Sozialrecht

Festsetzung von Ausgleichsbezügen nach einer vorangegangenen unrichtigen Auskunft zu Auswirkungen einer Teilzeittätigkeit

Aktenzeichen  14 B 20.812

Datum:
13.12.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 41409
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwVfG § 48 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S 1, S. 3, Abs. 4
SVG § 11a Abs. 1 S. 4
BBesG § 6 Abs. 1 S. 1

 

Leitsatz

Der Umstand, dass ein Beamter eine Anfrage explizit zu § 11a Abs. 1 SVG i.V.m. § 6 Abs. 1 BBesG an das die Wehrbereichsverwaltung gerichtet hat, deutet für sich gesehen keineswegs auf dessen besondere Kenntnisse hinsichtlich dieser Norm hin, sondern vielmehr gerade auf einen diesbezüglichen Klärungsbedarf. Schon aus diesem Grund erscheint es nicht grob fahrlässig, dass der Beamte sich auf die Auskunft der spezialisierten Wehrbereichsverwaltung verlassen hat, Darüber hinaus ist spricht für ein schutzwürdiges Vertrauen, wenn die Wehrbereichsverwaltung nicht nur eine falsche „fiktive“ Auskunft gab, sondern darüber hinaus diese Fehleinschätzung sogar noch in zwei nachfolgenden Bescheiden wiederholt hat. Wenn aber die Verwaltung eine gesetzeswidrige Handhabung nicht nur einmalig im Rahmen einer Auskunft vornimmt, sondern diese (unrichtige) Norminterpretation sogar noch in zwei nachfolgenden Bescheiden wiederholt, ist nicht ersichtlich, weshalb der Beamte diese fortgesetzte und mit der ursprünglichen Auskunft deckungsgleiche Verfahrensweise für ein „Versehen“ und für unrichtig hätte halten sollen. (Rn. 80) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 16 K 16.01664 2019-02-22 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 22. Februar 2019 wird aufgehoben.
II. Die Bescheide vom 29. Oktober 2014, vom 26. März 2015 und vom 14. Juli 2015 sowie der Widerspruchsbescheid vom 4. August 2016 werden aufgehoben.
III. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
IV. Die Zuziehung der Bevollmächtigten im Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
V. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
VI. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

1. Der Senat entscheidet gemäß § 125 Abs. 1 i.V.m. § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung, nachdem sich auch im Berufungsverfahren die Beteiligten damit einverstanden erklärt haben.
2. Die Berufung ist zulässig und hat in der Sache Erfolg. Die zulässige Anfechtungsklage ist begründet (§ 125 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Das angegriffene verwaltungsgerichtliche Urteil hat die Klage unrichtig als unbegründet abgewiesen und ist deshalb aufzuheben.
Streitgegenständlich ist dabei zunächst (siehe 3.) die Rücknahme der zugunsten des Klägers zu hoch bemessenen Bescheide vom 23. September 2013 und vom 17. Dezember 2013 durch die Bescheide vom 29. Oktober 2014 (konkludente Korrektur), vom 26. März 2015 (konkludente Korrektur) und vom 14. Juli 2015 (explizite Korrektur) jeweils in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. August 2016. Die ursprünglichen Bescheide vom 23. September 2013 (bezogen auf die Zeit ab 1.9.2013) und vom 17. Dezember 2013 (bezogen auf die Zeit ab 1.1.2013, ab 1.8.2013, ab 1.9.2013 und ab 1.1.2014) waren zunächst mit den Bescheiden vom 29. Oktober 2014 und 26. März 2015, mit denen die zu hoch festgesetzten Bezüge herabgesetzt wurden, der Sache nach – allerdings ohne nähere Begründung – korrigiert worden. Der Bescheid vom 23. September 2013 wurde mit Bescheid vom 14. Juli 2015 (dort S. 2 Mitte) nochmals explizit und mit Begründung zurückgenommen, wobei damit konkludent auch die in den Bescheiden vom 29. Oktober 2014 und 26. März 2015 enthaltenen – auf den im Bescheid vom 23. September 2013 erfassten Zeitraum bezogenen – (konkludenten) Rücknahmeentscheidungen vom 29. Oktober 2014 und vom 26. März 2015 entsprechend aktualisiert und damit geändert wurden. Dabei haben alle drei Korrekturbescheide (29.10.2014, 26.3.2015 und 14.7.2015), gegen die jeweils Widerspruch eingelegt worden war, im Widerspruchsbescheid vom 4. August 2016 ihre im vorliegenden Rechtsstreit maßgebliche Gestalt erhalten (§ 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).
