Sozialrecht

Anspruch auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente

Aktenzeichen  L 19 R 541/16

Datum:
24.10.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 134474
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VI § 43 Abs. 1, § 240 Abs. 1 Nr. 1

 

Leitsatz

1 Zur Leistungsbeurteilung im Rentenrecht bei einer bipolar affektiven Störung. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
2 Zum rentenrechtlichen Berufsschutz als Krankenschwester. (Rn. 26) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 6 R 954/15 2016-06-21 Urt SGWUERZBURG SG Würzburg

Tenor

I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 21.06.2016 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Streitig ist zwischen den Beteiligten, ob die Klägerin gegen die Beklagte aufgrund ihres Antrags vom 05.05.2015 Anspruch auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente hat.
Die 1957 geborene Klägerin hat in der Zeit vom 01.10.1974 bis 30.09.1977 eine Ausbildung als examinierte Krankenschwester erfolgreich absolviert und war in diesem Beruf mit Unterbrechungen bis 2013 beschäftigt. Seit 2015 ist die Klägerin bis laufend in mehreren geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen tätig, unter anderem beim Bischöflichen Ordinariat B-Stadt mit Reinigungsarbeiten im Umfang von sieben bis zehn Stunden monatlich, bei verschiedenen Familienmitgliedern, Bekannten mit Reinigungsarbeiten, Bügelarbeiten.
Am 05.05.2015 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung von Erwerbsminderungsrente und gab an, sich seit Ende 2013 erwerbsgemindert zu fühlen. Sie leide an Depressionen, sei antriebslos und verwirrt. Ferner bestünden Schulterbeschwerden (Impingement). Sie könne keine Tätigkeiten mehr verrichten. Sie sei seit Ende 2013 laufend arbeitsunfähig erkrankt.
Die Beklagte holte ein neurologisch-psychiatrisches Gutachten von Dr. M. ein, der am 07.07.2015 zu dem Ergebnis gelangte, dass die Klägerin ihre letzte Tätigkeit noch sechs Stunden und mehr verrichten könne und auch für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes ein mindestens 6-stündiges Leistungsvermögen unter Berücksichtigung qualitativer Leistungseinschränkungen hinsichtlich der geistig/psychischen Belastbarkeit bestehe.
Die Beklagte lehnte daraufhin mit streitgegenständlichem Bescheid vom 23.07.2015 eine Rentengewährung ab. Den hiergegen am 17.08.2015 eingelegten Widerspruch, der mit Schreiben vom 18.09.2015 dahingehend begründet wurde, dass bei der Klägerin eine bipolar affektive Störung mit rezidivierenden schweren depressiven Episoden vorliege, in der sich Kraftlosigkeit, Antriebs- und Konzentrationsstörungen und Grübelneigung bis hin zu Suizidgedanken zeigten, wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 05.10.2015 als unbegründet zurück. Dr. M. habe in seinem Gutachten festgestellt, dass die Klägerin zum Untersuchungszeitpunkt weder physische noch psychische Beschwerden gehabt habe. Im psychischen Befund sei die Stimmung ausgeglichen gewesen. Es zeigten sich primär-persönliche religiöse Ideen, aber kein Wahn. Antrieb, Konzentration, Mnestik und formales Denken seien regelrecht gewesen. Nach der Einschätzung von Dr. M. könne die Klägerin zumindest mittelschwere Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Beachtung von Funktionseinschränkungen weiterhin mindestens 6-stündig ausführen. Auch eine Tätigkeit als Krankenschwester sei nach den Feststellungen von Dr. M. möglich.
Hiergegen hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin am 03.11.2015 Klage zum Sozialgericht Würzburg (SG) erhoben und mit Schriftsatz vom 02.11.2015 darauf hingewiesen, dass der Klägerin jedenfalls eine teilweise Erwerbsminderungsrente bei Berufsunfähigkeit zu gewähren sei. Es bestünden schwerwiegende Leistungsbeeinträchtigungen durch eine psychische Erkrankung mit wahnhaften Störungen. Sie könne ihren Alltag nur mit Hilfe von Familienangehörigen bewältigen. Aufgrund der Schwere des Krankheitsbildes der Klägerin müsse davon ausgegangen werden, dass es ihr nicht möglich sei, im Beruf als Krankenschwester noch auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Tätigkeiten von mindestens 6-stündiger täglicher Dauer zu verrichten. Der medizinische Sachverhalt sei auf nervenärztlichem Fachgebiet nicht genügend aufgeklärt.
