Patent- und Markenrecht

30 W (pat) 569/20

Aktenzeichen  30 W (pat) 569/20

Datum:
12.8.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Gerichtsort:
München
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:BPatG:2021:120821B30Wpat569.20.0
Spruchkörper:
30. Senat

Tenor

In der Beschwerdesache
hat der 30. Senat (Marken- und Design-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts in der Sitzung vom 12. August 2021 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters Prof. Dr. Hacker sowie der Richterin Dr. Weitzel und des Richters Merzbach
beschlossen:
I. Auf die Beschwerde der Widersprechenden wird der Beschluss der Markenstelle für Klasse 29 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 22. Juli 2020 aufgehoben.
II. Wegen des Widerspruchs aus der Unionsmarke 016 287 666 wird die Löschung der Marke 30 2019 221 308 angeordnet.
III. Hinsichtlich des Widerspruchs aus der Unionsmarke 017 618 786 ist die Beschwerde zur Zeit gegenstandslos.

Gründe

I.
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Gegen die am 30. Juni 2019 angemeldete und seit dem 29. Juli 2019 für die Waren
2
„Klasse 29: Hafer enthaltende Getränke auf Milchbasis; Hafermilch; Getränke auf Haferbasis [Milchersatz];
3
Klasse 30: Gequetschter Hafer; Hafer für die menschliche Ernährung; Nahrungsmittel auf Haferbasis für die menschliche Ernährung; Verarbeiteter Hafer; Hafermehl für Speisezwecke; Verarbeiteter Hafer für die menschliche Ernährung; Für die menschliche Ernährung bestimmter verarbeiteter Hafer; Getreidepräparate aus Haferkleie; Zerkleinerter Hafer; Haferkerne [geschälter Hafer]; Getreidepräparate mit Haferkleie; Nahrungsmittel auf der Grundlage von Hafer; Hafer [gequetscht]; Geschälter Hafer; Nahrungsmittel aus Hafer;
4
Klasse 31: Hafer;
5
Klasse 32: Getreide und Hafer enthaltende Smoothies; Getränke auf Haferbasis [ausgenommen Milchersatzgetränke]“
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eingetragene Wortmarke 30 2019 221 308
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Haferghurt
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ist seitens der Widersprechenden Widerspruch erhoben worden aus der seit dem 19. Mai 2017 für die Waren
9
„Klasse 29: Ersatz für Molkereiprodukte; Getränke auf Haferbasis als Ersatzmittel für Milch; Getränke auf Haferbasis mit Fruchtgeschmack; Joghurtersatz mit Hafer; Trinkjoghurtersatz mit Hafer; Joghurtersatz mit Hafer und Fruchtgeschmack“
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registrierten Unionswortmarke 016 287 666
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OATGURT
12
sowie aus der seit dem 1. Mai 2018 für die Waren
13
„Klasse 29: Getränke und Drinks auf der Basis von Hafer als Milchersatz; Getränke mit Fruchtgeschmack auf Haferbasis; Joghurtersatz auf Haferbasis; Kochsahne und Kaffeesahne auf Haferbasis; Butterersatz auf Haferbasis; Margarineersatz auf Haferbasis; Käse auf Haferbasis“
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eingetragenen Unionswortmarke 017 618 786
15
GURT
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Die mit einem Beamten des gehobenen Dienstes besetzte Markenstelle für Klasse 29 des Deutschen Patent- und Markenamts hat mit Beschluss vom 22. Juli 2020 beide Widersprüche zurückgewiesen, da eine Verwechslungsgefahr zwischen den Vergleichszeichen nicht nur – aus den von der Markenstelle im Beschluss näher dargelegten Gründen – hinsichtlich der Widerspruchsmarke 017 618 786 GURT ausscheide, sondern auch in Bezug auf die weitere Widerspruchsmarke 016 287 666 OATGURT.
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Zwar könnten sich die Vergleichszeichen Haferghurt und OATGURT nach der vorliegend maßgeblichen Registerlage auf identischen Waren begegnen, so dass aufgrund der durchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke OATGURT, welche sich weder an den Begriff „Yoghurt“ oder „Yogurt“ anlehne noch sonst einen beschreibenden Aussagegehalt aufweise, strenge Anforderungen an den Markenabstand zu stellen seien. Diesen genüge jedoch die angegriffene Marke.
