Aktenzeichen L 3 U 3/16
SGB VII § 8 Abs. 1 S. 2, § 56 Abs. 1 S. 1, S. 3
Leitsatz
1 Zu den Voraussetzungen der Anerkennung weiterer Folgen eines Arbeitsunfalls (hier: posttraumatisches Psychosyndrom, somatoforme Schmerzerkrankung, posttraumatische Belastungsstörung) sowie Gewährung einer Verletztenrente. (Rn. 38 – 59) (redaktioneller Leitsatz)
2 Zur Ablehnung weiterer Ermittlungen von Amts wegen sowie auf Antrag nach § 109 SGG. (Rn. 60 – 63) (redaktioneller Leitsatz)
Verfahrensgang
S 33 U 183/11 2015-11-25 Urt SGMUENCHEN SG München
Tenor
I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 25. November 2015 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Der Senat kann die Berufung vorliegend durch Beschluss nach § 153 Abs. 4 SGG zurückweisen. Nach § 153 Abs. 4 Sätze 1 und 2 SGG kann das Landessozialgericht, außer in den Fällen des § 105 Abs. 2 Satz 1 SGG, die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten sind vorher zu hören. Ein Fall des § 105 Abs. 2 Satz 1 SGG, in dem das SG durch Gerichtsbescheid entschieden hat, liegt hier nicht vor. Das SG hat mit Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung entschieden. Die Klägerin war bei der mündlichen Verhandlung persönlich anwesend sowie durch ihren Bevollmächtigten vertreten. Beide hatten ausreichend Gelegenheit, sich zur Sache zu äußern. Nach der Sitzungsniederschrift hat die Verhandlung insgesamt zwei Stunden gedauert. Der Senat hält die Berufung einstimmig für unbegründet und eine (erneute) mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Der Sachverhalt ist umfassend ermittelt worden. Die Beteiligten sind hierzu mit Schreiben vom 06.12.2016 gehört worden.
Die Berufung ist zulässig, insbesondere wurde sie form- und fristgerecht eingelegt (§§ 143, 151 SGG). Die Berufung bedarf gemäß § 144 SGG keiner Zulassung.
Die Berufung der Klägerin ist jedoch unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Die Klage auf Anerkennung weiterer Unfallfolgen sowie Gewährung einer Verletztenrente ist als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (vgl. BSG, Urteil vom 15.05.2012 – B 2 U 31/11 R -, juris Rn. 17 m.w.N.) bzw. kombinierte Anfechtungs- und unechte Leistungsklage (vgl. BSG, Urteil vom 15.05.2012 – B 2 U 31/11 R -, juris Rn. 17 m.w.N.) zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 05.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.02.2011 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Anspruch auf eine Verletztenrente haben nach § 56 Abs. 1 Sätze 1 bis 3 SGB VII Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 v.H. gemindert ist. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente. Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v.H. mindern. Versicherungsfälle sind Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten (§ 7 Abs. 1 SGB VII).
Vorliegend wird eine Verletztenrente infolge eines Arbeitsunfalls begehrt. Anhaltspunkte für einen Stützrententatbestand liegen nicht vor und sind auch nicht vorgetragen. Namentlich bei dem dritten Autounfall der Klägerin im April 2013 (wohl am 07.04.2013) handelte es sich um einen privaten, nicht in der gesetzlichen Unfallversicherung versicherten Unfall. Letztlich kommt es hierauf aber nicht an. Denn der Senat kann nach Ablauf von sechs Monaten nach dem hier streitgegenständlichen Arbeitsunfall vom 26.02.2009 auch keine Unfallfolgen mehr feststellen, die eine MdE von zumindest 10 v.H. bedingen könnten.
Arbeitsunfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Ein Arbeitsunfall setzt daher nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) voraus, dass der Verletzte durch eine Verrichtung vor dem fraglichen Unfallereignis den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt hat und deshalb „Versicherter“ ist. Die Verrichtung muss ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis (Unfallereignis) und dadurch einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben (Unfallkausalität und haftungsbegründende Kausalität); das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Bedingung für die Feststellung eines Arbeitsunfalls (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 17.02.2009 – B 2 U 18/07 R -, SozR 4-2700 § 8 Nr. 31 und juris Rn. 9 m.w.N.; BSG, Urteil vom 04.12.2014 – B 2 U 18/13 R -, BSGE 118, 18 und juris Rn. 16 m.w.N.), wohl aber Voraussetzung für einen Leistungsanspruch auf Verletztenrente.
Dabei müssen das Vorliegen einer versicherten Verrichtung zur Zeit des Unfalls, das Unfallereignis selbst sowie der Gesundheitserstschaden und die Unfallfolgen im Überzeugungsgrad des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen sein. Für die Nachweise der Ursachenzusammenhänge zwischen Verrichtung und Unfallereignis sowie zwischen Unfallereignis und Gesundheitserstschaden bzw. Unfallfolgen gilt der Beweismaßstab der (hinreichenden) Wahrscheinlichkeit; die bloße Möglichkeit genügt nicht (BSG, Urteil vom 02.04.2009 – B 2 U 29/07 R – juris Rn. 16; BSG, Urteil vom 17.02.2009 – B 2 U 18/07 R -, SozR 4-2700 § 8 Nr. 31 und juris Rn. 12 m.w.N.). Hinreichende Wahrscheinlichkeit liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden (BSG, Urteil vom 18.01.2011 – B 2 U 5/10 R -, SozR 4-2700 § 200 Nr. 3 und juris Rn. 20).
Die Feststellung der notwendigen Ursachenzusammenhänge richtet sich im Sozialrecht nach der Theorie der wesentlichen Bedingung. Die Theorie der wesentlichen Bedingung beruht ebenso wie die im Zivilrecht geltende Adäquanztheorie auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie als Ausgangsbasis. Nach dieser ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio-sine-qua-non). Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung in einer zweiten Prüfungsstufe die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden bzw. denen der Erfolg zugerechnet wird, und den anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen (BSG, Urteil vom 09.05.2006 – B 2 U 1/05 R -, BSGE 96, 196 und juris Rn. 13 m.w.N.).
Nach dieser Theorie der wesentlichen Bedingung werden als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs bzw. des Gesundheitsschadens abgeleitet werden (BSG, Urteil vom 09.05.2006, a.a.O., Rn. 14 m.w.N.).
Für die wertende Entscheidung über die Wesentlichkeit einer Ursache hat die Rechtsprechung folgende Grundsätze herausgearbeitet: Es kann mehrere rechtlich wesentliche Mitursachen geben. Sozialrechtlich ist allein relevant, ob das Unfallereignis wesentlich war. Ob eine konkurrierende Ursache es war, ist unerheblich. „Wesentlich“ ist nicht gleichzusetzen mit „gleichwertig“ oder „annähernd gleichwertig“. Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere(n) Ursache(n) keine überragende Bedeutung hat (haben). Ist jedoch eine Ursache oder sind mehrere Ursachen gemeinsam gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist oder sind nur die erstgenannte(n) Ursache(n) „wesentlich“ und damit Ursache(n) im Sinne des Sozialrechts. Die andere Ursache, die zwar naturwissenschaftlich ursächlich ist, aber (im zweiten Prüfungsschritt) nicht als „wesentlich“ anzusehen ist und damit als Ursache nach der Theorie der wesentlichen Bedingung und im Sinne des Sozialrechts ausscheidet, kann in bestimmten Fallgestaltungen als „Gelegenheitsursache“ oder Auslöser bezeichnet werden. Für den Fall, dass die kausale Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit derjenigen einer bereits vorhandenen krankhaften Anlage zu vergleichen und abzuwägen ist, ist darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die „Auslösung“ akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte. Bei der Abwägung kann der Schwere des Unfallereignisses Bedeutung zukommen. Dass der Begriff der Gelegenheitsursache durch die Austauschbarkeit der versicherten Einwirkung gegen andere alltäglich vorkommende Ereignisse gekennzeichnet ist, berechtigt jedoch nicht zu dem Umkehrschluss, dass bei einem gravierenden, nicht alltäglichen Unfallgeschehen oder besonderen Problemen in der anschließenden Heilbehandlung ein gegenüber einer Krankheitsanlage rechtlich wesentlicher Ursachenbeitrag ohne weiteres zu unterstellen ist (BSG, Urteil vom 09.05.2006, a.a.O., Rn. 15 m.w.N.).
