Sozialrecht

Befreiung von der Krankenversicherungspflicht bei Teilzeitbeschäftigung

Aktenzeichen  S 7 KR 1427/20

Datum:
1.2.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 1610
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB V § 5, § 8 Abs. 1 S. 1 Nr. 3

 

Leitsatz

1. Die Vorschrift des § 8 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB V gibt allen Beschäftigten ein Befreiungsrecht, die ihre Arbeitszeit aus ihrer versicherungsfreien Beschäftigung auf die Hälfte oder weniger als die Hälfte der regelmäßigen Wochenarbeitszeit vergleichbarer Vollbeschäftigter reduzieren und deshalb gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V versicherungspflichtig werden. Möglich ist das nur bei denjenigen, die vorher die Jahresarbeitsentgeltgrenze überschritten haben und dies nach der Reduktion nicht mehr tun. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Befreiungsmöglichkeit wegen Teilzeit ist ausdrücklich im Falle einer Herabsetzung der Arbeitszeit im Zuge eines Arbeitgeberwechsels und der Aufnahme einer neuen (Teilzeit-)Beschäftigung gegeben. Da das neue Beschäftigungsverhältnis die Voraussetzungen “des vorstehenden Halbsatze” erfüllen muss, bedeutet dies, dass die Arbeitszeit nach Maßgabe der regelmäßigen Wochenarbeitszeit im Ausgangsbetrieb auf die Hälfte oder weniger reduziert werden muss. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
3. Auch wenn vor Aufnahme einer Beschäftigung 16 Monate Arbeitslosengeld bezogen wurde, ist es gleichwohl mit dem Wortlaut vereinbar, einen Anschluss zum vorangegangenen Beschäftigungsverhältnis anzunehmen, denn auch wenn ein nahtloser Anschluss wünschenswert wäre, ist eine vorübergehende Phase beruflicher Neuorientierung üblich. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
4. Gesetzliche Zwecke sind die Kontinuität des Versichertenstatus und die Förderung von Teilzeittätigkeit. Die Befreiungstatbestände dienen dazu, einem Privatversicherten den Verbleib in der privaten Krankenversicherung zu ermöglichen. (Rn. 26 – 27) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 11.11.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.09.2020 verurteilt, die Klägerin ab dem 01.01.2019 von der Krankenversicherungspflicht zu befreien.
II. Die Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

