Sozialrecht

Fortbestehende Anwendbarkeit des Schornsteinfegergesetzes auf vor dem 1. Januar 2013 entstandene Ruhegeldansprüche

Aktenzeichen  21 BV 15.338

Datum:
28.10.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 117596
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
VwVfG § 48
SchfG § 29 Abs. 5 S. 1
SchfHwG aF § 49 Abs. 2

 

Leitsatz

1. Die für die Feststellung eines Ruhegeldsanspruchs maßgebenden Regelungen des Schornsteinfegergesetzes bleiben auf Ruhegeldansprüche anwendbar, die entstanden sind, bevor das Schornsteinfegergesetz mit Ablauf des 31. Dezember 2012 außer Kraft getreten ist.
2 Das Schornsteinfegerhandwerksgesetz regelt weder, ob und wie ein vor dessen in Kraft treten entstandener Ruhegeldanspruch erstmals oder bei Änderung der gesetzlichen Rente neu festzusetzen ist, noch enthält es Übergangsregelungen, die den Ruhegeldanspruch dem alten Recht entziehen. (redaktioneller Leitsatz)
3 Nach § 29 Abs. 5 S. 1 SchfG ist das Ruhegeld daher um die Zahlbeträge der Versichertenrente zu kürzen, die dem Anspruchsberechtigten aufgrund einer Pflichtversicherung in den sozialen Rentenversicherungen zustehen. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 12 K 14.2731 2016-10-25 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I.
Das Urteil des Verwaltungsgerichts München vom 27. November 2014 wird aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
II.
Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen.
III.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 115 v.H. des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung ist begründet. Das Verwaltungsgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Der Bescheid der Beklagten vom 3. April 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16. Juni 2014 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die Beklagte hat damit die erstmalige Feststellung des Ruhegelds vom 22. August 2013 mit Wirkung für die Zukunft (teilweise) zurückgenommen (1.). Die Rücknahme steht im Einklang mit der Ermächtigungsgrundlage des § 48 VwVfG (2.).
1. Der Bescheid der Beklagten vom 3. April 2014 verweist in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat (§ 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), darauf, dass die „Neufestsetzung“ (Bescheid vom 3.4.2014) unter „Rücknahme“ und Änderung der Ruhegeldfeststellung vom 22. August 2013 gemäß § 48 VwVfG erfolgt sei. Nicht ausdrücklich ausgesprochen ist jedoch, dass die ursprüngliche Feststellung des Ruhegelds mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen wird. Das folgt aber hinreichend deutlich daraus, dass der Ausgangsbescheid vom 3. April 2014 das Ruhegeld nicht für die Vergangenheit festsetzt, sondern für die Zeit ab dem 1. Mai 2014. Dementsprechend ist dem Widerspruchsbescheid zu entnehmen, dass Gegenstand des Widerspruchsverfahrens das Ruhegeld ab dem 1. Mai 2014 ist. Vor diesem Hintergrund handelt es sich bei der Ausführung im Ausgangsbescheid, über die Berechnung und Rückforderung von Überbezahlungen erhalte der Kläger gesondert Bescheid, lediglich um den Hinweis, dass auch eine Rücknahme mit Wirkung für die Vergangenheit im Raum stehe.
2. Nach der bundesrechtlichen Bestimmung des § 48 Abs. 1 Satz 1 VwVfG, die gemäß § 1 Nr. 1 VwVfG heranzuziehen ist, weil die Beklagte eine bundesunmittelbare Anstalt des öffentlichen Rechts ist (§ 28 Abs. 1 Satz 2 SchfHwG), kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Ein begünstigender Verwaltungsakt, der – wie hier – eine laufende Geldleistung gewährt, darf allerdings nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf dessen Bestand vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist (§ 48 Abs. 2 Satz 1 VwVfG). Zudem ist die Rücknahme eines solchen Verwaltungsakts nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt zulässig, zu dem die Behörde von Tatsachen Kenntnis erhalten hat, welche die Rücknahme rechtfertigen (§ 48 Abs. 4 VwVfG). Diese Voraussetzungen liegen vor (2.1 bis 2.3); das sonach eröffnete Rücknahmeermessen hat die Beklagte rechtsfehlerfrei ausgeübt (2.4).