Gesichtspunkte für die Beurteilung der besonderen Beziehung einer versicherten Ursache zum Erfolg sind neben der versicherten Ursache bzw. dem Ereignis als solchem, einschließlich der Art und des Ausmaßes der Einwirkung, die konkurrierende Ursache unter Berücksichtigung ihrer Art und ihres Ausmaßes, der zeitliche Ablauf des Geschehens – aber eine Ursache ist nicht deswegen wesentlich, weil sie die letzte war -, weiterhin Rückschlüsse aus dem Verhalten des Verletzten nach dem Unfall, den Befunden und Diagnosen des erstbehandelnden Arztes sowie der gesamten Krankengeschichte. Ergänzend kann der Schutzzweck der Norm heranzuziehen sein (BSG, Urteil vom 09.05.2006, a.a.O., Rn. 16 m.w.N.).
Wenn auch die Theorie der wesentlichen Bedingung auf den Einzelfall abstellt, bedeutet dies nicht, dass generelle oder allgemeine Erkenntnisse über den Ursachenzusammenhang nicht zu berücksichtigen oder entbehrlich wären. Die Kausalitätsbeurteilung hat auf der Basis des aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstandes über die Möglichkeit von Ursachenzusammenhängen zwischen bestimmten Ereignissen und der Entstehung bestimmter Krankheiten zu erfolgen (vgl. BSG, Urteil vom 09.05.2006, a.a.O., Rn. 17 ff.).
Beweisrechtlich ist außerdem zu beachten, dass der je nach Fallgestaltung ggf. aus einem oder mehreren Schritten bestehende Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und den Unfallfolgen als anspruchsbegründende Voraussetzung positiv festgestellt werden muss. Es gibt im Bereich des Arbeitsunfalls keine Beweisregel, dass bei fehlender Alternativursache die versicherte naturwissenschaftliche Ursache automatisch auch eine wesentliche Ursache ist (BSG, Urteil vom 09.05.2006, a.a.O., Rn. 20). Allein ein (ggf. enger) örtlicher und zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Unfallereignis und dem Auftreten bestimmter Symptome und Beschwerden genügt insoweit jedoch nicht (vgl. BSG, Urteil vom 09.05.2006, a.a.O., Rn. 39; BSG, Urteil vom 24.07.2012 – B 2 U 9/11 R -, SozR 4-2700 § 8 Nr. 44 und juris Rn. 60).
Ausgehend von diesen Grundsätzen, denen sich der Senat vollumfänglich anschließt und die bereits auch das SG seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, hat die Klägerin weder einen Anspruch auf Anerkennung weiterer Unfallfolgen noch einen Anspruch auf Gewährung einer Verletztenrente.
Die Beklagte ist bei ihrer Entscheidung mit Bescheid vom 05.10.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.02.2011 davon ausgegangen, dass die Klägerin bei dem von der Beklagten bestandskräftig anerkannten Arbeitsunfall vom 26.02.2009 eine Schädelprellung sowie diverse Körperprellungen erlitten hat; diese wesentlich ursächlich auf das Unfallereignis zurückzuführenden Gesundheitserstschäden sind jedoch folgenlos verheilt. Außerdem hat die Beklagte zugrunde gelegt, dass es bei der Klägerin infolge des Unfalls zu einer vorübergehenden Verschlimmerung sowohl einer vorbestehenden depressiven Erkrankung als auch einer vorbestehenden Erkrankung des Stütz- und Bewegungsapparates gekommen ist. Die Verschlimmerung dieser vorbestehenden Erkrankungen hat nach Ansicht der Beklagten eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit für die Dauer von sechs Monaten ab dem Unfall begründet. Ein Anspruch auf Verletztenrente hat anschließend zu keinem Zeitpunkt bestanden, weil eine MdE in einem Umfang von mindestens 20 v.H. nicht besteht.