Gründe

Die Klage hat Erfolg.
Streitig ist die Befreiung von der Krankenversicherungspflicht ab dem 01.01.2019.
Gemäß § 105 Abs. 1 Satz 1 SGG konnte das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Im Erörterungstermin am 27.01.2021 haben die Beteiligten einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
Die Klage ist zulässig. Sie ist gemäß §§ 87, 90, 92 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht erhoben worden. Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Fall 1 und 3 SGG) statthaft. Die Klagebefugnis der Klägerin (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG) ergibt sich aus einer möglichen Verletzung ihres Anspruchs auf Befreiung von der Versicherungspflicht gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB V. Das Widerspruchsverfahren wurde gemäß § 78 Abs. 1 Satz 1 SGG durchgeführt.
Die Klage ist begründet. Der Bescheid vom 11.11.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 15.09.2020 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin hat gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB V einen Anspruch auf Befreiung von der Versicherungspflicht ab dem 01.01.2019.
Gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB V wird von der Versicherungspflicht auf Antrag befreit, wer versicherungspflichtig wird, weil seine Arbeitszeit auf die Hälfte oder weniger als die Hälfte der regelmäßigen Wochenarbeitszeit vergleichbarer Vollbeschäftigter des Betriebes herabgesetzt wird; dies gilt auch für Beschäftigte, die im Anschluss an ihr bisheriges Beschäftigungsverhältnis bei einem anderen Arbeitgeber ein Beschäftigungsverhältnis aufnehmen, das die Voraussetzungen des vorstehenden Halbsatzes erfüllt, sowie für Beschäftigte, die im Anschluss an die Zeiten des Bezugs von Elterngeld oder der Inanspruchnahme von Elternzeit oder einer Freistellung nach § 3 des Pflegezeitgesetzes oder § 2 des Familienpflegezeitgesetzes ein Beschäftigungsverhältnis im Sinne des ersten Teilsatzes aufnehmen, das bei Vollbeschäftigung zur Versicherungsfreiheit nach § 6 Absatz 1 Nummer 1 führen würde; Voraussetzung ist ferner, dass der Beschäftigte seit mindestens fünf Jahren wegen Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze versicherungsfrei ist; Zeiten des Bezugs von Erziehungsgeld oder Elterngeld oder der Inanspruchnahme von Elternzeit oder einer Freistellung nach § 3 des Pflegezeitgesetzes oder § 2 des Familienpflegezeitgesetzes werden angerechnet.
1. Die Klägerin hat zum 01.01.2019 ein Beschäftigungsverhältnis aufgenommen, das die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Halbs. 1 SGB V insofern erfüllt, als die Arbeitszeit auf weniger als die Hälfte der regelmäßigen Wochenarbeitszeit vergleichbarer Vollbeschäftigter des Betriebes herabgesetzt wurde, so dass Versicherungspflicht eintrat.
Die Vorschrift des § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB V gibt allen Beschäftigten ein Befreiungsrecht, die ihre Arbeitszeit aus ihrer versicherungsfreien Beschäftigung auf die Hälfte oder weniger als die Hälfte der regelmäßigen Wochenarbeitszeit vergleichbarer Vollbeschäftigter reduzieren und deshalb gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 SGB V versicherungspflichtig werden. Möglich ist das nur bei denjenigen, die vorher die Jahresarbeitsentgeltgrenze überschritten haben (vgl. § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V) und dies nach der Reduktion nicht mehr tun (vgl. BR-Drs. 17/3696, 64; BeckOK SozR/Ulmer, 59. Ed. 1.12.2020, SGB V § 8 Rn. 9a-9a). Eine Befreiungsmöglichkeit wegen Teilzeit ist ausdrücklich im Falle einer Herabsetzung der Arbeitszeit im Zuge eines Arbeitgeberwechsels und der Aufnahme einer neuen (Teilzeit-)Beschäftigung gegeben. Da das neue Beschäftigungsverhältnis die Voraussetzungen „des vorstehenden Halbsatzes“ erfüllen muss, bedeutet dies, dass die Arbeitszeit nach Maßgabe der regelmäßigen Wochenarbeitszeit im Ausgangsbetrieb auf die Hälfte oder weniger reduziert werden muss (Hampel in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 8 SGB V (Stand: 15.06.2020), Rn. 79).
