Patent- und Markenrecht

25 W (pat) 544/20

Aktenzeichen  25 W (pat) 544/20

Datum:
7.12.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BPatG:2022:071221B25Wpat544.20.0
Spruchkörper:
25. Senat

Tenor

In der Beschwerdesache

betreffend die Marke 30 2017 000 178
hat der 25. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 7. Dezember 2021 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Prof. Dr. Kortbein, der Richterin Kriener und der Richterin k. A. Fehlhammer
beschlossen:
Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Gründe

I.
1
Das am 6. Januar 2017 angemeldete Zeichen
2
BOXX
3
ist am 31. Juli 2017 unter der Nummer 30 2017 000 178 als Wortmarke in das beim Deutschen Patent- und Markenamt geführte Markenregister für die nachfolgenden Waren eingetragen worden:
4
Klasse 29:
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Brotaufstriche aus Gemüse; Chips; Dörrfleisch; Essbare Nüsse; Essbare Samenkörner; Desserts; Fruchtchips; Früchtepüree; Fruchtpulver; Fruchtsnacks; Gemahlene Nüsse; Gemüseextrakte zum Kochen; Gemüsepulver; Gemüsepüree; Gemüsesnacks; Getrocknetes Obst; Getrocknetes Gemüse; Grünkohlchips; Kokospulver; Mischungen für Suppen; Obst- und Nussmischungen; Snackmischungen aus getrockneten Früchten und verarbeiteten Nüssen; Snackriegel auf Nuss- und Samenbasis; Snacks auf der Basis von Trockenfrüchten; Speiseöle und -fette; Trockenfrüchte-Snacks; Trockenobst; Vegetarische Bratlinge; Verarbeitetes Gemüse; Verarbeitetes Obst;
6
Klasse 30:
7
Backmischungen; Bonbons; Brausepulver; Fertiggerichte aus Teigwaren; Gewürze; Gewürzmischungen; Instantpulver für die Zubereitung von Tee; Kaffeegetränke; Kaffee-Ersatz; Kakao; Kakaohaltige Getränke; Kakaopulver; Kaugummi; Müsli; Müsliriegel und Energieriegel; Nahrungsmittel auf Kakaobasis; Natürliche Süßungsmittel; Reissnacks; Schokolade; Schokoriegel; Sorbets; Speiseeis; Süßwaren; Süß- und Salzgebäcke; Tee; Traubenzucker.
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Gegen die am 1. September 2017 veröffentlichte Eintragung der Marke hat die Widersprechende am 27. November 2017 Widerspruch aus ihrer am 4. Juni 2009 angemeldeten Unionswortmarke 008 341 679
9
XOX
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erhoben. Sie ist am 23. Dezember 2009 für nachfolgende Waren eingetragen worden:
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Klasse 29:
12
Fleisch- und Wurstwaren; Kartoffelprodukte soweit in Klasse 29 enthalten, hergestellt durch Hitze und Druck oder durch Erhitzen in Fett; Kartoffelchips und Kartoffelsticks; im Extrudierverfahren hergestellte Kartoffelprodukte für Knabberzwecke, soweit in Klasse 29 enthalten; getrocknete, geröstete, gesalzene und/oder gewürzte Erdnusskerne, Haselnüsse, Nüsse, Mandeln und Cashew-Kerne, Rosinen, Korinthen; konserviertes, getrocknetes und gekochtes Obst und Gemüse; Gemüse-Chips; Gemüsescheiben; Gemüse-Snack; Erdnussbutter; Brotaufstrich (fetthaltig);
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Klasse 30:
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Konditorwaren; Backwaren, insbesondere Mürbe-, Spritz-, Waffel-,Salz-, Laugen-, Zwiebel- und Käsegebäck; Waffeln, Oblaten, Biskuits; Zwieback, Leb- und Honigkuchen, Kräcker, im Toaster verzehrfertig zuzubereitende Backwaren; süßes und salziges Sandwich-Gebäck; Muffins; Hefeteiggebäck; Dauerbackwaren, insbesondere Hart- und Weichkeks; Getreidesnacks mit Schokoladenüberzug; Schokolade, Schokoladenwaren; Zuckerwaren, insbesondere Bonbons, Toffees, Fondanterzeugnisse und Krokant; Marzipan; Nuss-Nougat-Creme; Puffmais, Maisflocken; Getreidepräparate für