Das SG hat einen Befundbericht des Facharztes für Allgemeinmedizin K. B. beigezogen, der angab, dass sich die Klägerin im Jahr 2014 nur zweimal und im Jahr 2015 nur einmal am 15.12.2015 vorgestellt habe. Es sei an Beschwerden geäußert worden rezidivierende Apathie, Lustlosigkeit, Kraftlosigkeit, Müdigkeit. Es habe ein ausführliches Gespräch stattgefunden sowie Ausstellung von Rezepten im Jahr 2014. Die Klägerin leide an Depressionen, die von Frau Dr. D. behandelt würden. Des Weiteren hat das SG einen Befundbericht von Frau Dr. D., Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, D-Stadt, beigezogen. Diese berichtete von einer erstmaligen ambulanten Behandlung im Dezember 2014, die letzte Vorstellung war am 22.10.2015 erfolgt. Bei fehlendem Krankheitsgefühl und euphorischer Grundstimmung seien religiös getragene Ideen ohne Realitätsbezug vorgetragen worden. In der Vorgeschichte seien schwere rezidivierende depressive Episoden berichtet worden, teilweise mit Suizidgedanken. Fremdanamnestisch sei seitens der Schwester geschildert worden, dass die Klägerin ohne ersichtlichen Grund im Zusammenhang mit den religiösen Ideen ihre Wohnung einfach aufgegeben habe, ihre Arbeit als Krankenschwester nach 40 Jahren grundlos abgebrochen habe, viele Ideen geäußert habe ohne Realitätsbezug. Sie sei nicht in der Lage, sich um ihre Angelegenheiten zu kümmern, sei deswegen mittellos, zeige aber insgesamt wenig Einsicht in ihre problematische Lebenssituation. Anhalt für eine paranoide Psychose oder schizoaffektive Erkrankung hätten nicht bestanden.
Das SG hat sodann ein nervenärztliches Gutachten von Dr. W. eingeholt, die am 29.04.2016 zu folgender Diagnose gelangt ist: Bipolare affektive Störung mit kürzeren depressiven, zum Teil auch hypomanen Zuständen.
Unter Berücksichtigung der Gesundheitsstörungen sei der Klägerin zu den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes eine mindestens 6-stündige Tätigkeit zumutbar. Es sei darauf hinzuweisen, dass keinerlei adäquate Behandlung der bipolar affektiven Störung vorliege, hier noch sämtliche therapeutische Optionen genutzt werden könnten. Es könne sich um leichte bis mittelschwere und schwere Tätigkeiten handeln. Vermieden werden sollten jedoch Tätigkeiten mit besonderer nervlicher Belastung wie Akkord-/Fließbandarbeiten, Wechsel-/Nachtschicht, Arbeiten an laufenden Maschinen und Lärm. Die Wegefähigkeit der Klägerin sei gegeben. Herr Dr. M. habe in seinem Gutachten vom Juli letzten Jahres die Diagnose einer rezidivierenden depressiven Störung gestellt. Aufgrund der zusätzlich hypomanen Zustände sei aber von der bipolar affektiven Störung auszugehen. Da die Klägerin jedoch keinerlei Behandlungen in Anspruch nehme, ergäben sich hier noch Interventionsmöglichkeiten, die zu einer weiteren Stabilisierung führen könnten. Vom sozialmedizinischen Aspekt her ergäben sich insgesamt keine Diskrepanzen zum Vorgutachten von Dr. M … Die geminderte Erwerbsfähigkeit bestehe seit Antragstellung und sei auf Dauer anzusetzen. Wesentlich wäre eine regelmäßige Anbindung an einen Nervenarzt mit entsprechender Einleitung einer Pharmakotherapie.
Zum Gutachten von Dr. W. hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 20.06.2016 eine Stellungnahme von Dr. D. vom 15.06.2016 übersandt, wonach, dem Wesen der Erkrankung entsprechend, keinerlei Krankheitsgefühl bei der Klägerin bestehe. Die Einnahme einer Medikation werde trotz umfangreich erfolgter Psychoedukation abgelehnt, so dass sich bisher keine wesentliche Änderung im Befinden hätte erzielen lassen. Entsprechend ließen sich die therapeutischen Möglichkeiten bisher nicht ausschöpfen. Es zeigten sich unverändert erhebliche Einschränkungen in der Alltagsbewältigung. Die Klägerin benötige umfangreiche Unterstützung durch ihre Familie.
