Sozialrecht

Abschiebungsverbot aus posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) wegen der Gefahr einer Retraumatisierung im Zielstaat (hier: Mazedonien)

Aktenzeichen  W 1 K 14.30647

Datum:
21.4.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
AufenthG AufenthG § 60 VII
VwGO VwGO § 86

 

Leitsatz

1 Beruft sich ein Ausländer zur Begründung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbots nach § 60 VII 1, 2 AufenthG auf eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) und eine mit dieser verbundenen Gefahr der Retraumatisierung, muss ermittelt werden, ob dieser Störung tatsächlich ein traumatisierendes Ereignis zugrunde liegt. Diese Tatsache unterliegt nicht der Einschätzung der begutachtenden Fachärzte, sie ist vielmehr vom Verwaltungsgericht unter Mitwirkung der Beteiligten nach § 86 I VwGO zu ermitteln (wie VGH München BeckRS 2012, 59131). (red. LS Clemens Kurzidem)
2 Ein Abschiebungsverbot nach § 60 VII 1 i.V.m. Satz 2 AufenthG liegt dann vor, wenn bei einer Rückkehr des Ausländers in den Heimatstaat – hier: Mazedonien – die erhebliche und konkrete Gefahr einer lebensbedrohlichen Verschlechterung einer schwerwiegenden psychischen Erkrankung droht, die aufgrund des Hinzutretens zusätzlicher Risikofaktoren durch die erzwungene Rückkehr und den Vorgang der Abschiebung im Falle des Verbleibens im Bundesgebiet so nicht eintreten würde. (red. LS Clemens Kurzidem)
3 Psychische Erkrankungen, wie Panikstörungen oder rezidivierende depressive Störungen, sind in Mazedonien behandelbar und die entsprechenden Behandlungsmöglichkeiten auch der Volksgruppe der Roma unter Inanspruchnahme des öffentlichen Gesundheitssystems tatsächlich zugänglich. Auch bei Personen, deren Sozialhilfeanspruch wegen Meldepflichtverstößen aufgrund eines längeren Auslandsaufenthalts gesperrt ist, ist der Zugang zur medizinischen Versorgung über den öffentlichen Gesundheitsfonds (FZO) gewährleistet. (red. LS Clemens Kurzidem)
4 Aufenthaltsrechtliche Schutzwirkungen einer bestehenden ehelichen Schutz- und Beistandsgemeinschaft sind im ausländerrechtlichen Verfahren auf Erteilung einer Duldung nach § 60a AufenthG zu prüfen. Sie führen nicht zu einem zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbot nach § 60 VII AufenthG. (red. LS Clemens Kurzidem)

Tenor

I.
Die Beklagte wird verpflichtet, in der Person der Klägerin zu 2) ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 AufenthG hinsichtlich Mazedoniens festzustellen.
Die Bescheide des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 11. November 2014 Az.: … sowie vom 8. April 2013 werden aufgehoben, soweit sie dieser Verpflichtung entgegenstehen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II.
Die Kosten des Verfahrens haben die Kläger und die Beklagte jeweils zur Hälfte zu tragen. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Kostenbetrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

Die zulässige Klage, über die mit Zustimmung der Beteiligten ohne weitere mündliche Verhandlung entschieden werden kann (§ 101 Abs. 2 VwGO), ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Im Übrigen ist sie unbegründet.
1. Die Klägerin zu 2) hat Anspruch auf Wiederaufgreifen des Verfahrens und Feststellung eines Abschiebungsverbotes gemäß § 60 Abs. 7 AufenthG hinsichtlich Mazedoniens. Insoweit ist die Ziffer 2 des Bescheides vom 11. November 2014 rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
1.1 Im Hinblick auf den neuen Vortrag der Klägerin zu 2) hinsichtlich der nach ihrer Rückkehr in das Herkunftsland statt gefundenen Vergewaltigung und der daraus resultierenden psychischen Erkrankung sowie aufgrund des vom Gericht eingeholten Sachverständigengutachtens liegen Wiederaufgreifensgründe nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 und 2 VwVfG hinsichtlich der Ablehnung der Feststellung von Abschiebungsverboten im Bescheid vom 8. April 2013 vor.