Streitgegenständlich ist des Weiteren (siehe 4.) die von der Beklagten mit Bescheid vom 14. Juli 2015 verfügte Rückforderung der Überzahlung, und zwar in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. August 2016 (dort ab S. 6 unter II.5.), der den ursprünglichen Rückforderungsbetrag des Bescheids vom 14. Juli 2015 (18.604,52 €) auf 16.821,08 € herabgesetzt hat.
3. Die Rücknahme der zugunsten des Klägers zu hoch bemessenen Bescheide vom 23. September 2013 und vom 17. Dezember 2013 durch die drei Korrekturbescheide (29.10.2014, 26.3.2015 und 14.7.2015) in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 4. August 2016 (siehe 2.) ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Als Rechtsgrundlage für eine Rücknahme kommt allein der im Widerspruchsbescheid zugrunde gelegte § 48 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 VwVfG in Betracht.
Die ursprünglichen Bescheide vom 23. September 2013 und 17. Dezember 2013 über die Ausgleichsbezüge des Klägers waren als Geldleistungsverwaltungsakte rechtswidrig, weil bei der Berechnung der Ausgleichsbezüge die von § 11a Abs. 1 Satz 4 SVG i.V.m. § 6 Abs. 1 Satz 1 BBesG vorgeschriebene Kürzung im Verhältnis der Arbeitszeit unterblieben ist, obwohl der Wehrbereichsverwaltung der Beklagten durch das bayerische Landesamt für Finanzen in dessen Mitteilung der Bruttobezüge vom 17. September 2013 unter anderem explizit mitgeteilt worden war, dass dem Kläger eine Teilzeitbeschäftigung im Umfang von 60,00% während der Elternzeit gewährt worden sei. Die unterschiedliche rechtliche Ausgestaltung bei Ausgleichsbezügen (§ 11a SVG) einerseits und Übergangsgebührnissen (§ 11 SVG) andererseits bzw. bei Eingliederungsscheinen (§ 9 Abs. 1 SVG) einerseits und Zulassungsscheinen (§ 9 Abs. 2 SVG) andererseits beruht darauf, dass Ausgleichsbezüge und Übergangsgebührnisse „unterschiedliche Versorgungsleistungen“ darstellen, und zwar sowohl bezüglich ihrer Anspruchsvoraussetzungen als auch ihrer Höhe; die unterschiedliche Rechtsnatur dieser Versorgungsleistungen stellt einen sachlichen Differenzierungsgrund dar, sodass Art. 3 GG keine abweichende Auslegung gebietet (vgl. BVerwG, B.v. 2.2.1993 – 2 B 176.92 – Buchholz 239.2 § 53 SVG Nr. 11).
Zwar ist die Rücknahme hier nicht schon wegen Ablaufs der in § 48 Abs. 4 VwVfG vorgesehenen Jahresfrist ausgeschlossen. Das Verwaltungsgericht geht zu Recht davon aus (UA S. 19 dritter Absatz), dass es sich dabei nicht um eine Bearbeitungs-, sondern um eine Entscheidungsfrist handelt (BVerwG, B.v. 19.12.1984 – GrSen 1.84, 2.84 – BVerwGE 70, 356), die vorliegend erst begann, als die Beklagte nach Eingang der Bezügemitteilung des Landesamts für Finanzen vom 1. Oktober 2014 die Rechtswidrigkeit des Festsetzungsbescheids vom 23. September 2013 erkannte; das gilt erst recht für den unrichtigen Festsetzungsbescheid vom 17. Dezember 2013.
