Sozialrecht

Anspruch des BAföG-berechtigten Auszubildenden auf Leistungen der Grundsicherung bei Vorliegen einer besonderen Härte

Aktenzeichen  S 19 AS 1209/18

Datum:
16.12.2021
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
SG Nordhausen 19. Kammer
Dokumenttyp:
Urteil
ECLI:
ECLI:DE:SGNORDH:2021:1216.S19AS1209.18.00
Normen:
§ 27 Abs 3 SGB 2
§ 7 Abs 5 SGB 2
§ 10 Abs 3 BAföG
Spruchkörper:
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Tenor

Der Bescheid der Beklagten vom 12.04.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.07.2018 wird aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, die Kosten der Unterkunft für die Wohnung im A, H, für den Zeitraum vom 01.01.2018 bis 30.06.2018 als Darlehen, zu übernehmen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Beklagte trägt 2/3 der notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers.
Im Übrigen findet eine Kostenerstattung nicht statt.

Tatbestand

Streitig sind Leistungen nach dem SGB II im Leistungszeitraum vom Januar 2018 bis zum Juni 2018. Der Kläger begehrt für diesen Zeitraum Kosten der Unterkunft und Heizung für sein selbst genutztes Hausgrundstück.
Die am 18.08.2018 erhobene Klage wendet sich gegen den Bescheid der Beklagten vom 12.04.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.07.2018.
In dieser Zeit hat der Kläger eine von der mit Beschluss vom 30.01.2020 beigeladenen Bundesagentur für Arbeit als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben nach §§ 112 ff SGB III geförderte Ausbildung im Berufsbildungszentrum Ch (im folgenden Maßnahmeträger) absolviert. Diese begann am 29. Februar 2016 und ist im Jahre 2019 abgeschlossen worden.
Dort wurde er in einer vom Berufsbildungszentrum betreuten Wohngemeinschaft außerhalb des Berufsbildungszentrums untergebracht, die von dem Träger der Maßnahme gestellt wurde. Der Kläger hatte diesbezüglich keinen eigenen Mietvertrag abgeschlossen und war an die Schließzeitenregelung des § 5 des mit dem Maßnahmeträger abgeschlossenen Teilnahmevertrages gebunden. Während dieser Schließzeiten wurde durch Betreuer des Maßnahmeträgers kontrolliert, ob das Wohnheim verlassen wurde.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 12.04.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.07.2018 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die Kosten der Unterkunft für die Wohnung im A, H, für den Zeitraum vom 01.01.2018 bis 30.06.2018 als Zuschuss, hilfsweise als Darlehen, zu übernehmen.
Hilfsweise wird beantragt, die Beigeladene zu verurteilen, für den genannten Zeitraum die pauschalierten Leistungen gemäß § 128 SGB III zu erbringen, hilfsweise die tatsächlich angefallenen zusätzlichen Unterkunftskosten zu übernehmen.
Die Beklagten beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beigeladene beantragt (sinngemäß),
den gegen sie gerichteten Hilfsantrag abzuweisen.
Die Beklagte verweist auf die Begründung der angefochtenen Bescheide und verweist auf den in § 7 Abs. 5 SGB II geregelten gesetzlichen Leistungsausschluss.
Die Beigeladene beruft sich auf die Entscheidung des BSG vom 19.10.2016 – Az. B 14 AS 40/15 R -, wonach materiell keine Zuständigkeit des Reha-Trägers gegeben ist.
Die Beteiligten haben sich im Erörterungstermin am 14.10.2021 sowie mit Schriftsatz vom 04.11.2021mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die bei der Beratung und Entscheidung vorlagen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig und teilweise begründet.
Die angegriffenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten, denn er hat entsprechend seinem Hilfsantrag Anspruch auf eine darlehnsweise Gewährung der geltend gemachten Kosten der Unterkunft und Heizung.
Rechtsgrundlage ist § 27 Abs. 3 SGB II in der Fassung vom 26.7.2016. Danach können Leistungen für Regelbedarfe, den Mehrbedarf nach § 21 Absatz 7, Bedarfe für Unterkunft und Heizung, Bedarfe für Bildung und Teilhabe und notwendige Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung als Darlehen erbracht werden, sofern der Leistungsausschluss nach § 7 Absatz 5 eine besondere Härte bedeutet. Gemäß § 7 Abs. 5 SGB 2 in der Fassung vom 22.12.2016 haben Auszubildende, deren Ausbildung im Rahmen des Bundesausbildungsförderungsgesetzes dem Grunde nach förderungsfähig ist, über die Leistungen nach § 27 hinaus keinen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts.