1.2 Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat abgesehen werden, wenn diesem dort eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit droht. Ein solches Abschiebungsverbot kann sich auch aus der Gefahr ergeben, dass sich eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Krankheit eines ausreisepflichtigen Ausländers durch die Abschiebung wesentlich verschlechtern würde (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG i. d. F. des Art. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Beschleunigung von Asylverfahren vom 11. März 2016 – BGBl. I S. 390, in Kraft getreten am 12.3.2016 – AufenthG n. F.).
1.3 Beruft sich ein Ausländer – wie hier die Klägerin zu 2) – zur Begründung eines zielstaatsbezogenen Abschiebungsverbotes auf eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) und die damit verbundene Gefahr der Retraumatisierung, so ist zunächst zu ermitteln, ob dieser Störung ein tatsächlich stattgefundenes traumatisierendes Ereignis zugrunde liegt. Denn die Frage, ob ein traumatisierendes Ereignis stattgefunden hat, unterliegt nicht der Einschätzung der begutachtenden Fachärzte, die in der Regel nach eigener Einschätzung der Glaubwürdigkeit sowie nach einer Plausibilitätsprüfung die Sachverhaltsdarstellung des Probanden ihrer Diagnose zugrunde legen. Vielmehr ist die Feststellung des traumatisierenden Ereignisses als Tatsache vom Verwaltungsgericht nach § 86 Abs. 1 VwGO unter Mitwirkung der Beteiligten zu ermitteln (BayVGH, B.v. 17.10.2012 – 9 ZB 10.30390 – juris Rn. 7 ff.).
Das Gericht ist aufgrund der Darstellung der Vergewaltigung der Klägerin zu 2) durch Albaner nach ihrer Rückkehr in das Herkunftsland zum Jahreswechsel 2013/2014 davon überzeugt, dass ein solches traumatisierendes Ereignis tatsächlich stattgefunden hat. Die Klägerin zu 2) hat in der mündlichen Verhandlung am 10. November 2015 ihren bisherigen Vortrag dazu im Wesentlichen bestätigt und erklärt, sie habe sich nicht in der Lage gefühlt, ihrem Ehemann, dem Kläger zu 1), zu erzählen, dass sie vergewaltigt worden sei. Sie sei bis zur Ausreise bei der Schwiegertochter geblieben und habe sich geweigert, wieder nach Hause zurückzukehren. Ihr Ehemann habe dies letztendlich akzeptiert, was im Hinblick auf den ersten, auch von ihm nach eigenen Angaben miterlebten Überfall im Haus der Kläger plausibel erscheint. Der Kläger zu 1) hat in der mündlichen Verhandlung bestätigt, erst in Deutschland, d. h. nach der zweiten Ausreise, von der Vergewaltigung erfahren zu haben. Aus der Sicht des Gerichts ist es nachvollziehbar, dass die Klägerin zu 2) aufgrund von Schamgefühlen und möglicherweise auch, wie der Sachverständige zu vermuten scheint, kulturell bedingt ihrem Ehemann zunächst nichts von der Vergewaltigung erzählen wollte und sich in Ausflüchte gerettet hat. Sie hat des Weiteren auch nachvollziehbar dargelegt, dass sie ein eigenes Gesundheitsbuch gehabt habe, weshalb sie auch ohne ihren Ehemann zum Arzt habe gehen können. Die Ausführungen des Sachverständigen im Gutachten vom 21. Dezember 2015, der zwar nicht die Glaubhaftigkeit des klägerischen Vortrags überprüft hat, aber zur Möglichkeit eines vorgeschobenen Geschehens Ausführungen gemacht hat, sind nicht geeignet, die Glaubhaftigkeit der Ausführungen der Kläger zu erschüttern. Die Klägerin zu 2) hat in der persönlichen Untersuchung durch den Gutachter die Vergewaltigung im Wesentlichen so geschildert wie beim Bundesamt sowie in der mündlichen Verhandlung (Seite 4/6 des Sachverständigengutachtens). Gegenüber dem Sachverständigen hat sie sich allerdings besser öffnen können und daher auch eingehender geschildert, wie sie sich nach der Vergewaltigung gefühlt habe. Aufgrund des in der mündlichen Verhandlung gewonnenen