Jedoch verbietet § 48 Abs. 2 Satz 1 VwVfG eine Rücknahme, soweit das Vertrauen des Begünstigten auf den Bestand des Geldleistungsverwaltungsakts unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Ausgeschlossen ist ein schutzwürdiges Vertrauen in den Fällen des § 48 Abs. 2 Satz 3 VwVfG. In der Regel schutzwürdig ist dagegen das Vertrauen gemäß § 48 Abs. 2 Satz 2 VwVfG, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht oder Vermögensdispositionen getroffen hat. Liegt weder ein Ausschluss nach Satz 3 noch ein Regelfall nach Satz 2 vor, verbleibt es bei der von Satz 1 vorgeschriebenen Abwägung, die vollständig gerichtlich nachprüfbar ist, wovon auch der Widerspruchsbescheid zutreffend ausgeht.
3.1. Die Schutzwürdigkeit des Vertrauens des Klägers ist nicht gemäß § 48 Abs. 2 Satz 3 VwVfG ausgeschlossen, insbesondere liegt – entgegen dem angegriffenen verwaltungsgerichtlichen Urteil, dem sich die Beklagte in der Berufungserwiderung angeschlossen hatte, obwohl sie im unveränderten Widerspruchsbescheid (ganz im Gegenteil) eine grobe Fahrlässigkeit gerade verneint – keine grob fahrlässige Unkenntnis des Klägers von der Rechtswidrigkeit der Bescheide vom 23. September 2013 und vom 17. Dezember 2013 vor.
Die für das angegriffene verwaltungsgerichtliche Urteil (UA S. 17 bis 19) zentrale Erwägung, der Kläger habe nach seinem Wechsel in den Dienst des Freistaats Bayern besondere Kenntnisse über die Höhe von Ausgleichsbezügen gehabt, findet in den vorliegenden Akten keinen hinreichenden Anhaltspunkt. Der Umstand, dass der Kläger eine Anfrage explizit zu § 11a Abs. 1 SVG i.V.m. § 6 Abs. 1 BBesG an die Beklagte gerichtet hat, deutet für sich gesehen keineswegs auf besondere Kenntnisse des Klägers hinsichtlich dieser Norm hin, sondern vielmehr gerade auf einen diesbezüglichen Klärungsbedarf. Dabei wird klägerseits zurecht darauf hingeweisen (vgl. Begründung des Berufungszulassungsantrags vom 20.5.2019 S. 8; Berufungsbegründung S. 4 f.), dass es im bayerischen Personalrecht keinerlei Berührungspunkte zum Versorgungsrecht der Zeitsoldaten geben kann, weil insoweit ausschließliche Bundesverwaltung besteht. Weshalb der Kläger insoweit besondere Fachkenntnisse aus dem „Versorgungsrecht der Zeitsoldaten“ schon deshalb haben sollte, weil er später beim Freistaat Bayern als Anwärter vorübergehend in der Bezügeverwaltung im bayerischen öffentlichen Dienst gearbeitet hat, ist nicht ersichtlich. Es ist auch nicht so, dass der Kläger wegen des Wortlauts der von ihm selbst bei seiner Anfrage zitierten Vorschriften (§ 11a Abs. 1 SVG i.V.m. § 6 Abs. 1 BBesG) die Unrichtigkeit der „fiktiven Berechnung“ der Beklagten vom 18. Juni 2013 hätte erkennen müssen. Zu Recht weist die Berufungsbegründung (dort S. 4 Mitte) auf die versorgungsrechtliche Besonderheit hin, dass beim Ausscheiden eines Zeitsoldaten die Wahlmöglichkeit besteht, einen Eingliederungsschein oder einen Zulassungsschein zu wählen, wobei sowohl Unterschiede als auch Gemeinsamkeiten bestünden und insbesondere beim Zulassungsschein, den der Kläger nicht gewählt habe, keine Unterscheidung zwischen Teil- und Vollzeittätigkeit gemacht werde und die Übergangsgebührnisse stets in voller Höhe ausbezahlt werden müssten. Schon aus diesem Grund erscheint es nicht grob fahrlässig, dass der Kläger sich vor diesem Hintergrund auf die Auskunft der spezialisierten Wehrbereichsverwaltung der Beklagten verlassen hat, zumal die Kenntnis der diesbezüglichen bundesverwaltungsgerichtlichen Argumentation zu Art. 3 GG (vgl. BVerwG, B.v. 2.2.1993 – 2 B 176.92 – Buchholz 239.2 § 53 SVG Nr. 11; siehe 3.) außerhalb einer für das Versorgungsrecht der Zeitsoldaten spezialierten Verwaltung, der