Das SG hat sodann aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 21.06.2016 die Klage mit Urteil vom gleichen Tag als unbegründet abgewiesen. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, dass aufgrund des eingeholten Gutachtens von Dr. W. davon auszugehen sei, dass die Klägerin unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein könne und somit nach § 43 Abs. 3 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) nicht erwerbsgemindert sei. Ausdrücklich habe Dr. W. darauf hingewiesen, dass keinerlei adäquate Behandlung der bipolar affektiven Störung vorliege und hier noch sämtliche therapeutische Optionen genutzt werden könnten. Die Klägerin habe auch keinen Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit, da nach dem Gutachten von Dr. W. die Klägerin den Anforderungen, die eine Tätigkeit als Krankenschwester bedingen würden, gewachsen sei. Unabhängig davon könne die Klägerin die Tätigkeit als Krankenschwester auch in einem betriebsärztlichen Dienst eines Unternehmens oder einer öffentlichen Verwaltung ausüben. Es bestehe deshalb auch kein Anspruch auf Rente nach § 240 SGB VI.
Hiergegen hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin am 10.08.2016 beim SG Berufung eingelegt, die am 16.08.2016 an das Bayer. Landessozialgericht weitergeleitet wurde. Zur Begründung wurde mit Schriftsatz vom 13.12.2016 darauf hingewiesen, dass das SG das Ausmaß des psychischen Krankheitsbildes der Klägerin nicht ausreichend berücksichtigt habe. Die Klägerin stehe in ständiger Behandlung bei der Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. D … Mit der Problematik der Behandlungsunfähigkeit setze sich die Gutachterin Dr. W. nicht auseinander. Vielmehr werde formelhaft ausgeführt, dass keine adäquate Behandlung der psychischen Erkrankung erfolge. Die vom SG zitierte Rechtsprechung des LSG (Urteil vom 18.03.2015 – L 19 R 495/11) sei im vorliegenden Fall nicht einschlägig, da die Klägerin behandlungsunfähig sei. Zur Beurteilung des psychopathologischen Befundes seien allein die Schilderungen der Klägerin nicht ausreichend, sondern es sei die Erhebung einer Familienanamnese erforderlich. Die Schwestern der Klägerin könnten bestätigen, dass die Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit der Klägerin aufgrund der psychischen Erkrankung massiv eingeschränkt sei. Eine Alltagsbewältigung sei nur mit Hilfe von Familienangehörigen möglich. So würden beispielsweise Behördengänge von der Schwester der Klägerin, Frau M. U., getätigt. Arzttermine könnten nur dann wahrgenommen werden, wenn die Klägerin von ihrer Schwester M. vorzeitig informiert, telefonisch geweckt und zum Termin gefahren werde. Des Weiteren lege die Klägerin häufig ein unangemessenes Verhalten an den Tag. So habe die Klägerin beispielsweise den von der Familie weggeworfenen Weihnachtsbaum ohne Wurzel in den Garten eingepflanzt, da sie der Ansicht gewesen sei, dass noch Wunder geschehen könnten. Des Weiteren lasse die Klägerin aufgrund ihrer starken religiösen Überzeugung Spielzeug ihrer Nichte verschwinden, welches mit Hexen und Zauberern zu tun habe. Während der manischen Phasen habe die Klägerin bereits beispielsweise Flüchtlinge in ihr Haus aufnehmen wollen, eine Pilgerstätte eröffnen und ein Kinderheim aufmachen wollen. In den depressiven Phasen hingegen sei die Klägerin wortlos, ängstlich und verschlossen. Aufgrund der Erkrankung finde ein Sozialleben kaum mehr statt. Aufgrund religiös getragener Ideen ohne Realitätsbezug habe auch keine berufliche Wiedereingliederung stattfinden können. Eine Tätigkeit im Gesundheitswesen sei nicht mehr möglich gewesen, da die Klägerin das Leid der Personen nicht ausgehalten habe. Die Tätigkeit als Zeitungsausträgerin habe abgebrochen werden müssen, da die Klägerin der Meinung gewesen sei, dass Werbung den Menschen verderbe. Die behandelnde Fachärztin Frau Dr. D. halte eine Rechtsbetreuung der Klägerin für notwendig. Die Klägerin sei nicht mehr in der Lage, ihre Angelegenheiten im ausreichenden Maße selbst zu regeln. Dem psychopathologischen Befund von Frau Dr. W., wonach sich die Klägerin am Untersuchungstag gänzlich unauffällig gezeigt habe, sei nicht zu folgen. Man dürfe nicht unberücksichtigt lassen, dass alleine die mit der Aufregung einer Begutachtung verbundene Stresshormonausschüttung zu einer Aktivierung und Tatkräftigkeit führe, die die Klägerin einem fremden Gutachter gegenüber häufig in einem muntereren Zustand auftreten ließen, als dies im Alltagsleben die Regel sei. Beigefügt waren dem Schriftsatz eine fachärztliche Stellungnahme von Dr. D. vom 25.10.2016 und ein persönliches Schreiben von C. J., Schwester der Klägerin, vom 12.10.2016. Hierzu hat die Beklagte durch den Prüfarzt Dr. M. am 02.02.2017 Stellung genommen.