Diese Entscheidung der Beklagten ist aus Sicht des Senats nicht zu beanstanden. Der Senat kann sich weder davon überzeugen, dass die Klägerin an weiteren andauernden Gesundheitsstörungen (Unfallfolgen) leidet, die mit hinreichender Wahrscheinlichkeit wesentlich ursächlich auf den Arbeitsunfall zurückgeführt werden können, noch, dass die unfallbedingte Verschlimmerung der o.g. vorbestehenden Erkrankungen über einen Zeitraum von sechs Monaten nach dem Unfall hinaus vorgelegen hat. Der Senat ist vielmehr davon überzeugt, dass bei der Klägerin – jedenfalls nach Ablauf von sechs Monaten – keine Unfallfolgen mehr vorgelegen haben, so dass ein Anspruch auf Rente ebenfalls ausscheidet.
Das SG hat in seinem Urteil vom 25.11.2015 die vorliegenden Unterlagen und eingeholten Sachverständigengutachten bereits eingehend und zutreffend auf der Grundlage der maßgeblichen Rechtsprechung des BSG gewürdigt. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat daher gemäß § 153 Abs. 2 SGG auf die Ausführungen des SG und sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.
Zusammenfassend bzw. ergänzend ist aus Sicht des Senats folgendes auszuführen:
Der Senat ist davon überzeugt, dass die Klägerin bei dem Arbeitsunfall am 26.02.2009 lediglich leichtere Verletzungen in Form einer Kopfplatzwunde, oberflächlichen Weichteilverletzungen, Prellungen und ggf. Zerrungen erlitten hat. Derartige Verletzungen heilen in der Regel binnen weniger Wochen bis allenfalls Monaten folgenlos aus und sind nicht geeignet, zu länger andauernden gesundheitlichen Folgen zu führen. Dass dies bei der Klägerin anders gewesen sein könnte, vermag der Senat nicht festzustellen. Die Beklagte ist hier von einer unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit der Klägerin von sechs Monaten ausgegangen; Verletztengeld wurde von der Beklagten sogar tatsächlich bis 15.08.2010 gezahlt (vgl. § 72 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII zum Beginn von Renten). Ausgehend von den Gutachten des Sachverständigen Sch. (welches im Wege des Urkundsbeweises verwertet wird), des Dr. B., des Dr. L. und des Dr. B., aber auch des Prof. Dr. B. sowie in Teilen auch des Gutachtens des Dr. P. ist der Senat davon überzeugt, dass bei der Klägerin spätestens sechs Monate nach dem Unfall keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen mehr vorgelegen haben, die mit hinreichender Wahrscheinlichkeit wesentlich ursächlich auf den Arbeitsunfall zurückgeführt werden können. In diesem Zusammenhang ist ausdrücklich zu betonen, dass auch den Ausführungen des Sachverständigen Sch. letztlich nur eine vorübergehende Verschlechterung einer vorbestehenden psychischen Erkrankung entnommen werden kann. Soweit der Sachverständige Sch. die Dauer mit sechs bis zwölf Monaten einschätzt, erscheint dem Senat die Schätzung bezüglich der sechs Monate plausibel. In Anbetracht der nur geringen körperlichen Verletzungen der Klägerin bei dem Unfall vermag sich der Senat nicht davon zu überzeugen, dass nach Ablauf von sechs Monaten noch eine unfallbedingte Verschlimmerung vorgelegen hat. Der Sachverständige Sch. selbst kann für die Dauer des von ihm gewählten Zeitraumes seinerseits keinen konkreten Beleg benennen. Auch eine konkrete Differenzierung zwischen den vorbestehenden Einschränkungen und dem unfallbedingten Verschlimmerungsanteil kann er nicht vornehmen. Hinzu kommt, dass die aus der Zeit vor dem Arbeitsunfall dokumentierten Beschwerden der Klägerin grundsätzlich in Art und Umfang mit denjenigen übereinstimmen, die danach angegeben werden.