Das regelmäßige Arbeitsentgelt des zum 01.01.2019 begründeten Teilzeitbeschäftigungsverhältnisses übersteigt nicht die Jahresarbeitsentgeltgrenze, da die Klägerin monatlich 1.620 Euro brutto bei neun Wochenstunden erhält. Umgerechnet auf 38,5 Wochenstunden würde die Klägerin ein jährliches Arbeitsentgelt von 83.160 Euro erzielen und die Jahresarbeitsentgeltgrenze überschreiten, so dass somit gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V Versicherungsfreiheit bestünde.
2. Die Aufnahme der Beschäftigung bei einem anderen Arbeitgeber zum 01.01.2019 erfolgte im Anschluss an ein bisheriges Beschäftigungsverhältnis (§ 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 Halbs. 2 SGB V).
Vor der Aufnahme der Beschäftigung bezog die Klägerin Arbeitslosengeld 1 – insgesamt 16 Monate vom 01.09.2017 bis zum 31.12. 2018. Gleichwohl ist es angesichts der üblichen Zeiten einer beruflichen Neuorientierung mit dem Wortlaut vereinbar, einen „Anschluss“ zum vorangegangenen Beschäftigungsverhältnis anzunehmen. Wenngleich ein nahtloser Anschluss zum neuen Job wünschenswert wäre, so handelt es doch eher um eine Ausnahme. Eine vorübergehende Phase der beruflichen Neuorientierung und der gründlichen Stellensuche ist in der Arbeitswelt vielmehr üblich. Tatsächliche wirtschaftliche Grundlage hierfür ist regelmäßig die Absicherung durch den Bezug von Arbeitslosengeld 1.
Die teleologische Auslegung trägt das Ergebnis, dass vorliegend ein Beschäftigungsverhältnis „im Anschluss“ aufgenommen wurde. Denn als gesetzliche Zwecke sind die Kontinuität des Versichertenstatus und die Förderung von Teilzeitbeschäftigung zu beachten.
Die Befreiungstatbestände des § 8 Abs. 1 SGB V dienen dazu, einem Privatversicherten den Verbleib in der privaten Krankenversicherung zu ermöglichen. Durch Ausübung ihres Befreiungsrechtes können Arbeitnehmer ihren bisherigen Status als privat Krankenversicherte beibehalten (Hampel in Schlegel/ Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 8 SGB V (Stand: 15.06.2020), Rn. 71; BeckOK SozR/Ulmer, 59. Ed. 1.12.2020, SGB V § 8 vor Rn. 1; BT-Drs. 10/4761, S. 26). Zugleich wird verhindert, dass langjährige Altersrückstellungen in der privaten Krankenversicherung entwertet werden. Die Förderung der Kontinuität des Versichertenstatus wird zudem dadurch unterstrichen, dass die Befreiung von der Versicherungspflicht gemäß § 8 Abs. 2 Satz 3 SGB V unwiderruflich ist. Die Befreiung gilt innerhalb des individuellen Beschäftigungsverhältnisses ununterbrochen, selbst wenn ihre Voraussetzungen entfallen (BeckOK SozR/ Ulmer, 59. Ed. 1.12.2020, SGB V § 8 Rn. 19; BSG, Urteil vom 08.12.1999 – B 12 KR 12/99 R).
Die Befreiungsmöglichkeit für Arbeitslosengeldbezieher (§ 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a SGB V) wurde zum 01.04.1998 eingeführt. Laut dem Entwurf des Ersten SGB IIIÄnderungsgesetzes (BT-Drs. 13/8012, S. 27) sollte Beziehern von Arbeitslosengeld, die unmittelbar vor Beginn des Leistungsbezuges privat krankenversichert waren, künftig die Möglichkeit eröffnet werden, sich von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung auf Antrag befreien zu lassen. Aufgrund der Ausschussempfehlungen (BT-Drs. 13/8994, S. 33) wurde die weitere Voraussetzung eingefügt, wonach die Befreiung zusätzlich voraussetzt, dass der Betroffene „in den letzten fünf Jahren vor dem Leistungsbezug nicht gesetzlich krankenversichert war“. Denn eine sachliche Rechtfertigung für das Befreiungsrecht besteht nicht, soweit die Betroffenen noch keine längere Zeit versicherungspflichtig beschäftigt gewesen sind und noch keine nennenswerten Altersrückstellungen in der privaten Krankenversicherung gebildet haben (Hampel in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 8 SGB V (Stand: 15.06.2020), Rn. 49).
Die Befreiungsmöglichkeit des § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB V dient darüber hinaus dazu, die Aufnahme von Teilzeitbeschäftigungen zu fördern und somit den Arbeitsmarkt zu entlasten. Es wurde nämlich befürchtet, dass langjährig Privatversicherte davon abgehalten werden könnten, in eine Teilzeitbeschäftigung zu wechseln, falls mit der Reduzierung der Arbeitszeit wieder Versicherungspflicht eintritt, weil die Jahresarbeitsentgeltgrenze nicht mehr überschritten wird (Hampel in: Schlegel/ Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 8 SGB V (Stand: 15.06.2020), Rn. 71; BT-Drs. 10/4761, S. 26.). Gerade Personen, die über ausreichende finanzielle Ressourcen verfügen, könnten von der Aufnahme einer Teilzeitbeschäftigung absehen, um einen Wechsel in die gesetzliche Krankenversicherung zu vermeiden.
Auch aus dem Bericht des Ausschusses für Gesundheit (BT-Drs. 17/3696, S. 44), auf den die Neufassung des § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB V im Zuge der Beratungen zum GKV-Finanzierungsgesetzes zurückgeht, ergibt sich keine andere gesetzgeberische Zielsetzung. Danach wird mit der Neuregelung künftig auch Personen eine Befreiungsmöglichkeit eingeräumt, die im Anschluss an die Inanspruchnahme von Elternzeit oder Pflegezeit eine Teilzeitbeschäftigung aufnehmen. Diese Erwägungen wurden auch im Rundschreiben des GKV-Spitzenverbands vom 07.12.2010 aufgegriffen, die Erweiterung der Befreiungsmöglichkeiten allein rechtfertigt allerdings keine restriktive Auslegung.
Das Gericht stützt seine Rechtsauffassung auch auf den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG. Während ein Vollzeitbeschäftigter, dessen Entgelt die Jahresarbeitsentgeltgrenze überschreitet, gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V von der Versicherungspflicht befreit ist, müsste ein bereits zuvor privat krankenversicherter Teilzeitbeschäftigter erneut fünf Jahre lang ein Entgelt oberhalb der Jahresarbeitsentgeltgrenze erzielen, um anschließend wieder in die private Krankenversicherung wechseln zu dürfen. Außer Betracht bliebe somit, dass der Beschäftigte bereits zuvor eine Befreiung wegen einer Herabsetzung der Arbeitszeit gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB V erlangt hat. Die erhebliche Benachteiligung eines Teilzeitbeschäftigten im Gegensatz zum Vollzeitbeschäftigten ergibt sich mithin daraus, dass er im Anschluss an den Bezug von Arbeitslosengeld I keine Möglichkeit hätte, weiterhin in der privaten Krankenversicherung zu verbleiben. Für das Arbeitsrecht ist ein gesetzliches Verbot der Benachteiligung von Teilzeitbeschäftigten in § 4 Abs. 1 Satz 1 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG) verankert.
3. Falls unmittelbar vor der Befreiung wegen des Bezugs von Arbeitslosengeld 1 eine Befreiung von der Versicherungspflicht wegen Herabsetzung der Arbeitszeit erfolgt ist, hat im Anschluss eine Befreiung für eine weitere Teilzeitbeschäftigung zu erfolgen. Unter Berücksichtigung des Gesetzeszweckes, die Kontinuität des Versichertenstatus zu gewährleisten, bleibt der vormalige Zeitpunkt der Herabsetzung der Arbeitszeit – hier der 01.10.2006 – maßgeblich.
Nach der Ansicht der Beklagten muss die fünfjährige Versicherungsfreiheit unmittelbar vor dem Zeitpunkt der Aufnahme der Teilzeitbeschäftigung liegen. Dies überzeugt jedoch schon im Hinblick auf die Rechtsprechung des BSG nicht, der zufolge auf den Zeitpunkt der erstmaligen Herabsetzung der Arbeitszeit abzustellen ist, soweit verschiedene Teilzeitbeschäftigungen aneinander anschließen. Danach müssen fünf Jahre Versicherungsfreiheit wegen Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze unmittelbar vor dem Beginn der Versicherungspflicht durch Herabsetzung der Arbeitszeit bestanden haben (BSG, Urteil vom 27.01.2000 – B 12 KR 16/99 R). Dementsprechend muss dieser Zeitraum unmittelbar vor der Herabsetzung der Arbeitszeit nach § 8 Abs. 1 Nr. 3 Halbs. 1 SGB V liegen, und die Versicherungsfreiheit muss gerade auf dem Versicherungsfreiheitstatbestand des § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V beruhen (BeckOK SozR/Ulmer, 59. Ed. 1.12.2020 Rn. 11, SGB V § 8 Rn. 11).
Den Belangen der GKV-Solidargemeinschaft wurden mit den gesetzlichen Voraussetzungen für die Versicherungsfreiheit gemäß § 6 SGB V und für die Befreiung von der Versicherungspflicht ausreichend Rechnung getragen. Schließlich darf eine Befreiung wegen einer Teilzeitbeschäftigung nur erfolgen, wenn zuvor das Entgelt fünf Jahre lang die Jahresarbeitsentgeltgrenze überstiegen hat (§ 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a SGB V). Und eine Befreiung wegen des Bezugs von Arbeitslosengeld 1 setzt einen fünfjährigen Status als Privatversicherter voraus (§§ 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V). Soweit diese Voraussetzungen erfüllt sind und insgesamt eine nahtlose Befreiung von der Versicherungsfreiheit erfolgt ist, sollte nach Ansicht des Gerichts die Kombination der beiden Befreiungstatbestände zulässig sein. Weil der Aufnahme der Teilzeitbeschäftigung eine ununterbrochene Befreiung von der Versicherungspflicht vorangegangen ist, wäre die Annahme einer Versicherungspflicht anlässlich der Aufnahme einer Teilzeitbeschäftigung mit dem Gesetzeszweck nicht vereinbar. Schließlich wollte der Gesetzgeber den Beschäftigten mittels der Befreiungen von der Versicherungspflicht (§ 8 SGB V) den kontinuierlichen Verbleib in der privaten Krankenversicherung ermöglichen (vgl. Spickhoff/Nebendahl, 3. Aufl. 2018, SGB V § 8 Rn. 14).
Es wäre systemwidrig, wenn mit der erneuten Aufnahme einer Teilzeitbeschäftigung Versicherungspflicht eintreten würde. Wird ein Teilzeitbeschäftigter arbeitslos, so leitet sich die Befreiung wegen des Arbeitslosengeldbezugs ebenfalls von der vorangegangenen Versicherungsfreiheit gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V ab. Die Gesetzessystematik stellt die Befreiung kontinuierlich bis zum Ende des Arbeitslosengeldbezugs sicher und erscheint gemessen an den gesetzlichen Zielen nur dann verwirklicht, wenn auch für die Aufnahme einer Teilzeitbeschäftigung nach dem Bezug von Arbeitslosengeld 1 eine neue Befreiung von der Versicherungspflicht erfolgen kann.
Schließlich hat der Gesetzgeber auch an derer Stelle Befreiungstatbestände des § 8 SGB V miteinander verknüpft, insbesondere die Befreiungen wegen Elternzeit und Herabsetzung der Arbeitszeit. Seit 01.01.2011 werden auch Zeiten des Bezugs von Erziehungsgeld bzw. Elterngeld, Elternzeit oder Freistellungen nach § 3 Pflegezeitgesetz (PflegeZG) und seit 01.01.2012 auch Familienpflegezeiten gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 3 SGB V angerechnet. Infolge der Anrechnungsregelung werden künftig auch Personen erfasst, die nach der Inanspruchnahme von Elterngeld, Elternzeit, Pflegezeit oder Familienpflegezeit zunächst ein nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 versicherungsfreies Beschäftigungsverhältnis aufgenommen haben und zu einem späteren Zeitpunkt ihre Arbeitszeit entsprechend der Regelung herabsetzen (Krauskopf/Baier, 107. EL Juli 2020, SGB V § 8 Rn. 9aa; vgl. BT-Drs 17/3696 S. 44).
Der vorliegende Sachverhalt unterscheidet sich maßgeblich von dem Urteil des BSG vom 27.01.2000 (B 12 KR 16/99 R), da dort der Beschäftigte mehr als 11 Monate unbezahlten Sonderurlaub genommen hat, also keine ununterbrochene Befreiung von der Versicherungspflicht begründet war.
4. Die Klägerin war gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 letzter Halbs. SGB V vor der Herabsetzung der Arbeitszeit ab dem 01.10.2006 seit mindestens fünf Jahren wegen Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze versicherungsfrei.
Seit dem 01.09.1997 bis zum 30.09.2006 war die Klägerin gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V versicherungsfrei, da ihr Entgelt als angestellte Ärztin die Jahresarbeitsentgeltgrenze überstieg. Das Beschäftigungsverhältnis bestand vom 01.10.2006 bis zum 31.08.2017. Die Klägerin wurde versicherungspflichtig, weil sie ihre Arbeitszeit auf die Hälfte oder weniger als die Hälfte der regelmäßigen Wochenarbeitszeit vergleichbarer Vollbeschäftigter des Betriebs herabsetzte und ihr regelmäßiges Arbeitsentgelt aufgrund der Herabsetzung der Arbeitszeit die Jahresarbeitsentgeltgrenze nicht mehr überstieg. Deshalb befreite die Beklagte die Klägerin ab dem 01.10.2006 von der Versicherungspflicht.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.


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