Aktenzeichen 30 W (pat) 90/09
Tenor
In der Beschwerdesache
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betreffend die Markenanmeldung 307 61 118.3
hat der 30. Senat (Marken-Beschwerdesenat) des Bundespatentgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 11. März 2010 unter Mitwirkung der Richterin Winter als Vorsitzende, des Richters Paetzold und der Richterin Hartlieb
beschlossen:
Die Beschwerde des Markenanmelders wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
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Zur Eintragung in das Markenregister angemeldet ist die Wort/Bildmarke
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für die Dienstleistungen
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„Dienstleistungen zur Verpflegung und Beherbergung von Gästen; insbesondere Dienstleistungen von Alten- und Seniorenheimen; medizinische Dienstleistungen; Gesundheitspflege für den Menschen; ambulante Pflegedienstleistungen; Betrieb von Pflegeheimen; Dienstleistungen von Erholungs- und Genesungsheimen; Gesundheitsberatung; Krankenpflegedienste; Seniorenpflegedienste; therapeutische Betreuung und ärztliche Versorgung; von Dritten erbrachte persönliche und soziale Dienstleistungen betreffend individuelle Bedürfnisse“.
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Die Markenstelle für Klasse 44 des Deutschen Patent- und Markenamtes hat die Anmeldung in zwei Beschlüssen – einer davon ist im Erinnerungsverfahren ergangen – wegen fehlender Unterscheidungskraft zurückgewiesen. Der Begriff „Pflegezeit“ sei im Zusammenhang mit den beanspruchten Dienstleistungen eindeutig im Sinn von „Zeit für Pflege“ zu verstehen. Die angemeldete Bezeichnung „Pflegezeit“ erschöpfe sich daher in dem Hinweis, dass die so gekennzeichneten Dienstleistungen im Rahmen der Zeit, die man sich für die Pflege von alten und kranken Menschen nehme, zum Einsatz kommen bzw. in der für die Pflege vorgesehenen Zeit erbracht würden. Die grafische Gestaltung halte sich im werbeüblichen Rahmen und könne keine Schutzfähigkeit begründen.
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Hiergegen hat der Anmelder Beschwerde eingelegt und ausgeführt, die angemeldete Marke sei in ihrer Gesamtheit unterscheidungskräftig, da die bildliche Ausgestaltung schutzbegründend sei. Er verweist hierzu auf Voreintragungen, in denen vergleichbare grafische Elemente die Schutzfähigkeit begründet hätten. Die Markenstelle habe sich nicht ausreichend hiermit auseinandergesetzt und verkannt, dass an den für die Schutzfähigkeit erforderlichen „bildlichen Überschuss“ um so niedrigere Anforderungen zu stellen seien, je weniger der beschreibende Charakter der fraglichen Angabe selbst hervortrete. „Pflegezeit“ sei kein geeigneter beschreibender Begriff, da „Pflegezeit“ als Regelung einer gesetzlichen Arbeitsfreistellung (für eine bestimmte Zeit) verstanden werde. Die beanspruchten Dienstleistungen seien dagegen auf unbegrenzte Zeit angelegt, so dass der angemeldete Begriff hierfür mehrdeutig sei.
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Der Anmelder beantragt (sinngemäß),
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die angefochtenen Beschlüsse der Markenstelle für Klasse 44 des Deutschen Patent- und Markenamtes vom 13. Februar 2008 und vom 16. Juni 2009 aufzuheben,
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hilfsweise,
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die Sache an die zuständige Markenstelle zurückzuverweisen.
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Ergänzend wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.
II.
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Die zulässige Beschwerde des Anmelders ist in der Sache ohne Erfolg.
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Die angemeldete Marke ist gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG von der Eintragung ausgeschlossen, weil ihr für die angemeldeten Dienstleistungen jegliche Unterscheidungskraft fehlt.