persönlichen Eindrucks, insbesondere der bei der Schilderung des Vergewaltigungsgeschehens gezeigten emotionalen Reaktionen der Klägerin zu 2), ist das Gericht davon überzeugt, dass es sich um ein tatsächlich erlebtes Geschehen handelt. Die Feststellungen des Sachverständigen stehen hierzu nicht im Widerspruch, insbesondere hat dieser keine Hinweise auf eine Simulation der Krankheitssymptome festgestellt und ausgeführt, es handle sich bei den Schilderungen der Klägerin zu 2) um subjektive Beschreibungen des Erlebten, die in sich konsistent erschienen. Das Verschweigen der Vergewaltigung stelle keine Seltenheit dar, zumal der Bereich der Sexualität bei der Klägerin auch eher mit Scham behaftet sei. Vor diesem Hintergrund spielt es nach der Überzeugung des Gerichts keine ausschlaggebende Rolle, dass die Klägerin zu 2) zunächst angegeben hat, sich ihrem Ehemann bereits vor der Ausreise mitgeteilt zu haben, und dass sich zu dem von ihr vorgetragenen Schwangerschaftsabbruch nach der Vergewaltigung keine objektiven Befunde finden ließen. Denn der Umstand, wann sie ihrem Ehemann die Vergewaltigung mitgeteilt hat, sowie eine mögliche Schwangerschaft nach der Vergewaltigung und ein Abbruch derselben gehören nicht zum Kerngeschehen der Vergewaltigung.
1.4 Das Gericht ist aufgrund des eingeholten Sachverständigengutachtens des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie mit dem Schwerpunkt Forensische Psychiatrie Dr. med. … unter Mitarbeit der Psychologin … vom 21. Dezember 2015 davon überzeugt, dass bei der Klägerin zu 2) eine posttraumatische Belastungsstörung vorliegt.
Insoweit schließt sich das Gericht aufgrund eigener Überzeugungsbildung dem Sachverständigengutachten vom 21. Dezember 2015 an. Der als Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie für die Erstellung derartiger Gutachten kompetente Sachverständige hat das Gutachten aufgrund einer eingehenden persönlichen Untersuchung der Klägerin unter Heranziehung einer Sprachmittlerin sowie einer Psychologin erstellt. Der Sachverständige hat seinem Gutachten einen zutreffenden Sachverhalt zugrunde gelegt. Die verschiedenen durchgeführten Untersuchungen und Tests unter Heranziehung der vorliegenden Fremdbefunde, insbesondere der fachärztlichen Stellungnahmen der Ambulanz des Krankenhauses für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatische Medizin … … (vgl. Gerichtsakte), entsprechen dem bei derartigen Begutachtungen üblichen Standard. Der Gutachter hat nach Erhebungen zur gesundheitlichen und psychiatrischen Vorgeschichte, der familiären sowie der sozialen Vorgeschichte und einer Suchtanamnese zunächst eine körperlichneurologische Untersuchung der Klägerin durchgeführt. Er hat sodann eine Medikamentenspiegelbestimmung vorgenommen sowie einen psychopathologischen Befund erhoben. Im Rahmen der Testdiagnostik wurden verschiedene Verfahren angewendet, so das CAPS-Verfahren, in welchem sich ein Wert von 50 ergeben habe, der für eine krankheitswertig ausgeprägte PTBS-Symptomatik auf einer Skala von 40 bis 59 spreche. Des Weiteren wurde der sogenannte HMD-Test durchgeführt, in welchem ein Punktwert von 20 festgestellt wurde, der aus klinischer Sicht für ein ausgeprägtes depressives Syndrom spreche. Auf der Grundlage der erschöpfend ausgewerteten o.g. Fremdbefunde wurde sodann die diagnostische Beurteilung vorgenommen. Der Sachverständige hat hier zunächst anhand der Leitlinien der ICD-10, dem für die Klassifikation psychiatrischer Störungen international anerkannten Diagnosesystem der WHO, verschiedene Diagnosen ausgeschlossen. So haben sich keine Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Persönlichkeitsstörung, einer psychotischen Symptomatik oder einer organischen psychischen Störung ergeben.