Demgegenüber ist für den Senat im Vollbeweis erwiesen, dass die Klägerin bereits vor dem Arbeitsunfall an Gesundheitsstörungen im Sinne einer depressiven Erkrankung sowie einer Erkrankung des Stütz- und Bewegungsapparates gelitten hat. Bereits seit 1995 befand sich die Klägerin wegen rezidivierender Phasen der psychovegetativen Erschöpfung und rezidivierenden Verspannungen im HWS-Bereich in Behandlung. 1999 kam es zu Verschlechterungen mit Angstzuständen, Schlaf- und Konzentrationsstörungen und intermittierendem Herzrasen. Diagnostiziert wurde eine mittelgradige depressive Episode. Später (noch vor dem Arbeitsunfall vom 26.02.2009) wurde eine Panikstörung diagnostiziert. 2004 kam es im Rahmen eines Arbeitsplatzkonfliktes und einer innerbetrieblichen Umsetzung erneut zu einer Verschlechterung der depressiven Symptomatik und der somatoformen Beschwerden, die zu einer stationären rehabilitativen Behandlung führte. In diesem Zusammenhang hat die behandelnde W.-Klinik A. ausdrücklich auf Panikattacken im Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit der Klägerin in der Notaufnahme und dem Kontakt mit (Unfall-)Verletzten und Schwerkranken hingewiesen. Noch kurz vor dem Unfall wurde anlässlich einer stationären Rehabilitationsbehandlung wegen eines Asthma bronchiale bis 10.02.2009 die depressive Störung beschrieben, wenn auch damals nur als leicht ausgeprägt.
Die Krankheitsvorgeschichte der Klägerin zeigt aus Sicht des Senats zudem deutlich auf, dass die Klägerin bereits vor dem Arbeitsunfall vom 26.02.2009 psychisch belastet gewesen ist und außerdem alltägliche Ereignisse geeignet gewesen sind, bei ihr Symptome einer depressiven Erkrankung auszulösen, die denjenigen entsprechend, wie sie von der Klägerin auch nach dem Unfall weiter vorgetragen werden (z.B. Depression, Angst, Schmerzen, Konzentrationsstörungen, Schwindel). Als alltägliche Ereignisse sind hier zum Einen Arbeitsplatzkonflikte zu nennen; die Klägerin fühlte sich außerdem durch ihre Tätigkeit in einer Notaufnahme belastet und schilderte bereits vor ihrem Arbeitsunfall z.B. eine Angst vor Unfällen. Zum anderen kam es bei der Klägerin 1999 sogar nach einem grippalen Infekt zu einer Verschlimmerung der depressiven Symptomatik. Bereits am 20. September 2002 wurden CT-Aufnahmen der oberen HWS und des cranio-cervikalen Überganges zur Abklärung von bereits damals bestehenden Schwindelbeschwerden angefertigt. Der Sachverständige Prof. Dr. B. hat darüber hinaus ausdrücklich darauf hingewiesen, dass erfahrungsgemäß eine langdauernde juristische Auseinandersetzung meist störungsaufrechterhaltend wirkt bzw. die Symptomatik verschlimmern kann.
Soweit bei der Klägerin bildgebend Veränderungen im Bereich der Wirbelsäule, insbesondere im Bereich der HWS, festgestellt worden sind, werden diese übereinstimmend von allen Sachverständigen als degenerative, nicht mit dem Unfall im Zusammenhang stehende Veränderungen eingeschätzt. Der Senat hat keine Bedenken, sich dieser Beurteilung anzuschließen. Relevante Traumatisierungen im Bereich der Wirbelsäule, durch die ein Gesundheitserstschaden in diesem Bereich belegt werden könnte, werden von keinem Sachverständigen festgestellt. Ein Schmerzsyndrom der HWS wurde überdies bereits anlässlich einer Rehabilitationsmaßnahme in R. aus dem Jahr 2000 als Diagnose genannt.