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1. Unterscheidungskraft im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG ist nach ständiger Rechtsprechung im Hinblick auf die Hauptfunktion einer Marke, die Ursprungsidentität der gekennzeichneten Waren bzw. Dienstleistungen zu gewährleisten, die einer Marke innewohnende (konkrete) Eignung, vom Verkehr als Unterscheidungsmittel für die von der Marke erfassten Waren oder Dienstleistungen eines Unternehmens gegenüber solchen anderer Unternehmen aufgefasst zu werden (vgl. EuGH GRUR 2006, 220 Nr. 27 – BioID; BGH MarkenR 2004, 39 – City Service; GRUR 2006, 850, 854 –
FUSSBALL
WM 2006). Die Unterscheidungskraft einer Marke ist dabei zum einen in Bezug auf die genannten Waren oder Dienstleistungen und zum anderen im Hinblick auf die Anschauung der maßgeblichen Verkehrskreise zu beurteilen, die sich aus den durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchern dieser Waren oder Durchschnittsempfängern dieser Dienstleistungen zusammensetzen (vgl. EuGH MarkenR 2004, 99 – Postkantoor).
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Nach ständiger Rechtsprechung des BGH sind Wortmarken nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 MarkenG wegen fehlender Unterscheidungskraft von der Eintragung ausgeschlossen, wenn ihnen entweder ein für die fraglichen Waren und Dienstleistungen im Vordergrund stehender beschreibender Begriffsgehalt zugeordnet werden kann (BGH 2001, 1151, 1152 – marktfrisch; GRUR 2005, 417, 418 – Berlin Card) oder wenn es sich um beschreibende Angaben handelt, die sich auf Umstände beziehen, welche die beanspruchten Waren und Dienstleistungen zwar nicht unmittelbar betreffen, durch die aber ein enger beschreibender Bezug zu diesen hergestellt wird (vgl. BGH GRUR 1998, 465, 468 – Bonus; BGH a. a. O. –
FUSSBALL
WM 2006). Weiter fehlt solchen Angaben die erforderliche Unterscheidungskraft, bei denen es sich um ein gebräuchliches Wort der deutschen Sprache oder einer bekannten Fremdsprache handelt, das vom Verkehr – etwa auch wegen einer entsprechenden Verwendung in der Werbung – stets nur als solches und nicht als Unterscheidungsmittel verstanden wird (vgl. BGH a. a. O. – City Service).
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Bei der Prüfung ist nach der Rechtsprechung des BGH von einem großzügigen Maßstab auszugehen, d. h. jede noch so geringe Unterscheidungskraft reicht aus, um das Schutzhindernis zu überwinden (vgl. BGH GRUR 2001, 1151 – marktfrisch). Allerdings darf die Prüfung dabei nicht auf ein Mindestmaß beschränkt werden, sondern sie muss vielmehr gründlich und vollständig ausfallen (vgl. EuGH WRP 2003, 735 – Libertel-Orange; a. a. O. – Postkantoor).
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Die angemeldete Wortbildmarke erfüllt nach den obengenannten Grundsätzen selbst diese geringen Anforderungen nicht, da sie sich in werbemäßig anpreisender Form auf eine rein sachbezogene Angabe ohne erkennbaren herkunftshinweisenden Gehalt beschränkt (vgl. BGH a. a. O. – marktfrisch).
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2. Die angemeldete Marke setzt sich aus allgemein geläufigen Wörtern der deutschen Sprache zusammen, die im inländischen Verkehr von jedermann in ihrer Bedeutung („Pflege“ ist die Bezeichnung für „sorgende Obhut, Behandlung mit den erforderlichen Maßnahmen zur Erhaltung eines guten Zustands“; „Zeit“ ist ein Ausdruck für „Zeitraum, Zeitabschnitt, Zeitspanne“ – vgl. Duden – Deutsches Universalwörterbuch, 6. Aufl. Mannheim 2006 CD-ROM) verstanden werden. Ebenso wie vergleichbare Zusammensetzungen mit dem Wort „Zeit“ – wie Urlaubszeit, Reisezeit, Ruhezeit oder auch Elternzeit, Familienzeit – die den Inhalt oder den Zweck des jeweiligen Zeitabschnitts näher konkretisieren – bedeutet „Pflegezeit“ nichts anderes als „Zeit für die Pflege; die Zeit, die für Pflege beansprucht wird“.