Nahrungszwecke; Getreidesnacks; Zubereitete Getreidekörner und Getreideflocken unter Beigabe von Nüssen, Rosinen, Früchten, Fruchtpulver, Weizenkeimen, Zucker und/oder Honig; sämtliche vorgenannten Waren auch als extrudierte oder co-extrudierte sowie gepresste Produkte, auch in Riegelform; Frittiertes Kartoffelgebäck; süße Snacks auf der Basis von Weizenmehl, Reismehl, Kartoffelstärke und Cerealien; Reiscrisps; Salzstangen; Tortillas; Erzeugnisse auf der Grundlage von Sojamehl und Tapioka hergestellt durch Hitze und Druck oder durch Erhitzen in Fett, soweit in Klasse 30 enthalten; im Extrudierverfahren hergestellte Soja- und Tapiokaprodukte für Knabberzwecke, soweit in Klasse 30 enthalten; Kleingebäck, sowie süße oder salzige Snacks auf der Basis von Soja- und Tapiokamehl, soweit in Klasse 30 enthalten; salzige Snacks auf der Basis von Weizen, Reis oder Mais, soweit in Klasse 30 enthalten.
15
Der Widerspruch richtet sich gegen folgende Waren der Marke 30 2017 000 178:
16
Klasse 29:
17
Chips; Essbare Nüsse; Fruchtchips; Fruchtsnacks; Gemahlene Nüsse; Gemüsesnacks; Getrocknetes Obst; Getrocknetes Gemüse; Obst- und Nussmischungen; Snackmischungen aus getrockneten Früchten und verarbeiteten Nüssen; Snackriegel auf Nuss- und Samenbasis; Snacks auf der Basis von Trockenfrüchten; Trockenfrüchte-Snacks;
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Klasse 30:
19
Fertiggerichte aus Teigwaren; Reissnacks; Süß- und Salzgebäcke.
20
Die Inhaberin der angegriffenen Marke hat mit Schriftsatz vom 13. Februar 2018 die Benutzung der Widerspruchsmarke bestritten. Die Widersprechende hat daraufhin zur Glaubhaftmachung der Benutzung verschiedene Unterlagen, u. a. eine eidesstattliche Versicherung ihres Geschäftsführers vorgelegt.
21
Mit Beschluss vom 27. Februar 2020 hat die Markenstelle für Klasse 30 des Deutschen Patent- und Markenamts den Widerspruch wegen mangelnder Glaubhaftmachung der rechtserhaltenden Benutzung der Widerspruchsmarke und wegen fehlender Verwechslungsgefahr als unbegründet zurückgewiesen. Die auf die Nichtbenutzungseinrede beigebrachte eidesstattliche Versicherung enthalte keine Aufschlüsselung der Umsätze nach einzelnen Waren und Zeiträumen. Auch den weiteren vorgelegten Unterlagen ließe sich nicht hinreichend entnehmen, dass die Widerspruchsmarke für alle beanspruchten Waren im relevanten Zeitraum sowie im maßgeblichen Gebiet benutzt worden sei. Abgesehen davon bestehe nicht die Gefahr, dass die Vergleichszeichen verwechselt würden. Die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke sei durchschnittlich. Zwischen den beiderseitigen Waren der Klassen 29 und 30 bestehe hochgradige Ähnlichkeit. Die Marken seien sich jedoch in jedem Wahrnehmungsbereich unähnlich. Die jeweiligen Schriftbilder unterschieden sich deutlich, da die Widerspruchsmarke aus drei, die angegriffene Marke dagegen aus vier Buchstaben bestehe und die Zeichen am stets stärker beachteten Wortanfang voneinander abwichen. Demgegenüber fielen die nachfolgenden in beiden Zeichen enthaltenen Buchstaben „OX“ nicht ins Gewicht. Da der Anfangsbuchstabe „X“ im Deutschen eher ungewöhnlich sei, liege eine Einzelbuchstaben-Aussprache der Widerspruchsmarke im Sinne von „X-O-X“ näher als die Wiedergabe „KSOKS“ in einem Wort. Eine begriffliche Ähnlichkeit sei ausgeschlossen, da die Widerspruchsmarke als Phantasiebegriff erscheine, die angegriffene Marke aber an das Wort „Box“ erinnere. Da es sich bei beiden um Einwortmarken handele, werde ihr jeweiliger Gesamteindruck nicht durch die Buchstaben „OX“ geprägt. Auch werde durch sie keine Verwechslungsgefahr aufgrund gedanklicher Verbindung begründet.