Der Kläger war aufgrund der Teilnahme an der Ausbildungsmaßnahme von der Gewährung von über die Leistungen nach § 27 SGB II aF hinausgehenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts gemäß § 7 Abs 5 SGB II aF ausgeschlossen. Denn bei dieser handelte es sich um eine dem Grunde nach förderungsfähige Ausbildung i.S. des § 7 Abs 5 SGB II aF, die zum Leistungsausschluss führt.
Es stellt für den Kläger auch eine besondere Härte i.S. des § 27 Abs. 3 Satz 1 SGB II aF dar, dass er von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach § 7 Abs. 5 SGB II aF ausgeschlossen ist. Die Voraussetzungen eines solchen Härtefalls sind hier gegeben. Die Maßnahme war erforderlich, um den Kläger in das Erwerbsleben integrieren zu können. Die besondere Schutzbedürftigkeit des Klägers ergibt sich im konkreten Fall dadurch, dass er während der Dauer der Maßnahme trotz internatsmäßiger Unterbringung in der Woche eine weitere Unterkunft für die Wochenenden und die Ferien benötigte. (vgl. BSG, Urteil vom 19. Oktober 2016 – B 14 AS 40/15 R –, SozR 4-1500 § 75 Nr. 24, Rn. 31 für die inhaltsgleiche Vorgängervorschrift des § 27 Abs.4 S.1 SGB II in der bis zum 31.07.2016 geltenden Fassung). Der Annahme einer besonderen Härte steht nicht entgegen, dass ein Wohngeldanspruch der Kläger gegen den beigeladenen Landkreis bestanden haben könnte, gegen dessen Ablehnung jedoch kein gerichtlicher Rechtsschutz in Anspruch genommen worden ist. Einer etwaigen Lastenverschiebung zum Nachteil des Beklagten kann dieser durch Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs gegenüber dem vorrangig verpflichteten Leistungsträger nach § 104 SGB X begegnen (BSG a.a.O. Rn 32). Liegt eine besondere Härte vor, hat die Verwaltung unter Ausübung pflichtgemäßen Ermessens Art und Umfang der Leistungsgewährung zu prüfen (vgl zusammenfassend zur Ermessensausübung BSG Urteil vom 29.4.2015 – B 14 AS 19/14 R – BSGE 119, 17 = SozR 4-4200 § 31a Nr 1, jeweils RdNr 35). Im Hinblick auf das “Ob” der Leistungsgewährung wird jedoch im Regelfall von einer Ermessensreduktion auf Null auszugehen sein. Angesichts der vorliegend bejahten hohen Voraussetzungen für eine besondere Härte ist nicht zu erkennen, wie eine andere Entscheidung als die Gewährung eines Darlehens ermessensfehlerfrei getroffen werden kann. Auch der Wortlaut des § 27 Abs. 3 Satz 1 SGB II aF sieht beim Vorliegen einer besonderen Härte als Leistung des Beklagten nur ein Darlehen, nicht aber eine andere Leistung vor. (vgl. BSG, Urteil vom 19. Oktober 2016 – B 14 AS 40/15 R –, SozR 4-1500 § 75 Nr 24, Rn. 33 – 34). Daher war nicht der Hauptantrag, sondern lediglich der Hilfsantrag des Klägers begründet und die Klage daher im übrigen abzuweisen. Soweit die Beklagte der Auffassung ist, dass ein Härtefall hier schon deswegen nicht anzunehmen sei, weil es sich um vergangene Zeiträume nach Abschluss der tatsächlich absolvierten Ausbildung handelt, wodurch dokumentiert sei, dass die Ausbildung durch die Nichtgewährung der Leistungen nicht gefährdet war und darüber hinaus auch eine Darlehensgewährung wirtschaftlich keinen Sinn machen würde, folgt dem die Kammer nicht.
Dass ohne die Erbringung von Leistungen zum Lebensunterhalt der Abbruch der Ausbildung droht, ist Voraussetzung für eine Zuschussgewährung gemäß § 27 Abs. 3 S.2 SGB II in der Fassung vom 26.7.2016 bei einem (hier nicht einschlägigem ) Leistungssauschluss gemäß § 10 Absatz 3 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes. Eine besondere Härte i.S. § 27 Abs.3 S.1a.F. SGB II wird nach Auffassung der Kammer schon durch eine gravierende Unterdeckung existenzsichernder Leistungen begründet. Die Darlehensgewährung ist im Hinblick auf gegenüber der Rückzahlungsverpflichtung des Darlehensanspruchs vorrangige Geltendmachung eines Erstattungsanspruchs gegenüber dem vorrangig verpflichteten Leistungsträger Wohngeldstelle nach § 104 SGB X auch gerade wirtschaftlich nicht sinnlos.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt, dass der Kläger mit seinem Hauptantrag nicht durchgedrungen ist. Bei der Kostenentscheidung wurde ferner berücksichtigt, dass der gegen die Beigeladene gerichtete weitere Hilfsantrag, über den keine Entscheidung aufgrund des vorrangigen Hilfsantrages zu treffen war, nach der Rechtsprechung des BSG unbegründet war. Die Voraussetzungen des § 127 Abs. 1 Satz 2 Alt 2 SGB III “für Sonderfälle der Unterkunft” liegen nicht vor, weil diese nach § 128 SGB III erfordern, dass keine Unterbringung u.a. in einem Internat erfolgt, die aber dem Kläger gerade bewilligt wurde. (BSG, Urteil vom 19. Oktober 2016 – B 14 AS 40/15 R –, SozR 4-1500 § 75 Nr. 24, Rn. 18)


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