der Kläger nicht angehörte, nicht erwartet werden kann. Daran ändert sich auch dann nichts, wenn man zugunsten der Beklagten mit dem Widerspruchsbescheid (dort II.4.) unterstellt, dass die fiktive Berechnung vom 18. Juni 2013 keine Zusicherung i.S.v. § 38 VwVfG darstellt. Darüber hinaus ist hinsichtlich der weiteren Entwicklung des Sachverhalts zu sehen, dass die Wehrbereichsverwaltung nicht nur eine wegen Nichtberücksichtigung des § 11a Abs. 1 Satz 4 SVG falsche „fiktive“ Auskunft gab, sondern darüber hinaus diese Fehleinschätzung sogar noch in zwei weiteren falschen Aussagen, nämlich den feststellenden Bescheiden vom 29. September 2013 und 17. Dezember 2013 wiederholt hat. Wenn aber die Verwaltung eine gesetzeswidrige Handhabung nicht nur einmalig im Rahmen einer Auskunft vornimmt, sondern diese (unrichtige) Norminterpretation sogar noch in zwei nachfolgenden Bescheiden (die ihrerseits auf in anderen für die Ausgleichsbezüge relevanten Bereichen entstandene Änderungen reagierten, was auf eine genaue Überprüfung der dem Kläger zustehenden Ausgleichsbezüge hindeutet) wiederholt, ist nicht ersichtlich, weshalb der Kläger diese fortgesetzte und mit der ursprünglichen Auskunft deckungsgleiche Verfahrensweise für ein „Versehen“ und für unrichtig hätte halten sollen.
Dabei ist zu sehen, dass es vorliegend um eine unrichtige Festsetzung in zwei förmlichen Bescheiden und eine daraus resultierende Korrekturproblematik und nicht nur um eine bloße faktische, nicht von einem Festsetzungsbescheid gedeckte „Überzahlung“ – etwa im Rahmen einer unrichtigen Bezügemitteilung – geht. Zwar ist bei solchen faktischen Überzahlungsfällen auch relevant, über welchen Kenntnisstand ein Beamter oder Soldat bei der Überzahlung verfügte, etwa infolge Mitteilung derjenigen Vorschrift, die durch die Überzahlung verletzt wird, woraus sich für den Beamten oder Soldaten wiederum die Erforderlichkeit einer Nachfrage ergeben kann (vgl. beispielsweise BVerwG, U.v. 16.7.2020 – 2 C 7.19 – ZBR 2021, 131 Rn. 17). Mit dem vorliegenden Fall sind solche Konstellationen aber schon deshalb nicht vergleichbar, weil bei derartigen faktischen Überzahlungen die Frage der „Korrektur“ unrichtiger Versorgungs- bzw. Besoldungsfestsetzungen von vornherein nicht im Raum steht – vielmehr ist eine Rückforderung dort „direkt“ auch ohne Korrektur von Bescheiden, allein wegen der Unrichtigkeit möglich -, sodass es dort, anders als hier, mangels Relevanz gesetzlicher Korrekturanforderungen auch nicht um die Frage etwaiger eigener korrekturrechtlicher Schlussfolgerungen des jeweiligen Beamten oder Soldaten für seinen Einzelfall geht. Unabhängig davon hat der Kläger vorliegend aber gerade vorab nicht nur deutlich nachgefragt, sondern sogar anlässlich dieser Nachfrage eine Antwort (Schreiben der Beklagten vom 18.6.2013) erhalten, die denselben Fehler aufwies, wie die beiden nachfolgenden (unrichtigen) Festsetzungsbescheide vom 23. September 2013 und vom 17. Dezember 2013. Eine Vergleichbarkeit mit der Konstellation einer bloß faktischen Überzahlung ist damit nicht ansatzweise ersichtlich; die Beklagte hat dem Kläger keinen Grund gegeben, an der Richtigkeit der besagten beiden Bescheide zu zweifeln, weil auch ihr Schreiben vom 18. Juni 2013 dem Kläger eine unrichtige Auskunft gegeben hatte. Dabei kann dahinstehen, inwieweit der Kläger gehalten gewesen wäre, nochmals nachzufragen, wenn die ursprüngliche Auskunft richtig gewesen wäre und die beiden nachfolgenden Bescheide davon abgewichen wären – denn, wie gezeigt, ist der vorliegende Fall gerade von der besagten durchgehenden (dreifachen) Unrichtigkeit sowohl der Auskunft als auch der nachfolgenden Bescheide geprägt.