22
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Widersprechenden. Sie trägt vor, jedenfalls mit der überarbeiteten eidesstattlichen Versicherung des Geschäftsführers der Widersprechenden vom 17. Juni 2020 und den nachgereichten Unterlagen sei die rechtserhaltende Benutzung der Widerspruchsmarke hinreichend glaubhaft gemacht worden. Die sich gegenüberstehenden Waren der Klassen 29 und 30 seien identisch oder hochgradig ähnlich. Die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke sei durchschnittlich. Die Vergleichsmarken seien einander zumindest in klanglicher Hinsicht hochgradig ähnlich. Sie würden nach dem allgemeinen Sprachgefühl am ehesten als einsilbige Wörter und nicht mit Hilfe ihrer Einzelbuchstaben wie bei Abkürzungen ausgesprochen. So gebe der Verkehr vergleichbare Wörter mit der Endung „OX“, wie etwa „VOX“ oder „FOX“, entsprechend wieder. Die Betonung liege bei beiden Marken auf dem Buchstaben „O“, der als Vokal für den klanglichen Eindruck von besonderer Bedeutung sei. Die Verdoppelung des Buchstabens „X“ in der jüngeren Marke falle phonetisch dagegen nicht ins Gewicht. Der einzige klangliche Unterschied bestehe im jeweiligen Anfangskonsonanten. Da dieser nicht betont sei, werde er jedoch nicht stärker beachtet, auch wenn er am Wortanfang stehe. Zumindest in der Gesamtschau sei von durchschnittlicher klanglicher Ähnlichkeit auszugehen, wobei der Sinngehalt „Box“ der angegriffenen Marke, der für die relevanten Waren und deren Verpackungsform beschreibend sei, klanglich nicht von der Widerspruchsmarke wegführen könne. Auch in schriftbildlicher Hinsicht seien die Marken wenigstens durchschnittlich ähnlich.
23
Die Widersprechende hat an der mündlichen Verhandlung vom 7. Dezember 2021 nicht teilgenommen.
24
Sie beantragt sinngemäß,
25
den Beschluss der Markenstelle für Klasse 30 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 27. Februar 2020 aufzuheben und die Löschung der Eintragung der angegriffenen Marke 30 2017 000 178 wegen des Widerspruchs aus der Unionsmarke 008 341 679 für die nachfolgenden Waren anzuordnen:
26
Klasse 29:
27
Chips; Essbare Nüsse; Fruchtchips; Fruchtsnacks; Gemahlene Nüsse; Gemüsesnacks; Getrocknetes Obst; Getrocknetes Gemüse; Obst- und Nussmischungen; Snackmischungen aus getrockneten Früchten und verarbeiteten Nüssen; Snackriegel auf Nuss- und Samenbasis; Snacks auf der Basis von Trockenfrüchten; Trockenfrüchte-Snacks;
28
Klasse 30:
29
Fertiggerichte aus Teigwaren; Reissnacks; Süß- und Salzgebäcke.
30
Die Inhaberin der angegriffenen Marke beantragt,
31
die Beschwerde zurückzuweisen.
32
Ihren ursprünglich gestellten Kostenantrag sowie den Antrag auf Festsetzung des Gegenstandswerts hat sie in der mündlichen Verhandlung vom 7. Dezember 2021 zurückgenommen.
