Sozialrecht

Beitragsausgleichsverfahren – Beitragszuschlag ist rechtmäßig erhoben worden

Aktenzeichen  L 2 U 200/15

Datum:
28.2.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 16375
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
GG Art. 3, Art. 20
VBG § 29
SGB VII § 162
SGB X § 35, § 41 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2

 

Leitsatz

1. Der Unfallversicherungsträger hat bei Ausgestaltung des Beitragsausgleichsverfahrens einen weiten Gestaltungsspielraum. Im Rahmen der gerichtlichen Überprüfung, ob Satzungsregelungen mit der Ermächtigungsnorm und sonstigem höherrangigen Recht übereinstimmen, ist vom Gericht nicht zu entscheiden, ob der Satzungsgeber die zweckmäßigste, vernünftigste und gerechteste Regelung getroffen hat. (Rn. 31)
2. Der Satzungsgeber kann die in § 162 Abs. 1 Satz 4 genannten Merkmale (Zahl, Schwere oder Aufwendungen) alternativ oder in Kombination miteinander verwenden und legt in der Satzung den maßgeblichen Beobachtungszeitraum fest. (Rn. 40 – 41)
3. Das Beitragsausgleichsverfahren soll positive Anreize für verstärke Unfallverhütung der Unternehmer setzen, mit teilweise erheblichem Kostenaufwand betriebene Prävention honorieren und größere Beitragsgerechtigkeit im Rahmen des Umlageverfahrens ermöglichen. Im Interesse der Verwaltungspraktikabilität im Rahmen der Massenverwaltung, der Rechtssicherheit und der Rechtsklarheit darf der Satzungsgeber an typisierende, leicht und einfach zu bestimmende Merkmale anknüpfen. Zeitnahe Auswirkungen des Beitragsausgleichsverfahrens auf die Beiträge erhöhen den Präventionsanreiz. (Rn. 74)
4. Eine typisierende Dreiteilung der berücksichtigten Fallgruppen nach ihrem Schweregrad mit Unterscheidung von neuen Arbeitsunfällen, neuen Unfallrenten und Todesfällen im Beitragsjahr ist rechtlich ebenso wenig zu beanstanden wie die Einführung einer Mindestkostengrenze als weiteres typisierendes Merkmal zur Konkretisierung des Schweregrades der Fallgruppen, die keine Todesfälle betreffen. Die Mindestkostengrenze dient der Minimierung der mit pauschalierenden Regelungen unvermeidbar einhergehenden Härten und Ungerechtigkeiten. (Rn. 42 – 47)
5. Gewisse unvermeidbare Härten, die aus notwendigen Pauschalierungen oder der Begrenzung des Beobachtungszeitraums resultieren, sind mit Blick auf den weiten Gestaltungsspielraum des Satzungsgebers hinzunehmen, sofern der Gestaltungsspielraum sachgerecht genutzt wurde und die gefundene Lösung nicht willkürlich erscheint. (Rn. 48)
6. Durchgreifende rechtliche Bedenken gegen § 29 der Satzung der Verwaltungsberufsgenossenschaft für das Jahr 2012 in der Fassung vom 04.07.2013 für das Beitragsjahr 2012 bestehen nicht; insbesondere verstößt die Regelung nicht gegen das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot, die Grundsätze der Beitragsgerechtigkeit oder gegen das Gleichbehandlungsgebot (abweichend von LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 26.01.2018 – L 8 U 1680/17). (Rn. 74 – 77)

Verfahrensgang

S 15 U 92/14 2015-04-07 Urt SGLANDSHUT SG Landshut

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 07.04.2015 wird zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.
III. Die Revision wird zugelassen.
IV. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 43.352,76 Euro festgesetzt.

Gründe

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung gegen das klageabweisende Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 07.04.2015 erweist sich als unbegründet. Die zulässige Anfechtungsklage ist unbegründet, denn der angegriffene Beitragszuschlagsbescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
1. Der Bescheid der Beklagten vom 26.08.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28.02.2014, mit dem ein Beitragszuschlag zum Beitrag für das Beitragsjahr 2012 in Höhe von 43.352,76 € festgesetzt worden ist, ist formell rechtmäßig und entspricht der Satzung.
Die Beklagte hatte mit Schreiben vom 17.07.2013 der Klägerin die aus ihrer Sicht für einen Beitragszuschlag maßgeblichen Tatsachen mitgeteilt und sie gemäß § 24 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) dazu angehört. Soweit in der Höhe der Gesamtbelastungspunkte der Unternehmen der Gefahrtarifstelle der Klägerin ein wesentlicher Bestandteil der Begründung des Verwaltungsaktes im Sinne von § 35 SGB X zu sehen sein könnte, war diese zwar nicht im Bescheid selbst, aber mit Schreiben vom 26.09.2013 der Klägerin ergänzend mitgeteilt worden, so dass – sollte man in der zunächst unterlassen Mitteilung einen wesentlichen Mangel in der Begründung des Verwaltungsaktes sehen – dieses Versäumnis gemäß § 41 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 SGB X noch im Verwaltungsverfahren geheilt worden war.
Der Beitragszuschlag ist auch satzungskonform festgesetzt und erhoben worden. § 29 der Satzung in der Fassung des 2. Nachtrags zur Satzung vom 04.07.2013, genehmigt am 18.07.2013 mit Wirkung zum 01.01.2013, lautete wie folgt:
§ 29 Beitragszuschlagsverfahren
(1) Jeder Unternehmerin bzw. jedem Unternehmer mit Pflichtversicherten nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII und jeder Unternehmerin bzw. jedem Unternehmer, die nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII freiwillig versichert sind (im Folgenden: Beitragspflichtige), werden unter Berücksichtigung der Zahl und Schwere der anzuzeigenden Arbeitsunfälle Zuschläge zum Beitrag auferlegt. Wegeunfälle und Berufskrankheiten bleiben hierbei unberücksichtigt, ebenso Arbeitsunfälle, die durch höhere Gewalt oder durch alleiniges Verschulden nicht zum Unternehmen gehörender Personen verursacht worden sind (vgl. § 162 Abs. 1 SGB VII).“
(2) Führt die bzw. der Beitragspflichtige einen Arbeitsunfall auf höhere Gewalt oder auf alleiniges Verschulden einer nicht zum Unternehmen gehörenden Person zurück und beruft sie bzw. er sich hierauf, so hat sie bzw. er den Nachweis innerhalb von drei Monaten nach Einlegung eines Widerspruchs gegen den entsprechenden Bescheid zu führen.
(3) Die Berechnung der Zuschläge wird nach folgenden Grundsätzen vorgenommen:
1. Beobachtungszeitraum: Das Beitragszuschlagsverfahren wird jährlich nachträglich für das abgelaufene Geschäftsjahr (im folgenden: Beitragsjahr) durchgeführt unter Berücksichtigung der im Beitragsjahr bekannt gewordenen meldepflichtigen Arbeitsunfälle (im folgenden: Arbeitsunfall), der im Beitragsjahr festgestellten neuen Unfallrenten und der Todesfälle (gemeint sind nur Todesfälle, die innerhalb von 30 Tagen nach dem Unfalltag eingetreten sind), die sich im Beitragsjahr ereignet haben.
2. Zuschlagspflichtig sind nur
Beitragspflichtige, deren Belastung wesentlich von der Durchschnittsbelastung aller Unternehmen ihrer Tarifstelle abweicht. Wesentlich ist die Abweichung, wenn die Einzelbelastung um mehr als 25 v.H. über der Durchschnittsbelastung der Tarifstelle liegt. Beitragspflichtige, deren tatsächlich errechneter Beitrag unter dem jeweils geltenden Mindestbeitrag (sofern der Vorstand einen Mindestbeitrag festgesetzt hat gemäß § 24 Abs. 7) liegt, und gemeinnützige Unternehmen sind vom Beitragszuschlagsverfahren ausgenommen.
3. Berechnung der Belastung: In das Zuschlagsverfahren werden grundsätzlich alle Unfälle gemäß Nr. 1 einbezogen.
Jedes Unternehmen wird wie folgt belastet:
– für jeden im Beitragsjahr bekannt gewordenen Arbeitsunfall:
mit Kosten (Sach- und Geldleistungen) des Unfalles bis 10.000 Euro: Null Punkte mit Kosten (Sach- und Geldleistungen) des Unfalles über 10.000 Euro: 1 Punkt
– für jede im Beitragsjahr festgestellte neue Arbeitsunfallrente:
mit Kosten (Sach- und Geldleistungen) des Unfalles bis 10.000 Euro: Null Punkte mit Kosten (Sach- und Geldleistungen) des Unfalles über 10.000 Euro: 50 Punkte
– für jeden im Beitragsjahr bekannt gewordenen Todesfall (siehe Absatz 3 Ziff. 1): 100 Punkte Für einen Unfall können mehrere Punktwerte anfallen; ein Unfall kann ferner in zwei verschiedenen Beitragsjahren bepunktet werden, wenn die Meldung des Arbeitsunfalls und die Feststellung der Unfallrente bzw. der Eintritt des Todesfalles in verschiedenen Beitragsjahren erfolgen.
a) Zur Berechnung der Einzelbelastung werden die Punkte jedes Unternehmens addiert (Belastungspunkte) und auf je 10.000 Euro Beitrag der Unternehmerin bzw. des Unternehmers für das Beitragsjahr bezogen. Für die Berechnung der Einzelbelastung gilt folgende Formel Belastungspunkte des Unternehmens im Beitragsjahr x 10.000
./. Beitrag des Unternehmers im Beitragsjahr
= Einzelbelastung
b) Zur Berechnung der Durchschnittsbelastung werden die Punkte aller Unternehmen einer Gefahrtarifstelle addiert (Gesamtbelastungspunkte) und auf je 10.000 Euro Beitrag der Unternehmerinnen bzw. der Unternehmer einer Gefahrtarifstelle für das Beitragsjahr bezogen. Maßgeblich für die Zuordnung eines Unternehmens zu einer Gefahrtarifstelle ist das Hauptunternehmen.
Für die Berechnung der Durchschnittsbelastung gilt folgende Formel:
Gesamtbelastungspunkte der Unternehmen der jeweiligen Gefahrtarifstelle im Beitragsjahr x 10.000
./. Beitrag aller Unternehmer der jeweiligen Gefahrtarifstellen im Beitragsjahr
= Durchschnittsbelastung
4. Der Zuschlag zum Beitrag beträgt
– 5 v.H. des für das Beitragsjahr zu zahlenden Beitrages, wenn die Einzelbelastung um mehr als 25 v.H. bis einschließlich 100 v.H. über der Durchschnittsbelastung der Gefahrtarifstelle liegt,
– 7,5 v.H., wenn die Einzelbelastung um mehr als 100 v.H. bis einschließlich 200 v.H. über der Durchschnittsbelastung der Gefahrtarifstelle liegt und
– 10 v.H., wenn die Einzelbelastung um mehr als 200 v.H. über der Durchschnittsbelastung der Gefahrtarifstelle liegt.
Für die Berechnung der Beiträge nach den Nr. 3 und 4 wird nur der Beitragsanteil herangezogen, der sich aus dem Umlagesoll für die Berufsgenossenschaft (§ 152 Abs. 1 SGB VII) ergibt.
5. Der Zuschlag zum Beitrag wird mit dem Beitrag des Beitragsjahres erhoben, spätestens bis zum Ablauf des dem Beitragsjahr folgenden Jahres.
(4) Der Vorstand kann Übergangs- und Durchführungsbestimmungen erlassen.
Mit dem 2. Nachtrag wurde folglich § 29 Abs. 3 Nr. 3 der Satzung neu formuliert, denn dieser lautete zuvor:
3. Berechnung der Belastung: In das Zuschlagsverfahren werden grundsätzlich alle Unfälle gemäß Nr. 1 einbezogen.
Jedes Unternehmen wird wie folgt belastet:
– für jeden im Beitragsjahr bekannt gewordenen Arbeitsunfall:
mit Kosten bis 10.000 Euro: Null Punkte mit Kosten über 10.000 Euro: 1 Punkt
– für jede im Beitragsjahr festgestellte neue Arbeitsunfallrente:
mit Kosten bis 10.000 Euro: Null Punkte mit Kosten über 10.000 Euro: 50 Punkte
– für jeden im Beitragsjahr bekannt gewordenen Todesfall (siehe Absatz 3 Ziff. 1): 100 Punkte
Dabei hatte der Satzungsgeber im 2. Nachtrag vom 04.07.2013 ausdrücklich geregelt, dass die darin enthaltene Neufassung von § 29 Abs. 3 Nr. 3 der Satzung zum 01.01.2013 in Kraft tritt, ohne für das Beitragsjahr 2012 eine abweichende Übergangs- oder Stichtagsregelung einzuführen. Da das Beitragszuschlagsverfahren gemäß § 29 Abs. 3 Nr. 1 der Satzung „jährlich nachträglich für das abgelaufene Geschäftsjahr (im folgenden: Beitragsjahr)“ unter Berücksichtigung konkret definierter Ereignisse im Beitragsjahr durchgeführt wird, ist die Satzung in der Fassung des 2. Nachtrags auf das im Jahr 2013 durchzuführende Beitragszuschlagsverfahren anzuwenden, auch wenn das Beitragszuschlagsverfahren 2013 den Zuschlag zu Beiträgen aus dem Beitragsjahr 2012 betrifft (vgl. zu den Grundsätzen des intertemporalen Verwaltungsrechts auch BVerwG, Urteil vom 25.10.2017 – 1 C 21/16 – Juris RdNr. 18, BSG, Urteil vom 27.08.1998 – B 10 AL 7/97 R – Juris RdNr. 23).
Dass die Arbeitsunfälle von S.F. und A.E. gemäß § 29 Abs. 1 Satz 2 der Satzung nicht zu berücksichtigen wären, weil sie durch höhere Gewalt oder durch alleiniges Verschulden nicht zum Unternehmen gehörender Personen verursacht worden wären oder weil es sich um Wegeunfälle handeln würde, ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Ferner haben sich beide Arbeitsunfälle im Beitragsjahr 2012 ereignet und für den Arbeitsunfall des S.F. ist im Beitragsjahr 2012 zudem eine unfallbedingte Verletztenrente neu festgestellt worden (§ 29 Abs. 3 Nr. 1 der Satzung).
Auch wurde die Belastung, insbesondere die Zahl der Belastungspunkte gemäß § 29 Abs. 3 Nr. 3 der Satzung zutreffend ermittelt. Da für die 2012 bekannt gewordenen Arbeitsunfälle von S.F. und A.E. jeweils über 10.000 € Kosten für Sach- und Geldleistungen angefallen waren, ergaben sich nach dem ersten Spiegelstrich zwei Belastungspunkte. Nach § 29 Abs. 3 Nr. 3 Satz 2 zweiter Spiegelstrich der Satzung waren für die im Beitragsjahr 2012 für S.F. festgestellte neue Arbeitsunfallrente weitere 50 Belastungspunkte anzusetzen, weil im Beitragsjahr 2012 – dem Jahr der Feststellung dieser neuen Arbeitsunfallrente – Kosten des Unfalls in Form von Sach- und Geldleistungen über 10.000 € angefallen waren. Dass maßgeblich für die Kostenüberschreitung der 10.000 €-Grenze nicht nur die Rentenleistungen selbst, sondern auch weitere Kosten in Form von Geld- und Sachleistungen im Jahr der Rentenbewilligung sind, u.a. für Heilbehandlung, Verletztengeld etc., ist in der Neufassung der Satzungsregelung mit Wirkung ab 01.01.2013 eindeutig klargestellt. Soweit der Klägerbevollmächtigte Bedenken an der Bestimmtheit der Vorschrift geäußert hat, überzeugen seine Ausführungen nicht. Dabei können nach § 29 Abs. 3 Nr. 3 Satz 3 der Satzung für einen Unfall mehrere Punktwerte anfallen, hier also für den Arbeitsunfall von S.F. insgesamt 51 Belastungspunkte, nämlich 50 Punkte wegen der neuen Arbeitsunfallrente und ein weiterer Punkt wegen des neuen Arbeitsunfalls mit Kosten über 10.000 €.
2. Die dem Beitragszuschlag zugrundeliegende Vorschrift in § 29 der Satzung der Beklagten ist ebenfalls rechtlich nicht zu beanstanden.
Satzungen der Berufsgenossenschaften sind autonomes Recht (§ 34 Viertes Buch Sozialgesetzbuch – SGB IV), wobei der Grund für die Übertragung dieser Regelungsgegenstände auf die Selbstverwaltung in deren besonderer Sachkunde und Sachnähe zu sehen ist (vgl. BSG, Urteil vom 17.05.2011 – B 2 U 18/10 – Juris RdNr. 38; BSG, Urteil vom 16.11.2005 – B 2 U 15/04 R – Juris RdNr. 17). Von den Gerichten ist daher nicht zu entscheiden, ob die Vertreterversammlung im gesetzlichen Rahmen die zweckmäßigste, vernünftigste und gerechteste Satzungsregelung beschlossen hat (vgl. BSG, Urteil vom 16.11.2005 – B 2 U 15/04 R – Juris RdNr. 18 m.w.N.). Die Satzungsregelungen unterliegen aber der gerichtlichen Nachprüfung im Hinblick darauf, ob sie mit der Ermächtigungsnorm und sonstigem höherrangigem Recht vereinbar sind (vgl. BSG, a.a.O.).
Die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage der Beklagten als gewerbliche Berufsgenossenschaft für die Regelung von Zuschlägen und Nachlässen – die sogenannte Satzungskompetenz – ergibt sich aus § 162 Abs. 1 Satz 3 SGB VII (vgl. zum Gesetzesvorbehalt nach § 31 Erstes Buch Sozialgesetzbuch – SGB I etc. BSG, Urteil vom 17.05.2011 – B 2 U 18/10 R – Juris RdNr. 37 ff.).
Bedenken gegen die formelle Rechtmäßigkeit der Satzung in der Fassung des 2. Nachtrags vom 04.07.2013 bestehen nicht; insbesondere wurden die Satzung sowie der 2. Nachtrag von der gemäß § 33 Abs. 1 SGB IV zuständigen Vertreterversammlung beschlossen und gemäß § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB IV i.V.m. § 114 Abs. 2 SGB VII vom Bundesversicherungsamt als zuständiger Aufsichtsbehörde am 18.07.2013 mit Wirkung zum 01.01.2013 genehmigt.
§ 29 der Satzung in der Fassung des 2. Nachtrags ist ferner nach Überzeugung des Senats mit der Ermächtigungsnorm des § 162 SGB VII und sonstigem höherrangigem Recht vereinbar.
Zuschläge und Nachlässe zu den Beiträgen i.S.v. § 162 SGB VII gehören zu den Regelungen über die Aufbringung der Mittel im 6. Kapitel des SGB VII. Die Mittel für die Ausgaben der Berufsgenossenschaften werden durch Beiträge der beitragspflichtigen Unternehmer aufgebracht (§ 150 Abs. 1 SGB VII). Gemäß § 152 Abs. 1 SGB VII werden Beiträge nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Beitragsansprüche dem Grunde nach entstanden sind, im Wege der Umlage festgesetzt. Die Umlage muss den Bedarf des abgelaufenen Kalenderjahres einschließlich der zur Ansammlung der Rücklage sowie des Verwaltungsvermögens nötigen Beträge decken (§ 152 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Berechnungsgrundlagen für die Beiträge sind dabei der Finanzbedarf (Umlagesoll), die Arbeitsentgelte der Versicherten und die Gefahrklassen (vgl. § 153 Abs. 1 SGB VII bzw. § 24 Abs. 3 der Satzung). Der von dem Unternehmer zu leistende Beitrag ergibt sich aus den Arbeitsentgelten sowie der Gefahrklasse seines Unternehmens und dem Beitragsfuß (§ 167 Abs. 1 SGB VII). Die Höhe des Beitragsfußes wiederum errechnet sich durch Division des Umlagesolls durch die Beitragseinheiten (= Arbeitsentgelte x Gefahrenklassen) (vgl. § 167 Abs. 2 SGB VII). Damit hängt die Höhe des Beitragsfußes von den Ausgaben und Einnahmen ab (= Umlagesoll), weshalb sich zusätzliche Einnahmen aufgrund von Beitragszuschlägen beitragsmindernd auswirken.
Des Weiteren haben die gewerblichen Berufsgenossenschaften nach § 162 Abs. 1 Satz 1 SGB VII unter Berücksichtigung der anzuzeigenden Versicherungsfälle Zuschläge aufzuerlegen oder Nachlässe zu bewilligen. Dabei bleiben Versicherungsfälle nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGB VII außer Ansatz (§ 162 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Das Nähere bestimmt die Satzung; dabei kann sie Versicherungsfälle, die durch höhere Gewalt oder durch alleiniges Verschulden nicht zum Unternehmen gehörender Personen eintreten, und Versicherungsfälle auf Betriebswegen sowie Berufskrankheiten ausnehmen (§ 162 Abs. 1 Satz 3 SGB VII). Die Höhe der Zuschläge und Nachlässe richtet sich nach der Zahl, der Schwere oder den Aufwendungen für die Versicherungsfälle oder nach mehreren dieser Merkmale (§ 162 Abs. 1 Satz 4 SGB VII). Die Satzung kann bestimmen, dass auch die nicht anzeigepflichtigen Versicherungsfälle für die Berechnung von Zuschlägen oder Nachlässen berücksichtigt werden (§ 162 Abs. 1 Satz 5 SGB VII).
Damit entspricht die Vorschrift des § 162 Abs. 1 SGB VII im Wesentlichen der Regelung in § 725 Abs. 2 der Reichsversicherungsordnung (RVO) i.d.F. des 19. Rentenanpassungsgesetzes (19. RAG) vom 03.06.1976 (BGBl. I 1373, 1377; vgl. BSG, Urteil vom 16.11. 2005 – B 2 U 15/04 R – Juris RdNr. 14 m.w.N., u.a. mit Verweis auf die Begründung zum Gesetzentwurf von § 162 Abs. 1 SGB VII, BT-Drucks 13/2204 S. 112). Unterschiede ergeben sich darin, dass in § 162 Abs. 1 Satz 4 SGB VII der Begriff „Aufwendungen“ an Stelle des Begriffs „Kosten“ verwendet wird und dass die Möglichkeiten für Ausnahmen gegenüber der RVO-Regelung erweitert wurden (vgl. BSG, a.a.O.). Soweit nicht gerade diese Änderungen von Bedeutung sind, kann daher weiter auf die zu § 725 Abs. 2 RVO i.d.F. des 19. RAG ergangene Rechtsprechung abgestellt werden (vgl. BSG, a.a.O.).
Entsprechend der Rechtsprechung des BSG gilt daher weiterhin, dass ein Zuschlags-Nachlass-Verfahren als solches zwingend vorgeschrieben ist und dass das Verfahren Zuschläge und Nachlässe von wirtschaftlichem Gewicht vorsehen muss (vgl. BSG, Urteil vom 16.11.2005 – B 2 U 15/04 R – Juris RdNr. 15). Grenzen sind das Versicherungsprinzip und der aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitende Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (Übermaßverbot; vgl. BSG, a.a.O.). Das Verfahren soll dem Zweck dienen, mit Mitteln des Beitragsrechts positive Anreize für eine verstärkte Unfallverhütung durch den Unternehmer in seinen Betrieben zu bewirken (vgl. BSG, a.a.O. unter Verweis auf den schriftlichen Bericht des Ausschusses für Sozialpolitik, BT-Drucks. IV/938, S. 23 f.). Nach den im Gesetz vorgesehenen Kriterien für die Höhe der Zuschläge und Nachlässe („Zahl, Schwere oder Aufwendungen für die Versicherungsfälle“) ist das tatsächliche objektive Unfallgeschehen als Folge der durch den Betrieb bedingten Gefahrenlage ausschlaggebend (vgl. BSG, a.a.O.). Die Vorschrift dient außerdem dazu, die genossenschaftlich haftenden Mitglieder der Berufsgenossenschaften gerechter an dem finanziellen Ergebnis eines Geschäftsjahres teilhaben zu lassen (vgl. BSG, Urteil vom 18.10.1984 – 2 RU 31/83 – Juris RdNr. 19 m.w.N.). Die Beitragszuschläge wirken sich nämlich dahingehend aus, dass die Beitragsquote aller Unternehmen und die konkrete Beitragsbelastung aller nicht mit Zuschlägen belegten Unternehmen sinkt. Auch in der Literatur wird darauf hingewiesen, dass das Beitragsausgleichsverfahren größere Beitragsgerechtigkeit ermöglichen, teils mit erheblichem Kostenaufwand betriebene Prävention honorieren und durch Beitragsanreize die Prävention fördern soll (vgl. hierzu im Einzelnen Bayerisches LSG, Urteil vom 23.01.2018 – L 3 U 29/15 – Juris).
1) § 29 der Satzung entspricht den Regelungen in § 162 SGB VII. Insbesondere war die Beklagte gemäß § 162 Abs. 1 Satz 3 befugt, Versicherungsfälle, die durch höhere Gewalt oder durch alleiniges Verschulden nicht zum Unternehmen gehörender Personen eintreten, sowie Berufskrankheiten von der Berücksichtigung auszunehmen. Dass Wegeunfälle unberücksichtigt bleiben, entspricht als deklaratorische Regelung § 162 Abs. 1 Satz 2 SGB VII.
Dass die Satzung nur die Auferlegung von Zuschlägen und nicht zusätzlich die Bewilligung von Nachlässen vorsieht, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Es entspricht der allgemeinen Auffassung in Rechtsprechung und Literatur, dass nach dem klaren Wortlaut von § 162 SGB VII neben kombinierten Zuschlags- und Nachlassverfahren auch reine Zuschlagsverfahren oder reine Nachlassverfahren zulässig sind (vgl. Bayerisches LSG, Urteil vom 23.01.2018 – L 3 U 29/15 – Juris; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 02.03.2010 – L 14 U 83/08 – Juris RdNr. 19; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 30.06.2008 – L 1 U 3732/07 – Juris RdNr. 38 ff.), zumal sich Beitragszuschläge dahingehend auswirken, dass die Beitragsquote aller Unternehmen und die konkrete Beitragsbelastung aller nicht mit Zuschlägen belegten Unternehmen sinkt (vgl. BSG, Urteil vom 18.10.1984 – 2 RU 31/83 – Juris RdNr. 19; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 30.06.2008 – L 1 U 3732/07 – Juris RdNr. 41).
Die Satzung der Beklagten bewegt sich also im Rahmen der Ermächtigungsnorm des § 162 Abs. 1 SGB VII, wenn sie in § 29 Abs. 1 Satz 1 der Satzung bestimmt, dass die Zuschläge zum Beitrag unter Berücksichtigung der Zahl und Schwere der anzuzeigenden Arbeitsunfälle auferlegt werden. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 162 Abs. 1 Satz 4 SGB VII werden die dort genannten Berechnungselemente (Zahl, Schwere oder Aufwendungen für die Versicherungsfälle) mit dem Wort „oder“ verknüpft, so dass diese Berechnungselemente im Sinne einer Alternative zu verstehen sind; daher können die vorgegebenen Merkmale ausdrücklich alternativ oder kombiniert verwendet werden. Auch ein allein auf eines der Berechnungselemente abstellendes Beitragsausgleichsverfahren ist zulässig (vgl. BSG, Urteil vom 16.11.2005 – B 2 U 15/04 R – Juris RdNr. 21 m.w.N.).
Die Beklagte stellt bei der Zuschlagsgestaltung in § 29 Abs. 1 Satz 1 der Satzung durch Staffelung der Belastungspunkte besonders auf die Schwere des Arbeitsunfalls ab und bildet zunächst drei Fallgruppen zur Grundeinteilung, um entsprechend den Anforderungen einer Massenverwaltung typisierend und vereinfachend den Schweregrad zu definieren (vgl. auch Bayerisches LSG, Urteil vom 23.01.2018 – L 3 U 29/15 – Juris). So legt die Beklagte vorab in § 29 Abs. 3 Nr. 1 der Satzung die zu berücksichtigenden Fallgruppen fest, die dann als zu berücksichtigende Unfälle entsprechend § 29 Abs. 3 Nr. 3 mit Belastungspunkten bewertet werden, nämlich:
– im Beitragsjahr bekannt gewordene meldepflichtige Arbeitsunfälle (Fallgruppe 1),
– im Beitragsjahr festgestellte neue Unfallrenten (Fallgruppe 2) und
– im Beitragsjahr innerhalb von 30 Tagen nach dem Unfalltag eingetretene Todesfälle (Fallgruppe 3).
Ein Arbeitsunfall, bei dem innerhalb von 30 Tagen nach dem Unfalltag der Tod des Versicherten eingetreten ist, wird ohne weitere Differenzierung als Fallgruppe des höchsten Schweregrades mit 100 Belastungspunkten bewertet.
Innerhalb der Bewertung der beiden anderen Fallgruppen – den meldepflichtigen Arbeitsunfällen im Beitragsjahr und den im Beitragsjahr neu festgestellten Unfallrenten – wird zusätzlich nach den im Beitragsjahr angefallenen Kosten der Unfälle in Form von Geld- und Sachleistungen differenziert und für die Vergabe der fallgruppenspezifischen Belastungspunkte eine Art Mindestkostengrenze eingeführt.
So wird ein Arbeitsunfall, der im Beitragsjahr erstmals zur Feststellung einer Unfallrente (sog. neue Unfallrente) geführt hat, mit 50 Belastungspunkten bewertet, sofern die Kosten für Geld- und Sachleistungen im Beitragsjahr über 10.000 € betragen haben, bzw. mit 0 Punkten, wenn nur Kosten bis zu 10.000 € angefallen sind. Ein im Beitragsjahr bekannt gewordener meldepflichtiger Arbeitsunfall wird mit einem Belastungspunkt bewertet, sofern die Kosten für Geld- und Sachleistungen im Beitragsjahr über 10.000 € betragen haben, ansonsten dagegen mit 0 Punkten.
Diese angesetzten Kriterien zur Beurteilung der Schwere eines Arbeitsunfalls sind nach Überzeugung des Senats rechtlich nicht zu beanstanden (vgl. so auch Bayerisches LSG, Urteil vom 23.01.2016 – L 3 U 29/15 – Juris). Dass ein Arbeitsunfall mit Todesfolge im Rahmen des dem Satzungsgebers obliegenden Gestaltungsspielraumes als die schwerste Form eines Arbeitsunfalls mit entsprechend vielen Belastungspunkten bewertet wird, ohne dass die dadurch verursachten Kosten Berücksichtigung finden, die in einem solchen Fall ggf. sogar vergleichsweise gering sein können (z.B. bei sofortigem Todeseintritt und fehlenden Hinterbliebenen), ist rechtlich nicht zu beanstanden, da das Beitragszuschlagsverfahren gerade dem Präventionsgedanken Rechnung trägt (vgl. auch Bayerisches LSG, Urteil vom 23.01.2018 – L 3 U 29/15 – Juris).
Ebenso wenig ist rechtlich zu beanstanden, dass die Beklagte eine im Beitragsjahr neu festgestellte Unfallrente bei Überschreiten der Mindestkostengrenze von 10.000 € für Sach- und Geldleistungen mit 50 Belastungspunkten bewertet und damit zugleich deutlich höher gewichtet als einen Arbeitsunfall im Beitragsjahr mit gleichen (erheblichen) Kosten von mehr als 10.000 €, der keinen Rentenanspruch nach sich zieht und nur mit einem Belastungspunkt bewertet wird. Ein Arbeitsunfall, der einen Rentenanspruch begründet, muss zwangsläufig über die 26. Woche hinaus und nach dem Ende der unfallbedingten Arbeitsunfähigkeit noch Gesundheitsschäden – Unfallfolgen – hinterlassen, die die Erwerbsfähigkeit des Versicherten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nennenswert mindern. Ein solcher Arbeitsunfall hat also typischerweise längere bzw. dauerhafte gesundheitliche Beeinträchtigungen für den Betroffenen zur Folge, die regelmäßig über das Beitragsjahr hinausgehen und oft langjährig, ggf. sogar lebenslang Einschränkungen des Betroffenen und Rentenleistungen nach sich ziehen, wie bereits das SG dargelegt hat. Aus Sicht des Verletzten liegt der Schweregrad von Arbeitsunfällen mit Rentenanspruch daher typischerweise höher als der von Arbeitsunfällen, die keinen Rentenanspruch begründen, selbst wenn diese hohe Kosten (z.B. für die Heilbehandlung) verursacht haben. Ferner sind angesichts bleibender Unfallfolgen in Fällen einer Unfallrente in der Regel auch in den Folgejahren weitere Aufwendungen – z.B. für Heilbehandlungen, Rehabilitation, Rentenleistungen etc. – zu erwarten. Auch dies rechtfertigt die einmalige deutliche Gewichtung mit 50 Belastungspunkten im Beitragsjahr der Erstfeststellung, auch wenn die Kosten für die Rente allein im Beitragsjahr (noch) gering sein mögen. Spätere Rentenänderungen – z.B. Rentenerhöhungen, aber auch Einstellungen der Rente – werden nämlich nicht berücksichtigt, weil nach der Satzung pauschalierend (nur) auf das Beitragsjahr als Beobachtungszeitraum abgestellt wird. Diese Beschränkung auf das Beitragsjahr entspricht der Verwaltungspraktikabilität im Rahmen der Massenverwaltung. Denn die Beklagte muss bei Auswahl der Kriterien, z.B. zur Bestimmung der Schwere des Arbeitsunfalls, auch darauf achten, dass die maßgeblichen Merkmale und Berechnungsgrundlagen ohne unverhältnismäßigen Aufwand zu ermitteln und anzuwenden sind im Interesse der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit (vgl. Bayerisches LSG, Urteil vom 23.01.2018 – L 3 U 29/15 – Juris). Außerdem dient es dem Präventionsgedanken, wenn sich Anreize zur Förderung weiterer Prävention bzw. eine Honorierung erfolgreicher Präventionsmaßnahmen möglichst zeitnah im Beitragsausgleichsverfahren niederschlagen.
Dass der Satzungsgeber im Rahmen der Fallgruppen 1 und 2 durch die Mindestkostengrenze Fälle mit Kosten bis zu 10.000 € im Beitragsjahr nicht mit Belastungspunkten bewertet, wird ebenfalls von dem weiten gesetzlich vorgesehenen Gestaltungspielraum gedeckt, zumal der Gesetzgeber ausdrücklich auch die Aufwendungen als zulässiges Merkmal für die Höhe der Zuschläge und Nachlässe in § 162 Abs. 1 Satz 4 SGB VII aufgenommen hat. Denn die Einführung einer Mindestkostengrenze dient entscheidend der weiteren Konkretisierung des Schweregrades innerhalb der großen Bandbreite von Fallgestaltungen, die nach der typisierenden Grundeinteilung den ersten beiden Fallgruppen zuzuordnen sind. Die Mindestkostengrenze als weiteres pauschalierendes Kriterium soll sicherstellen, dass die Vergabe der Belastungspunkte in der jeweiligen Fallgruppe dem typisierend vom Satzungsgeber zu Grunde gelegten Schweregrad dieser Fallgruppe entspricht, damit die mit pauschalierenden Regelungen unvermeidbar einhergehenden Härten und Ungerechtigkeiten nur eine kleinstmögliche Zahl von Unternehmern treffen. Die Kosten von Sach- und Geldleistungen sind – abgesehen von Arbeitsunfällen mit tödlichem Ausgang – durchaus ein geeignetes Merkmal, um die Schwere des Arbeitsunfalls typisierend zu erfassen bzw. um weniger schwere Fälle abzugrenzen (vgl. hierzu auch Bayerisches LSG, Urteil vom 23.01.2018 – L 3 U 29/15 – Juris). Denn typischerweise gehen schwerere Verletzungen auch mit aufwändigeren bzw. längerdauernden und damit kostspieligeren Heilbehandlungsmaßnahmen, längeren Zeiten der Arbeitsunfähigkeit mit höheren Verletztengeldansprüchen oder bei Hinterlassen von Dauerfolgen mit höheren Rentenansprüchen wegen entsprechend hoher Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) einher. Ausgenommen werden durch die Mindestkostengrenze z.B. in der ersten Fallgruppe Arbeitsunfälle mit Bagatellverletzungen, die ohne größere Heilbehandlung innerhalb weniger Tage vollständig ausgeheilt sind, oder in der zweiten Fallgruppe Zeit- oder Stützrententatbestände, bei denen verbleibende Unfallfolgen typischerweise den Versicherten weniger lang bzw. weniger stark einschränken, sofern nicht die Höhe weiterer Aufwendungen im Beitragsjahr (z.B. für Verletztengeld und Heilbehandlungsmaßnahmen) eine höhergradige Einschränkung und Unfallschwere belegen.
Die weitere Berechnung des Beitragszuschlags auf Basis der so ermittelten Belastungspunkte lässt ebenfalls keine Verstöße gegen höherrangiges Recht erkennen. Zunächst wird für das einzelne Unternehmen einerseits und für alle Unternehmen derselben Gefahrtarifstelle andererseits jeweils das Verhältnis zwischen den Belastungspunkten zu den Beiträgen ermittelt. Nur wenn bei Vergleich dieser Werte die Einzelbelastung des Unternehmens die Gesamtbelastung aller Unternehmen derselben Gefahrtarifstelle um mehr als 25 v.H. übersteigt, wird ein Beitragszuschlag verlangt. Die Höhe des Beitragszuschlags ist ferner abhängig vom Prozentsatz des Überschreitens der Durchschnittswerte gestaffelt und beträgt 5 v.H., 7,5 v.H. oder maximal – bei Überschreitung der Durchschnittswerte um mehr als 200 v.H. – 10 v.H. des für das Beitragsjahr zu zahlenden Beitrags.
2) Der Anwendung von § 29 Abs. 3 in der Fassung des 2. Nachtrags zur Satzung vom 04.07.2013 bereits ab 01.01.2013 und damit rückwirkend schon für die Zeit vor seiner Bekanntgabe steht ferner das verfassungsrechtliche Rückwirkungsverbot nicht entgegen.
Nach Überzeugung des Senats dient die Neufassung des 2. Nachtrags lediglich der Klarstellung, enthält aber keine inhaltliche Änderung des Beitragszuschlagsverfahrens. Denn anders als vom SG Karlsruhe in seinem Urteil vom 15.01.2013 (S 1 U 3577/12 – Juris) angenommen, ist bereits § 29 Abs. 3 Nr. 3 der Satzung in der Fassung des ersten Nachtrags (im Folgenden: a.F.) dahingehend zu verstehen, dass für das Erreichen der Mindestkostengrenze von 10.000 € auch im Rahmen des 2. Spiegelstrichs alle Kosten des Unfalls und nicht nur Kosten von Rentenleistungen maßgeblich sind.
Zwar ist einzuräumen, dass die isolierte Betrachtung der Formulierung in § 29 Abs. 3 Nr. 3 der Satzung a.F. zur Punktevergabe dafür sprechen könnte, als Kosten unter Spiegelstrich 2 nur Kosten der Arbeitsunfallrente zu verstehen. Dagegen sprechen aber insbesondere Systematik sowie Sinn und Zweck der Satzungsregelung. Die Regelung zur Vergabe von Belastungspunkten in § 29 Abs. 3 Nr. 3 der Satzung a.F. ist nicht isoliert zu sehen, sondern knüpft an die vorstehenden Regelungen an. Danach bemisst der Satzungsgeber – wie dargelegt – die Zuschläge zulässigerweise nach Zahl und Schwere der anzuzeigenden Arbeitsunfälle (§ 29 Abs. 1 Satz 1 der Satzung) und bestimmt unter § 29 Abs. 3 Nr. 1 der Satzung die drei maßgeblichen Tatbestände (Fallgruppen), an die er bei Vergabe der Belastungspunkte unter Ziffer 3 anknüpft, nämlich neu bekannt gewordene meldepflichtige Arbeitsunfälle, festgestellte neue Unfallrenten und Todesfälle. Alle drei Fallgruppen werden unter § 29 Abs. 3 Nr. 3 der Satzung als „Unfall“ im Sinne des Zuschlagsverfahrens bezeichnet („alle Unfälle gemäß Nr. 1“) und der Regelung über die Punktevergabe vorangestellt. Die Punktestaffelung im Rahmen dieser drei Fallgruppen zeigt, dass der Satzungsgeber eine grundlegende Dreiteilung in leichte, mittelschwere und schwere Unfälle vorgenommen hat. Erst nach dieser Grundeinteilung der maßgeblichen Unfälle erfolgt innerhalb der ersten und zweiten Fallgruppe eine weitere Abstufung bzw. Konkretisierung des Schweregrades dieser Unfälle nach der Kostenhöhe im Beitragsjahr (bis 10.000 € bzw. über 10.000 €). Dafür, dass die Kostenhöhe ein eigenständiges, zusätzliches Kriterium zur Bestimmung des Schweregrades bildet und sich nicht nur auf die Arbeitsunfallrente bezieht, spricht auch der Aufbau der Vorschrift. Denn durch Verwendung des Doppelpunktes nach Benennung der Fallgruppe „für jede im Beitragsjahr festgestellte neue Arbeitsunfallrente“ wird die anschließende weitere Differenzierung nach Kosten klar abgegrenzt.
Außerdem würde die grundsätzliche Gewichtung der drei Fallgruppen (leicht – mittelschwer – schwer) konterkariert, wenn für das Erreichen der Kostengrenze innerhalb der Fallgruppe der neuen Arbeitsunfallrenten allein auf die Kosten für Rentenleistungen abgestellt würde. Denn jährliche Rentenleistungen von 10.000 € werden bei Erstbewilligung im Beitragsjahr eher selten erreicht, so dass dann ein Großteil der neuen Arbeitsunfallrenten überhaupt nicht berücksichtigt werden könnte.
So betrugen ausweislich der DGUV-Statistik für die Praxis 2016 (vgl. „DGUV-Statistiken für die Praxis 2016“; veröffentlicht als pdf-Datei unter www…de/de/zahlen-fakten/ index.jsp. unter dem Stichwort „Informationsschriften“) die Aufwendungen aller gewerblichen Berufsgenossenschaften für Renten je Rentenfall im Jahr 2012 durchschnittlich (Übersicht 38) an Versicherte 5.389 €, an Witwen / Witwer 12.586 €, an Waisen 7.228 € und an sonstige Berechtigte 6.406 €. Auch wenn diese Statistik keinen Aufschluss über die durchschnittliche Rentenhöhe der bei der Beklagten Versicherten gibt, weist sie doch darauf hin, dass Rentenzahlungen allein typischerweise selten zum Überschreiten der 10.000 €-Grenze führen.
Ähnliches gilt bei Überlegungen auf Basis des Durchschnittseinkommens. Gemäß § 56 Abs. 3 SGB VII beträgt die Vollrente 2/3 des Jahresarbeitsverdienstes (JAV) des Versicherten. Ausgehend vom durchschnittlichen Bruttomonatsentgelt (ohne Sonderzahlungen im produzierenden Gewerbe und in Dienstleistungsunternehmen) eines in Vollzeit beschäftigten Arbeitnehmers im Jahr 2012 von 3.391 € gemäß Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamtes (Destatis; www…de/…html) würde sich bei einer MdE von 100 v.H. eine jährliche Rentenzahlung von 27.128 € errechnen (= 2/3 x 12 x 3.391 €). Voraussetzung für das Überschreiten der 10.000 €-Grenze im Beitragsjahr allein durch Rentenleistungen wäre danach für einen Durchschnittsverdiener bei Rentenbewilligung im Januar eine MdE von mindestens 40 v.H., bei Rentenbewilligung im Juli eine MdE von mind. 75 v.H. und bei einer Vollrente nach einer MdE von 100 v.H. eine Bewilligung spätestens im August.
Zugleich zeigt diese beispielhafte Berechnung, dass bei Abstellen allein auf die Rentenleistungen im Beitragsjahr Kriterien, die keine Aussagekraft für die Schwere des Unfalls haben, sich unverhältnismäßig auf die Vergabe von Belastungspunkten auswirken können. Denn neben der Höhe des JAV des Versicherten wirkt sich ganz erheblich der Zeitpunkt des Beginns der Verletztenrente im Beitragsjahr aus, der meist von Zufällen abhängt. Eine unterschiedliche Bewertung neuer Verletztenrenten mit Belastungspunkten bei gleicher MdE und gleichem JAV allein wegen des unterschiedlichen Zeitpunkts des Rentenbeginns im Beitragsjahr, begegnet erheblichen Bedenken. Daher erscheint es auch im Interesse einer dem Gleichbehandlungsgebot nach Art. 3 Abs. 1 GG entsprechenden, grundrechtskonformen Auslegung der Satzungsvorschrift geboten, zur Bestimmung des Schweregrades alle im Beitragsjahr angefallenen Kosten zu berücksichtigen. Denn dadurch wird die Auswirkung dieser Zufälligkeit des Bewilligungszeitpunkts auf die Belastungspunkte abgemildert, weil der erstmaligen Rentenbewilligung typischerweise erhebliche Heilbehandlungsmaßnahmen und Verletztengeldzahlungen vorausgehen. Wird Verletztenrente erst spät im Beitragsjahr bewilligt, sind typischerweise für eine längere Zeit im Beitragsjahr andere Leistungen wie Verletztengeld oder Heilbehandlung mit entsprechend hohen Kosten erbracht worden. Erfolgt die erstmalige Rentenbewilligung dagegen frühzeitig im Beitragsjahr, sind typischerweise die Kosten für Rentenleistungen im Beitragsjahr höher, während Kosten für (begleitende) Heilbehandlungsmaßnahmen und ggf. zwischenzeitlich anfallende Verletztengeldzahlungen geringer sind. Die Satzungsänderung mit Wirkung zum 01.01.2013, sei sie nun deklaratorischer oder konstitutiver Natur, dient damit zumindest der Vermeidung einer ungerechtfertigten Ungleichbehandlung hinsichtlich der Belastungspunkte für neue Arbeitsunfallrenten gleichen Schweregrades.
Selbst wenn die Neufassung von § 29 der Satzung durch den 2. Nachtrag mit Wirkung zum 01.01.2013 eine inhaltliche Neuregelung und damit eine rückwirkende Rechtsänderung hinsichtlich der zur berücksichtigenden Kosten beinhalten würde, begegnet dies nach Überzeugung des Senats keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) beruht das grundsätzliche Verbot rückwirkender belastender Gesetze auf den Prinzipien der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes gemäß Art. 20 Abs. 3 GG (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.03.1971 – 2 BvL 2/66 u.a. – Juris RdNr. 74). Es schützt das Vertrauen in die Verlässlichkeit und Berechenbarkeit der unter Geltung des Grundgesetzes geschaffenen Rechtsordnung und der auf ihrer Grundlage erworbenen Rechte (vgl. BVerfG, Urteil vom 23.11.1999 – 1 BvF 1/94 – Juris RdNr. 94 m.w.N.; BVerfG, Beschluss vom 10.10.2012 – 1 BvL 6/07 – Juris RdNr. 41 m.w.N.). Dabei ist in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung von BVerfG und BSG bei rückwirkenden Gesetzen zu unterscheiden zwischen Gesetzen mit echter Rückwirkung, die grundsätzlich nicht mit der Verfassung vereinbar sind (vgl. z.B. BVerfGE 132, 302, 318 m.w.N.), und Gesetzen mit unechter Rückwirkung, die grundsätzlich zulässig sind (vgl. z.B. BVerfGE 132, 302, 318; BVerfG, Beschluss vom 17.12.2013 – 1 BvL 5/08 – Juris RdNr. 40 ff.; BSG, Urteil vom 25.10.2016 – B 1 KR 11/16 R – Juris RdNr. 27 m.w.N.).
Eine Rechtsnorm entfaltet echte Rückwirkung, wenn sie nachträglich in einen abgeschlossenen Sachverhalt ändernd eingreift, insbesondere wenn ihre Rechtsfolge mit belastender Wirkung schon vor dem Zeitpunkt ihrer Verkündung für bereits abgeschlossene Tatbestände gelten soll (sogenannte „Rückbewirkung von Rechtsfolgen“; vgl. BVerfGE 127, 1, 16 f.). So liegt es regelmäßig, wenn der Gesetzgeber eine nicht nur vorläufig geregelte bereits entstandene Schuld nachträglich abändert (vgl. BVerfGE 127, 1, 18 f; BVerfGE 132, 302, 319). Diese Fallgruppe ist dadurch gekennzeichnet, dass der in der Vergangenheit liegende Sachverhalt mit dem Eintritt der Rechtsfolge kraft gesetzlicher Anordnung einen Grad an Abgeschlossenheit erreicht hat, über den sich der Normgeber vorbehaltlich besonders schwerwiegender Gründe nicht mehr hinwegsetzen darf (vgl. Burghart in Leibholz /Rinck, Kommentar zum Grundgesetz, 75. EL, zu Art. 20 RdNr. 1615). Dabei muss die gesetzliche Regelung jedoch generell geeignet sein, aus dem Vertrauen auf ihr Fortbestehen heraus Entscheidungen und Dispositionen herbeizuführen oder zu beeinflussen, die sich bei Änderung der Rechtslage als nachteilig erweisen (vgl. Burghart a.a.O. RdNr. 1622; BVerfG, Beschluss vom 23.03.1971 – 2 BvL 2/66 u.a. – Juris RdNr. 80). Denn das Rückwirkungsverbot findet im Grundsatz des Vertrauensschutzes nicht nur seinen Grund, sondern auch seine Grenze (BVerfGE 122, 374, 394; 135, 1, 21). Vertrauensschutz kommt da nicht in Frage, wo das Vertrauen auf eine bestimmte Rechtslage sachlich nicht gerechtfertigt wäre (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24.09.1965 – 1 BvR 228/65 – Juris RdNr. 20 m.w.N.).
Dagegen liegt eine unechte Rückwirkung vor, wenn eine Norm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte für die Zukunft einwirkt und damit die betroffene Rechtsposition nachträglich entwertet (vgl. BVerfGE 132, 302, 318; BSG, Urteil vom 25.10.2016 – B 1 KR 11/16 R – Juris RdNr. 28), wenn also belastende Rechtsfolgen einer Norm erst nach ihrer Verkündung eintreten, tatbestandlich aber von einem bereits ins Werk gesetzten Sachverhalt ausgelöst werden („tatbestandliche Rückanknüpfung“; vgl. BVerfGE 127, 61, 76). Regelungen, die eine unechte Rückwirkung entfalten, sind grundsätzlich zulässig und genügen dem rechtsstaatlichen Vertrauensschutzprinzip, wenn das schutzwürdige Bestandsinteresse des Einzelnen die gesetzlich verfolgten Gemeinwohlinteressen bei der gebotenen Interessenabwägung nicht überwiegt (vgl. BSG, Urteil vom 25.10.2016 – B 1 KR 11/16 R – Juris RdNr. 27; BVerfGE 97, 378, 389; BVerfGE 101, 239, 263).
Angesichts der Besonderheiten des Beitragszuschlagsverfahrens nach § 162 SGB VII handelt es sich bei der Änderung durch den 2. Nachtrag der Satzung mit Wirkung zum 01.01.2013, sofern man darin eine inhaltliche Rechtsänderung sieht, um einen Fall der zulässigen unechten Rückwirkung. Zwar entstehen Beitragsansprüche in der gesetzlichen Unfallversicherung dem Grunde nach gemäß § 22 SGB IV bereits im Beitragsjahr kraft Gesetzes mit Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen (vgl. BSG, Urteil vom 20.03.2007 – B 2 U 9/06 R – Juris RdNr. 10). Anders als in anderen Sozialversicherungssystemen gilt im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung jedoch das Umlageprinzip der nachträglichen Bedarfsdeckung ohne die Möglichkeit steuerfinanzierter Zuschüsse (vgl. demgegenüber Bundeszuschuss zur gesetzlichen Rentenversicherung nach § 213 SGB VI; Beteiligung des Bundes an Aufwendungen der gesetzlichen Krankenkassen, § 221 SGB V). Gemäß § 152 Abs. 1 SGB VII wird der im abgelaufenen Beitragsjahr angefallene Bedarf an Mitteln nach Ablauf des Kalenderjahres entsprechend dem in der Satzung festgelegten Verteilungsmaßstab auf die beitragspflichtigen Unternehmen umgelegt. Daher konkretisiert sich erst durch den im Wege der Beitragsberechnung tatsächlich ermittelten Finanzbedarf die Verpflichtung zur Beitragszahlung zu einer individuellen Beitragsschuld, die im Beitragsbescheid festgesetzt und nach seinem Erlass fällig wird (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 07.05.2009 – L 6 U 31/06 – Juris RdNr. 29). Daher wurden in der Rechtsprechung Satzungsänderungen mit Inkrafttreten zum 1. Januar eines Jahres für Beitragsumlagen bzw. Beitragsermäßigungen für das zurückliegende Beitragsjahr als Fall der unechten Rückwirkung gewertet, weil wegen der rechtlichen Struktur der Beitragserhebung die Beitragsberechnung vor der Satzungsänderung noch gar nicht habe erfolgen können und die Satzungsänderung daher nicht in bereits in der Vergangenheit abgeschlossene Verhältnisse ändernd eingegriffen habe (vgl. LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 07.05.2009 – L 6 U 31/06 – und LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 05.04.2000 – L 3 U 254/98, beide veröffentlicht bei Juris).
Erst recht ließ sich die Höhe der Beitragszuschläge nicht vor Inkrafttreten der Satzungsänderung am 01.01.2013 abschätzen bzw. berechnen, auch wenn sie an Tatbestandsvoraussetzungen aus dem vorangegangenen Beitragsjahr anknüpfte. Bereits die gesetzliche Konzeption des § 162 SGB VII sieht Kriterien vor, die nicht der Disposition des Unternehmers unterliegen und seiner Kenntnis weitgehend entzogen sind. So hat der Unternehmer zwar in der Regel Kenntnis von der Zahl der von ihm gemeldeten Arbeitsunfälle, aber nur eingeschränkte Kenntnis von der Schwere und meist keine Kenntnisse über verursachte Aufwendungen; auch hat ein Unternehmer in der Regel keine Kenntnis, ob und wann erstmals eine Unfallrente bewilligt wird. Gerade die vorliegende Regelung in § 29 der Satzung a.F. setzt aber – unabhängig von der Auslegung – umfangreiche Tatsachenfeststellungen voraus, die außerhalb der Sphäre des einzelnen Unternehmers liegen. Denn maßgeblich für den Zuschlag waren neben dem Finanzbedarf im Beitragsjahr Zahl und Schwere der Unfälle, d.h. Zahl der meldepflichtigen Arbeitsunfälle und erstmals bewilligter Unfallrenten nebst Kosten sowie Zahl der unfallbedingten Todesfälle im gesamten Beitragsjahr, also bis einschließlich 31.12.2012, wobei Arbeitsunfälle auszusondern waren, die durch höhere Gewalt oder alleiniges Verschulden nicht zum Unternehmen gehörender Personen verursacht worden waren (§ 29 Abs. 1 Satz 2 der Satzung). Außerdem hängt die Auferlegung von Beitragszuschlägen ganz wesentlich von dem Verhältnis der eigenen Belastungspunkte zu denen der anderen Unternehmer derselben Gefahrtarifklasse ab. Schon deswegen konnte sich vor dem 01.01.2013 kein schutzwürdiges Vertrauen eines Unternehmers darauf bilden, nicht oder nur in bestimmter Höhe mit Zuschlägen belastet zu werden. Das gilt selbst für Unternehmer, die im Beitragsjahr 2012 keinen einzigen Arbeitsunfall melden mussten, denn dies schließt eine neue Unfallrentenbewilligung im Beitragsjahr (z.B. wegen Verschlechterung von Unfallfolgen eines Arbeitsunfalls vergangener Jahre) nicht aus. Ein schutzwürdiges Bestandsinteresse des einzelnen Unternehmers an der Fortgeltung des alten Rechts, welches das mit einer – unterstellten – rechtsändernden Neufassung der Satzung verfolgte Gemeinwohlinteresse überwiegt, liegt nicht vor.
Im Gegenteil greift hier nach Überzeugung des Senats selbst nach den strengeren Maßstäben, die in Fällen der echten Rückwirkung von Normen an deren Zulässigkeit angelegt werden, mangels schutzwürdigen Vertrauens der Unternehmer gegenüber den mit dem 2. Nachtrag zur Satzung verfolgten Interessen das Rückwirkungsverbot nicht. Selbst in Fällen echter Rückwirkung tritt nämlich das Rückwirkungsverbot, das seinen Grund im Vertrauensschutz hat, zurück, wenn das Vertrauen auf eine bestimmte Rechtslage sachlich nicht gerechtfertigt und damit nicht schutzwürdig ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.03.1971 – 2 BvL 2/66 – Juris RdNr. 74 ff.). Das ist insbesondere der Fall, wenn
* sich kein schützenswertes Vertrauen auf den Bestand des geltenden Rechts bilden konnte,
* wenn überragende Belange des Gemeinwohls, die dem Prinzip der Rechtssicherheit vorgehen, eine rückwirkende Beseitigung von Normen erfordern (BVerfG, Urteil vom 23.11.1999 – 1 BvF 1/94 – Juris RdNr. 97. m.w.N.),
* wenn in dem Zeitpunkt, auf den der Eintritt der Rechtsfolge zurückbezogen wird, mit einer solchen Regelung zu rechnen war (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.03.1971 – 2 BvL 2/66 – Juris RdNr. 75),
* wenn die Rechtslage unklar, verworren oder lückenhaft ist oder in dem Maße systemwidrig und unbillig, dass ernste Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit bestehen, denn in diesen Fällen erfordert das Rechtsstaatsprinzip selbst, dass die Rechtssicherheit und Gerechtigkeit durch eine klärende Regelung rückwirkend hergestellt wird (vgl. BVerfG, Beschluss vom 23.03.1971 – 2 BvL 2/66 – Juris RdNr. 78),
* wenn eine Änderung der Rechtsprechung durch den Gesetzeber korrigiert wird (vgl. BVerfGE 72, 302, 325 ff.) oder
* wenn durch die rückwirkende Gesetzesänderung kein oder nur ganz unerheblicher Schaden verursacht wird, denn die gesetzliche Regelung muss generell geeignet sein, aus dem Vertrauen auf ihr Fortbestehen heraus Entscheidungen und Dispositionen herbeizuführen oder zu beeinflussen, die sich bei Änderung der Rechtslage als nachteilig erweisen (vgl. BVerfGE 13, 39, 45 f.).
Da die Beklagte als Normgeber und Normanwender bereits nach § 29 der Satzung a.F. bei Ermittlung von Belastungspunkten im Falle einer im Beitragsjahr neu festgestellten Arbeitsunfallrente die gesamten Kosten des Unfalls im Beitragsjahr berücksichtigt hatte, stand hier jedenfalls die ständige Verwaltungspraxis der Bildung schützenswerten Vertrauens der Mitgliedsunternehmen auf eine andere Auslegung der Norm entgegen. Mit der Neufassung durch den 2. Nachtrag zur Satzung vom 04.07.2013 hat die Vertreterversammlung der Beklagten die vom SG Karlsruhe im Urteil vom 15.01.2013 (S 1 U 3577/12) aufgezeigte Missverständlichkeit bzw. Unklarheit der Vorschrift rückwirkend beseitigt; der Satzungsgeber selbst sah – ebenso wie oben dargelegt der erkennende Senat – darin keine Rechtsänderung, sondern nur eine klarstellende Fassung der ursprünglichen Norm. Damit wurde der vom SG Karlsruhe aufgezeigten Auslegung von § 29 Abs. 3 Nr. 3 der Satzung a.F., die – wie oben dargelegt – mit Blick auf den Gleichbehandlungsgrundsatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG rechtlichen Bedenken begegnet, die Grundlage entzogen. Außerdem richtet sich die Zulässigkeit der echten Rückwirkung danach, in welchem Ausmaß die Rückwirkung der Vorschrift berechtigtes Vertrauen enttäuscht haben kann (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12.06.1986 – 2 BvL 5/80, 2 BvL 17/82, 2 BvR 635/80 – Juris RdNr. 75 ff.). Wie dargelegt konnte sich bei den beitragspflichtigen Unternehmern aber vor dem 01.01.2013 kein schutzwürdiges Vertrauen darauf bilden, im Jahr 2013 für das Beitragsjahr 2012 nicht oder nur in bestimmter Höhe mit Zuschlägen belastet zu werden. Kenntnis davon, ob und ggf. welche Arbeitsunfälle zu Belastungspunkten führen können, hatte die Klägerin hier erst durch Empfang des Anhörungsschreibens der Beklagten vom 17.07.2013 erhalten und damit nach der Satzungsänderung im 2. Nachtrag vom 04.07.2013 bzw. frühestens am Tag der Genehmigung der Satzungsänderung durch das BVA am 18.07.2013. Schon deswegen ist nicht ersichtlich, dass und ggf. welche Dispositionen die Klägerin oder andere Unternehmer im Vertrauen auf die Regelung des § 29 der Satzung a.F. getroffen haben könnten.
3) Nach Überzeugung des Senats steht § 29 der Satzung der Beklagten auch in Einklang mit den Grundrechten der Unternehmer und wahrt Übermaßverbot und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.
Das Übermaßverbot verlangt, dass ein Eingriff in angemessenem Verhältnis zu Gewicht und Bedeutung des jeweiligen Grundrechts, in das eingegriffen wird, steht (vgl. BSG, Urteil vom 16.11.2005 – B 2 U 15/04 R – Juris RdNr. 26 m.w.N.). Insbesondere liegt kein Verstoß gegen die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG vor. Legt der Staat den Bürgern Geldleistungspflichten auf, so greift er damit grundsätzlich nicht in den Schutzbereich von Art. 14 Abs. 1 GG ein, denn die Eigentumsgarantie schützt nicht das Vermögen als solches (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15.10.2009 – L 6 U 1859/08 – Juris RdNr. 39 m.w.N.). Etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn eine Abgabe den Pflichtigen übermäßig belastet und seine Vermögensverhältnisse grundlegend beeinträchtigt, die Abgabe also „erdrosselnde Wirkung“ hat (vgl. LSG Baden-Württemberg a.a.O.; BVerfG, Beschluss vom 29.11.1989 – 1 BvR 1402/87 – Juris RdNr. 48; BVerfG, Beschluss vom 31.05.1988 – 1 BvL 22/85 – Juris RdNr. 32). Dafür besteht jedoch kein Anhaltspunkt, zumal der Höchstsatz des Beitragszuschlags auf 10 v.H. beschränkt ist bzw. bei der Klägerin sogar nur 5 v.H. der ansonsten zu zahlenden Beiträge betrug.
Mangels objektiv berufsregelnder Tendenz des Beitragszuschlags hinsichtlich Wahl oder Ausübung des Berufs ist auch der Schutzbereich des Grundrechts auf Berufsfreiheit nach Art. 12 Abs. 1 GG nicht tangiert (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 15.10.2009 – L 6 U 1859/08 – Juris RdNr. 40; BSG, Urteil vom 21.10.1999 – B 11/10 AL 8/98 R – Juris RdNr. 21; BVerfG, Beschluss vom 29.11.1989 – 1 BvR 1402/87 – Juris RdNr. 47; BVerfG, Beschluss vom 03.06.2013 – 1 BvR 131/13 – Juris RdNr.18)
Soweit mit der Verpflichtung der Unternehmer, Beiträge einschließlich Beitragszuschläge an die Beklagte zu zahlen, in deren allgemeine Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG eingegriffen wird (vgl. BSG, Urteil vom 20.07.2017 – B 12 KR 14/15 R – Juris RdNr. 43; BVerfG, Beschluss vom 06.12.2005 – 1 BvR 347/98 – Juris RdNr. 49 ff.), ist dieser Eingriff gerechtfertigt und verstößt auch in der hier maßgeblichen Gestaltung nicht gegen das Übermaßverbot bzw. gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (vgl. zum Übermaßverbot BSG, Urteil vom 16.11.2005 – B 2 U 15/04 R – Juris RdNr. 26).
Soweit der Klägerbevollmächtigte geltend macht, dass die Klägerin wegen einer Rentenzahlung von höchsten ca. 3.900 € mit der elffachen Summe der Jahresrente belastet werde, lässt er schon die weiteren erheblichen Kosten im Beitragsjahr, die den 52 Belastungspunkten zu Grunde lagen, unter den Tisch fallen. Tatsächlich standen nämlich erbrachte Leistungen im Beitragsjahr 2012 von insgesamt 41.237,50 Euro dem geforderten Beitragszuschlag von 43.352,76 € gegenüber.
Selbst wenn aber ein Beitragszuschlag erheblich höher ist als die Entschädigungsleistungen der Beklagten für die bei der Zuschlagsberechnung zu berücksichtigenden Versicherungsfälle ist dies nach der Rechtsprechung des BSG kein Verstoß gegen das Übermaßverbot bzw. gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (vgl. BSG, Urteil vom 16.11.2005 – B 2 U 15/04 R – Juris RdNr. 27). Eine fühlbare Auswirkung von Unfällen im Rahmen des Beitragszuschlagsverfahrens dient vielmehr dem Gesetzeszweck, wirksame Anreize für Präventionsmaßnahmen zu schaffen. So entspricht die Belastung des Unternehmers bei jedem anzuzeigenden Arbeitsunfall dem ausdrücklichen Willen des Gesetzgebers (vgl. BSG, Urteil vom 16.11.2005 – B 2 U 15/04 R – Juris RdNr. 29; BSG, Urteil vom 18.10.1984 – 2 RU 31/83 – Juris RdNr. 22). Dass bereits ein einzelner anzuzeigender Unfall zur Auferlegung eines Beitragszuschlags führt bzw. führen kann, vermag daher keinen Verstoß der Satzungsregelung gegen das Verhältnismäßigkeitsgebot zu begründen (vgl. BSG Urteil vom 16.11.2005 – B 2 U 15/04 R – Juris RdNr. 29).
Anhaltspunkte dafür, dass aufgrund der Satzungsregelung generell erheblich höhere Beitragszuschläge verlangt werden als Aufwendungen anfallen, liegen nicht vor. Im Gegenteil spricht die differenzierte Regelung der Satzung für ihre Verhältnismäßigkeit: So setzt ein Beitragszuschlag hier eine Überschreitung der eigenen Belastungspunkte um mehr als 25 v.H. im Vergleich zu den übrigen Unternehmen derselben Gefahrtarifklasse voraus, die Höhe des Zuschlags differenziert nach dem Ausmaß der Überschreitung durch die Staffelung des Zuschlags (5 v.H., 7,5 v.H., 10 v.H.) und ist generell auf maximal 10 v.H. der Beiträge begrenzt, selbst wenn die Aufwendungen im Beitragsjahr ein Vielfaches des Beitragszuschlags betragen.
Außerdem ist außerhalb der Aufstellung des Gefahrtarifs sowie der Veranlagung hierzu im Beitragsrecht der gesetzlichen Unfallversicherung für den Grundsatz von Leistung und Gegenleistung kein Raum (vgl. BSG, Urteil vom 16.11.2005 – B 2 U 15/04 R – Juris RdNr.28). Die gesetzlich eingeräumte Möglichkeit, Beitragszuschläge nur nach Zahl oder Schwere der Unfälle – also unabhängig von den Aufwendungen – zu erheben, spricht ferner dagegen, dass sich die Verhältnismäßigkeit des Zuschlags an einem Vergleich zwischen Zuschlagshöhe und Aufwendungen messen ließe, zumal gerade tödliche – also besonders schwere – Arbeitsunfälle ggf. (u.a. bei fehlenden anspruchsberechtigten Hinterbliebenen) nur geringe Aufwendungen nach sich ziehen können. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass sich der Beitrag gemäß § 167 Abs. 1 SGB VII aus den zu berücksichtigenden Arbeitsentgelten, den Gefahrklassen und dem Beitragsfuß ergibt und daher der von der Klägerin zu leistende Normalbeitrag – wenn auch u.U. nur geringfügig – dadurch sinkt, dass sich der ihr auferlegte Beitragszuschlag insoweit mindernd auswirkt (vgl. BSG, Urteil vom 16.11.2005 – B 2 U 15 /04 R – Juris RdNr. 28).
Ein Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG liegt nach Überzeugung des Senats ebenfalls nicht vor (vgl. ebenso Bayerisches LSG, Urteil vom 23.01.2018 – L 3 U 29/15 – Juris RdNr. 107 ff). Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet dem Normgeber, wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich zu behandeln (vgl. BVerfG, Beschluss vom 03.06.2013 – 1 BvR 131/13 – Juris RdNr. 11 m.w.N.); er gilt sowohl für ungleiche Belastungen als auch für ungleiche Begünstigungen, wobei es grundsätzlich Sache des Gesetzgebers ist, zu entscheiden, welche Merkmale er beim Vergleich von Lebenssachverhalten als maßgebend ansieht, um sie im Recht gleich oder verschieden zu behandeln (vgl. BVerfG, a.a.O.). Differenzierungen sind zulässig, bedürfen aber stets der Rechtfertigung durch Sachgründe, die dem Differenzierungsziel und dem Ausmaß der Ungleichbehandlung angemessen sind (vgl. BVerfG, Beschluss vom 03.06.2013 – 1 BvR 131/13 – Juris RdNr. 12). Dabei gilt ein stufenloser am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit orientierter verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab, dessen Inhalt und Grenzen sich nicht abstrakt, sondern nur nach den jeweils betroffenen unterschiedlichen Sach- und Regelungsbereichen bestimmen lassen (vgl. BVerfG, Beschluss vom 03.06.2013 – 1 BvR 131/13 – Juris RdNr. 13). Eine strengere Bindung des Gesetzgebers ist insbesondere dann anzunehmen, wenn die Differenzierung an Persönlichkeitsmerkmale anknüpft, wobei sich die verfassungsrechtlichen Anforderungen umso mehr verschärfen, je weniger die Merkmale für den Einzelnen verfügbar sind oder je mehr sie sich denen des Art. 3 Abs. 3 GG annähern (vgl. BVerfG a.a.O.). Ferner kann sich eine strengere Bindung des Gesetzgebers aus den betroffenen Freiheitsrechten ergeben (vgl. BVerfG, a.a.O.). Dabei ist dem Gesetzgeber auf dem Gebiet des Sozialversicherungsrechts wegen der fortwährenden schnellen Veränderungen des Arbeits-, Wirtschafts- und Soziallebens eine besonders weite Gestaltungsfreiheit zuzugestehen, die nur einer eingeschränkten verfassungsgerichtlichen Kontrolle unterliegt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 03.06.2013 – 1 BvR 131/13 – Juris RdNr. 14). Nicht zu prüfen ist insbesondere, ob der Gesetzgeber im Einzelnen die zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung gefunden hat (vgl. BVerfG, Beschluss vom 03.06.2013 – 1 BvR 131/13 – Juris RdNr. 14). Ferner ist der Gesetzgeber bei der Ordnung von Massenerscheinungen berechtigt, generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen zu verwenden, ohne allein wegen damit verbundener unvermeidlicher Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen (vgl. BVerfG. Beschluss vom 03.06.2013 – 1 BvR 131/13 – Juris RdNr. 15), sofern eintretende Härten und Ungerechtigkeiten nur eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betreffen, der Verstoß nicht sehr intensiv ist oder Härten nur unter Schwierigkeiten vermeidbar sind (vgl. BVerfG, a.a.O.).
Vor diesem Hintergrund ist die Gestaltung des Beitragszuschlagsverfahrens in § 29 der Satzung rechtlich nicht zu beanstanden, die – wie bereits dargelegt – maßgeblich auf Zahl und Schwere der Arbeitsunfälle abstellt. Die besondere Schwierigkeit der Bestimmung von Fallgruppen nach ihrem Schweregrad im Rahmen des Beitragszuschlagsverfahrens liegt darin, dass die Einteilung des Schweregrades anhand eines begrenzten Beobachtungszeitraums erfolgen muss, damit eine Honorierung gelungener – ggf. kostenintensiver – Prävention bzw. eine Sanktionierung mangelhafter Prävention entsprechend dem Gesetzeszweck des § 162 SGB VII zeitnah gelingt. Dass mit Festlegung des maßgeblichen Beobachtungszeitraums in der Satzung zwangsläufig weitere Entwicklungen der Fallgruppen im zeitlichen Verlauf – z.B. spätere Aufwendungen, später eintretende unfallbedingte Todesfälle, Entfallen von Rentenansprüchen in den Folgejahren – bei der Beurteilung ausgeklammert werden, ist unvermeidlich. Gewisse daraus resultierende Härten, vergleichbar mit denen von Stichtagsregelungen, sind mit Blick auf den weiten Gestaltungsspielraum des Satzungsgebers hinzunehmen, sofern dieser seinen Gestaltungsspielraum sachgerecht genutzt hat und die gefundene Lösung nicht willkürlich erscheint (vgl. BVerfG, Beschluss vom 11.11.2008 – 1 BvL 3/05 – Juris RdNr. 73). Dass die Beklagte hier nur auf das vorangegangene Beitragsjahr als Beobachtungszeitraum abstellt, ist rechtlich nicht zu beanstanden, sondern dient der Verwaltungspraktikabilität, der zeitnahen und damit wirkungsvollen Umsetzung von Präventionsanreizen und im Rahmen der Refinanzierung des jeweils vorangegangenen Beitragsjahrs der Beitragsgerechtigkeit durch eine gewisse Umverteilung von Beitragslasten auf die Unternehmer entsprechend den Unfallgefahren, was sich im Folgejahr bei der Beitragserhebung auswirkt.
Die rechtlichen Bedenken des LSG Baden-Württemberg im Urteil vom 26.01.2018 (L 8 U 1680/17) gegen die schon wegen des begrenzten Beobachtungszeitraums notgedrungen typisierenden Regelungen in § 29 der Satzung überzeugen vor diesem Hintergrund nicht.
Soweit das LSG Baden-Württemberg Verstöße gegen das Gleichbehandlungsgebot und die Beitragsgerechtigkeit gemäß Art. 3 Abs. 1 GG moniert, geht es bei Bildung der Vergleichsgruppen (z.B. beim Vergleich von Zeitrenten mit Dauerrenten) über den vom Satzungsgeber gewählten Beobachtungszeitraum hinaus, stellt abweichend von der Wertung des Satzungsgebers maßgeblich auf die Höhe der Aufwendungen als sachlichen Grund für Differenzierungen ab, ohne den Schweregrad des Unfalls zu berücksichtigen, und setzt letztlich eigene Wertungen an die Stelle der Wertungen des Satzungsgebers. So wird nicht ausreichend berücksichtigt, dass der Satzungsgeber – rechtlich nicht zu beanstanden – den Fällen einer erstmaligen Rentenbewilligung wegen der dann regelmäßig vorliegenden langdauernden Unfallfolgen einen besonderen Schweregrad zuordnet und innerhalb dieser Fallgruppe nochmals nach den Kosten als weiterem Gradmesser für die Schwere eine Begrenzung vornimmt. Die typischerweise vorliegenden Dauerfolgen in Rentenfällen rechtfertigen aber gerade die höheren Belastungspunkte selbst kurzer bzw. (im Beitragsjahr selbst) in der Höhe geringer Rentenbewilligungen im Vergleich zu neuen Arbeitsunfällen mit langen Verletztengeldzahlungen oder hohen Sachleistungen. Soweit das LSG Baden-Württemberg moniert, die Gleichbehandlung von Zeitrenten und Dauerrenten sei gleichheitswidrig, begründet es dies einerseits mit höheren Aufwendungen für Dauerrenten außerhalb des Beobachtungszeitraums und andererseits mit seiner eigenen – keineswegs zwingenden – Wertung bzw. Behauptung, dass zeitlich befristete Renten kein Ausdruck für eine besondere Schwere des Unfalls sein können.
Dass sich der Zeitpunkt der Rentenbewilligung im Beitragsjahr auf die Kosten im Beobachtungszeitraum und damit die Vergabe der Belastungspunkte wesentlich auswirkt, wird – wie dargelegt – durch Mitberücksichtigung von Kosten außerhalb der Rentenzahlungen im Beitragsjahr abgemildert. Dass sich die Höhe des JAV bei gleicher MdE auf die Kosten im Beitragsjahr und damit die Höhe der Belastungspunkte auswirken kann, ist angesichts der vom Gesetz vorgesehenen Differenzierungsmöglichkeit beim Beitragszuschlag nach der Höhe der Aufwendungen im jeweiligen Beobachtungszeitraum rechtlich nicht zu beanstanden. Auch die übrigen Ausführungen im Urteil des LSG Baden-Württemberg vom 26.01.2018 (L 8 U 1680/17) vermögen nach Überzeugung des Senats keine ungerechtfertigten Differenzierungen aufzuzeigen, die über gewisse, im Rahmen notwendiger Pauschalierungen mit Festlegung von Kriterien für die Bestimmung des Schweregrades und Bestimmung des maßgeblichen Beobachtungszeitraums hinzunehmende, immanente Härten hinausgehen. Der Senat vermag daher keinen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zu erkennen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Nach § 154 Abs. 2 VwGO fallen die Kosten eines ohne Erfolg eingelegten Rechtsmittels demjenigen zur Last, der das Rechtsmittel eingelegt hat, hier also der Klägerin.
Die Zulassung der Revision dient mit Blick auf die oben zitierte Entscheidung des LSG Baden-Württemberg vom 26.01.2018 der Rechtsfortentwicklung (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Der Streitwert für das Berufungsverfahren war gemäß § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 63 Abs. 2 Satz 1, § 1 Abs. 2 Nr. 3, § 3 Abs. 1, § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1, 2 und 3 Gerichtskostengesetz (GKG) auf 43.352,76 Euro festzusetzen. Betrifft der Antrag eine bezifferte Geldleistung oder – wie hier – einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt, nämlich den Bescheid zum Beitragszuschlag, so ist deren Höhe maßgebend (§ 52 Abs. 3 Satz 1 GKG).


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