Es ist auch nicht ersichtlich, weshalb die Treuepflicht von Soldaten und Beamten diese dazu verpflichten sollte, im Gefolge einer expliziten Nachfrage einer gegebenen Auskunft, die später sogar mehrfach von der befragten Stelle der Sache nach in nachfolgenden Bescheiden wiederholt und damit bestätigt worden ist, noch immer nicht zu trauen, womit dem Soldaten bzw. Beamten letztlich Sorgfaltspflichten aufgebürdet würden, die im Kern solche der Bezügeverwaltung selbst sind. Angesichts der dreimaligen unrichtigen Handhabung durch die Verwaltung der Beklagten (zwei unrichtige Bescheide nach vorangegangener unrichtiger Anfragebeantwortung) ist dem Kläger auch – anders als es das Verwaltungsgericht getan hat – nicht vorzuwerfen, dass er bei der Fachbehörde anlässlich der unrichtigen Beantwortung seiner Frage nicht „nochmals“ nachgefragt hat. Dass es um einen verhältnismäßig hohen Gesamtbetrag ging, ändert daran nichts, weil der Kläger ja gerade bei der Fachbehörde explizit und präzise nachgefragt hatte im Zusammenhang mit der seinerzeit anstehenden Entscheidung über eine Umstellung auf eine Teilzeittätigkeit beim Freistaat Bayern, zumal er darauf vertrauen durfte, dass die Bezügeverwaltung die Bedeutung seiner Anfrage im Hinblick auf die von ihm mitgeteilte bevorstehende Veränderung seiner familiären Situation (bevorstehende Geburt des dritten Kindes) erkennt und zum Anlass für eine genaue Prüfung nimmt. Dabei ist zu sehen, dass auch die Beklagte selbst im streitgegenständlichen Widerspruchsbescheid eine grobe Fahrlässigkeit des Klägers explizit und zurecht verneint hat.
3.2. Das klägerische Vertrauen ist aufgrund der Besonderheiten des vorliegenden Falls – insbesondere des Umstands, dass sich der Kläger mit seiner schriftlichen Anfrage vom 3. Juni 2013 im Hinblick auf die seinerzeit für November 2013 erwartete Geburt seines Kindes aktiv, mit deutlichem zeitlichen Vorlauf und sogar unter explizitem Hinweis auf § 11a Abs. 1 SVG i.V.m. § 6 Abs. 1 BBesG bei der Bezügestelle gerade um eine Klärung der Auswirkungen etwaiger Teilzeitarbeit bemüht und von dieser eine falsche Auskunft erhalten hatte, wobei die Beklagte auch vom bayerischen Landesamt für Finanzen mit Schreiben vom 17. September 2013 explizit auf die Teilzeitbeschäftigung hingewiesen wurde – schon gemäß § 48 Abs. 2 Satz 1 VwVfG bei Abwägung mit dem öffentlichen Interesse schutzwürdig, und zwar unabhängig davon, ob ein Regelfall i.S.v. § 48 Abs. 2 Satz 2 VwVfG vorliegt oder nicht.