2.1 Die Feststellung des Ruhegelds vom 22. August 2013 war rechtswidrig. Sie widerspricht der Regelung des § 29 Abs. 5 Satz 1 Halbsatz 1 SchfG. Diese Bestimmung ist anzuwenden, auch wenn das Schornsteinfegerhandwerksgesetz nach Art. 4 Abs. 4 des Gesetzes zur Neuregelung des Schornsteinfegerwesens vom 26. November 2008 (BGBl I S. 2242) mit Ablauf des 31. Dezember 2012 außer Kraft getreten ist (2.1.1). Das Ruhegeld ist danach um die Zahlbeträge der Versichertenrente zu kürzen, die dem Anspruchsberechtigten auf Grund einer Pflichtversicherung in den sozialen Rentenversicherungen zustehen (2.1.2).
2.1.1 Die für die Feststellung des Ruhegeldanspruchs des Klägers maßgebenden Regelungen des Schornsteinfegergesetzes sind hier nach wie vor heranzuziehen. Denn aufgehobene Rechtsvorschriften bleiben anwendbar auf Rechtsverhältnisse, die während ihrer Geltung entstanden sind, bis und soweit diese Rechtsverhältnisse vom neuen Recht erfasst werden (vgl. Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht I, 10. Aufl. 1994, S. 298; Schneider, Gesetzgebung, 2. Aufl. 1991, Rn. 532; Kopp/Schenke, VwGO, 22. Aufl. 2016, § 113 Rn. 220).
a) Der Ruhegeldanspruch des Klägers ist noch im Dezember des Jahres 2012 und damit vor dem Außerkrafttreten des Schornsteinfegergesetzes entstanden. Die Bezirksregierung Arnsberg versetzte den Kläger gemäß § 10 SchfG mit Ablauf des 10. Dezember 2012 in den Ruhestand mit der Folge, dass die Bestellung zu diesem Zeitpunkt nach § 8 Nr. 3 SchfG erlosch und der Ruhegeldanspruch gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 SchfG entstand.
b) Der Ruhegeldanspruch wird von den im Schornsteinfegerhandwerksgesetz enthaltenen Regelungen zur Versorgung der bevollmächtigten Bezirksschornsteinfeger (§§ 27 bis 41 SchfHwG), die am 1. Januar 2013 in Kraft getretenen sind (Art. 6 des Gesetzes zur Neuordnung der Altersversorgung der Bezirksschornsteinfegermeister und zur Änderung anderer Gesetze vom 5.12.2012 – BGBl I S. 2467) nicht erfasst, soweit es um dessen erstmalige oder neue Feststellung geht.
aa) Das Schornsteinfegerhandwerksgesetz regelt nicht, ob und wie ein Ruhegeldanspruch erstmals oder – bei Änderungen der gesetzlichen Rente – neu festzustellen ist, der noch unter der Geltung des Schornsteinfegergesetzes entstanden ist. Die Vorschriften des § 37 Abs. 3 bis 7 SchfHwG befassen sich lediglich mit der Berechnung der bis zum 31. Dezember 2012 erworbenen Anwartschaften der Versorgungsberechtigten auf Ruhegeld (§ 37 Abs. 1 Satz 1 SchfHwG). Gegenstand des § 38 SchfHwG ist ausschließlich das Ruhegeld bei einer Berufsunfähigkeit, die nach dem 31. Dezember 2012 eingetreten ist. Das folgt ohne Weiteres daraus, dass ein Versorgungsberechtigter nach § 38 Abs. 1 Nr. 4 SchfHwG Ruhegeld bei Berufsunfähigkeit nur dann erhält, wenn die Bestellung auf Grund des § 12 SchfHwG aufgehoben worden ist. § 12 SchfHwG trat aber nach Art. 4 Abs. 3 des Gesetzes zur Neuregelung des Schornsteinfegerwesens vom 26. November 2008 erst am 1. Dezember 2013 in Kraft.
bb) Es gibt keine Übergangsregelung, nach der die bis zum 31. Dezember 2012 entstandenen Ansprüche auf Ruhegeld dem alten Recht entzogen sind.
Der Gesetzgeber hat die mit dem Gesetz zur Neuregelung des Schornsteinfegerwesens beschlossenen Übergangsregelungen (§§ 49 bis 51 SchfHwG a.F.), die am 1. Januar 2013 in Kraft treten sollten, mit dem Gesetz zur Neuordnung der Altersversorgung der Bezirksschornsteinfegermeister und zur Änderung anderer Gesetze in modifizierter Form in die §§ 27, 28 und 31 SchfHwG übernommen (BT-Drs. 17/10749 S. 16).
