Sozialrecht

Gewährung von Gründungszuschuss für die erste Phase der Existenzgründung

Aktenzeichen  L 9 AL 135/14

Datum:
22.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 10588
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB I § 39
SGB III § 4, § 57 Abs. 1, § 93, § 138, § 139, § 144
AFG § 55a

 

Leitsatz

1. § 93 Abs. 1 SGB III weist mit der „Beendigung der Arbeitslosigkeit“ ein echtes Tatbestandsmerkmal auf, das neben die in § 93 Abs. 2 SGB III enthaltenen tritt. (Rn. 37 – 39)
2. “Arbeitslosigkeit“ in § 93 Abs. 1 SGB III ist im Sinn von § 138 SGB III zu interpretieren und nicht auf die bloße Beschäftigungslosigkeit zu beschränken; erforderlich ist demnach auch die subjektive Verfügbarkeit. (Rn. 40 – 43)
3. Für die „Beendigung der Arbeitslosigkeit“ gilt gleichsam die Erleichterung, dass ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen Beendigung der Arbeitslosigkeit und Aufnahme der selbständigen Tätigkeit genügt. (Rn. 51)
4. Beim Vermittlungsvorrang handelt es sich um einen Ermessensgesichtspunkt und nicht um eine Tatbestandsvoraussetzung. (Rn. 57 – 61)
5. Der Vermittlungsvorrang ist im Rahmen einer Gesamtabwägung zu beurteilen. (Rn. 68)

Verfahrensgang

S 13 AL 119/13 2014-05-05 Urt SGLANDSHUT SG Landshut

Tenor

I. Auf die Berufung wird das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 5. Mai 2014 aufgehoben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 8. April 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14. Juni 2013 verurteilt, über den Antrag des Klägers auf Gewährung von Gründungszuschuss unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
II. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.
III. Die Revision wird zugelassen.