33
Ihrer Ansicht nach lasse sich aus den eingereichten Benutzungsunterlagen nicht ersehen, welche Umsätze in der Bundesrepublik Deutschland als maßgeblichem Kollisionsgebiet erzielt worden seien. Davon abgesehen bestehe keine Verwechslungsgefahr. Die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke sei zwar durchschnittlich. Beide Marken unterschieden sich jedoch sehr deutlich voneinander. Die Widerspruchsmarke sei in schriftbildlicher Hinsicht unverkennbar ein perfektes spiegelsymmetrisches Palindrom bezogen auf eine jeweils mittig angelegte horizontale wie vertikale Spiegelachse. Demgegenüber sei die jüngere Marke „BOXX“ völlig unsymmetrisch. Da der Anfangsbuchstabe „X“ im Deutschen sehr ungewöhnlich sei, werde die Widerspruchsmarke wie die einzigen drei im Duden verzeichneten dreibuchstabigen Kombinationen, die mit einem „X“ beginnen, nämlich „XML“, „XXL“ und „XXS“, oder aber wie sonstige bekannte Abkürzungen aus drei Einzelbuchstaben, wie „SOS“, „BMW“, „BVB“, „MVG““, „MTU“, „KLM“, „FAZ“ oder „DAK“ , mit Hilfe ihrer drei Einzelbuchstaben, also wie „IKS-O-IKS“ ausgesprochen, zumal sich der Buchstabe „X“ vom griechischen Buchstaben „KSI“ ableite. Aber auch wenn von einer Aussprache als zusammenhängendes Wort „KSOKS“ ausgegangen werde, unterschieden sich die Klangbilder der Marken deutlich durch den harten Knacklaut „K“ und das nachfolgende stimmlose „S“ der Widerspruchsmarke, was für einen geradezu explosionsartigen Anlaut sorge, und den sehr weichen sowie unaufdringlichen Lippenlaut „B“ der jüngeren Marke, mit dem diese nahezu behutsam beginne. Der Vokal „O“ werde in der Widerspruchsmarke lang, ähnlich wie in dem Wort „Koks“, und deutlich heller als in der angegriffenen Marke ausgesprochen. Noch deutlicher seien die Unterschiede, wenn von einer Wiedergabe der älteren Marke wie „IKSOS“ ausgegangen werde, bei der der helle Vokal „I“ eine noch stärkere Klangabweichung bewirke. Nicht zuletzt wegen deren Anlehnung an das Wort „Box“ mit seinen vielfältigen Bedeutungen werde der Verkehr die Marken nicht miteinander verwechseln.
34
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den angefochtenen Beschluss der Markenstelle, die Schriftsätze der Verfahrensbeteiligten, den rechtlichen Hinweis des Senats vom 13. April 2021, das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 7. Dezember 2021 und den übrigen Akteninhalt Bezug genommen.
II.
35
Die gemäß § 64 Abs. 6 Satz 1 MarkenG i. V. m. § 66 Abs. 1 Satz 1 MarkenG statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg. Die Markenstelle hat zutreffend angenommen, dass zwischen den Vergleichsmarken keine Gefahr von Verwechslungen nach § 42 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG a. F. i. V. m. § 158 Abs. 3 MarkenG, § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG und § 125b Nr. 1 MarkenG besteht. Auf die Frage der rechtserhaltenden Benutzung der Widerspruchsmarke kommt es damit nicht entscheidungserheblich an.
36
1. Das Vorliegen einer Verwechslungsgefahr für das Publikum ist nach ständiger Rechtsprechung sowohl des Europäischen Gerichtshofes als auch des Bundesgerichtshofes unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände des Einzelfalls zu beurteilen (vgl. hierzu z. B. EuGH GRUR 2010, 933 Rn. 32 – BARBARA BECKER; GRUR 2010, 1098 Rn. 44 – Calvin Klein/HABM; BGH GRUR 2012, 64 Rn. 9 – Maalox/Melox-GRY; GRUR 2012, 1040 Rn. 25 – pjur/pure; GRUR 2013, 833 Rn. 30 – Culinaria/Villa Culinaria; GRUR 2016, 382 Rn. 19 – BioGourmet; GRUR 2019, 173 – Combit/Commit). Von maßgeblicher Bedeutung sind insoweit insbesondere die Identität oder Ähnlichkeit der relevanten Vergleichsprodukte (Waren und/oder Dienstleistungen), die Identität oder Ähnlichkeit der Marken sowie die Kennzeichnungskraft und der daraus folgende Schutzumfang der Widerspruchsmarke. Diese einzelnen Faktoren sind zwar für sich gesehen voneinander unabhängig, bestimmen aber in ihrer Wechselwirkung den Rechtsbegriff der Verwechslungsgefahr (vgl. dazu EuGH GRUR 2008, 343 Rn. 48 – Il Ponte Finanziaria Spa/HABM; BGH GRUR 2012, 64 Rn. 9 – Maalox/Melox-GRY; GRUR 2012, 1040 Rn. 25 – pjur/pure; siehe auch Ströbele/ Hacker/Thiering, Markengesetz, 13. Auflage, § 9 Rn. 43 ff. m. w. N.). Darüber hinaus können für die Beurteilung der Verwechslungsgefahr weitere Faktoren entscheidungserheblich sein, wie u. a. etwa die Art der Waren oder der Dienstleistungen, die im Einzelfall angesprochenen Verkehrskreise und daraus folgend die zu erwartende Aufmerksamkeit und das zu erwartende Differenzierungsvermögen dieser Verkehrskreise bei der Wahrnehmung der Kennzeichen.