3.2.1. Ist die Schutzwürdigkeit des Vertrauens wie hier nicht gemäß § 48 Abs. 2 Satz 3 VwVfG ausgeschlossen (siehe 3.1.), greift insoweit § 48 Abs. 2 Satz 1 VwVfG ein, für den es auf die „objektive Schutzwürdigkeit“ ankommt, wofür eine „wertende Abwägung“ des öffentlichen Interesses mit den Belangen des Betroffenen vorzunehmen ist; schutzwürdig ist dabei grundsätzlich jeder, der sich mit guten Gründen auf die Rechte aus der begünstigenden hoheitlichen Maßnahme verlassen durfte, weil deren Fehlerhaftigkeit nicht in seinem Verantwortungsbereich liegt, wobei für die Bestimmung der Verantwortungsbereiche nicht allein formale Gesichtspunkte, sondern alle Umstände und Besonderheiten des einzelnen Falles zu berücksichtigen sind (vgl. BVerwG, U.v. 28.1.2010 – 3 C 17.09 – BVerwGE 136, 43 Rn. 12 m.w.N.). Zwar kommt bei regelmäßigen Leistungen aus öffentlichen Mitteln in der Regel dem fiskalischen Interesse an der Korrektur gesetzeswidriger Zahlungsbescheide erhebliches Gewicht zu (vgl. BVerwG, U.v. 28.10.2004 – 2 C 13.03 – NVwZ-RR 2005, 341/342). Jedoch ist dabei deutlich zwischen einer Rücknahme für die Vergangenheit (ex tunc) und für die Zukunft (ex nunc) zu unterscheiden. Nur für Rücknahmen für die Zukunft (ex nunc) ist nach ständiger Rechtsprechung beim dauernden und regelmäßigen Bezug von Leistungen aus öffentlichen Kassen dem öffentlichen Korrekturinteresse „in der Regel“ gegenüber dem Interesse des Begünstigten an der Aufrechterhaltung des mangelhaften Verwaltungsakts das Übergewicht beizumessen und sind Ausnahmen nur bei Vorliegen ganz besonderer Umstände zuzulassen (BVerwG, U.v. 28.6.1982 – 6 C 92.78 – juris Rn. 21 m.w.N. [insoweit nicht abgedruckt in BVerwGE 66, 65]). Während es nämlich insoweit darum geht, dass derartige rechtswidrige Leistungen in Zukunft „nicht weitergezahlt“ werden (BVerwG, U.v. 28.10.2004 – 2 C 13.03 – NVwZ-RR 2005, 341/342), sind bei Rücknahmen ex tunc – entsprechend der besagten Grundregel – alle Umstände des Einzelfalls umfassend abzuwägen.
3.2.2. Vor diesem Hintergrund ist vorliegend eine Abwägung unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls geboten, weil die streitgegenständlichen Rücknahmeentscheidungen sämtlich ex tunc und nicht erst für die Zukunft wirken (siehe 3.2.2.1.). Diese Einzelfallabwägung fällt hier zugunsten des Klägers aus (siehe 3.2.2.2.), wobei der Fall derartige Besonderheiten aufweist, dass sogar bei einem Rückgriff auf die strengen Ausnahmeanforderungen bei Rücknahmen ex nunc (siehe 3.2.1.) ein Verzicht auf eine Rücknahme hier ausnahmsweise zulässig wäre (siehe 3.2.2.3.).
3.2.2.1. Alle streitgegenständlichen Rücknahmeentscheidungen wirken ex tunc.
Zwar sind die streitgegenständlichen Rücknahmebescheide vom 29. Oktober 2014 und vom 26. März 2015 formal gesehen nicht auf einen abgeschlossenen Zeitraum bezogen, soweit sie den dort jeweils letztgenannten Berechnungszeitraum betreffen. So beschreibt der Bescheid vom 29. Oktober 2014 mit seinen Kalkulationen für die Zeit „ab 01.09.2014“ einen ohne Enddatum in die Zukunft gerichteten Zeitraum; nicht anders ist es im Bescheid vom 26. März 2015 für den dort letztgenannten Zeitraum „ab 01.03.2015“, wobei der Bescheid vom 14. Juli 2015 auf die beiden Bescheide vom 29. Oktober 2014 und vom 26. März 2015 Bezug nimmt.
