechtigt die Beklagte zum Betreten von Wohnungen. Es entspricht gefestigter Rechtsprechung, dass Ortseinsichten sowie eine Befragung der Bewohner und die Anfertigung von Fotografien mit deren Einverständnis ein geeignetes Beweismittel sind. Soweit sich Mieter dadurch belästigt fühlen, ändert dies nichts an der Rechtslage und betrifft vor allem das Mietverhältnis zwischen den Mietern und der Klägerin; die Kammer ist ungeachtet dessen nicht der Auffassung, dass es ein unzumutbares Verwaltungsvorgehen ist, wenn bei Berufstätigen morgens gegen 8.00 Uhr an einem Werktag geklingelt wird.
Soweit der Bevollmächtigte der Klägerin im Verwaltungsverfahren ein Gespräch mit der Beklagten wünschte, sind diesbezügliche Irritationen durch die mündliche Verhandlung ausgeräumt worden.
Soweit der Bevollmächtigte der Klägerin einen Verstoß der Beklagten gegen eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in einem Vorlageverfahren vom 22. September 2020 (C 724/18 und C 727/18) sieht, geht diese Annahme fehl. Es trifft nicht zu, dass der Europäische Gerichtshof nur bei einer Nichtverlegung des Wohnsitzes eine Zweckentfremdung angenommen hat; vielmehr hat der Europäische Gerichtshof entschieden, dass eine dem Zweckentfremdungsrecht entsprechende Regulierung des Wohnungsmarktes durch die Mitgliedsstaaten zulässig ist. Die Verlegung oder Nichtverlegung des Wohnsitzes war nicht Verfahrensgegenstand, sondern faktische Grundlage der Vorlage. Auch der Verweis auf die Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg führt zu keinem anderen Ergebnis, da es sich dort um einen Fall vor Inkrafttreten des Zweckentfremdungsverbots handelte (VGH BW v. 6.8.2020 – 3 S 1493/20).
Die Klage war mit der Kostenfolge des § 154 VwGO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m §§ 708ff ZPO.


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