Der Senat hat Befundberichte der behandelnden Ärzte beigezogen. Frau Dr. D. berichtet in ihrem Befundbericht vom 24.04.2017, dass bei der Klägerin die Diagnose einer bipolar affektiven Störung mit psychotischen Symptomen gegeben sei. Im Behandlungszeitraum habe sich keine Änderung des Befindens erzielen lassen. Behandlungen und Untersuchungen sowohl ambulant als auch stationär seien von der Klägerin abgelehnt worden. Es bestehe keinerlei Krankheitsgefühl oder Krankheitseinsicht. Die Einnahme einer Medikation sei abgelehnt worden. Es bestünden laut Fremdanamnese insbesondere ausgeprägte Einschränkungen in der Alltagsbewältigung, letztendlich gelinge eine Lebensführung nur durch umfangreiche Unterstützung durch die Familie. Die Fachärztin für Innere Medizin E. berichtet unter dem 25.07.2017, dass die Klägerin ab 2016 nur einmalig vorstellig geworden sei wegen eines unauffälligen Zeckenbisses. Die Zecke sei komplett entfernt und mit Jod-Salbe nachbehandelt worden. Ab 2016 hätten weder ambulante noch stationäre Behandlungen stattgefunden.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 21.06.2016 sowie den Bescheid der Beklagten vom 23.07.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.10.2015 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin auf ihren Antrag vom 05.05.2015 hin Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung, und weiter hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 21.06.2016 zurückzuweisen.
Bezüglich der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Rentenakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz verwiesen.
II.
Der Senat konnte durch Beschluss nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält. Die Beteiligten wurden vorher gehört.
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 SGG). Sie ist jedoch unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Erwerbsminderungsrente gegen die Beklagte. Eine dauerhafte Einschränkung des zeitlichen Leistungsvermögens der Klägerin ist weder für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes noch für eine Tätigkeit als Krankenschwester gegenwärtig nachgewiesen.
Gemäß § 43 Abs. 1 SGB VI haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie 1. teilweise erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Tätigkeit oder Beschäftigung haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes für mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Einen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung haben nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Zur Überzeugung des Senats steht fest, dass das Leistungsvermögen der Klägerin gegenwärtig dauerhaft noch nicht auf unter sechs Stunden täglich abgesunken ist, sondern dass sie nach wie vor in der Lage wäre, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes noch mindestens sechs Stunden täglich tätig zu sein. Vermieden werden müssten lediglich nervlich besonders belastende Tätigkeiten. Der Senat gelangt zu dieser Überzeugung aufgrund der im Rentenverfahren eingeholten Sachverständigengutachten von Dr. M. und im sozialgerichtlichen Verfahren von Dr. W … Beide bestätigen sowohl für den zuletzt ausgeübten Beruf der Klägerin als Krankenschwester als auch für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes ein mindestens 6-stündiges Leistungsvermögen, wenn auch unter Beachtung qualitativer Einschränkungen hinsichtlich des geistig/ psychischen Belastungspotentials.