Während § 49 Abs. 1 Satz 1 SchfHwG a.F. bestimmte, dass die am 31. Dezember 2012 bestehenden Ansprüche auf Versorgungsleistungen fortbestehen sollen und nach § 49 Abs. 2 SchfHwG a.F. Änderungen des Rentenbezugs, der Rentenart und der Rentenhöhe in der gesetzlichen Rentenversicherung nachvollzogen werden, beschränkt sich § 27 Abs. 2 SchfHwG – soweit hier maßgebend – auf die Regelung, dass die am 31. Dezember 2012 festgestellte Versorgungsleistung Ruhegeld weitergezahlt wird.
Die (Übergangs-)Regelung des § 27 Abs. 2 SchfHwG erfasst nach ihrem Wortlaut lediglich Ruhegeldansprüche, die bis zum 31. Dezember 2012 entstanden sind und auch „festgestellt“ (§ 33 SchfG) wurden. Unabhängig davon lässt der Normtext nicht erkennen, dass die Versorgungsleistung Ruhegeld unter Abkehr von dem bis zum 31. Dezember 2012 bestehenden und für die Zusatzversorgung im Schornsteinfegerhandwerk maßgebenden System der Gesamtversorgung fortbestehen soll. Eine solche weitreichende Entscheidung kann der lediglich auf die abstrakte Leistung abstellenden Regelung nicht entnommen werden. Vielmehr handelt es sich nach dem Willen des Gesetzgebers um eine Bestimmung, die vor dem Hintergrund der Schließung der Versorgungsanstalt (§ 27 Abs. 1 SchfHwG) klarstellen soll, dass die bestehenden Ansprüche auf Versorgungsleistungen dem Grunde nach bestehen bleiben. Mit der Vorschrift des § 27 SchfHwG sollen lediglich die „Grundsätze“ der Schließung des bisherigen umlagefinanzierten Pflicht-Zusatzversorgungssystems für die Zukunft dahingehend festlegt werden, dass die laufenden Versorgungsleistungen und die in der Vergangenheit erworbenen Anwartschaften der Bezirksschornsteinfegermeister auf (Alters-)Ruhegeld fortbestehen sollen. Die Berufsunfähigkeitsabsicherung sowie die Absicherung der Witwen, Witwer und Waisen soll nach Maßgabe der §§ 38 bis 40 SchfHwG erhalten bleiben (vgl. BT-Drs. 17/10749 S. 14).
Dementsprechend lässt sich die Berechnung der in der Vergangenheit erworbenen Anwartschaften auf Ruhegeld und des Ruhegelds bei Berufsunfähigkeit dem Schornsteinfegerhandwerksgesetz im Einzelnen entnehmen (vgl. § 27 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. § 37 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 bis 7 SchfHwG, § 38 Abs. 5 und 6 SchfHwG). Dabei ist durch die vorgeschriebene Kürzung des Monatsbetrags der Anwartschaft bzw. des Ruhegelds bei Berufsunfähigkeit um den Zahlbetrag einer Versicherten- oder Verletztenrente (§ 37 Abs. 6 SchfHwG, § 38 Abs. 6 SchfHwG) nach wie vor berücksichtigt, dass es sich bei der spezifischen Altersversorgung des Schornsteinfegerhandwerks um eine berufsständische Zusatzversorgung handelte, die mit den Ansprüchen aus der gesetzlichen Rentenversicherung eine aufeinander bezogene Gesamtversorgung darstellte. Entsprechendes gilt für das Witwen- und Witwergeld (§ 39 SchfHwG) sowie das Waisengeld (§ 40 SchfHwG), denn es setzt einen Ruhegeldanspruch des Verstorbenen voraus. Wenn das Schornsteinfegerhandwerksgesetz demgegenüber zur erstmaligen und neuen Feststellung von Ruhegeldansprüchen, die vor dem 31. Dezember 2012 entstanden sind, nichts regelt, verbleibt es insoweit bei den Vorschriften des alten Rechts. Dafür spricht auch, dass nach § 27 Abs. 3 Satz 2 SchfHwG, die Beklagte verweist zu Recht darauf, für nach dem 31. Dezember 2012 eintretende Versorgungsfälle Ruhegeld bei Berufsunfähigkeit, Witwen- und Witwergeld sowie Waisengeld nach Maßgabe der §§ 38 bis 40 SchfHwG geleistet werden. Umgekehrt bedeutet das, dass es für die Feststellung der vorher entstandenen Versorgungsansprüche bei den einschlägigen Bestimmungen des Schornsteinfegergesetzes verbleibt.