37
Nach diesen Grundsätzen besteht zwischen den Vergleichszeichen keine Verwechslungsgefahr.
38
a) Die Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke ist durchschnittlich.
39
Die originäre Kennzeichnungskraft einer Marke wird durch ihre Eignung bestimmt, sich unabhängig von der jeweiligen Benutzungslage als Mittel zur Unterscheidung der Waren und Dienstleistungen eines Unternehmens bei den beteiligten Verkehrskreisen einzuprägen (vgl. BGH GRUR 2017, 75 Rn. 19 – Wunderbaum II; GRUR 2016, 283 Rn. 10 – BSA/DSA DEUTSCHE SPORTMANAGEMENTAKADEMIE). Bei der Bestimmung der Kennzeichnungs-kraft sind alle relevanten Umstände zu berücksichtigen, zu denen insbesondere die Eigenschaften, die die Marke von Hause aus besitzt, der von der Marke gehaltene Marktanteil, die Intensität, die geografische Verbreitung und die Dauer der Benutzung der Marke, der Werbeaufwand des Unternehmens für die Marke und der Teil der beteiligten Verkehrskreise gehören, die die Waren oder Dienstleistungen auf Grund der Marke als von einem bestimmten Unternehmen stammend erkennen (vgl. u. a. EuGH GRUR Int 1999, 734 – Lloyd; GRUR Int 2000, 73 – Chevy; GRUR 2005, 763 – Nestle/Mars; BGH GRUR 2013, 833 Rn. 41 – Culinaria/Villa Culinaria; GRUR 2007, 1071 Rn. 27 – Kinder II; GRUR 2007, 1066 Rn. 33 – Kinderzeit; GRUR 2009, 766 Rn. 30 – Stofffähnchen I; GRUR 2009, 672 Rn. 21 – OSTSEE-POST).
40
Die Widerspruchsmarke „XOX“ weist in Verbindung mit den für sie eingetragenen Waren keinen sachbeschreibenden Sinngehalt auf, so dass von einer originär durchschnittlichen Kennzeichnungskraft auszugehen ist. Hinweise für ihre Schwächung oder Stärkung sind weder von den Verfahrensbeteiligten vorgetragen worden, noch sonst ersichtlich.
41
b) Bei unterstellter Benutzung können sich die beiden Marken zwar auf identischen bzw. hochgradig ähnlichen Waren begegnen. Auch in diesen Fall reichen jedoch die Markenunterschiede aus, um die Gefahr von Verwechslungen in rechtserheblichem Umfang auszuschließen.
42
c) Die Ähnlichkeit von Marken ist nach deren Ähnlichkeit im (Schrift)Bild, im Klang und im Bedeutungs- oder Sinngehalt zu beurteilen, weil sie auf die von ihnen angesprochenen Verkehrskreise in bildlicher, klanglicher und begrifflicher Hinsicht wirken können. Dabei genügt für die Bejahung der Markenähnlichkeit regelmäßig bereits die Ähnlichkeit in einem der genannten Wahrnehmungsbereiche. Bei der Beurteilung der Markenähnlichkeit ist auf den durch die Marken hervorgerufenen Gesamteindruck abzustellen, wobei insbesondere ihre unterscheidungskräftigen und dominierenden Elemente zu berücksichtigen sind. Abzustellen ist dabei auf die Wahrnehmung der angesprochenen Verkehrskreise, die eine Marke regelmäßig in ihrer Gesamtheit erfassen und nicht auf die verschiedenen Einzelheiten achten (so z. B. BGH GRUR 2016, 283 Rn. 37 – BioGourmet m. w. N.).