Die Sachverständigen haben übereinstimmend darauf hingewiesen, dass die Klägerin unter einer bipolar affektiven Störung leidet, die einerseits zu einer starken Aktivität der Klägerin in den manischen Phasen führt, wiederum vorübergehend in den depressiven Phasen andererseits eine Arbeitsleistung nicht möglich ist. Beide Sachverständige haben ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Klägerin selbst schildert, dass diese unterschiedlichen Phasen oftmals nur wenige Tage anhalten und sie im Übrigen aber in ihrer Lebensgestaltung nicht eingeschränkt ist. Es ist in der Akte dokumentiert, dass die Klägerin in mehreren Familien Pflegeleistungen erbringt, dass sie nebenher in der Kirche Reinigungsarbeiten verrichtet und dass sie sich auch um ihren eigenen Haushalt und ihre Angelegenheiten kümmern kann, ebenso um den Haushalt und den Garten der Mutter. Der Tagesablauf, den die Klägerin bei Dr. W. geschildert hat, zeigt durchaus eine Strukturierung und eine Fähigkeit der Klägerin, notwendige Tätigkeiten geordnet zu verrichten. Sie schildert, dass es ihr unterschiedlich gehe, teilweise gebe es Tage, an denen sie nicht aus dem Bett komme, aber andererseits aber auch Phasen mit einer gehobenen Stimmungslage. Dies sei zuletzt am Ostersonntag gewesen, hier habe sie Musik gehört und getanzt. Es bestehe dabei aber keine ins Gewicht fallende Antriebsteigerung, keine Enthemmung, keine Schlafstörung. Die Klägerin schilderte ihre Sicht der Welt oft etwas weitschweifig, hier zeigte sie sich sehr christlich orientiert. Aktuell ergeben sich keine Hinweise auf paranoide Inhalte, Halluzinationen, Störungen des Ich-Erlebens. Der Intellekt ist als im Normbereich liegend anzusehen. Es zeigten sich auch keine Störungen der Konzentration, Aufmerksamkeit oder Auffassungsgabe. Die Klägerin war bei Dr. W. problemlos in der Lage, ihre Krankheitsvorgeschichte und Biografie zu erläutern. Sie konnte auch entsprechende Eckdaten korrekt benennen. Gegenüber Dr. W. hat die Klägerin angegeben, dass sie seit 1972, d. h. seit dem 15. Lebensjahr, an rezidivierenden depressiven und zum Teil auch hypomanen Episoden leide. Damals habe es damit begonnen, dass sie das Attentat in München erlebt habe, zudem sei ihr neues Fahrrad gestohlen worden. Hier sei sie erstmals in eine depressive Episode, zum Teil auch mit Auftreten von lebensüberdrüssigen Gedanken gekommen. Im Laufe ihres Lebens sei es zu rezidivierenden depressiven Phasen gekommen, mit gedrückter Stimmungslage, vermehrtem Grübeln, einem reduzierten Antrieb. In solchen Phasen sei sie nicht in der Lage gewesen etwas zu machen, sie müsse sich nur ins Bett legen. Anfangs seien immer wieder einmal Suizidgedanken aufgetreten. Sie habe dann aber die Eucharistie richtig verstanden, habe gewusst, dass sie damit nie wieder Probleme haben würde. Neben diesen depressiven Phasen sei es auch zu befreienden Phasen gekommen, mit gehobener Stimmung, dem Gefühl, auch anderen Menschen helfen zu wollen. Sie habe dann z. B. ein Buch, was ihr sehr viel gegeben habe, mehrfach gekauft und an Freunde weiterverschenkt, habe auch neue Heilmethoden entdeckt.
Im Hinblick auf bestehende Behandlungsoptionen, die Dr. W. in ihrem Gutachten ausführlich dargelegt hat, ist festzuhalten, dass sich die Klägerin bis heute nicht in psychotherapeutische Behandlung begeben hat und dass sie auch keinerlei Medikation in Anspruch nimmt. Sie hat lediglich Johanniskrautpräparate, die sie bei Bedarf eigenmächtig einnimmt. Dr. W. hat hierzu ausdrücklich darauf hingewiesen, dass durch die bedarfsbezogene Einnahme von Johanniskraut sicherlich keine durchgreifende Besserung der geschilderten klinischen Symptomatik erreicht werden könne. Ein von Dr. D. verordnetes Medikament wird wohl nicht genommen, sondern „nur für den absoluten Notfall bereitgehalten“. Frau Dr. W. hat in ihrem Gutachten überzeugend dargelegt, dass die Klägerin während der Begutachtung psychisch völlig unauffällig gewesen war, so wie dies auch von Dr. M. geschildert worden war. Dies bedeutet aber, dass ein objektiv nachvollziehbarer Grund, weshalb sich die Klägerin nicht in ärztliche oder psychotherapeutische Behandlung begeben könnte, nicht gesehen werden kann.