Etwas anderes ergibt sich nicht aus § 27 Abs. 4 Satz 1 SchfHwG. Danach werden die Leistungen und Anwartschaften nach den Abs. 2 und 3 des § 27 SchfHwG zum 1. Juli eines jeden Jahres im Grundsatz um den Prozentsatz verändert, um den sich der aktuelle Rentenwert in der gesetzlichen Rentenversicherung ändert. Nach dieser (Übergangs-)Bestimmung soll (lediglich) die Anpassung der Leistungen künftig unabhängig von einem Gesamtversorgungssystem erfolgen (vgl. BT-Drs. 17/10749 S. 14 f.). Sie ersetzt mithin für die nach altem Recht entstandenen Versorgungsansprüche lediglich die Dynamisierungsvorschrift des § 27 Abs. 7 SchfG, nicht aber die für die erstmalige oder neue Berechnung dieser Ansprüche maßgebenden Vorschriften des Schornsteinfegergesetzes. Die „alten“ Ansprüche werden damit ebenso wenig losgelöst vom System der Gesamtversorgung festgestellt wie die nach dem Schornsteinfegerhandwerksgesetz zu berechnenden Leistungen und Anwartschaften.
2.1.2 Die Ruhegeldfeststellung vom 22. August 2013 war bereits bei Erlass teilweise rechtswidrig; sie verstößt für die Zeit ab dem 1. Juni 2013 gegen § 29 Abs. 5 Satz 1 SchfG.
Danach ist das Ruhegeld um die Zahlbeträge der Versichertenrente zu kürzen, die dem Anspruchsberechtigten auf Grund einer Pflichtversicherung in den sozialen Rentenversicherungen zustehen. Das ist rechtsfehlerfrei lediglich für den Zeitraum vom 1. Januar 2013 bis 30. Juni 2013 geschehen, in welchem der Kläger ausweislich des Rentenbescheids der Deutschen Rentenversicherung vom 19. Juni 2013 eine monatliche Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung in Höhe von 521,71 Euro erhielt. Für die Zeit danach blieb unberücksichtigt, dass dem Kläger auf Grund des Rentenbescheids vom 26. Juli 2013 zunächst bis zum 30. Juni 2015 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung in Höhe von monatlich 1.046,01 Euro gezahlt wurde.
2.2 Die Beklagte war an der teilweisen Rücknahme der Ruhegeldfeststellung vom 22. August 2013 nicht etwa deshalb nach § 48 Abs. 2 Satz 1 VwVfG gehindert, weil der Kläger auf den Bestand dieses Bescheids schutzwürdig vertraut hat.
Eine Berufung des Klägers auf den Vertrauensschutz ist nicht nach § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 VwVfG ausgeschlossen. Es besteht kein konkreter Anhalt dafür, dass der Kläger die Rechtswidrigkeit der Feststellung des Ruhegelds vom 22. August 2013 kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte.
Das Vertrauen des Klägers in den Bestand der ursprünglichen Ruhegeldfeststellung ist nicht nach der Regelvermutung des § 48 Abs. 2 Satz 2 VwVfG schutzwürdig. Diese Vermutung greift nach dem Gesetz insbesondere dann, wenn der Begünstigte gewährte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann. Solches ergibt sich nicht aus dem nur allgemein gehaltenen (erstinstanzlichen) Vorbringen des Klägers, er benötige die gewährten Versorgungsleistungen zur Deckung seines täglichen Lebensunterhalts; er habe eine Ehefrau zu versorgen und müsse zwei Söhne finanziell unterstützen, die studierten bzw. sich in der Ausbildung befänden.
Im Rahmen der sonach vorzunehmenden Abwägung setzt sich das öffentliche Interesse an der (teilweisen) Rücknahme der ursprünglichen Ruhegeldfeststellung gegenüber dem Interesse des Klägers an deren Bestand durch. Bei regelmäßig wiederkehrenden Leistungen aus öffentlichen Kassen besteht ein erhebliches fiskalisches und haushaltsrechtliches Interesse, dass sie nicht weitergezahlt werden, wenn in der Person des Empfängers die Anspruchsvoraussetzungen nicht vorliegen (vgl. J. Müller in Bader/Ronellenfitsch, VwVfG, 2. Aufl. 2016, § 48 Rn. 61 m.w.N.). Hinzu kommt, dass ein Vertrauensschutz auf den Fortbestand einer Rechtslage in der Zukunft nur unter besonderen Voraussetzungen anzuerkennen ist (vgl. Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 48 Rn. 138). Ein derartiger besonderer Umstand liegt nicht darin, dass die Ruhegeldfeststellung vom 22. August 2013 mit Blick auf die dem Kläger ab dem 1. Juli 2013 gewährte Rente wegen voller Erwerbsminderung darauf verweist, aufgrund „der neuen Rechtslage … (§ 27 Abs. 2 SchfHwG)“ sei eine Neuberechnung des Ruhegelds ab diesem Zeitpunkt nicht mehr erforderlich. Darin kommt lediglich die irrige Rechtsauffassung der Beklagten zum Ausdruck, die der rechtsfehlerhaften Feststellung des Ruhegelds zugrunde liegt. Überdies geht es bei dem verfahrensgegenständlichen Bescheid um die Korrektur einer von Anfang an rechtsfehlerhaft vorgenommenen Ruhegeldfeststellung und nicht darum, eine spätere Änderung beim Rentenbezug nachzuvollziehen. Eine besondere Schutzwürdigkeit des Vertrauens auf den Bestand einer schon ursprünglich rechtswidrigen Feststellung des Ruhegelds rechtfertigt dieser Verweis auch deshalb nicht.