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Der Verkehr wird der angemeldeten Bezeichnung „Pflegezeit“ in Bezug auf die angemeldeten Dienstleistungen den sachbezogenen Aussagehalt entnehmen, dass diese im Zusammenhang mit einem Zeitabschnitt oder einer Zeitmenge, die für Pflege benötigt oder regelmäßig aufgewendet werden oder für Pflege vorgesehen sind, erbracht werden. Der Begriff „Pflegezeit, Zeit für die Pflege“ spielt in diesem Dienstleistungsbereich auch eine wichtige Rolle, da sowohl bei der ärztlichen Versorgung und therapeutischen Betreuung wie auch bei den allgemeinen Pflegedienstleistungen aus Kostenersparnisgründen und wegen des dadurch bedingten Personalmangels oftmals zuwenig Zeit für die Erbringung dieser Dienstleistungen aufgewendet werden kann. Ein ausreichender Umfang an Pflegezeit und damit bedarfsgerechter Betreuung wird im Zusammenhang mit den genannten Dienstleistungen als Qualitätsmerkmal aufgefasst werden.
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Bei „Pflegezeit“ handelt es sich um einen werbemäßig anpreisenden Sachhinweis auf Art, Bestimmung und Verwendung der beanspruchten Dienstleistungen, da diese für die Zeit der Pflege geeignet und bestimmt sein bzw. dergestalt damit in Zusammenhang stehen können, dass sie mit Pflegezeit verbunden erbracht werden. Im Zusammenhang mit den vom Anmelder beanspruchten Dienstleistungen, entnimmt der Verkehr einer entsprechenden Kennzeichnung dieser Dienstleistungen mit der angemeldeten Marke keinerlei betrieblichen Hinweis, sondern bezieht sie ausschließlich auf deren Art, Verwendung oder Gegenstand. Dieser inhaltsbezogene Sachaussagegehalt der angemeldeten Bezeichnung erschließt sich dem Verkehr auch sofort und ohne analysierende Zwischenschritte. Dass der Begriff inzwischen als Rechtsanspruch für bestimmte Personen auf Freistellung zur Pflege naher Angehöriger eine gesetzliche Regelung erfahren hat, ändert an der allgemeinen Bedeutung von „Pflegezeit“ im obengenannten Sinne nichts.
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Die angemeldete Marke vermittelt dabei für sämtliche angemeldeten Dienstleistungen eine im Vordergrund stehende Sachaussage. Denn alle Dienstleistungen betreffen Dienstleistungen, die in Pflegeeinrichtungen erbracht werden bzw. zusammen mit Pflegedienstleistungen erbracht werden. Nach der Rechtsprechung des EuGH steht weder die Eigenschaft als Wortneubildung noch das Fehlen eines für die beanspruchten Waren und Dienstleistungen eindeutigen und unmittelbar konkret beschreibenden Charakters bzw. eine vorhandene begriffliche Unschärfe der als Marke angemeldeten Bezeichnung der Feststellung eines Eintragungshindernisses entgegen (vgl. GRUR 2004, 192 – DOUBLEMINT; GRUR 2004, 222 – BIOMILD; a. a. O. – Postkantoor).
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Soweit sich der Anmelder auf eine mögliche weitere Bedeutung des angemeldeten Begriffs beruft, vermag dies keine Unterscheidungskraft zu begründen, da der beschreibende oder werblich anpreisende Charakter eines Begriffs nicht dadurch aufgehoben wird, dass diesem in verschiedenen Bedeutungen jeweils eine beschreibende oder allgemein anpreisende Aussage innewohnt (vgl. BGH GRUR 2004, 778, 779 „
URLAUB DIREKT
“). Für die Verneinung der Unterscheidungskraft ist es ausreichend, dass die angesprochenen Verkehrskreise der Marke von mehreren in Betracht kommenden Bedeutungen eine Aussage mit (eindeutig) beschreibendem Charakter entnehmen können (vgl. BGH GRUR 2005, 257, 258 – Bürogebäude).
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Im vorliegenden Fall fehlt es somit an der erforderlichen Unterscheidungskraft, da der unmittelbare Bezug für die in Rede stehenden Dienstleistungen für den Verkehr ohne weiteres ersichtlich ist und sich die Bezeichnung „Pflegezeit“ in Bezug auf die beanspruchten Dienstleistungen in einer im Vordergrund stehenden Sachangabe erschöpft.