Die Leistungseinschätzung von Dr. W., die sich mit der von Dr. M. deckt, wird letztlich durch die beigezogenen Befundberichte von Dr. D. und der Fachärztin für Innere Medizin E. bestätigt. Als die Klägerin im März 2016 einen Zeckenbiss erlitten hatte, ist sie in die ambulante Behandlung von Frau E. gegangen. Bei Dr. D. hat die Klägerin wohl laufend seit Dezember 2014 stützende Gespräche, ohne dass hier eine Änderung des Zustandes erreicht werden konnte. Dr. D. hat festgehalten, dass Behandlungen und Untersuchungen sowohl ambulant als auch stationär von der Klägerin abgelehnt worden seien. Trotzdem ist festzuhalten, dass die Klägerin Gesprächstermine bei Dr. D. wahrnimmt und auch bei entsprechender Notwendigkeit einer anderen Behandlung, z. B. nach dem Zeckenbiss, einen Arzt aufsuchen kann und auch aufsucht. Dies bestätigen im wesentlichen auch die Familienangehörigen der Klägerin, die darauf hinweisen, dass die Klägerin rechtzeitig an die Termine erinnert, am Morgen geweckt und hingebracht werden muss.
Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit nach § 240 SGB VI. Diese Vorschrift ist zwar auf die Klägerin anwendbar, weil sie vor dem relevanten Stichtag nach § 240 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI geboren ist. Sie hat auch eine Berufsausbildung als examinierte Krankenschwester absolviert und war in diesem Beruf auch bis zum Jahr 2014 versicherungspflichtig beschäftigt. Eine Aufgabe dieses Berufs ist nicht aus gesundheitlichen Gründen erfolgt, sondern weil die Klägerin – wie sie im Rahmen der Begutachtung bei Dr. W. angegeben hatte – nach erfolgter Zentralisation das Gefühl gehabt habe, alles nicht mehr zu schaffen. Sie habe sich dann im Hol- und Bringdienst vorgestellt. Dort habe man sie nicht gewollt. Sie habe dann aber auf ihrer alten Abteilung im Hol- und Bringdienst gearbeitet. Dies habe ihr nicht so behagt, deshalb habe sie dann auch überstürzt gekündigt. Zu diesem Zeitpunkt habe sie den Gedanken gehabt, sie halte das Leid des ganzen Krankenhauses nicht aus. Sie habe sich dann bei der Hauskrankenpflege gemeldet, habe das eine Zeitlang gemacht, habe nebenbei noch eine Dame mit einem Schädelhirntrauma versorgt. Körperliche Einschränkungen der Klägerin wurden von keinem Gutachter festgestellt und auch von den behandelnden Ärzten nicht berichtet. Die beiden Sachverständigen Dr. M. und Dr. W. haben für die letzte versicherungspflichtig ausgeübte Tätigkeit als Krankenschwester noch ein mindestens 6stündiges Leistungsvermögen unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen gesehen, so dass es auf die Frage der Benennung eines sozial und medizinisch zumutbaren Verweisungsberufs für die Klägerin ebenso wenig ankommt wie auf die Frage, ob die Klägerin die psychische Erkrankung bereits in das Erwerbsleben mit eingebracht haben könnte, nachdem sie seit dem 15.Lebensjahr wechselnde Befindlichkeiten zwischen Euphorie und Depression angegeben hatte. Sie konnte ohne längere Zeiten der Arbeitsunfähigkeit ihren Beruf in einer Klinik ausüben. Nach alledem ist davon auszugehen, dass ein Nachweis einer bereits jetzt bestehenden, dauerhaft auf unter sechs Stunden täglich abgesunkene Leistungsfähigkeit der Klägerin nicht geführt wurde, weder für die Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes noch für den zuletzt ausgeübten Beruf als Krankenschwester. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Würzburg vom 21.06.2016 ist deshalb als unbegründet zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 153 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.


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