Sozialrecht

Festsetzung Schmutzwassergebühr

Aktenzeichen  AN 19 K 19.02079

Datum:
13.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 30756
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Ansbach
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BayVwVfG Art. 12, Art. 41 Abs. 2
BGB § 104
AO § 130 Abs. 1

 

Leitsatz

Tenor

1. Die Klagen werden abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. Das Urteil ist insoweit vorläufig vollstreckbar.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Gründe

Die Klagen haben keinen Erfolg. Die Klage, den Grundabgabenbescheid aufzuheben (Hauptantrag, dazu unter I.) ist bereits unzulässig, der Hilfsantrag (dazu unter II.) nach in zulässiger Weise gemäß § 91 Abs. 2 VwGO erfolgter Klageänderung zulässig, aber unbegründet.
I.
Soweit die Klägerin die Aufhebung des Bescheides vom 22. November 2018 begehrt, ist die Klage bereits unzulässig, weil nicht innerhalb der von § 70 Abs. 1 VwGO vorgesehenen Frist von einem Monat nach Bekanntgabe des Grundabgabenbescheides gegen diesen Widerspruch eingelegt worden ist. Der streitgegenständliche Bescheid ist daher in Bestandskraft erwachsen.
1. Der Bescheid wurde am 22. November 2018 zur Post gegeben. Das ergibt sich aus den von der Beklagten im Schriftsatz vom 4. August 2020 gemachten Ausführungen zum Prozess des Bescheidserlasses (Bl. 126-128 GA). Der auf dem Bescheid angebrachte Vermerk „23.11.2018“ stammt von der Klägerin selbst und dokumentiert den Zugang des Bescheides. An dieser zur Überzeugung des Gerichts feststehenden Tatsache ändert auch nichts die von Herrn … gemachte Aussage, dass die Klägerin zu ihm nach Weihnachten sagte, sie habe den Bescheid vor ein paar Tagen erhalten. Denn weder ist klar, was die Klägerin mit „vor ein paar Tagen“ meinte noch ob sie sich an den genauen Tag des Zugangs auch tatsächlich erinnerte, wogegen unter anderem die bisherigen Ausführungen der Klägerseite zum Gesundheitszustand der Klägerin sprechen.
2. Nach Art. 41 Abs. 2 Satz 1 BayVwVfG gilt der Bescheid als am dritten Tag bekannt gegeben. Dabei war die Bekanntgabe des streitgegenständlichen Bescheides an die Klägerin auch ausreichend, da sie als Gesamtschuldner der Beklagten die gesamte Leistung schuldet, § 16 Abs. 1, Abs. 3 BGS-EWS/FES, § 44 Abs. 1 Satz 2 AO. Die gem. § 57 Abs. 2 VwGO i.V. m. § 222 Abs. 1 ZPO i. V m. § 187 BGB am 25. November 2018 beginnende Klagefrist endete gem. § 57 Abs. 2 VwGO i.V. m. § 222 ZPO Abs. 1, 2 ZPO i.V. m. § 188 Abs. 2 BGB mit Ablauf des 27. Dezember 2018, da das Ende der Frist auf einen staatlich anerkannten allgemeinen Feiertag fiel, so dass der am 8. Januar 2019 erhobene Widerspruch verfristet ist.
3. Bedenken gegen die Wirksamkeit der Bekanntgabe ergeben sich auch nicht aus dem Umstand, dass für die Klägerin eine notarielle Vorsorgevollmacht besteht oder sie sich seit Januar 2020 in einem Pflegeheim befindet oder mit Erstgutachten von Februar 2020 Pflegegrad 3 seit 12/2019 (Bl. 84 GA) durch „… – …“ festgestellt wurde. Letztere Geschehnisse ereigneten sich erst mehr als ein Jahr nach der Bekanntgabe des streitgegenständlichen Bescheides. Auch die weiteren von der Klägerseite vorgebrachten Argumente lassen die Geschäftsfähigkeit der Klägerin im November 2018 und damit die Wirksamkeit der Bekanntgabe des streitgegenständlichen Bescheides unberührt.
Zur Bekanntgabe eines Verwaltungsaktes reicht es aus, dass die Behörde seinen Inhalt dem Adressaten willentlich zur Kenntnis bringt. Zur Kenntniserlangung bedarf es lediglich der Handlungsfähigkeit des Empfängers gemäß Art. 12 BayVwVfG, die mit seiner Geschäftsfähigkeit einhergeht (vgl. BVerwG, B. v. 11.2. 1994 – 2 B 173.93). Geschäftsunfähig ist gemäß § 104 Nr. 2 BGB, wer sich in einem die freie Willensbildung ausschließenden, nicht nur vorübergehenden Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet. Dagegen führt nicht einmal der vorübergehende völlige Ausschluss der freien Willensbestimmung, der nach § 105 Abs. 2 BGB der Wirksamkeit von Willenserklärungen entgegensteht, zur Geschäfts- und Handlungsunfähigkeit. Für eine vollständige Geschäftsunfähigkeit der Klägerin sind keine Anhaltspunkte vorhanden.
Aufgrund der Versäumung der Widerrufsfrist ist die Klage daher insoweit unzulässig.
II.
Die Klage, den Bescheid vom 30. Januar 2019 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, den Grundabgabenbescheid vom 22. November 2018 insoweit zurückzunehmen als für die Schmutzwassergebühr ein höherer Betrag als 303 Euro festgesetzt wurde, ist zulässig aber unbegründet. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, den Grundabgabenbescheid abzuändern.
