Sozialrecht

berufsvorbereitende Maßnahme, ausschließliche Zuständigkeit, eigene Zuständigkeit, Heimunterbringung, Jugendhilfeträger, Rechtshängigkeit

Aktenzeichen  S 7 AL 21/19

Datum:
15.1.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 55279
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Würzburg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB III § 22 Abs. 2

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger zum Hilfefall D., geb. … .2001, die Kosten für die Heimunterbringung in der Einrichtung der I., ab 03.09.2018 zu erstatten und in die eigene Zuständigkeit zu übernehmen.
II. Die Beklagte hat dem Kläger Verzugszinsen in Höhe von 4 v. H. ab 01.10.2018 zu entrichten.
III. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
IV. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

Die zulässige Klage ist begründet. Die Entscheidung konnte im Einverständnis der Beteiligten im schriftlichen Verfahren ergehen, § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die Beklagte hat dem Kläger die Kosten der Heimunterbringung im C.-D. B. Heim in W. zu erstatten, § 104 Abs. 1 SGB X.
Der Kläger hat mit Bescheid vom 18.02.2018 in eigener Zuständigkeit die Unterbringung des Klägers dort gemäß § 35a SGB VIII geregelt.
Ab 03.09.2018 ist der Kläger jedoch nachrangig Verpflichteter, weil die Beklagte vorrangig zuständig ist für die Unterbringung von H.
Die Beklagte hat H. mit Bescheid vom 24.07.2018 mitgeteilt, dass sie gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IX die Reha-Trägerin für die Erbringung von Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben ist. Bewilligt wurde eine Berufsvorbereitung im C.-D. B. Heim in W..
Mit der Feststellung gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IX zuständiger Reha-Träger zu sein, gehört aber auch, dass die Beklagte zuständig ist, für die Übernahme der Kosten der Heimunterbringung für die Zeit ab Beginn der Ausbildung.
Verpflichtet ist die Beklagte nach dem § 112 ff. SGB III.
Gemäß § 112 Abs. 1 SGB III können behinderten Menschen Leistungen zur Förderung der Teilhabe am Arbeitsleben erbracht werden, um ihre Erwerbsfähigkeit zu erhalten, zu verbessern, herzustellen oder wiederherzustellen und ihre Teilhabe am Arbeitsleben zu sichern, soweit Art oder Schwere der Behinderung dies erfordern.
Nach § 113 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGB III können für behinderte Menschen allgemeine Leistungen und besondere Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben sowie diese ergänzende Leistungen erbracht werden, wobei nach § 113 Abs. 2 SGB III besondere Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben nur erbracht werden, soweit nicht bereits durch die allgemeinen Leistungen eine Teilhabe am Arbeitsleben erreicht werden kann.
Dies ist hier der Fall.
Gemäß § 117 Abs. 1 Satz 1 SGB III sind die besonderen Leistungen anstelle der allgemeinen Leistungen insbesondere zur Förderung der beruflichen Aus- und Weiterbildung einschließlich Berufsvorbereitung sowie blindentechnischer und vergleichbarer spezieller Grundausbildungen zu erbringen, wenn Art oder Schwere der Behinderung oder die Sicherung der Teilhabe am Arbeitsleben die Teilnahme an einer Maßnahme an einer besonderen Einrichtung für behinderte Menschen unerlässlich macht. Auch dies ist hier gegeben.
Diese besonderen Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zählen nicht zu den Ermessungsleistungen der aktiven Arbeitsförderung. Sie sind vielmehr als Pflichtleistung zu gewähren.
