Sozialrecht

Freiwillige Beitragszahlung in die gesetzliche Rentenversicherung

Aktenzeichen  L 19 R 446/17

Datum:
16.1.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 5455
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VI § 4

 

Leitsatz

Eine gesetzliche Anspruchsgrundlage für die Geltung freiwilliger Beiträge als Pflichtbeiträge, wenn sie während des Bezugs von Leistungen nach dem SGB II gezahlt werden, existiert nicht. (Rn. 19)

Verfahrensgang

S 7 R 192/17 2017-07-10 GeB SGBAYREUTH SG Bayreuth

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Bayreuth vom 10.07.2017 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151 SGG) ist zulässig, aber nicht begründet. Unschädlich ist dabei, dass ein Nachweis über die Zustellung des Gerichtsbescheids an den Kläger dem Berufungsgericht nicht vorliegt. Dem Kläger ist dieser Bescheid offensichtlich in der Zeit vom 10.07.2017 bis 24.07.2017 – und dabei wohl schon bis zum 17.07.2017 – bekannt gegeben worden, wie aus dem Schreiben des Klägers zu ersehen ist, in dem dieser unter dem Datum 17.07.2017 am 24.07.2017 auf den Gerichtsbescheid reagiert. Die Berufungsfrist von einem Monat ist damit offensichtlich eingehalten. Die Berufung ist auch beim zuständigen Berufungsgericht erhoben worden, wobei es unschädlich ist, dass der Kläger als juristischer Laie den Begriff „Revision“ verwendet hat; er erhebt erkennbar Einwände gegen den Gerichtsbescheid vom 10.07.2017 und will das zutreffende Rechtsmittel ergreifen.
Der Kläger hat aber keinen Anspruch auf Abänderung der angefochtenen Bescheide der Beklagten und damit inhaltlich nicht auf eine Wertung eventueller zukünftig gezahlter freiwilliger Beiträge als Pflichtbeiträge und auch nicht auf eine Zulassung zur Pflichtversicherung. Dabei folgt der Senat der Darlegung der Beklagten, dass ihr Verwaltungsakt über beide mögliche Antragsinhalte eines Antrags des Klägers auf „freiwillig zahlbare Pflichtbeiträge“ entschieden hat.
Auch in dem Bescheid über die Zulassung zur freiwilligen Versicherung war dem Antrag des Klägers nicht voll entsprochen worden, weil er zugleich eine Negativfeststellung mit ausgesprochen hat, nämlich dass damit keine Wertung eventueller Beiträge als Pflichtbeiträge erfolge und kein Versicherungsschutz für den Fall der Erwerbsminderung erworben werden könne. § 55 Abs. 2 SGB VI enthält die abschließende Regelung, was bei entsprechender gesetzlicher Anspruchsgrundlage – wie etwa in § 43 SGB VI – als Pflichtbeitragszeit anzusehen ist. § 55 Abs. 2 Nr. 1 SGB VI bezieht zwar „freiwillige Beiträge, die als Pflichtbeiträge gelten“ mit ein. Erforderlich wäre dafür aber eine besondere Vorschrift (z.B. § 205 Abs. 1 Satz 3 SGB VI oder § 279e Abs. 1 SGB VI). Eine gesetzliche Anspruchsgrundlage für die Geltung freiwilliger Beiträge als Pflichtbeiträge, wenn sie während des Bezugs von Leistungen nach dem SGB II gezahlt werden, existiert jedoch nicht. Damit verbleibt es bei der allgemeinen Regelung, dass freiwillige Beiträge im Übrigen nicht von § 55 Abs. 2 SGB VI erfasst sind (vgl. Gürtner in: Kasseler Kommentar, Stand September 2017, § 55 SGB VI Rn. 14).
Die Pflichtversicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung ist in Kapitel 1 Abschnitt 1 des SGB VI (d.h. §§ 1-6) geregelt. Früher, d.h. bis 31.12.2010, war in § 3 Satz 1 Nr. 3a SGB VI a.F. die Vorschrift enthalten, dass Personen in der Zeit, in der sie von den jeweils zuständigen Trägern nach dem SGB II Arbeitslosengeld II beziehen, versicherungspflichtig sind, sofern keine der zusätzlich festgelegten Ausnahmen vorgelegen hatte. Diese Vorschrift ist durch Gesetzesänderung zum 01.01.2011 nicht mehr gültig; sie ist ersatzlos gestrichen worden (Art. 19 Nr. 2 b Gesetz vom 09.12.2010, BGBl. I S. 1885). Ein anderer der in den §§ 1 bis 3 SGB VI genannten Tatbestände liegt nicht vor.
Der Kläger erfüllt auch nicht die Voraussetzungen für die Versicherungspflicht auf Antrag (§ 4 SGB VI): Weder existiert ein Arbeitgeber im Sinne des Abs. 1, noch wird eine selbstständige von Abs. 2 erfasste Tätigkeit ausgeübt; auch liegt kein von Abs. 3 erfasster Sonderfall in Bezug auf Sozialleistungen nach § 3 SGB VI vor.
