Sozialrecht

Gesetzliche Rentenversicherung: Erwerbsminderungsrente bei neurologischer und psychiatrischer Erkrankung

Aktenzeichen  L 13 R 801/16

Datum:
9.1.2019
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2019, 11916
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VI § 43 Abs. 1, Abs. 2
SGG § 109

 

Leitsatz

Zu den Voraussetzungen einer Rente wegen Erwerbsminderung bei einer neurologischen und psychiatrischen Erkrankung.

Verfahrensgang

S 47 R 1401/15 2016-10-11 SGMUENCHEN SG München

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 11. Oktober 2016 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig (§§ 143, 144, 151 SGG). Sie ist jedoch nicht begründet. Das Sozialgericht hat zu Recht mit Urteil vom 11.10.2016 die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 13.01.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.06.2015 als unbegründet abgewiesen. Eine rentenrelevante Einschränkung des Leistungsvermögens des Klägers steht nicht zur Überzeugung des Senats fest. Den orthopädischen und neurologisch-psychiatrischen Einschränkungen des Klägers kann durch Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes Rechnung getragen werden.
Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß §§ 43 Abs. 1, 240 SGB VI kommt bereits deshalb nicht in Betracht, weil der Kläger (Jahrgang 1966) nicht vor dem 02.01.1961 geboren wurde.
I. Gem. § 43 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI haben Versicherte Anspruch auf Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung, wenn sie
1.teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind,
2.in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3.vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise erwerbsgemindert sind gem. § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 6 Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Ergänzend hierzu führt § 43 Abs. 3 SGB VI aus, dass nicht erwerbsgemindert ist, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen. Voll erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens 3 Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
II.
Der Kläger ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnehme zur Überzeugung des Senats noch in der Lage, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt körperlich leichte Tätigkeiten im Gehen, Stehen und Sitzen, im Freien und in geschlossen Räumen mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten, wobei Zwangspositionen, das Heben und Tragen schwerer Lasten und das Arbeiten mit sehr häufigem Bücken auszuschließen sind. Dem Kläger sind danach zum Beispiel Tätigkeiten als Pförtner, Museumsaufsicht oder Registrator zumutbar. Eine zeitliche Einschränkung des Leistungsvermögens liegt zur Überzeugung des Senats auf Grund der im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten Dr. B. und Dr. P., sowie des vom Sozialgericht eingeholten Sachverständigengutachtens Dr. F. und dessen ergänzender Stellungnahme im Berufungsverfahren nicht vor. Aus Sicht des Senates spricht auch nichts gegen eine zeitliche Ausweitung der derzeitigen Tätigkeit des Klägers im Bereich des Sicherheitsgewerbes (hier: Objektbewachung).
1. In seinem Gutachten vom 20.12.2015 hat der Sachverständige Dr. F. für den Senat schlüssig und nachvollziehbar herausgearbeitet, dass der Kläger an einer allenfalls mittelgradig ausgeprägten depressiven Episode und an einem chronischen Lendenwirbelsäulensyndrom ohne radikuläre Reiz- oder Ausfallserscheinungen leidet. Das Gutachten ist schlüssig und überzeugend begründet, sodass der Senat keine Bedenken hat, sich den dort getroffenen Feststellungen in vollem Umfang anzuschließen. Die Untersuchung hat ergeben, dass der neurologische Befund unauffällig war. Die Reflexe waren seitengleich erhalten. Sensomotorische Ausfälle hat Dr. med. F. nicht feststellen können. Bei der Prüfung des Lasèguéschen Zeichens hat der Kläger rechtsseitig ab 40 Grad Schmerzen in der Lendenwirbelsäule angegeben. Die Durchführung des Langsitzes war dem Kläger gut möglich. Auf den Sachverständigen hat der Kläger in psychiatrischer Hinsicht einen depressiv apathischen Eindruck gemacht. Während der gesamten Untersuchung hat der Kläger durchgängig aspontan, sehr ruhig, zurückhaltend, im Affekt starr und kaum auslenkbar gewirkt. Auf der anderen Seite hat der Kläger deutlich somatisierend im Hinblick auf die angegebenen Bandscheibenbeschwerden gewirkt. Die Mitarbeit des Klägers war während der Begutachtung gut. Das abgeleitete EEG war unauffällig.