Auf der Grundlage der geltend gemachten Vergewaltigung als zugrunde liegendem traumatisierenden Ereignis ist der Sachverständige dann unter Ausschluss weiterer möglicher psychotraumatologischer Folgestörungen, insbesondere einer Anpassungsstörung, einer depressiven Störung, einer Angst- und/oder Panikstörung oder einer Suchterkrankung sowie einer somatoformen Schmerzstörung zur Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung gelangt. Diese Diagnose wurde unter erschöpfender Auswertung der im Rahmen der Untersuchung erhobenen Befunde gestellt. Sie ist in sich schlüssig und widerspruchsfrei, weshalb das Gericht keinerlei Zweifel an der Richtigkeit derselben hat. Der Sachverständige ist insbesondere auch darauf eingegangen, ob eine Simulation vorliegen könnte, hat diese aber überzeugend mit den Argumenten ausgeschlossen, dass die von der Klägerin zu 2) geschilderte Symptomatik sich in den Grundzügen über die Zeit hinweg in qualitativer und quantitativer Hinsicht nicht entgegen den klinischen Erwartungswerten verändert habe, dass die Klägerin zu 2) mit Unterstützung des Klägers zu 1) auf eigene Initiative therapeutischen Aufwand betreibe, sich regelmäßig bei einem Verein mit sozialpädagogischem Hilfsangebot vorstelle, im Bereich der Affektivität stark auffällig sei und dass auch die nachweisliche Medikamenteneinnahme gegen eine Simulation spreche. Aufgrund der wenigen und undifferenzierten Angaben der Klägerin zu 2) zeige sich auch keine Aggravation der Beschwerden, weil die Klägerin von vorneherein wenige und ungenaue Angaben zu ihren Beschwerden mache, diese nicht in einer dramatisierenden Art und Weise darstelle und somit nicht erkennbar zu einer Übertreibung des Schweregrades neige. Es folgt im Gutachten dann (Seiten 21 ff.) eine ausführliche Diskussion der Kriterien für das Vorliegen einer PTBS nach der ICD-10-Kategorie unter Ausschluss der oben genannten Differenzialdiagnosen. Zusammenfassend und auf die Fragen des Gerichts antwortend führt der Sachverständige aus (Seiten 28 ff. des Gutachtens), dass bei der Klägerin zu 2) auf psychiatrischem Fachgebiet kriterienorientiert eine PTBS nach ICD-10: F43.1 sowie eine mittelgradige depressive Episode nach ICD-10: F32.1 diagnostiziert werden könne. Die Vergewaltigung in Mazedonien sei notwendige Bedingung der PTBS, die ohne ein schädigendes Ereignis nicht eingetreten wäre. Für die depressive Erkrankung seien theoretisch auch andere Ursachen denkbar.