Jedoch ergibt sich daraus, dass der Kläger bereits ab 1. November 2014 wieder vollzeitbeschäftigt war, im Ergebnis klar, dass es bei den besagten Korrekturbescheiden, die sämtlich ihre verbindliche und allein streitgegenständliche Gestalt durch den Widerspruchsbescheid vom 4. August 2016 gefunden haben, um die rückwirkende Aufhebung von Zuvielzahlungen in der Vergangenheit ging. Der Kläger hat durch die ab November 2014 von ihm veranlasste Aufstockung seiner Arbeitszeit auf Vollzeit den Grund für die Überzahlung ab diesem Zeitpunkt tatsächlich beendet. Angesichts dessen konnte es bei den besagten Rücknahmebescheiden nur noch um den Ausgleich von in der Vergangenheit vorgenommenen Überzahlungen gehen. So erfasste der Rücknahmebescheid vom 29. Oktober 2014 nach der dortigen Berechnung des über- bzw. unterzahlten Bruttobetrags nur Zeiträume von September 2013 bis Oktober 2014, reichte also nicht in die Zukunft. Nichts anderes gilt für den Rücknahmebescheid vom 26. März 2015, der sich schon formal nur auf die Monate September 2013 bis einschließlich April 2015 bezieht und dabei für März 2015 und April 2015 sogar noch „Unterzahlungen“ ausweist (zustehend 1.013,74 €; erhalten 700,65 €).
3.2.2.2. Die somit gebotene Abwägung unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls fällt zugunsten des Klägers aus.
Zwar ist klar, dass dem Kläger durch die zu hohe Festsetzung seiner Ausgleichsbezüge öffentliche Gelder rechtswidrig in ungerechtfertigter Höhe von der Beklagten zugemessen wurden. Jedoch ist dem Kläger – über die Verneinung einer groben Fahrlässigkeit seinerseits hinaus (siehe 3.1.) – kein Fehlverhalten anzulasten. Auch insoweit ist zu betonen, dass der Kläger pflichtschuldig bei der Beklagten angefragt und diese sogar auf die einschlägigen Bestimmungen (§ 11a Abs. 1 SVG i.V.m. § 6 Abs. 1 BBesG) hingewiesen hatte, wobei es schon wegen der unterschiedlichen Regelungen im Fall von Eingliederungsschein und Zulassungsschein (siehe 3.) legitim war, wegen der Auslegung dieser Bestimmungen wie geschehen nachzufragen, zumal der Kläger in der bayerischen Finanzverwaltung – wegen der ausschließlichen Zuständigkeit des Bundes im Bereich der Soldatenbesoldung und -versorgung – keine dienstlichen Detailkenntnisse erwerben konnte, die dagegen hätten sprechen können, sich auf die unrichtige Auskunft der spezialisierten Wehrbereichsverwaltung zu verlassen (siehe 3.1.). Auch insoweit ändert sich an der Schutzwürdigkeit des klägerischen Vertrauens selbst dann nichts, wenn man zugunsten der Beklagten mit dem Widerspruchsbescheid (dort II.4.) unterstellt, dass die fiktive Berechnung vom 18. Juni 2013 keine Zusicherung i.S.v. § 38 VwVfG darstellt. Hinzu kommt auch im Kontext des § 48 Abs. 2 Satz 1 VwVfG, dass die Wehrbereichsverwaltung den in der fiktiven Berechnung vom 18. Juni 2013 enthaltenen Fehler nachfolgend noch zweimal in den Bescheiden vom 23. September 2013 und vom 17. Dezember 2013 wiederholt hat, sodass der Kläger erst recht keinen Anlass haben musste, die Verfahrensweise der Beklagten in Frage zu stellen (siehe 3.1.).
Dabei ist im Zuge der von § 48 Abs. 2 Satz 1 VwVfG gebotenen Gesamtabwägung zusätzlich zu berücksichtigten, dass der Kläger bereits bei seiner Anfrage zur Teilzeitbeschäftigung einen deutlichen Bezug zur damals anstehenden Geburt seines dritten Kindes hergestellt hatte, was auch im Zuge der Bezügemitteilung des Landesamts für Finanzen explizit angesprochen wurde. Es musste der Beklagten klar sein, dass es dem Kläger um finanzielle Dispositionen ging, die nicht nur ihn persönlich, sondern auch die finanzielle Situation der vom Kläger abhängigen, unterhaltsberechtigten Kinder betraf. Gerade weil der Kläger diese Situation bei seiner Anfrage deutlich erkennbar herausgearbeitet hatte und nach der (unrichtigen) Auskunft der Beklagten mit der späteren Reduzierung seiner Arbeitszeit auch eine entsprechende Disposition mit teilzeitbedingten Mindereinnahmen aus seinem Dienstverhältnis bei seinem neuen Dienstherrn seinerseits traf, ist sein Vertrauen darauf schutzwürdig, dass diese für ihn und für seine Familie wichtige Frage von der Wehrbereichsverwaltung auch entsprechend genau geprüft wurde. Dabei ist zu sehen, dass durch die Anfrage gerade die Situation vermieden werden sollte, wegen derer sich der Kläger am 30. Oktober 2014 in einer Notsituation an seinen neuen Dienstherrn wenden musste mit dem Ziel einer Aufstockung auf Vollzeit, wobei es für ihn, seine Familie und für die Beklagte keineswegs sicher war, dass das bayerische Landesamt für Finanzen in kürzester Frist dem Kläger eine Aufstockung auf Vollzeit zugestehen würde. Die Verantwortung für diese Problematik liegt klar im Bereich der Beklagten, nicht aber des Klägers, weswegen das Vertrauen des Klägers bei einer Gesamtabwägung überwiegt.