Die Klägerin macht namentlich die Anerkennung folgender, von Dr. P. genannter Unfallfolgen geltend: 1. Posttraumatisches Psychosyndrom und ein Z.n. Commotio cerebri mit kognitiven Defiziten und Gleichgewichtsstörungen. 2. Somatoforme Schmerzerkrankung mit depressiven und ängstlichen Komponenten auf dem Boden einer psychovegetativen gesteigerten Erregbarkeit und der degenerativen Wirbelsäulenveränderungen. 3. Posttraumatische Belastungsstörung.
Vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen kann sich der Senat ebenso wenig wie das SG davon überzeugen, dass diese Gesundheitsstörungen bei der Klägerin überhaupt vorliegen (dies gilt insbesondere für die Nrn. 1. und 3., die von den Sachverständigen Sch. und Prof. Dr. B. ausdrücklich verneint werden) bzw. mit hinreichender Wahrscheinlichkeit wesentlich ursächlich auf den Arbeitsunfall zurückgeführt werden können (dies gilt insbesondere für die Beschwerden im Sinne der Nr. 2., die Ausdruck vorbestehender Erkrankungen sind). Dr. P. begründet seine Diagnosestellung im Wesentlichen mit allgemeingültigen Erwägungen. Mit der individuellen Situation der Klägerin und den bei ihr einschlägigen Vorerkrankungen setzt er sich nicht ausreichend auseinander. Einen objektivierbaren Gesundheitserstschaden, auf den weitere Unfallfolgen zurückgeführt werden könnten, benennt auch er nicht. Eine bloße Schädelprellung kann hingegen keine kognitiven Störungen auslösen. Hinweise auf cerebrale Funktionsstörungen haben sich zu keinem Zeitpunkt ergeben und wurden auch von Dr. P. nicht dargelegt. Auf den Umstand, dass Dr. P. seine Diagnosen nicht anhand der Kriterien eines international anerkannten Diagnosesystems bezeichnet hat, kommt es im Ergebnis nicht an. Soweit sich Dr. P. in seinen Ausführungen teilweise auf einen dritten Autounfall der Klägerin am 07.04.2013 bezieht, ergeben sich hieraus keine entscheidungserheblichen Konsequenzen für das hiesige Verfahren. Zum einen handelt es sich um einen privaten Unfall, zum anderen grenzt Dr. P. die von ihm angenommen Folgen der getrennt zu betrachteten Unfälle nicht voneinander ab.
Soweit das SG in seinem Urteil Bezug nimmt auf die unfallversicherungsrechtliche Begutachtungsliteratur (hier: Schönberger/ Mehrtens/ Valentin – Sch/M/V -, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Auflage 2010) liegt hierzu zwar zwischenzeitlich die neue, 9. Auflage mit dem Erscheinungsjahr 2017 vor. Entscheidungserhebliche Änderungen ergeben sich daraus jedoch nicht.
Weitere Ermittlungen von Amts wegen mussten sich dem Senat nicht aufdrängen. Auch soweit der Bevollmächtigte der Klägerin nach § 109 SGG weitere Ermittlungen beantragt hat, brauchte der Senat dem nicht nachzukommen.