Dass der Bezug von Arbeitslosengeld II ab 2011 nicht mehr Versicherungspflicht auslöst, ist auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wie der Senat bereits im Verfahren L 19 R 384/14 (vgl. oben) entschieden hat. Damit ist die Beklagte zutreffend davon ausgegangen, dass auch ein Antrag des Klägers auf Feststellung der Versicherungspflicht bzw. deren Zuerkennung nicht begründet ist und abzulehnen war.
Ergänzend stellt der Senat fest: Soweit der Kläger geltend macht, durch die ab 2011 geltende Regelung gingen ihm erworbene Anwartschaftsrechte im Hinblick auf den Versicherungsschutz bei Erwerbsminderung verloren, verkennt der Kläger, dass dieser Schutz ihm bereits vor 2011 verloren gegangen war. Durch die Gesetzesänderung ist lediglich die Chance entfallen, sich allein ausschließlich durch den Bezug von Leistungen nach dem SGB II einen solchen Versicherungsschutz wieder neu aufbauen zu können.
Auch wenn der Kläger zutreffend sinngemäß darauf hinweist, dass Anrechnungszeiten nach § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 SGB VI sich oft schon wegen vorhandenen Vermögens nicht lückenlos sich an vorherige Pflichtbeitragszeiten anschließen lassen, ist durch die Regelungen des § 43 Abs. 4 SGB VI, z.T. iVm § 58 SGB VI, aus Sicht des Senats ausreichend sichergestellt, dass derjenige bisherige Versicherte, der aus dem Erwerbsleben nicht – vorübergehend oder endgültig – ausscheiden will, seinen Versicherungsschutz aufrechterhalten kann. Und selbst für einen Wiederaufbau des Versicherungsschutzes bestehen nur geringe Hürden, da bereits eine geringfügige Beschäftigung hierfür ausreicht.
Ein Vertrauensschutz in den Fortbestand einer Erwerbsminderungsrentenversicherung auch ohne Bezug zum Erwerbsleben, wie ihn der Gesetzgeber in § 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bzw. Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI operationalisiert hat, ist nur für den Personenkreis zu berücksichtigen, der diesen Schutz bereits vor der Rechtsänderung zum 01.01.1984 erworben gehabt hatte. Dem wurde vom Gesetzgeber durch die Regelung des § 241 Abs. 2 SGB VI Genüge getan. Der Kläger gehört nicht zu diesem Personenkreis, da er seinerzeit noch nicht die allgemeine Wartezeit (§ 50 Abs. 1 SGB VI) zurückgelegt gehabt hatte.
Die geltenden Regelungen stellen auch keinen Verstoß gegen Art. 3, Art. 14 oder Art. 20 Grundgesetz (GG) dar. Sie gelten für alle Bürger in gleicher Weise. Die Absicherung gegen Erwerbsminderung bestand und besteht nur insoweit als der Versicherte zum Zeitpunkt eines eventuellen medizinischen Leistungsfalls noch einen Bezug zum Erwerbsleben hat, weil der Gesetzgeber die Eintrittsverpflichtung der gesetzlichen Rentenversicherung davon abhängig machen wollte und erkennbar nicht eine allgemeine Invaliditätsversicherung bestehen sollte. Da diese Einschränkung für den Kläger schon in der Vergangenheit in gleicher Weise gegolten hatte und zugleich seine in der Vergangenheit geleisteten Beiträge nicht vollständig wertlos geworden sind, ist ein Verstoß gegen das geschützte Eigentum nicht gegeben. Auch im Lichte des Sozialstaatsprinzips bleibt es dem Gesetzgeber überlassen, ob er die soziale Hilfeleistung an bedürftige Personen im Alter durch unmittelbare Sozialleistungen wie Grundsicherung erbringen will oder einen indirekten Weg über den Ausbau von Rentenversicherungsansprüchen wählt.
Die Beklagte hat die geltenden gesetzlichen Regelungen zutreffend angewandt, was letztlich auch der Kläger nicht beanstandet. Der Senat hat keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Die bestehenden Gesetze verletzen die Grundrechte des Klägers nicht. Weder Haupt- noch Hilfsantrag des Klägers im Berufungsverfahren sind begründet.
Die Entscheidungen des Sozialgerichts Bayreuth und die der Beklagten waren im Ergebnis zutreffend und die Berufung ist zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn 1 und 2 SGG zuzulassen, liegen nicht vor.


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