Der Bescheid der Beklagten vom 30. Januar 2019 kann rechtlich nicht beanstandet werden. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rücknahme des bestandskräftigen, wenn auch teilweise rechtswidrigen Bescheides vom 22. November 2018.
1. Nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 3 b KAG i.V. mit § 130 Abs. 1 AO kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Der an die Klägerin gerichtete Bescheid vom 22. November 2018 ist teilweise rechtswidrig, da das Frischwasser aufgrund der Wasserrohrbruchs nicht in die Kanalisation eingeleitet wurde.
Der Bescheid ist jedoch mangels rechtzeitiger Einlegung eines Rechtsbehelfs durch die Klägerin unanfechtbar geworden. Die Frage, ob ein derartiger Verwaltungsakt zurückgenommen wird, liegt im pflichtgemäßen Ermessen der Behörde. Im vorliegenden Fall kann die von der Beklagten getroffene Ermessensentscheidung, von einer Aufhebung abzusehen, gerichtlich nicht beanstandet werden (vgl. § 114 Satz 1 VwGO).
2. Zweck der Ermessensermächtigung in § 130 Abs. 1 AO ist es, zwischen der materiellen Gerechtigkeit einerseits und dem durch die Bestandskraft eingetretenen Rechtsfrieden andererseits eine Abwägung zu treffen. Bei der Anwendung des § 130 Abs. 1 AO über die Rücknahme eines (teilweise) rechtswidrigen bestandskräftigen Bescheides ist zunächst davon auszugehen, dass die materielle Gerechtigkeit grundsätzlich im gesetzlich vorgesehenen Rechtsbehelfsverfahren gegen den Ausgangsbescheid zu verwirklichen ist. Ist die Rechtsbehelfsfrist wie im Fall der Klägerin mangels Einlegung eines Rechtsbehelfs abgelaufen, schließt der Grundsatz der Rechtssicherheit einen Rechtsanspruch auf Beseitigung einer unanfechtbaren behördlichen Entscheidung grundsätzlich aus. Dem Interesse der Allgemeinheit an Rechtssicherheit und Rechtsfrieden kommt nach Eintritt der Bestandskraft besonderes Gewicht zu, weil durch § 130 AO die Rechtsmittelfristen nicht unterlaufen werden dürfen. Die Ablehnung eines Antrags auf Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts ist daher in der Regel ermessensfehlerfrei, wenn nur solche Umstände vorgetragen werden, die im Rechtsbehelfsverfahren gegen den Ausgangsbescheid hätten geltend gemacht werden können. Die hier vorgetragenen Umstände, nämlich der Wasserrohrbruch, hätten ohne weiteres bereits im Rahmen der einmonatigen Widerspruchsfrist vorgetragen werden können. Im Rahmen des § 130 Abs. 1 AO ist deshalb die Entscheidung der Behörde, einen Verwaltungsakt, dessen Fehlerhaftigkeit sich nachträglich herausgestellt hat, gleichwohl nicht zurückzunehmen, grundsätzlich vom Prinzip der Rechtssicherheit gedeckt und mit Rücksicht auf den im Abgabenrecht bedeutsamen Grundsatz der Verwaltungspraktikabilität im Regelfall zu billigen (vgl. BayVGH, U.v. 15.07.2010, Az. 6 BV 08.1087 mit weiteren Nachweisen).
3. Eine Ermessensreduzierung auf Null und damit ein Anspruch auf Rücknahme besteht grundsätzlich nur dann, wenn die Aufrechterhaltung des Bescheides „schlechthin unerträglich“ ist oder Umstände gegeben sind, die die Berufung der Behörde auf die Unanfechtbarkeit des Bescheides als einen Verstoß gegen die guten Sitten oder gegen Treu und Glauben erscheinen lassen. Allein die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts begründet keinen Anspruch auf Rücknahme, da der Rechtsverstoß lediglich die Voraussetzung einer Ermessensentscheidung der Behörde ist, BVerwG, U.v. 17.1.2007, Az. 6 C 32.06; BVerwG, U.v. 26. Mai 2008, Az. 8 ZB 06.2894). Umstände, die vorliegend ausnahmsweise einen Anspruch auf teilweise Rücknahme des Bescheides vom 22. November 2018 begründen, liegen nicht vor. So liegen keine greifbaren Anhaltspunkte vor, wonach die Beklagte selbst eindeutig und erkennbar von der unterstellten Rechtswidrigkeit des Bescheides ausging. Die Beklagte hat sich zulässiger Weise darauf berufen, dass die Gründe, die die Rücknahme wegen Rechtswidrigkeit rechtfertigen würden, von Anfang an bestanden und in einem – fristgerecht – geführten Rechtsbehelf vorgebracht hätten werden können. Die Beklagte wusste bei Bescheidserlass nichts vom Wasserrohrbruch. Dieser wurde ihr erst nach Bestandkraft des streitgegenständlichen Bescheides mitgeteilt.
4. Auch sprechen keine Anhaltspunkte dafür, dass die ablehnende Entscheidung der Beklagten auf einer Abweichung von einer in gleich gelagerten Fällen angewandten Verwaltungspraxis beruht.
Nach alldem kann die Entscheidung der Beklagten, der Bestandskraft des Bescheides vom 22. November 2018 höheres Gewicht beizumessen als der materiellen Gerechtigkeit, nicht beanstandet werden.
III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über ihre vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V. mit § 709 ZPO.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 52 Abs. 3, 45 Abs. 1 Satz 3 GKG.


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