43
(1) Beim optischen Vergleich ist zu berücksichtigen, dass der Verkehr das Schriftbild von Zeichen meist genauer wahrnimmt und, anders als schnell verhallende Worte, länger und/oder wiederholt betrachten kann, was dazu führt, dass auch das visuelle Erinnerungsbild in der Regel genauer ausfällt als das klangliche (vgl. BPatGE 43, 108 ff. – Ostex/OSTARIX; BPatG GRUR 2004, 950 ff. – ACELAT/Acesal). Insofern wirkt sich vorliegend sowohl die unterschiedliche Wortlänge und die daraus resultierende Umrisscharakteristik der relativ kurzen Vergleichsmarken (vier bzw. drei Buchstaben) als auch der abweichende Buchstabe am erfahrungsgemäß stärker beachteten Wortanfang verwechslungshindernd aus. Zudem führt der von der angegriffenen Marke vermittelte, trotz der Verdoppelung des letzten Buchstabens „X“ ohne weiteres erkennbare Sinngehalt „Box“ dazu, dass die bestehenden Übereinstimmungen im Schriftbild reduziert werden (vgl. Ströbele/Hacker/Thiering, a. a. O., § 9 Rn. 308). Denn ein vorhandener Sinngehalt führt dazu, dass der Leser schriftbildliche Unterschiede schneller erfasst und es damit nicht zu Verwechslungen kommt (vgl. BGH GRUR 1092, 130 – Bally/Ball; GRUR 2010, 235 – AIDA/AIDU). Dabei ist ein Bezug zu den beanspruchten Waren zwar nicht erforderlich, das Vorhandensein eines solchen kann aber die Erfassbarkeit erleichtern (vgl. Ströbele/Hacker/Thiering, a. a. O., § 9 Rn. 309). Vorliegend wird „Box“ im Sinne von „Kasten, Behälter“ in Verbindung mit Lebensmitteln unschwer als Hinweis auf eine Verpackungs- oder Darreichungsform verstanden. Insofern ist der Sinngehalt der angegriffenen Marke nicht nur deutlich erkennbar, sondern steht zusätzlich in einem Sachzusammenhang mit den für diese eingetragenen Waren. Damit ist in ausreichendem Umfang gewährleistet, dass trotz der übereinstimmenden Buchstabenfolge „OX“ die beiden Marken bildlich auseinandergehalten werden.
44
(2) Eine begriffliche Ähnlichkeit scheidet aus, weil die Widerspruchsmarke „XOX“ als reiner Phantasiebegriff anders als die angegriffene Marke keinerlei Assoziationen weckt und damit keine inhaltlichen Annäherungen der Zeichen erkennbar sind.
45
(3) Auch in klanglicher Hinsicht ist die Markenähnlichkeit nicht so ausgeprägt, um Verwechslungen in erheblichem Umfang befürchten zu müssen. Hierbei ist in Betracht zu ziehen, dass bei einer klanglichen Wiedergabe der Marken mit verschiedenen Aussprachen durch den Verkehr zu rechnen ist. Sind aber verschiedene Aussprache- oder Benennungsmöglichkeiten einer Marke naheliegend und wahrscheinlich, sind diese beim klanglichen Zeichenvergleich zu berücksichtigen (vgl. BPatG 29 W (pat) 31/13 – CARS/CARSI; 29 W (pat) 32/14 – TEE PEE/PEPEE). In der Regel werden Kurzwörter (Buchstabenwörter) wie alle anderen Wörter ausgesprochen (vgl. „FAZ“ sprich `’ef-a-zett’ oder ‘faz’? – Aussprache von Kurzwörtern“ unter „https:\grammis.ids-mannheim.de“). Kurzwörter werden insbesondere dann mit Hilfe der Laute ihrer einzelnen Buchstaben wiedergegeben, wenn sie Vokale enthalten und damit Silben bilden, die für die Zunge des Sprechenden angenehm zu intonieren sind. Kurzwörter, die ausschließlich aus Konsonanten bestehen (z. B. „BMW“, „VW“ oder „ZDF“) oder nicht ohne Schwierigkeiten wiedergegeben werden können (z. B. „ABM“ oder „AKW“), werden hingegen eher als Abfolge ihrer alphabetischen Buchstabenbezeichnungen ausgesprochen. Eine feste Regel existiert allerdings nicht (vgl. Metzler Lexikon Sprache, 4. Auflage, Stichwort: Kurzwort; vgl. BPatG 29 W (pat) 65/13 – TÜg Zert International/TÜV Gert).