Soweit der Bevollmächtigte beantragt hat, „ein MRT unter Verwendung von Kontrastmitteln durchzuführen“, ist nicht ersichtlich, mit welchem Ziel eine derartige Bildgebung veranlasst werden sollte. Es liegen bereits verschiedene Bildgebungen vor, die von den Sachverständigen (insbesondere auch von Dr. P.) ausgewertet worden sind. Dabei hat keiner der Sachverständigen die Notwendigkeit weiterer Ermittlungen gesehen. Außerdem hat die Klägerin 2013 einen weiteren Autounfall erlitten. Es ist somit nicht ersichtlich, welche Erkenntnisse eine aktuelle MRT-Aufnahme für die Bewertung der Folgen des Unfalles vom 26.02.2009 bringen könnte. Ermittlungen ins Blaue hinein sind nicht veranlasst. Soweit der Bevollmächtigte im weiteren Verlauf „eine sogenannte Upright-MRT-Untersuchung“ beantragt hat, gelten dieselben Erwägungen.
Der Bevollmächtigte der Klägerin hat zudem die Einholung von Gutachten auf psychiatrischem und auf radiologischem Fachgebiet für notwendig erachtet und deren Einholung sowohl nach § 106 SGG angeregt als auch nach § 109 SGG beantragt. Der Senat sieht sich nicht veranlasst, dem nachzukommen. Denn es haben einerseits bereits Begutachtungen unter psychiatrischen, psychologischen, traumatherapeutischen und neuropsychologischen Gesichtspunkten stattgefunden (Sachverständiger Sch. und Dr. B. sowie – auf Antrag nach § 109 SGG – Prof. Dr. B./ Dipl.-Psych. F. und Dr. P., der nicht nur Arzt, sondern auch Dipl.-Psych. ist). Weitere Ermittlungen von Amts wegen mussten sich vor diesem Hintergrund nicht aufdrängen und auch ein Grund, einem weiteren Antrag nach § 109 SGG auf Begutachtung auf psychiatrischem Fachgebiet stattzugeben, besteht nicht. Ein Sachverständiger ist überdies gar nicht genannt worden. Die Bildgebung wurde andererseits insbesondere bereits eingehend durch den neurochirurgischen Sachverständigen Dr. P. ausgewertet. Dieser bezieht sich in seinem Gutachten insbesondere auf Nativaufnahmen der HWS aus dem Jahr 2001 und 2003, CT-Aufnahmen der HWS, die unmittelbar nach dem Unfall angefertigt worden sind, sowie MRT-Aufnahmen der HWS aus den Jahren 2009, 2013 und 2014. Eingegangen ist der Sachverständige auch auf die Bildgebung zur BWS und LWS. Zudem wurden neurologische Untersuchungen (z.B. Messungen der Nervenleitgeschwindigkeiten sowie ein EEG) durchgeführt. Welche entscheidungserheblichen Fragen hier offen geblieben sein könnten, ist nicht ersichtlich. Dem weiteren Antrag nach § 109 SGG auf Einholung eines radiologischen Gutachtens ist ebenfalls nicht zu entsprechen. Insbesondere liegen keine neuen Gesichtspunkte vor, zu denen sich die in erster Instanz nach § 109 SGG genannten und gehörten Sachverständigen noch nicht haben äußern können. Dass die Begutachtungen nicht zu dem von der Klägerin gewünschten Ergebnis geführt haben bzw. der Senat ihnen nicht in vollem Umfang zu folgen vermag, begründet keinen Anspruch auf eine weitere Begutachtung.
Schließlich muss der Senat dem Antrag des Bevollmächtigten der Klägerin auf Einholung eines unfallanalytischen Gutachtens nicht nachkommen. Es kann zugunsten der Klägerin vorliegend unterstellt werden, dass ein schwerer Unfall vorgelegen hat, der seinerseits grundsätzlich geeignet gewesen wäre, auch schwere Verletzungen zu verursachen. Im Fall der Klägerin ist jedoch der Nachweis entsprechender schwerer bzw. weiterer Verletzungen nicht gelungen. Dieser Nachweis obliegt jedoch medizinischen, nicht unfallanalytischen Sachverständigen. Ist demnach kein unfallanalytisches Gutachten einzuholen besteht auch keine Notwendigkeit, ein darauf aufbauendes weiteres orthopädisches Gutachten einzuholen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision ist nicht zuzulassen, da weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch das Urteil von einer Entscheidung des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG).