Sozialrecht

Einkommen, Grundsicherung, Bedarfsgemeinschaft, Bescheid, Erwerbsminderung, Behinderung, Beitragspflicht, Befreiung, Gerichtsbescheid, Sozialleistung, Wohnung, Sozialleistungen, Berechnung, Leistungsbezug, Kosten des Verfahrens, atypischer Fall, erwachsenes Kind

Aktenzeichen  RO 3 K 19.1198

Datum:
20.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 55237
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Regensburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. 
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III. Der Gerichtsbescheid ist im Kostenpunkt vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Über die Klage konnte gem. § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entschieden werden, da die Streitsache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten wurden zur Entscheidung durch Gerichtsbescheid angehört, § 84 Abs. 1 Satz 2 VwGO. Ihre Zustimmung ist nicht erforderlich.
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Der Klägerin steht kein Anspruch auf Befreiung bzw. Ermäßigung der Rundfunkgebühr ab 21. März 2019 zu.
Hinsichtlich der Klägerin liegt kein Befreiungstatbestand nach § 4 Abs. 1 Rundfunkbeitragsstaatsvertrag – RBStV – vor. Hierzu hat sie keinen Nachweis erbracht, § 4 Abs. 7 RBStV.
Soweit die am 27. Juli 1963 geborene Frau I1 … B… als volljährige Tochter der Klägerin mit dieser in einer Wohnung wohnt und befreit ist bzw. zu befreien wäre, § 4 Abs. 1 RBStV, erstreckt sich eine derartige Befreiung nicht nach § 4 Abs. 3 RBStV auf die Klägerin. Dasselbe gilt für den in der Wohnung lebenden Enkel der Klägerin A… B… Frau I1… B… hat nach der Bescheinigung über Leistungsbezug zur Vorlage beim Beitragsservice von ARD, ZDF und Deutschlandradio der Stadt R… vom 14. Juni 2019 für den Zeitraum 1. August 2019 bis 31. Juli 2020 Grundsicherung bei vollständiger Erwerbsminderung nach dem 4. Kapitel des Zwölften Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB XII) bewilligt bekommen. Selbst wenn die Gewährung von Grundsicherung bereits ab dem 21. März 2019 für die Tochter der Klägerin oder auch für den Enkel der Klägerin vorgelegen hat, erstreckt sich eine entsprechende Befreiung von Tochter und/oder Enkel der Klägerin von der Rundfunkbeitragspflicht nicht auf die Klägerin. Nach § 4 Abs. 3 Nr. 1 RBStV erstreckt sich eine dem Antragsteller gewährte Befreiung oder Ermäßigung innerhalb der Wohnung auf dessen Ehegatten, nach Nr. 2 auf den eingetragenen Lebenspartner, nach Nr. 3 auf Kinder des Antragstellers und der unter den Nrn. 1 und 2 genannten Personen bis zur Vollendung des 25. Lebensjahrs und 4. auf die Wohnungsinhaber, deren Einkommen und Vermögen bei der Gewährung einer Sozialleistung nach Abs. 1 berücksichtigt worden sind. Die Tochter und der Enkel der Klägerin sind weder Ehegatte noch eingetragener Lebenspartner. Die Tochter ist älter als 25 Jahre und der Enkel kein Kind der Klägerin. Auch die Voraussetzungen von § 4 Abs. 3 Nr. 4 RBStV liegen nicht vor, da nach den Akten Einkommen und Vermögen bei der Gewährung einer Sozialleistung nach § 4 Abs. 1 RBStV nicht berücksichtigt worden sind. Vorliegend kommt es hierfür auf den Grundsicherungsbescheid an. Vorgelegt wurde der Bescheid der Stadt R… vom 25. November 2019. Aus diesem ergibt sich lediglich eine Bedarfsgemeinschaft von Frau I1… A1… B… Die Klägerin ist nicht Teil der Bedarfsgemeinschaft. Es ergibt sich auch nicht, dass bei der Berechnung der Sozialleistung an die Tochter der Klägerin Einkommen und Vermögen der Klägerin berücksichtigt worden sind. Soweit die Klägerseite ferner zwei Schreiben der Stadt R… aus dem Jahr 2015 vorgelegt hat, wonach der Übergang eines Unterhaltsbeitrags, den Frau B… gegenüber der Klägerin hätte, in Höhe von 31,07 Euro in Betracht käme und dieser gemäß dem Schreiben vom 2. Juni 2015 nicht geltend gemacht werde, liegt dies schon außerhalb des streitgegenständlichen Zeitraums, da die Befreiung ab 21. März 2019 geltend gemacht wird.
Bei § 4 Abs. 3 Nr. 4 RBStV handelt es sich um die früher textlich abgewandelte Regelung von § 4 Abs. 3 Nr. 3 RBStV. Sie ist nach dem ausdrücklichem Wortlaut nicht auf die Ermäßigungstatbestände nach § 4 Abs. 2 RBStV anwendbar. Die Regelung begünstigt nun vor allem volljährige Personen, die mit der beitragsbefreiten Person in einer Wohnung im Rahmen einer Haus- und Wirtschaftsgemeinschaft oder in eheähnlicher Gemeinschaft leben. Das können auch Eltern im Verhältnis zu volljährigen Kindern sein. Die Befreiung erstreckt sich damit auf alle volljährigen Mitbewohner, deren Einkommen und Vermögen bei der Berechnung der Sozialleistung berücksichtigt wurde (z.B. gemäß § 7 Abs. 3 SGB II), weil sie gemeinsam zu einer Einsatzgemeinschaft gehören (vgl. Binder/Vesting – Beck`scher Kommentar zum Rundfunkrecht, 4. Aufl. 2018, Rn. 62 zu § 4 RBStV).
Nach § 7 Abs. 3 SGB II gehören zwar u.a. die im Haushalt lebenden Eltern eines unverheirateten erwerbsfähigen Kindes, welches das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, zur Bedarfsgemeinschaft, wobei § 7 Abs. 3a SGB II die Vermutung aufstellt für den wechselseitigen Willen zur Tragung von Verantwortung. Allerdings stellt § 7 SGB II auf erwerbsfähige Personen ab und steht unter der Überschrift „Grundsicherung für Arbeitssuchende“. Die Tochter der Klägerin erhält Grundsicherung bei vollständiger Erwerbsminderung nach § 41 Abs. 1 SGB XII. Im Übrigen liegen auch die Voraussetzungen von § 4 Abs. 6 RBStV nicht vor. Danach kann unbeschadet der Beitragsbefreiung nach Abs. 1 in besonderen Härtefällen auf gesonderten Antrag von der Beitragspflicht befreit werden. Ein solcher Härtefall liegt insbesondere vor, wenn eine Sozialleistung nach Abs. 1 Nrn. 1 bis 10 in einem durch die zuständige Behörde erlassenen Bescheid mit der Begründung versagt wurde, dass die Einkünfte die jeweilige Bedarfsgrenze um weniger als die Höhe des Rundfunkbeitrags überschreiten. Eine derartige Bescheinigung liegt nicht vor (§ 4 Abs. 7 RBStV).
§ 4 Abs. 6 RBStV stellt keinen Auffangtatbestand dar, der stets greift, wenn die Voraussetzungen für Befreiung nach § 4 Abs. 1 oder 3 RBStV nicht vorliegen. Auch ein besonderer Härtefall im Hinblick auf das in der Wohnung lebende behinderte aber erwachsene Kind unter oder über 25 Jahren kommt nicht in Betracht, da davon auszugehen ist, dass dem Gesetzgeber die Fallgruppe der schwerbehinderten Kinder bekannt war (vgl. Binder/Vesting – Beck`scher Kommentar zum Rundfunkrecht, 4. Aufl. 2018, Rn. 83 und 61 zu § 4 RBStV).
Ein sonstiger Härtefall nach § 4 Abs. 6 Satz 1 RBStV liegt nach ständiger Rechtsprechung dann vor, wenn die Voraussetzungen des § 4 Abs. 1 Satz 1 RBStV nicht erfüllt sind, aber eine vergleichbare Bedürftigkeit nachgewiesen werden kann (vgl. Binder/Vesting, 4. Auflage 2018, Rundfunkrecht, § 4 Rn. 80; BayLT-Drs. 16/7001, S. 16). Nach der neuesten höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. BVerwG, U.v. 30.10.2019 – 6 C 10/18 – juris) handelt es sich bei § 4 Abs. 6 Satz 1 RBStV nach seinem Normzweck um eine Härtefallregelung, mit der grobe Unbilligkeiten vermieden werden sollen, die durch das in § 4 Abs. 1 RBStV verankerte normative Regelungssystem der bescheidgebundenen Befreiungsmöglichkeit entstehen. Die Vorschrift eröffnet die Möglichkeit, nicht zu den Personengruppen des § 4 Abs. 1 RBStV gehörende Beitragsschuldner von der Beitragspflicht zu befreien, wenn sich ihre Schlechterstellung gegenüber den befreiten Personengruppen nicht sachlich rechtfertigen lässt. Dabei kann die Annahme eines besonderen Härtefalls unter anderem auch aus Gründen der durch die Beitragspflicht herbeigeführten wirtschaftlichen Belastung gerechtfertigt sein (vgl. BVerwG, U.v. 30.10.2019 – 6 C 10/18 – juris). Dies folgt bereits aus der Regelung in § 4 Abs. 6 Satz 2 RBStV, die dem Schutz des Existenzminimums dient, da ein Einkommen in Höhe der Regelleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts allein dazu dient, das Existenzminimum sicherzustellen und nicht für die Erfüllung der Rundfunkbeitragspflicht einzusetzen ist (vgl. BVerwG, U.v. 30.10.2019 – 6 C 10/18 – juris). Dieser Erwägung kommt auch bei der Auslegung des § 4 Abs. 6 Satz 1 RBStV eine entscheidende Bedeutung zu. Der Schutz des Existenzminimums kann auch in anderen Fallgestaltungen eine Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht wegen eines besonderen Härtefalls rechtfertigen. Eine solche Fallgestaltung liegt bei Beitragsschuldnern vor, die ein den Regelleistungen entsprechendes oder geringeres Einkommen haben und nicht auf verwertbares Vermögen zurückgreifen können, aber von der Gewährung der in § 4 Abs. 1 RBStV genannten Sozialleistungen mangels Vorliegen der Voraussetzungen ausgeschlossen sind (vgl. BVerwG, U.v. 30.10.2019 – 6 C 10/18 – juris).
Die Klägerin hat jedoch nicht nachgewiesen, vom Bezug der in § 4 Abs. 1 RBStV genannten Sozialleistungen mangels Vorliegen der Voraussetzungen ausgeschlossen zu sein.
Die Klägerin ist sonach nicht von der Rundfunkbeitragspflicht zu befreien. Auch eine Ermäßigung auf ein Drittel nach § 4 Abs. 2 RBStV kommt für die Klägerin nicht in Betracht. Sie ist weder blind noch sehbehindert oder hörgeschädigt noch selbst behindert. Soweit ihrer Tochter und ihrem Enkel eine Ermäßigung gewährt würde, würde sich diese auf sie ebenfalls nicht nach § 4 Abs. 3 RBStV erstrecken. Insofern kann auf vorstehende Ausführungen Bezug genommen werden.
Eine Ermäßigung auf ein Drittel kommt auch nicht – wie klägerseits geltend gemacht wird – unter Berücksichtigung von Art. 6 Abs. 2, 1, 4 GG, Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 3 Abs. 1 GG und § 242 BGB in Betracht.
Der Bayerische Verfassungsgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 15. Mai 2014 (Vf. 8-VII-12; Vf. 24-VII-12 – juris) für die Gerichte verbindlich (vgl. Art. 29 Abs. 1 VfGHG) die Vereinbarkeit des § 2 Abs. 1 RBStV mit der Bayerischen Verfassung festgestellt. Mit Urteil vom 18. Juli 2018 hat auch das Bundesverfassungsgericht die Rundfunkbeitragspflicht im privaten und im nicht privaten Bereich im Wesentlichen als mit dem Grundgesetz vereinbar erklärt (U.v. 18.7.2018 – 1 BvR 1675/16, 1 BvR 745/17, 1 BvR 836/17, 1 BvR 981/17 – juris); soweit es nach den Entscheidung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz nicht vereinbar sei, dass auch für Zweitwohnungen ein Rundfunkbeitrag geleistet werden müsse, kommt es darauf im vorliegenden Fall nicht an.
Durch die Zahlung von Rundfunkbeitrag werden Rechte der Klägerin aus Art. 6 GG bereits nicht eingeschränkt. Art. 6 GG ist vorrangig ein Abwehrrecht und durch das Schutzgebot muss nicht jegliche Belastung ausgeglichen werden. Zudem handelt es sich bei der Tochter der Klägerin nicht mehr um ein minderjähriges Kind, sondern um einen Erwachsenen, wenngleich dieser pflegebedürftig ist. Auch die Würde des Menschen nach Art. 1 Abs. 1 GG ist durch die Zahlung von Rundfunkbeiträgen grundsätzlich nicht angetastet. Es besteht auch kein Anspruch auf Drittelung des Rundfunkbeitrags, wenn die Klägerin bei ihrer Tochter und ihrem Enkelsohn, die gemeinsam mit ihr in einer Wohnung leben und ihrerseits von einer Rundfunkbeitragspflicht befreit sind, keinen Regress nehmen könnte. Derartige Fallkonstellationen sind von § 4 Abs. 3 RBStV nicht planwidrig nicht umfasst und erfordern keinen besonderen Ausgleich. Soweit die Klägerin nicht ihrerseits von der Rundfunkbeitragspflicht befreit ist, ist davon auszugehen, dass sie diesen alleine auch zahlen kann. Das wesentlich Gleiches dadurch ungleich behandelt würde (Art. 3 Abs. 1 GG), ergibt sich dadurch nicht. Es handelt sich auch nicht um eine Befreiung zulasten Dritter oder um einen unzulässigen Vertrag zulasten Dritter. Vielmehr trifft die Rundfunkbeitragspflicht jeden Inhaber einer Wohnung nach § 2 Abs. 1 RBStV in gleicher Weise. Wenn Mitbewohner von der Rundfunkbeitragspflicht befreit sind, hat dies primär weder positive noch negative Folgen auf den seinerseits rundfunkbeitragspflichtigen Inhaber einer Wohnung. Denn dadurch vervielfältigt sich weder die Pflicht zur Zahlung von Rundfunkbeitrag noch erhöht sich der Rundfunkbeitrag dadurch. Soweit Sohn und Tochter die Voraussetzungen für eine Befreiung von der Beitragspflicht nach § 4 Abs. 1 RBStV erfüllen, liegt hierfür auch ein sachlicher Grund vor. Insofern kann ebenfalls nicht von einer nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung gegenüber der Klägerin gesprochen werden. Das gefundene Ergebnis widerspricht auch nicht § 242 BGB. Insbesondere ist es nicht treu- oder zweckwidrig, von der Klägerin den vollen Rundfunkbeitrag zu fordern.
Nach alledem ist die Klage mit der Kostenfolge von § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen.
Das Verfahren ist gemäß § 188 VwGO gerichtskostenfrei.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 ff. ZPO.


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