2.3 Die Beklagte hat die Frist des § 48 Abs. 4 VwVfG ersichtlich gewahrt. Danach ist die Rücknahme, wenn die Behörde von Tatsachen Kenntnis erhält, welche die Rücknahme eines rechtswidrigen Verwaltungsakts rechtfertigen, nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig. Der angefochtene Bescheid vom 3. April 2014 erging weniger als acht Monate nach Erlass der Ruhegeldfeststellung vom 22. August 2013.
2.4 Liegen nach allem die rechtlichen Voraussetzungen für die (teilweise) Rücknahme der Ruhegeldfeststellung vor, durfte die Beklagte nach Ermessen von dieser Möglichkeit Gebrauch machen. Ermessensfehler im Sinn des § 114 Satz 1 VwGO lässt der angefochtene Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheids nicht erkennen. Die Beklagte hat die gesetzlichen Grenzen des Ermessens gewahrt und das Ermessen dem Zweck der Ermächtigung entsprechend ausgeübt.
Wie die Gründe des Widerspruchsbescheids zeigen, war sich die Beklagte des ihr zustehenden Ermessensspielraums bewusst („…konnte … zurückgenommen werden“). Sie hat ausdrücklich das öffentliche Interesse an der “Herstellung der rechtmäßigen Festsetzung“, mithin das Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung in Gestalt des Vorrangs des Gesetzes (vgl. Müller in Huck/Müller, VwVfG, 2. Aufl. 2016, § 48 Rn. 9), sowie das Vertrauen auf den „Bestand des Bescheids“ und damit das Prinzip der Rechtssicherheit gegeneinander abgewogen. Dabei begegnet es insbesondere mit Blick auf die Zumutbarkeit der Rücknahme keinen rechtlichen Bedenken, wenn die Beklagte der Wiederherstellung eines gesetzmäßigen Zustands höheres Gewicht beigemessen hat und die Rechtswidrigkeit der Ruhegeldfeststellung (lediglich) mit Wirkung für die Zukunft beseitigt hat. Sie hat insoweit ausweislich der Gründe des Widerspruchsbescheids zutreffend berücksichtigt, dass es sich bei der Ruhegeldfeststellung um einen Dauerverwaltungsakt handelt, dessen Ende nicht konkret absehbar ist. Besondere Umstände, aus denen sich die Unzumutbarkeit dieser Entscheidung ergibt, sind nicht konkret vorgetragen. Sie sind auch sonst nicht ersichtlich, zumal die Rücknahme mit Wirkung für die Zukunft ausgesprochen wurde.
Unschädlich ist es im Übrigen, wenn der Widerspruchsbescheid in den rechtlichen Gründen die Gesichtspunkte, von denen die Behörde bei der Ausübung des Ermessens ausgegangen ist, nicht scharf von den Erwägungen zum Vertrauensschutz abgrenzt. Denn für den rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakt, der eine Geldleistung gewährt, bilden die einschränkenden Bestimmungen zum Vertrauensschutz (§ 48 Abs. 2 VwVfG) den Rahmen für die Ausübung des Rücknahmeermessens (vgl. Sachs in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 8. Aufl. 2014, § 48 Rn. 81).
2.5 Die Beklagte berechnete im Änderungsbescheid vom 3. April 2014 das Ruhegeld zutreffend unter Anwendung des § 29 SchfG. Gegen die Berechnung sind Bedenken weder erhoben noch sonst ersichtlich. Unschädlich ist es, wenn die Beklagte im Widerspruchsbescheid für die unverändert gebliebene Berechnung des zu zahlenden Ruhegeldes als Rechtsgrundlage auf die Bestimmung des § 38 Abs. 6 SchfHwG (analog) verweist.
3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
4. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO bestehen nicht.


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