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Das angegriffene Zeichen unterscheide sich von der Widerspruchsmarke UM 016 287 666 OATGURT durch die unterschiedliche Länge der Markenwörter sowie die voneinander abweichenden Wortanfänge, die regelmäßig stärker beachtet würden als die Übereinstimmungen am Wortende, sowohl klanglich wie schriftbildlich so deutlich, dass unmittelbare Verwechslungen nicht zu befürchten sein. Dies gelte auch in begrifflicher Hinsicht, da den Vergleichsmarken auf Anhieb kein ohne weiteres erfassbarer Sinngehalt entnommen werden könne.
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Erst durch einen Übersetzungsvorgang (oat = Hafer) käme der Verkehr zum Ergebnis, dass OATGURT die mit der angegriffenen Marke weitgehend übereinstimmende Bedeutung „Hafergurt“ aufweise. Ein übereinstimmender Begriffsgehalt müsse vom Verkehr jedoch bei flüchtiger Wahrnehmung ohne weiteren Denkvorgang sofort erfasst werden. Es genüge daher nicht, dass es sich lediglich um verständliche Begriffe handele.
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Insoweit böten sich auch keine Anhaltspunkte für eine mittelbare Verwechslungs-gefahr unter dem Gesichtspunkt einer Markenserie oder für eine Verwechslungsgefahr im weiteren Sinne. So finde insbesondere die Rechtsfigur der selbständig kennzeichnenden Stellung von vornherein keine Anwendung, da nur ein Element der Widerspruchsmarke (Gurt), nicht jedoch das Gesamtzeichen OATGURT in die jüngere Marke übernommen worden sei.
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Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Widersprechenden, mit der sie hinsichtlich der Widerspruchsmarke 016 287 666OATGURT geltend macht, dass ausgehend von einer nach der Registerlage möglichen Begegnung der angegriffenen Marke und dieser Widerspruchsmarke auf identischen bzw. hochgradig ähnlichen Waren eine Verwechslungsgefahr nicht verneint werden könne.
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Die Widerspruchsmarke OATGURT verfüge über eine mindestens durch-schnittliche Kennzeichnungskraft. Soweit der Verkehr dabei den mit der weiteren Widerspruchsmarke 017 618 786identischen Zeichenbestandteil „GURT“ als Bestandteil des Wortes „Jogurt“ (als alternative Schreibweise von „Joghurt“) wiedererkenne, ergebe sich daraus keine Kenn-zeichnungsschwäche, da „GURT“ keine Abkürzung für „Jogurt/Joghurt“ sei und auch nicht so verwendet werde. Dementsprechend seien zahlreiche weitere, vergleichbar aus einer Kombination des Wortbestandteils „GHURT/GURT“ und einem Präfix gebildete Zeichen wie z. B. „Sportghurt“, „Aktivghurt“, „Knusperghurt“, „Reisghurt“ etc. als Marken für Waren der Klasse 29 im Register des DPMA eingetragen.
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Es handele sich bei OATGURT um eine Suggestivmarke, bei der dem Publikum allenfalls eine Grundidee mit Hilfe eines sprechenden Zeichens in vager und unterschwelliger Form nahegebracht werde, so dass es sich um eine normal unterscheidungskräftige Marke handele.
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Ausgehend davon wiesen die angegriffene Marke Haferghurt und die Widerspruchsmarke OATGURT eine hochgradige Zeichenähnlichkeit auf.