Der Kläger ist für die streitigen Leistungen auch nicht vorrangig zuständig. Dies ergibt sich aus dem Zusammenwirken der Subsidiaritätsregeln in § 22 Abs. 1 SGB III und § 10 Abs. 1 SGB VIII. Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII werden Verpflichtungen anderer, insbesondere der Träger anderer Sozialleistungen und der Schulen, durch das SGB VIII nicht berührt. Auf Rechtsvorschriften beruhende Leistungen Anderer dürfen nicht deshalb versagt werden, weil nach dem SGB VIII entsprechende Leistungen vorgesehen sind. Wenn Leistungen eines anderen Sozialleistungsträgers nicht deshalb versagt werden dürfen, weil es im SGB VIII entsprechende Leistungen gibt, zeigt dies, dass im Sinne der weiteren Nachrangregelung des § 22 Abs. 1 und 2 SGB III eine Leistungspflicht des Jugendhilfeträgers in Fallgestaltungen gleichartiger Leistungen gerade nicht bestehen soll und die Jugendhilfe als nachrangig angesehen werden muss (BSG, Urteil vom 12.10.2017, Az.: B 11 AL 20/16 R).
Nach § 33 Abs. 1 SGB IX werden zur Teilhabe am Arbeitsleben die erforderlichen Leistungen erbracht, um die Erwerbsfähigkeit Behinderter oder von Behinderung bedrohter Menschen entsprechend ihrer Leistungsfähigkeit zu erhalten, zu verbessern, herzustellen oder wiederherzustellen und ihre Teilhabe am Arbeitsleben möglichst auf Dauer zu sichern. Die Leistungen umfassen gemäß § 33 Abs. 6 Satz 1 SGB IX auch medizinische, psychologische und pädagogische Hilfen, soweit diese im Einzelfall erforderlich sind, um die in Absatz 1 der Vorschrift genannten Ziele zu erreichen oder zu sichern und Krankheitsfolgen zu vermeiden, zu überwinden, zu mindern oder ihre Verschlimmerung zu vermeiden, wie bereits oben ausgeführt. Ausdrücklich genannt sind dabei Hilfen zur seelischen Stabilisierung und zur Förderung der sozialen Kompetenz. Das LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 24.04.2015, Az.: L 8 AL 2430/12, hat hierzu ausgeführt: „Denn bei diesen Leistungen handelt es sich um Annexleistungen zu den Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben …, für die derjenige Reha-Träger zuständig ist, der auch für die Hauptleistung Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben zuständig ist. Diese Annexleistungen stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit der beruflichen Rehabilitationsleistung als Hauptleistung; es handelt sich nicht um eigenständig zu gewährende Sozialleistungen … Dies entspricht auch der vom Gesetzgeber angenommenen umfassenden Zuständigkeit des leistenden Rehabilitationsträgers …“.
Auch bei der Unterbringung von H. im C.-D. B. Heim W. handelt es sich um Leistungen, die die Berufsvorbereitung bzw. die Berufsausbildung unterstützen und insoweit sichern. Damit handelt es sich nicht um eigenständige psychologische, pädagogische oder sonstige isolierte erzieherische Maßnahmen, die rehabilitationsunabhängig wären. Diese Maßnahmen dienen der Unterstützung und Ermöglichung der Ausbildung von H.
Nach § 22 Abs. 1 SGB III ist die Beklagte grundsätzlich nur zuständig bei Nichtbestehen einer Leistungspflicht anderer öffentlicher Stellen. Außerdem erbringt die Beklagte allgemeine und besondere Rehabilitationsleistungen nach § 22 Abs. 2 SGB III nur dann, wenn nicht andere Rehabilitationsträger, zu denen nach § 6 SGB IX auch der Jugendhilfeträger gehört, im Sinne des SGB IX zuständig sind. Wenn allerdings Leistungen eines anderen Trägers, wie hier der Beklagten, nach § 10 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII nicht deshalb versagt werden dürfen, weil es im SGB VIII entsprechende Leistungen gibt, so zeigt dies, dass im Sinne des § 22 Abs. 1 und 2 SGB III eine Leistungspflicht des Jugendhilfeträgers gerade nicht bestehen soll und die Jugendhilfe mithin als nachrangig angesehen werden muss (LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 09.06.2016, Az.: L 1 AL 53/15).
Insoweit hat die Beklagte dem Kläger die Unterbringungskosten ab 03.09.2018 für H. zu erstatten und den Fall in die eigene Zuständigkeit zu übernehmen.
Die Beklagte hat auch Verzugszinsen in Höhe von 4% ab 01.10.2018 zu entrichten.
Die Verpflichtung zur Übernahme von Prozesszinsen in Höhe von 5% ab Rechtshängigkeit ist jedoch abzulehnen, da hierfür keine Rechtsgrundlage besteht.
Die Beklagte hat die Kosten gemäß § 197a Abs. 1 SGG zu übernehmen.


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