46
Da im vorliegenden Fall beide Marken einen Vokal enthalten und mit den Konsonanten ein flüssig auszusprechendes Kurzwort bilden, spricht vieles dafür, von einer einsilbigen Aussprache im Sinne von „BOX“ und „KSOKS“ auszugehen.
47
Insoweit stimmen beide Zeichen im Vokal „O“ überein, wobei Vokale bzw. die Vokalfolge für den Klangeindruck von besonderer Bedeutung sind bzw. ist (vgl. BGH GRUR 2015, 1004 Rn. 43 – IPS/ISP). Auch die Anzahl der Konsonanten sowie der Schlusskonsonant „X“ sind identisch. Zwar fallen für den angesprochenen Verkehr, der die jeweiligen Bezeichnungen regelmäßig nicht gleichzeitig wahrnimmt und miteinander vergleichen kann, die übereinstimmenden Merkmale in einem undeutlichen Erinnerungseindruck stärker ins Gewicht als die Unterschiede (vgl. BGH, a. a. O., Rn. 23 – IPS/ISP; GRUR 2001, 158, 160 – Drei-Streifen-Kennzeichnung; BPatG 29 W (pat) 35/01 – BABOCK Lasertechnik/BABCOCK). Letztere sind hier aber noch so ausgeprägt, dass sie dem Verkehr nicht verborgen bleiben. Gerade am stärker beachteten Anfang steht dem sehr harten Sprenglaut „KS“ auf Seiten der Widerspruchsmarke der sehr weiche Plosiv „B“ auf Seiten der angegriffenen Marke gegenüber, was den jeweiligen Zeichen einen deutlich anderen Klangcharakter verleiht. Weil es sich bei den Kollisionszeichen um Kurzwörter handelt, werden sie von dieser Abweichung zusätzlich merklich beeinflusst. Hinzu kommt auch hier, dass der Sinngehalt „Box“ der angegriffenen Marke, der bei der Aufnahme des Wortklangs in das Erinnerungsbild aufgenommen wird, von der Widerspruchsmarke wegführt und damit das Auseinanderhalten beider Zeichen erleichtert.
48
Wird die Widerspruchsmarke mit Hilfe ihrer einzelnen Buchstaben, also „IKS-O-IKS“ ausgesprochen, so sind die Marken im klanglichen Vergleich noch unterschiedlicher. Erstgenannte weist dann eine andere Vokalfolge (l-O-l) und damit drei Silben auf, wodurch ihre Aussprache erheblich länger als die der angegriffenen Marke ist, bei der aufgrund ihres sich aufdrängenden Bedeutungsgehalts ganz überwiegend von einer Wiedergabe als einheitliches Wort auszugehen ist.
49
Auch unter Berücksichtigung der (teilweisen) Identität der sich gegenüberstehenden Waren und der durchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke sowie des Umstands, dass es sich bei den Kollisionswaren um Alltagsgüter handelt, bei deren Erwerb der Verkehr den Kennzeichnungen in aller Regel keine besondere Aufmerksamkeit widmet, hält die angegriffene Marke die Anforderungen, die an den Abstand zu der Widerspruchsmarke zu stellen sind, damit in jeder Hinsicht ausreichend ein.
50
Die Beschwerde der Widersprechenden war daher zurückzuweisen.
51
2. Zu einer Kostenauferlegung aus Billigkeitsgründen gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 MarkenG bietet der Streitfall keinen Anlass.


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