3.2.2.3. Sogar bei Zugrundelegung der strengen Ausnahmekriterien für Rücknahmen ex nunc (siehe 3.2.1.) wäre vorliegend aus den genannten Gründen (siehe 3.2.2.2.) ausnahmsweise von einer Schutzwürdigkeit des klägerischen Vertrauens auszugehen, weil es sich um eine außergewöhnliche Kumulierung von Aspekten handelt, die alle für die Schutzwürdigkeit des klägerischen Vertrauens in die Richtigkeit der (tatsächlich rechtswidrigen) Verfahrensweise der Beklagten sprechen, nämlich die eindeutige Aussage der „fiktiven“ Berechnung in Kenntnis der Bedeutung für die anstehende Änderung der Familiensituation, die vom Kläger pflichtschuldig und deutlich formulierte Anfrage sowie die zweifache Wiederholung des Fehlers.
3.3. Auf die Frage, ob ein Regelfall i.S.v. § 48 Abs. 2 Satz 2 VwVfG vorliegt, kommt es angesichts der ohnehin im Einzelfall gegebenen Schutzwürdigkeit des klägerischen Vertrauens (siehe 3.2.) nicht an.
4. Der Rückforderungsbescheid ist somit schon deshalb rechtswidrig, weil die Rücknahmeentscheidungen in Gestalt des Widerspruchsbescheids aufzuheben sind (siehe 3.) – infolge dieser gerichtlichen Kassation der besagten, ex tunc wirkenden Rücknahmeentscheidungen bleiben die Bescheide vom 23. September 2013 und vom 17. Dezember 2013 als Rechtsgrund der in der Vergangenheit geleisteten Zahlungen bestehen, sodass der Rückforderungsbescheid vom 14. Juli 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids schon deshalb rechtswidrig und ebenfalls aufzuheben ist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO), weil es am Tatbestandsmerkmal „zuviel gezahlter Versorgungsbezüge“ (§ 49 Abs. 2 Satz 1 SVG) fehlt. Auf die umfangreichen Erwägungen der Beklagten zu § 49 Abs. 2 Satz 2 SVG i.V.m. §§ 818 f. BGB (Berufungserwiderung unter III.) kommt es angesichts dessen ebenso wenig an wie auf die Erwägungen zur Billigkeitsentscheidung (Berufungserwiderung unter IV.).
5. Die vollständig unterliegende Beklagte trägt die Kosten beider Rechtszüge gemäß § 154 Abs. 1 und 2 VwGO.
6. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten in den Widerspruchsverfahren gegen die Bescheide vom 29. Oktober 2014, vom 26. März 2015 und vom 14. Juli 2015 war wegen der rechtlichen Schwierigkeiten der sich hier im Kontext des § 48 Abs. 2 VwVfG stellenden Fragen und der Bedeutung dieser Vorverfahren für die damalige finanzielle Situation des Klägers unter Berücksichtigung seiner Unterhaltspflichten notwendig (§ 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO). Auch insoweit ist zu sehen, dass der Kläger in der Finanzverwaltung eines Bundeslandes keine Erfahrungen hinsichtlich des Versorgungsrechts von Zeitsoldaten sammeln konnte, weil die Länder insoweit unzuständig sind.
7. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. § 709 Satz 1 und 2 ZPO.
8. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen hierfür nicht vorliegen (§ 132 VwGO).


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