Elektromyografisch haben sich bei Sondierung der wichtigsten Kennmuskeln des linken Beines keine Anhaltspunkte für eine Denervierung ergeben. Der Serumspiegel des dem Kläger verordneten Medikamentes Citalopram hat im nicht messbaren Bereich gelegen, sodass davon auszugehen ist, dass der Kläger das Medikament nicht regelmäßig einnimmt. Daraus hat der Sachverständige für den Senat nachvollziehbar abgeleitet, dass der körperliche wie auch der psychiatrische Untersuchungsbefund dem Kläger noch leichte und mittelschwere Tätigkeiten erlauben. Diese Leistungseinschätzung deckt sich auch mit der von Dr. B. bereits im Verwaltungsverfahren abgegebenen neurospychiatrischen Stellungnahme nach Untersuchung am 17.12.2014. Die orthopädischen Gesundheitsstörungen spielen beim Kläger nur eine untergeordnete Rolle. Das chronische Schmerzsyndrom, das rezidivierende HWS-Syndrom, die endgradige Funktionseinschränkung der linken Schulter sowie die Senk-Spreiz-Füße beidseits führen allenfalls dazu, dass die beim Kläger bereits oben beschriebenen qualitativen Leistungseinschränkungen bestehen. So hat auch die Orthopädin Dr. P. nach Untersuchung am 02.06.2015 nachvollziehbar festgehalten, dass der Kläger aus orthopädischer Sicht auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sogar noch mittelschwere Tätigkeiten ausüben kann.
An dieser Leistungsfähigkeit hat sich zur Überzeugung des Senats auch durch die im Berufungsverfahren vorgelegten Befundberichte der behandelnden Ärzte nichts geändert. Aus den neuen Unterlagen ergeben sich keine Befunde, die es erlauben, zu einer anderen sozialmedizinischen Beurteilung zu kommen. Dies hat auch Dr. F. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 27.07.2018 gegenüber dem Senat bestätigt. Vielmehr deckt sich das von den behandelnden Ärzten festgestellte Krankheitsbild weiterhin mit dem vom Sachverständigen Dr. F. festgestelltem Gesundheitszustand. So hat zB der behandelnde Neurologe Dr. B. in seinem Bericht vom 07.02.2017 darauf hingewiesen, dass eine erhebliche Verschlechterung oder deutliche Besserung beim Kläger nicht zu erkennen ist. Tendenziell ist nach Auffassung des behandelnden Neurologen sogar eine leichte Besserung eingetreten. Jedenfalls liegt keine Verschlechterung des Gesundheitszustandes vor, da von Dr. B. die Medikation wie gehabt fortgeführt worden ist. Auch im Befundbericht vom 27.08.2018 hat Dr. B. ebenfalls berichtet, dass keine Veränderung des Gesundheitszustandes eingetreten ist.
Die hiervon abweichenden Feststellungen des gemäß § 109 SGG gehörten Sachverständigen Nervenarztes Dr. B. in dessen Gutachten vom 26.07.2016 haben auch den Senat nicht überzeugen können. Zunächst hat Dr. B. im Wesentlichen übereinstimmend mit Dr. F. eine erhaltene Tagesstruktur des Klägers mit erhaltenen Alltagsaktivitäten und einer sozialen Integration geschildert, sodass von einer schweren depressiven Symptomatik mit erheblichen Antriebsstörungen und Rückzugstendenzen nicht ausgegangen werden kann. Auch der psychiatrische Befund ist im Vergleich zu den Feststellungen von Dr. med. F. weitgehend unverändert. Die Tatsache, dass der Kläger nach seinen Angaben nach wie vor das Medikament Citalopram in einer niedrigen Dosierung einnimmt und damit unverändert medikamentös therapiert wird, spricht ebenfalls gegen eine erhebliche zwischenzeitliche Verschlechterung des Zustandes des Klägers. Der neurologische Befund hat im Wesentlichen eine Bewegungseinschränkung der linken Schulter und ein rechtsseitig endgradig positives Nervendehnungszeichen nach Lasègué erbracht. Darüber hinaus hat auch Dr. B. keine sonstigen neurologischen Auffälligkeiten feststellen können. Schließlich ist Dr. B. eine für den Senat nachvollziehbare und überzeugende Begründung für ein zeitlich eingeschränktes berufliches Leistungsvermögen des Klägers schuldig geblieben.
Beim Kläger liegt daher jedenfalls ein Leistungsvermögen von über 6 Stunden täglich für den allgemeinen Arbeitsmarkt vor. Da schon die Voraussetzungen für das Vorliegen einer teilweisen Erwerbsminderung nicht gegeben sind, fehlt es erst Recht an einer vollen Erwerbsminderung.
2. Der Kläger ist auch nicht aus gesundheitlichen Gründen gehindert, einen Arbeitsplatz aufzusuchen. Seine Gehfähigkeit ist nicht eingeschränkt. Er kann jedenfalls noch viermal arbeitstäglich mindestens 500 Meter ohne unzumutbare Beschwerden in jeweils längstens 20 Minuten zurücklegen. Dies ergibt sich aus allen im gerichtlichen Verfahren eingeholten Gutachten, die überzeugend und unwidersprochen von diesem Leistungsvermögen ausgehen.
Die Berufung war damit zurückzuweisen.
III.
Die Kostenentscheidung (§§ 183,193 SGG) berücksichtigt, dass der Kläger auch im Berufungsverfahren erfolglos geblieben ist.
IV.
Gründe, die Revision zuzulassen (vgl. § 160 Abs. 2 SGG), liegen nicht vor.


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