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Die sich aus den Bestandteilen „OAT/HAFER“ sowie der Endung „GURT/GHURT“ zusammensetzenden Zeichen seien in begrifflicher Hinsicht identisch, da sie am jeweiligen Wortanfang mit dem englischen Begriff „OAT“ und „Hafer“ über bedeutungsgleiche Begriffe verfügten. Dies würde der Verkehr auch ohne weiteres Nachdenken erkennen, da ihm die Bedeutung des zum englischen Grundwortschatz gehörenden Begriffs „OAT“ mit der Bedeutung „Hafer“ aufgrund seiner mittlerweile gängigen Verwendung im Inland vor allem auch im vorliegend relevanten Warenbereich ohne weiteres geläufig sei. Da ihm ferner bewusst sei, dass es sich bei dem weiteren Element „ghurt“ der angegriffenen Marke um eine
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alternative Schreibweise des Elements „GURT“ der Widerspruchsmarke OATGURT handele, sofern er den Buchstaben „h“ in dem Bestandteil „ghurt“ des Wortes Haferghurt überhaupt bemerke, werde er ohne Übersetzungsleistung die Widerspruchsmarke OATGURT als englischsprachige Variante von Haferghurt bzw. umgekehrt erkennen und die angegriffene Marke Haferghurt in ihrer Bedeutung unmittelbar mit OATGURT gleichsetzen, so dass beide Zeichen begrifflich identisch, zumindest hochgradig ähnlich seien. Beide Markenwörter wiesen daher nicht nur eine dem Verkehr geläufige Form der Markenbildung (mit dem Bestandteil „ghurt“ bzw „GURT“) auf, sondern stimmten vor allem in ihrem Sinngehalt vollständig überein. Der Verkehr werde beide Markenwörter daher gedanklich gleichsetzen, was zu einer unmittelbaren begrifflichen Verwechslungsgefahr zwischen den Vergleichszeichen führe.
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Jedenfalls begründe die Übereinstimmung der Zeichen im Sinngehalt eine mittelbare (begriffliche) Verwechslungsgefahr aufgrund gedanklichen Inverbindungbringens, da der Verkehr davon ausginge, dass es sich lediglich um eine deutschsprachige Variante der Widerspruchsmarke OATGURT handele.
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Die Widersprechende beantragt sinngemäß,
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den Beschluss der Markenstelle für Klasse 29 des Deutschen Patent- und Markenamts vom 22. Juli 2020 aufzuheben und die Löschung der angegriffenen Marke 30 2019 221 308 anzuordnen.
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Die Inhaberin der angegriffenen Marke hat weder einen Antrag gestellt noch sich zur Sache geäußert, was auch für das Verfahren vor der Markenstelle gilt.
31
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.
II.
32
A. Über die Beschwerde kann entschieden werden, ohne dass den Beteiligten zuvor der Entscheidungszeitpunkt angekündigt oder der Beschwerdegegnerin, deren Verfahrensbevollmächtigten die Beschwerdebegründung am 28. Dezember 2020 zugestellt worden ist und die sich bislang zur Beschwerde nicht geäußert hat, noch eine Frist zur Beschwerdeerwiderung gesetzt werden muss. Es entspricht ständiger Rechtsprechung für den Fall einer nicht eingereichten Beschwerdebegründung, dass diese nicht angemahnt werden muss, sondern nach einer angemessenen Frist über die Beschwerde entschieden werden kann (vgl. BPatGE 19, 225, 227 ff.; 23, 171). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist hierfür entsprechend eine Frist von zwei Wochen ausreichend (vgl. BGH GRUR 1997, 223, 224 – Ceco). Diese die Beschwerdebegründung betreffenden Grundsätze gelten auch für die Möglichkeit des Beschwerdegegners zur Stellungnahme zum Beschwerdevorbringen. Vor diesem rechtlichen Hintergrund ist vorliegend eine Entscheidung mehr als 6 Monate nach Zustellung der Beschwerdebegründung jedenfalls zulässig (vgl. BPatG 27 W (pat) 43/18 v. 12. November 2019 – Mango´s/Mongo´s, GRUR-RS 2019, 47292).
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B. Die zulässige Beschwerde hat in der Sache Erfolg, da bereits zwischen der angegriffenen Marke und der Widerspruchsmarke UM 016 287 666 OATGURT Verwechslungsgefahr im Sinne des § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG besteht.