1.5 Das Gericht ist des Weiteren der Überzeugung, dass der Klägerin zu 2) im Falle ihrer Rückkehr nach Mazedonien eine erhebliche und konkrete Gefahr einer Retraumatisierung bzw. von Suizidversuchen aufgrund zielstaatsbezogener Umstände droht. Der Sachverständige hat hierzu erläutert, dass eine Retraumatisierung durch die Exposition mit einem Ereignis entstehe, das dem ursprünglichen traumatischen Ereignis ähnlich sei. Die Klägerin zu 2) mache keine kriegerischen Aktivitäten als Traumatisierungsursache geltend, was als günstig zu werten sei. Eine Rückkehr in ihr Herkunftsland an sich stelle damit noch keine Retraumatisierung dar. Hinweisreize auf das traumatische Erlebnis könnten das Wohnhaus, in dem die Tat stattgefunden habe, der Kontakt mit albanischen Männern und vor allem erneute sexuelle Übergriff darstellen. Außerdem könne eine Umgebung, in der die Gefahr eines erneuten sexuellen Übergriffs als real erlebt werde, zu einer Intensivierung der Symptomatik führen. Daher sollte die Klägerin zu 2) nicht in ein Gebiet, in dem vorwiegend Albaner leben und in dem sie sich als Roma gefährdet sehe, zurückkehren. Albanische Männer an sich stellten demgegenüber in Anbetracht des Umstandes, dass in der Gemeinschaftsunterkunft der Klägerin auch albanische Männer lebten, keinen abgrenzbaren zusätzlichen Belastungsfaktor dar. Als gesundheitliche Folge einer Rückkehr sei darüber hinaus die Suizidgefahr zu diskutieren, wozu lediglich eine prognostische Einschätzung abgegeben werden könne. Dabei werde davon ausgegangen, dass Patienten dann ein höheres Gefährdungspotential hinsichtlich eines Suizids hätten, wenn sie psychopathologische Symptome und andere Merkmale aufwiesen, die in Untersuchungen signifikant häufiger mit Suizid in Verbindung gebracht würden. Das Vorliegen einer psychischen Erkrankung sei der wichtigste einzelne Risikofaktor. Eine PTBS sei mit einem erhöhten Risiko für frühere Suizidversuche und Suizidgedanken verbunden. Ein erhöhtes Risiko für vollendete Suizide habe nicht nachgewiesen werden können. Bei Patienten mit einer kombinierten Erkrankung an einer PTBS und einer depressiven Episode, wie es bei der Klägerin der Fall sei, sei das Risiko für Suizidversuche erhöht. Neben derartigen, von einer Störung abhängigen Risikofaktoren erhöhe ein früherer Suizidversuch das Risiko um das 30- bis 40-fache. Bei der Klägerin habe es eine suizidale Krise in Deutschland aufgrund übermäßiger Tabletteneinnahme gegeben. Dazu sei auch die Lebenssituation der Klägerin zu beachten. Belastende Lebensereignisse wie eine Abschiebung erhöhten unter solchen Umständen das Suizidrisiko. Die Klägerin drohe auch bei einer Rückkehr in ihr Heimatland mit einem Suizid. Eine solche Suizidandrohung stelle einen weiteren Risikofaktor dar. Damit könne eine Suizidhandlung zwar nie mit letzter Sicherheit vorausgesagt werden, da es sich um ein Geschehen handle, das von verschiedenen Einflüssen abhängig sei. Bei der Klägerin bestünden aber zwei komorbide psychiatrische Störungsmuster, die wissenschaftlich gesichert mit einer erhöhten Suizidgefährdung einhergingen, sowie ein früherer Suizidversuch. Bei einer Rückkehr nach Mazedonien kämen zusätzlich die Suizidandrohung und der Belastungsfaktor der Abschiebung als Risikofaktoren hinzu. Durch eine unfreiwillige Rückkehr, die für die Klägerin eine Belastung darstellen würde, könne es zu einer weiteren depressiven Dekompensation und Intensivierung der Symptomatik kommen. Als Risikofaktor sei auch ihr psychisch erkrankter Ehemann zu nennen, weshalb die Möglichkeit einer gegenseitigen Symptomverstärkung bestehe. Aktuell fungiere der Kläger zu 1) als Stütze der Klägerin zu 2). Sollte sich sein psychischer Zustand jedoch verschlechtern, sei damit zu rechnen, dass dies auch negative Auswirkungen auf die Befindlichkeit der Klägerin haben werde.
Aufgrund dieser schlüssigen und überzeugenden Beurteilungen durch den Sachverständigen ist das Gericht davon überzeugt, dass der Klägerin im Falle einer Rückkehr nach Mazedonien eine erhebliche und konkrete Gefahr einer lebensbedrohlichen Verschlechterung ihrer schwerwiegenden psychischen Erkrankung droht, die aufgrund des Hinzutretens zusätzlicher Risikofaktoren durch die erzwungene Rückkehr und den Vorgang der Abschiebung im Falle eines Verbleibes der Klägerin zu 2) im Bundesgebiet so nicht eintreten würde. Damit liegen die Voraussetzungen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 7 Satz 1 i. V. m. Satz 2 AufenthG vor.