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3. Hinsichtlich des Bildbestandteils einer Wort-/Bildmarke gilt, dass der Marke – unbeschadet der fehlenden Unterscheidungskraft der Wortelemente – als Gesamtheit Unterscheidungskraft zugesprochen werden kann, wenn die grafischen Elemente ihrerseits charakteristische Merkmale aufweisen, in denen der Verkehr einen Herkunftshinweis sieht (vgl. BGH GRUR 1991, 136, 137 – NEW MAN; GRUR 2001, 1153 – antiKALK), wobei an die Ausgestaltung aber um so größere Anforderungen zu stellen sind, je kennzeichnungsschwächer die fragliche Angabe ist (vgl. auch BPatG GRUR 1996, 410, 411 – Color COLLECTION). Erforderlich ist eine den schutzunfähigen Charakter der übrigen Markenteile aufhebende, kennzeichnungskräftige Verfremdung im Gesamteindruck der Marke. Dabei vermögen einfache geometrische Formen, bloße Verzierungen oder beschreibende Bildzeichen, an die sich der Verkehr etwa durch häufige werbemäßige Verwendung gewöhnt hat, keine Unterscheidungskraft zu begründen (BGH a. a. O – antiKALK; Ströbele/Hacker MarkenG, 9. Aufl. § 8 Rdn. 338 m. w. N.).
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Vorliegend handelt es sich bei dem grafischen Element in Form einer wellenförmigen Linie gerade nicht um einen eigenständigen Bildbestandteil, der eine ausreichend bildhafte Verfremdung des nicht unterscheidungskräftigen Wortbestandteils darstellt und von der Sachangabe wegführt, sondern lediglich um eine werbegraphische Gestaltung des Sachhinweises ohne eigenen Aussagegehalt. Dafür spricht auch, dass die wellenförmige Linie wie eine Rahmung des Wortbestandteils nach oben wirkt und sich mit dem i-Punkt des Wortes „Zeit“ verbindet. Diese werbemäßige Hervorhebung kann keine Schutzfähigkeit des beschreibenden Wortbestandteils begründen.
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4. Der Anmelder kann sich zur Ausräumung der Schutzhindernisse auch nicht auf eine seiner Meinung nach abweichende Eintragungspraxis berufen. Denn selbst aus Voreintragungen ähnlicher oder übereinstimmender Marken erwächst unter dem Gesichtspunkt des Gleichbehandlungsgebots (Art. 3 GG) grundsätzlich kein Eintragungsanspruch für spätere Markenanmeldungen, da es sich bei der Entscheidung über die Eintragbarkeit einer Marke nicht um eine Ermessens-, sondern um eine gebundene Entscheidung handelt, die jeweils einer auf den Einzelfall bezogenen Prüfung unterliegt, einer vorgängigen Amtspraxis kommt damit keine entscheidende Bedeutung zu (vgl. BGH GRUR 1997, 527, 528 – Autofelge; BGH BlPMZ 1998, 248, 249 – Today; GRUR 2005, 578 –
LOKMAUS
; GRUR 2008, 1093, 1095 – Marlene-Dietrich-Bildnis; EuGH a. a. O. – BioID; EuGH MarkenR 2009, 478, 484 [Nr. 57] – American Clothing/HABM; BPatG PMZ 2007, 160 – Papaya; 25 W (pat) 65/08 – Linuxwerkstatt; 24 W (pat) 142/05 –
Volksflat
auf PAVIS PROMA CD-ROM).
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5. Aufgrund der vorgenannten Feststellungen bestehen auch erhebliche Anhaltspunkte dafür, dass das angemeldete Zeichen im Hinblick auf die beanspruchten Dienstleistungen eine beschreibende Angabe im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 2 MarkenG darstellt, an der die Mitbewerber ein berechtigtes Freihaltebedürfnis haben. Angesichts der übrigen behandelten Gesichtspunkte kann diese Frage jedoch offen bleiben.
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Die Beschwerde ist daher zurückzuweisen.
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Die Voraussetzungen für eine Zurückverweisung lagen nicht vor (§ 70 Abs. 3 MarkenG).