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Die Frage, ob Verwechslungsgefahr im Sinne von § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG vorliegt, ist unter Heranziehung aller relevanten Umstände des Einzelfalls umfassend zu beurteilen. Dabei ist von einer Wechselwirkung zwischen der Identität oder der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen, dem Grad der Ähnlichkeit der Marken und der Kennzeichnungskraft der prioritätsälteren Marke in der Weise
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auszugehen, dass ein geringerer Grad der Ähnlichkeit der Waren oder Dienstleistungen durch einen höheren Grad der Ähnlichkeit der Marken oder durch eine gesteigerte Kennzeichnungskraft der älteren Marke ausgeglichen werden kann und umgekehrt (st. Rspr.; vgl. nur EuGH GRUR 2020, 52 Rn. 41-43 – Hansson [Roslagspunsch/ ROSLAGSÖL]; GRUR 2010, 1098 Rn. 44 – Calvin Klein/HABM; GRUR 2010, 933 Rn. 32 – Barbara Becker; BGH GRUR 2020, 870 Rn. 25 – Injekt/Injex; GRUR 2019, 1058 Rn. 17 – KNEIPP; GRUR 2018, 79 Rn. 7 – OXFORD/Oxford Club; WRP 2017, 1104 ff. – Medicon-Apotheke/Medico Apotheke; GRUR 2016, 382 Rn. 19 – BioGourmet; GRUR 2016, 283 Rn. 7 – BSA/DSA DEUTSCHE SPORTMANAGEMENTAKADEMIE). Bei dieser umfassenden Beurteilung der Verwechslungsgefahr ist auf den durch die Marken hervorgerufenen Gesamteindruck abzustellen, wobei insbesondere die unterscheidungskräftigen und dominierenden Elemente zu berücksichtigen sind (vgl. EuGH, a. a. O. Rn. 48 – Hansson [Roslagspunsch/ ROSLAGSÖL]; BGH a. a. O. Rn. 25 – INJEKT/INJEX).
36
Nach diesen Grundsätzen ist eine markenrechtlich relevante Gefahr von Verwechslungen zwischen der angegriffenen Marke Haferghurt und der Widerspruchsmarke UM 016 287 666 OATGURT zu besorgen.
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1. Was die Kennzeichnungskraft der in Großbuchstaben wiedergegebenen Widerspruchsmarke OATGURT betrifft, ist zunächst davon auszugehen, dass der Verkehr innerhalb dieser Marke den Bestandteil „OAT“ in Zusammenhang mit den vorliegend relevanten Waren als eigenständigen Begriff erkennen und die Widerspruchsmarke trotz ihrer Ausgestaltung als Einwortmarke als Kombination von „OAT“ und „GURT“ wahrnehmen wird.
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a. „OAT“ ist die englische Entsprechung für „Hafer“. Es kann angenommen werden, dass diese Bedeutung von „OAT“ nicht nur dem in den Handel mit den vorliegend maßgeblichen (Hafer-)Produkten eingebundenen und regelmäßig über umfangreichere Kenntnisse der englischen Sprache verfügenden Fachpublikum, sondern auch weiten Teilen des allgemeinen Verkehrs geläufig ist. Denn die Widersprechende hat bereits vor der Markenstelle mit Schriftsatz vom 6. März 2020 sowie in der Beschwerdebegründung unter Benennung und Abbildung zahlreicher Verwendungsbeispiele dargelegt, dass dieser in allen gängigen (Online-)Deutsch-Englisch-Wörterbüchern nachweisbare Begriff auch im Inland schon seit längerer Zeit als englische Entsprechung für „Hafer“ z. B. bei „Hafermilch“-Produkten verwendet wird. Angesichts dieses seitens der Inhaberin der angegriffenen Marke im gesamten Verfahren unwidersprochen gebliebenen Vorbringens der Widersprechenden ist davon auszugehen, dass es sich bei „OAT“ jedenfalls im vorliegend relevanten Lebensmittelbereich um einen mittlerweile gängigen Begriff handelt, dessen Verständnis weder dem Fachverkehr noch weiten Teilen des allgemeinen Verkehrs Schwierigkeiten bereitet.
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Der Zeichenbestandteil „OAT“ erschöpft sich in Zusammenhang mit den beanspruchten Waren, welche ausnahmslos aus Hafer bestehen oder auf Hafer basieren, in einem glatt beschreibenden Hinweis auf die Beschaffenheit der betreffenden Waren.
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b. Dem weiteren Zeichenbestandteil „GURT“ kann – ebenso wie dem bedeutungsgleichen Bestandteil „ghurt“ der angegriffenen Marke – zunächst ein beschreibender Anklang in Richtung „Joghurt“ nicht abgesprochen werden, wovon auch die Widersprechende auf Seite 3/4 ihrer Beschwerdebegründung ausgeht. Allerdings lässt sich nicht feststellen, dass es sich bei „GURT“ um eine Sach- bzw. Gattungsangabe für auf pflanzlicher Basis von zB Hafer, Soja, Kokos hergestellte, laktosefreie „vegane Jog(h)urts“ handelt und speziell OATGURT oder auch Haferghurt als gattungsbegriffliche Angabe für einen „pflanzlichen Hafer(jo)ghurt“ verwendet werden. Dementsprechend sind in der jüngeren Vergangenheit eine Reihe vergleichbar mit einer vorangestellten Sachangabe wie z. B. Kokos und dem nachgestellten Bestandteil „GHURT/GURT“ gebildete Zeichen als Marke in das
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beim Deutschen Patent und Markenamt geführte Register eingetragen worden, wie die seitens der Widersprechenden in ihrer Beschwerdebegründung aufgeführte Liste von „GHURT/Gurt“-Zeichen verdeutlicht.