2. In der Person des Klägers zu 1) liegt hingegen kein Abschiebungsverbot vor. Insoweit ist der streitgegenständliche Bescheid rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Die für den Kläger zu 1) vorgelegten fachärztlichen Stellungnahmen gehen zwar von einem Verdacht auf eine PTBS aus, dieser Verdacht hat sich jedoch im weiteren Verlauf der seit dem 17. Juli 2014 andauernden ambulanten Behandlung nicht erhärtet. Damit ist das Vorliegen einer derartigen Erkrankung nicht im Sinne der hierfür durch die Rechtsprechung aufgestellten Kriterien hinreichend substantiiert vorgetragen worden (st.Rspr., z. B. BVerwG, U.v. 11.9.2007 – 10 C 8/07 – juris Rn. 15; U.v. 11.9.2007 – 10 C 17/07 – juris Rn. 15), weshalb sich eine Beweiserhebung durch das Gericht nicht aufdrängt. Die beim Kläger zu 1) festgestellten Erkrankungen (u. a. Panikstörung, rezidivierende depressive Störung) sind in Mazedonien behandelbar (vgl. Auskunft der deutschen Botschaft Skopje an das BAMF v. 16.3.2010), eine angemessene Behandlung ist dem Kläger auch in Anbetracht seiner Volkszugehörigkeit im öffentlichen Gesundheitssystem in Mazedonien tatsächlich zugänglich. Auch bei Personen, deren Sozialhilfeanspruch aufgrund eines Versäumnisses der Meldepflicht infolge eines längeren Auslandsaufenthaltes vorübergehend gesperrt ist, ist grundsätzlich der Zugang zur Krankenversicherung über den öffentlichen Gesundheitsfonds (FZO) und damit zur medizinischen Versorgung gewährleistet; der Zugang ist mithin nicht von der Sozialhilfe abhängig (vgl. Auskunft der Deutschen Botschaft Skopje an das VG Braunschweig v. 9.4.2014; VG Augsburg, U.v. 10.11.2014 – Au 5 K 14.30379 – juris). Psychiatriepatienten sind im Übrigen von der Pflicht zur Zahlung eines Eigenanteils befreit (vgl. Auskünfte der Deutschen Botschaft Skopje an das VG Braunschweig v. 9.4.2014 sowie an das VG Düsseldorf v. 3.2.2014). Die Kläger haben auch nicht vorgetragen, dass ihnen eine solche Behandlung in Mazedonien nicht zugänglich wäre, im Gegenteil hat die Klägerin zu 2) vorgetragen, ein „Gesundheitsbuch“ besessen zu haben und damit bereits im Herkunftsland in psychiatrischer Behandlung gewesen zu sein. Einen Anspruch auf einen dem bundesdeutschen Standard gleichwertigen Standard der medizinischen Versorgung im Herkunftsland hat der Kläger nicht (§ 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG n. F.).
Der Umstand, dass der Kläger zu 1) nach der Einschätzung des Sachverständigen im Gutachten vom 21. Dezember 2015 als Stütze der Klägerin zu 2) fungiert und damit zur Stabilisierung ihres Gesundheitszustandes seine Anwesenheit im Bundesgebiet erforderlich ist, vermag kein im asylgerichtlichen Verfahren zu prüfendes zielstaatsbezogenes Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 7 Satz 1 und Satz 2 AufenthG zu rechtfertigen. Insoweit ist im ausländerrechtlichen Verfahren das Vorliegen von Duldungsgründen nach § 60a AufenthG aufgrund der bestehenden Schutz- und Beistandsgemeinschaft der Ehegatten zu prüfen (Art. 6 GG).
3. Nach alledem hat die Klage in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg. Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Das Verfahren ist gemäß § 83b AsylG gerichtskostenfrei.
4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.


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