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c. Auch wenn es sich bei „GHURT/GURT“ angesichts der Vielzahl mit diesem Bestandteil gebildeter Zeichen um einen „verbrauchten“ und daher in seiner kennzeichnenden Wirkung eingeschränkten Zeichenbestandteil handelt, so verbindet sich dieser Bestandteil mit dem beschreibenden Bestandteil „OAT“ dennoch zu einem hinreichend phantasievollen, sich in ein bei „veganen Joghurts“ weit verbreitetes Zeichenbildungsprinzip einreihendes sog. „sprechendes Zeichen“, dessen Kennzeichnungskraft aufgrund des beschreibenden Anklangs bzw. Aussagegehalts seiner Bestandteile „OAT“ und „GURT“ insgesamt aber unterdurchschnittlich ist.
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2. Weiterhin können sich die Zeichen nach der vorliegend maßgeblichen Registerlage teilweise auf identischen und ansonsten ähnlichen Waren begegnen.
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a. Identität besteht zwischen den für die Widerspruchsmarke zu Klasse 29 registrierten Waren „Getränke auf Haferbasis als Ersatzmittel für Milch; Getränke auf Haferbasis mit Fruchtgeschmack“ und den von der angegriffenen Marke zu dieser Klasse beanspruchten Waren „Hafermilch; Getränke auf Haferbasis [Milchersatz]“ und auch den zu Klasse 32 beanspruchten „Getreide und Hafer enthaltende Smoothies“, wobei „Hafermilch“ die im allgemeinen Sprachgebrauch übliche Bezeichnung für eine Form der Getreidemilch aus Saat-Hafer ist. Als Handelsbezeichnung werden andere Begriffe wie „Haferdrink“ verwendet, denn Milchersatz darf in der EU nicht mit der Bezeichnung „Milch“ in Verkehr gebracht werden, da nach der Verordnung (EU) Nr. 1308/2013 der Begriff Milch „ausschließlich dem durch ein- oder mehrmaliges Melken gewonnenen Erzeugnis der normalen Eutersekretion, ohne jeglichen Zusatz oder Entzug“ vorbehalten ist (vgl. dazu https://de.wikipedia.org/wiki/Hafermilch).
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Aus diesem Grunde besteht zwischen den vorgenannten Waren der Widerspruchsmarke und den weiteren von der angegriffenen Marke zu Klasse 29 beanspruchten Waren „Hafer enthaltende Getränke auf Milchbasis“ keine Identität. Diese sind allerdings zu den weiteren Waren der Widerspruchsmarke „Getränke auf Haferbasis mit Fruchtgeschmack“ identisch, da darunter auch Hafer enthaltende Milchmischgetränke fallen. Identität besteht insoweit auch zu den von der angegriffenen Marke zu Klasse 32 beanspruchten Waren „Getränke auf Haferbasis [ausgenommen Milchersatzgetränke]“.
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Eine enge Ähnlichkeit besteht in Bezug auf die von der angegriffenen Marke zu Klasse 30 beanspruchten Waren „Gequetschter Hafer; Hafer für die menschliche Ernährung; Nahrungsmittel auf Haferbasis für die menschliche Ernährung; Verarbeiteter Hafer; Hafermehl für Speisezwecke; Verarbeiteter Hafer für die menschliche Ernährung; Für die menschliche Ernährung bestimmter verarbeiteter Hafer; Getreidepräparate aus Haferkleie; Zerkleinerter Hafer; Haferkerne [geschälter Hafer]; Getreidepräparate mit Haferkleie; Nahrungsmittel auf der Grundlage von Hafer; Hafer [gequetscht]; Geschälter Hafer; Nahrungsmittel aus Hafer“, da diese Waren wesentliche Bestandteile von veganen Produkten wie insbesondere den für die Widerspruchsmarke registrierten Waren „Ersatz für Molkereiprodukte; Getränke auf Haferbasis als Ersatzmittel für Milch“ sein können, so dass für den Verkehr die Annahme einer gemeinsamen betrieblichen Herkunft durchaus nahe liegt. Dies gilt gleichermaßen in Bezug auf den von der angegriffenen Marke zu Klasse 31 beanspruchten „Hafer“.
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3. Die Vergleichszeichen Haferghurt und OATGURT weisen ferner eine jedenfalls durchschnittliche Zeichenähnlichkeit auf.
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a. Allerdings unterliegen sie entgegen der Auffassung der Widersprechenden keiner unmittelbaren Verwechslungsgefahr.
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Beide Marken unterscheiden sich insbesondere am in aller Regel stärker beachteten Wortanfang durch die abweichenden und keine Gemeinsamkeiten aufweisenden Bestandteile „OAT“ und „HAFER“ so deutlich, dass weder klanglich noch schriftbildlich mit unmittelbaren Verwechslungen in einem rechtlich relevanten Umfang zu rechnen ist.
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Dies gilt entgegen der Auffassung der Widersprechenden aber auch für einen begrifflichen Vergleich beider Marken.
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Denn OATGURT und Haferghurt vermitteln in ihrer Gesamtheit keine übereinstimmende gesamtbegriffliche Aussage etwa im Sinne eines „veganen Haferjoghurt“, sondern werden trotz ihres beschreibenden „sprechenden“ Anklangs als einheitliche Phantasiebegriffe wahrgenommen, die in ihrer Gesamtheit über keinen sich auf Anhieb erschließenden Aussagehalt verfügen und damit auch insoweit keine (begriffliche) Übereinstimmung aufweisen können.
52
Eine begriffliche Übereinstimmung in Bezug auf die Anfangsbestandteile „OAT“ bzw. „HAFER“ sowie die dem gleichen Prinzip folgende Verbindung mit dem nachgestellten, weitgehend identischen Bestandteil „GURT“ bzw. GHURT“ genügt insoweit nicht, da – worauf die Widersprechende selbst hinweist – eine begriffliche Ähnlichkeit zwischen einem deutschen Wort und einem fremdsprachigen Begriff wegen des damit verbundenen Übersetzungsvorgangs grundsätzlich nur bei geläufigen Ausdrücken gängiger Fremdsprachen in Betracht kommt. Um einen solchen gängigen Ausdruck handelt es sich bei dem Phantasiezeichen OATGURT aber nicht.
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b. Jedoch ergibt sich eine durchschnittliche Zeichenähnlichkeit beider Marken daraus, dass sie gedanklich miteinander in Verbindung gebracht werden können (§ 9 Abs. 1 Nr. 2, letzter Halbs. MarkenG).
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aa. Zwar verfügt die Widersprechende nicht über eine entsprechende Markenserie mit dem Bestandteil „GURT“. Zu beachten ist jedoch, dass der Verkehr auch aus anderen Gründen auf eine gemeinsame betriebliche Herkunft der in Einzelteilen als voneinander abweichend erkannten Zeichen bzw. auf eine gemeinsame Produktverantwortung unterschiedlicher Hersteller schließen kann. So kann z. B. wegen einer Ähnlichkeit des Sinngehalts und/oder der Markenbildung auf eine Zusammengehörigkeit geschlossen werden (vgl. Ströbele/Hacker/Thiering, Markengesetz, 13. Aufl., § 9 Rdnr. 539).
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Insoweit sind allerdings strenge Anforderungen an eine markenrechtlich relevante Verwechslungsgefahr zu stellen. Allein die Möglichkeit, dass irgendeine gedankliche Verbindung zwischen den Marken hergestellt werden kann, reicht dafür nicht aus (vgl. BGH GRUR 1999, 735, 736 – MONOFLAM/POLYFLAM). Allgemeine und abstrakte Übereinstimmungen und Gemeinsamkeiten in Aufbau und Struktur der Zeichen können für sich allein regelmäßig nicht Grundlage einer markenrechtlich relevanten Verwechslungsgefahr sein. Gleichwohl können im Einzelfall solche Übereinstimmungen und Gemeinsamkeiten in Zeichenaufbau und –struktur so beschaffen sein, dass sie im Zusammenwirken mit weiteren Umständen eine gedankliche Verbindung in Richtung auf eine gleiche betriebliche Herkunft nahelegen. Eine markenrechtlich relevante Verwechslungsgefahr kann in solchen Fällen jedoch nur dann angenommen werden, wenn sich ein solcher Bezug zwischen den Zeichen i.S. einer gemeinsamen betrieblichen Herkunft dem Verkehr aufdrängt, z. B. indem die Zeichen den Eindruck hervorrufen, dass sie aufeinander bezogen sind und ihm gleichsam als „Paar“ erscheinen (vgl. BGH GRUR 1999, 735, 736 – MONOFLAM/POLYFLAM).
56
bb. Davon ist vorliegend auszugehen. Beide Zeichen sind – wie bereits dargelegt – nach einem vor allem bei „veganen Joghurts“ weit verbreiteten Zeichenbildungsprinzip in Form einer Kombination des Bestandteils „GHURT/GURT“ mit einer vorangestellten, das jeweilige Produkt nach Inhalt,
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Geschmack etc. näher beschreibenden Sachangabe wie z. B. Kokos, Mango etc. gebildet.
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Sie stimmen aber nicht nur in dem weitgehend identischen und bei veganen Produkten gängigen Zeichenbestandteil „GHURT/GURT“, sondern auch im vorangestellten Abwandlungsbestandteil insoweit überein, als „OAT“ und „Hafer“ dieselbe Bedeutung aufweisen, wenngleich in unterschiedlichen Sprachen. Obwohl der Verkehr aufgrund der unterschiedlichen Sprachzugehörigkeit von „OAT“ und „Hafer“ davon ausgehen wird, dass es sich um zwei unterschiedliche Marken handelt, wird er gleichwohl angesichts seiner Gewöhnung an vergleichbar gebildete Zeichen sowie des übereinstimmenden und ihm ohne weiteres erkennbaren Sinn- und Bedeutungsgehalts der Anfangsbestandteile „OAT“ und „Hafer“ der Annahme unterliegen, dass es sich bei Haferghurt um eine für den inländischen deutschsprachigen Markt bestimmte und damit gleichsam um die „deutsche Variante“ bzw. „Übersetzung“ des (älteren) Zeichens OATGURT handelt und diese Zeichen daher irrtümlich ein und demselben Herkunftsbetrieb zuordnen oder zumindest auf sonstige Verbindungen zwischen den Herstellern im Sinne einer gemeinsamen Produktverantwortung schließen.
59
Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn die Bezeichnung „GHURT/GURT“ für die beanspruchten Waren schutzunfähig wäre, da beide Zeichen sich dann – wie bereits erwähnt – in einer glatt beschreibenden Angabe zu Beschaffenheit und Bestimmungszweck der betreffenden Waren erschöpfen würden, so dass der Verkehr den Marken allenfalls dieselbe beschreibende Angabe entnehmen, die Marken aber nicht demselben Unternehmen zuordnen würde. Dies ist aber aus den bereits genannten Gründen nicht der Fall.
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4. Ausgehend davon kann in der Gesamtabwägung angesichts der zumindest durchschnittlichen Ähnlichkeit der sich gegenüberstehenden Waren sowie einer durchschnittlichen Zeichenähnlichkeit selbst unter Zugrundelegung einer
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unterdurchschnittlichen Kennzeichnungskraft der Widerspruchsmarke eine Verwechslungsgefahr nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 MarkenG zwischen beiden Marken nicht verneint werden.
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Daher ist die Löschung der angegriffenen Marke anzuordnen, so dass der angefochtene Beschluss der Markenstelle insgesamt aufzuheben war.
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C. Da die Beschwerde im Hinblick auf die Widerspruchsmarke UM 016 287 666 OATGURT in vollem Umfang Erfolg hat, ist sie hinsichtlich des weiteren Widerspruchs aus der Marke UM 017 618 786 GURT zur Zeit gegenstandslos.
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D. Hinsichtlich der Kosten des Beschwerdeverfahrens verbleibt es bei der gesetzlichen Regelung des § 71 Abs. 1 S. 2 MarkenG, da Billigkeitsgründe für die Auferlegung der Kosten auf einen Beteiligten weder vorgetragen worden noch sonst ersichtlich sind.


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