Gründe

Die zulässige Berufung des Klägers ist begründet.
Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Die Ablehnung des Gründungzuschusses durch die Beklagte ist rechtswidrig, weil diese das zustehende Ermessen nicht fehlerfrei ausgeübt hat.
Der Kläger hat mit seiner Berufung nicht nur teilweisen Erfolg. Denn er hat sich bewusst darauf beschränkt, die Verurteilung der Beklagten zur Neubescheidung zu beantragen. Eine „Durchverurteilung“ der Beklagten zur Leistung hat der Kläger nicht angestrebt; von daher braucht der Senat keine Überlegungen zu einer etwaigen Ermessensreduzierung auf Null anzustellen.
Einschlägige Rechtsgrundlagen für das Begehren des Klägers sind §§ 93 und 94 SGB III in der ab 01.04.2012 geltenden, auch heute noch aktuellen Fassung. § 93 SGB III lautet wie folgt:
(1) Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbständigen, hauptberuflichen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beenden, können zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung einen Gründungszuschuss erhalten.
(2) Ein Gründungszuschuss kann geleistet werden, wenn die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer
1.bis zur Aufnahme der selbständigen Tätigkeit einen Anspruch auf Arbeitslosengeld hat, dessen Dauer bei Aufnahme der selbständigen Tätigkeit noch mindestens 150 Tage beträgt und nicht allein auf § 147 Absatz 3 beruht,
2.der Agentur für Arbeit die Tragfähigkeit der Existenzgründung nachweist und
3.ihre oder seine Kenntnisse und Fähigkeiten zur Ausübung der selbständigen Tätigkeit darlegt.
Zum Nachweis der Tragfähigkeit der Existenzgründung ist der Agentur für Arbeit die Stellungnahme einer fachkundigen Stelle vorzulegen; fachkundige Stellen sind insbesondere die Industrie- und Handelskammern, Handwerkskammern, berufsständische Kammern, Fachverbände und Kreditinstitute.
(3) Der Gründungszuschuss wird nicht geleistet, solange Ruhenstatbestände nach den §§ 156 bis 159 vorliegen oder vorgelegen hätten.
(4) Die Förderung ist ausgeschlossen, wenn nach Beendigung einer Förderung der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit nach diesem Buch noch nicht 24 Monate vergangen sind; von dieser Frist kann wegen besonderer in der Person der Arbeitnehmerin oder des Arbeitnehmers liegender Gründe abgesehen werden.
(5) Geförderte Personen, die das für die Regelaltersrente im Sinne des Sechsten Buches erforderliche Lebensjahr vollendet haben, können vom Beginn des folgenden Monats an keinen Gründungszuschuss erhalten.
§ 94 SGB III lässt sich entnehmen, dass der Gründungszuschuss in zwei Phasen bewilligt wird. Nach § 94 Abs. 1 SGB III wird für die Dauer von sechs Monaten (für die erste Phase der Existenzgründung) als Gründungszuschuss der Betrag geleistet, den die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer als Arbeitslosengeld zuletzt bezogen hat, zuzüglich monatlich 300 EUR.“
Streitgegenstand im vorliegenden Verfahren ist ausschließlich die Leistungsgewährung für die erste Phase der Existenzgründung. Ein eventueller (Folge-)Anspruch für die zweite Phase – auch wenn diese aus heutiger Sicht ebenfalls in der Vergangenheit liegt – ist dagegen nicht umfasst. Dazu müssten erst die Leistungsgewährung für die erste Phase feststehen sowie ein Folgeantrag vorliegen.
1. Die Tatbestandsvoraussetzungen für die Gewährung von Gründungszuschuss sind gegeben. Dieses Ergebnis steht allerdings nicht auf dem Fundament gesicherter BSG-Rechtsprechung und liegt daher keineswegs klar auf der Hand.
a) Indes vermag der Senat ohne Schwierigkeiten festzustellen, dass es sich bei der vom Kläger angegebenen Tätigkeit seit jeher um eine selbständige und hauptberufliche – also eine Tätigkeit im Sinn von § 93 Abs. 1 SGB III – gehandelt hat. Diese wurde am 04.02.2013 im rechtlichen Sinn aufgenommen und blieb während des potenziellen Förderzeitraums auch aufrechterhalten; dass der Kläger zwischenzeitlich wieder eine abhängige Beschäftigung für sich in Erwägung zog, vermag daran nichts zu ändern. Problemlos liegen des Weiteren die Tatbestandsvoraussetzungen von § 93 Abs. 2 Nr. 2 und 3 SGB III vor. Die Gewinnprognosen waren zum maßgeblichen Zeitpunkt (Erlass des Widerspruchsbescheids) so günstig, dass die Tragfähigkeit der Existenzgründung als nachgewiesen angesehen werden muss. Zudem verfügt der Kläger jedenfalls ab Antragstellung zweifellos über die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten, um die avisierte selbständige Tätigkeit in einer den Lebensunterhalt nachhaltig und dauerhaft sichernden Weise zu betreiben.
b) Bei Aufnahme der selbständigen Tätigkeit hatte der Kläger im Sinn von § 93 Abs. 2 Nr. 1 SGB III auch einen Anspruch auf Arbeitslosengeld, dessen Dauer zu diesem Zeitpunkt noch mindestens 150 Tage betrug. Aufgenommen wurde die selbständige Tätigkeit als Kaminkehrermeister tatsächlich, wie der Kläger im Antrag angegeben hatte, zum 04.02.2013. Eine selbständige Tätigkeit wird in dem Zeitpunkt aufgenommen, in dem der Existenzgründer unmittelbar auf berufsmäßigen Erwerb gerichtete und der Gewinnerzielung dienende Handlungen mit Außenwirkung vornimmt (vgl. zuletzt Bundessozialgericht – BSG -, Urteil vom 09.06.2017 – B 11 AL 13/16 R, Rn. 20). Solche Handlungen gab es vor dem 04.02.2013 nicht. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung glaubhaft dargestellt, vor dem 04.02.2013 habe er lediglich von seinem ehemaligen Lehrmeister eine Art „Starterpaket für Schornsteinfeger“ gekauft. Dabei handelte es sich um eine bloße Vorbereitungshandlung, nicht aber schon um die Aufnahme der selbständigen Tätigkeit im beschriebenen Sinn.
Diese Aktion ist aber auch als Vorbereitungshandlung nicht im Stande, den Zeitpunkt der Aufnahme im rechtlichen Sinn vorzuverlegen. Indes ist es ständige Rechtsprechung des BSG, dass Vorbereitungshandlungen unter bestimmten Voraussetzungen bereits als Aufnahme der selbständigen Tätigkeit zu behandeln sein können (vgl. dazu grundlegend BSG, Urteil vom 05.05.2010 – B 11 AL 28/09 R, Rn. 18 f.). Danach sind Vorbereitungshandlungen als Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit anzusehen, wenn sie im Geschäftsverkehr Außenwirkung entfalten und nach dem zugrundeliegenden Gesamtkonzept ernsthaft und unmittelbar auf die spätere Geschäftstätigkeit ausgerichtet sind (vgl. zuletzt BSG, Urteil vom 09.06.2017 – B 11 AL 13/16 R, Rn. 26). Ob der Ankauf des „Starterpakets“ diese Voraussetzungen erfüllt, kann dahinstehen. Jedenfalls weist der einmalige Kaufvertrag unter Einschluss der daraus resultierenden Verfügungsgeschäfte nicht den nach § 138 Abs. 3 SGB III zu fordernden zeitlichen Umfang auf (vgl. zu diesem Erfordernis BSG, Urteil vom 09.06.2017 – B 11 AL 13/16 R, Rn. 26 ff.). Das gilt umso mehr, als das „Starterpaket“ noch nicht die komplette benötigte Ausrüstung umfasste; Büroausstattung und Messgeräte schaffte der Kläger größtenteils erst nach dem 04.02.2013 an.
Bei einer festgestellten Aufnahme der selbständigen Tätigkeit am 04.02.2013 stand dem Kläger vor der Aufnahme ein Anspruch auf Arbeitslosengeld zu, wie es § 93 Abs. 2 Nr. 1 SGB III verlangt. Der Anspruch reichte sogar nahtlos an die Aufnahme der selbständigen Tätigkeit heran. Somit erübrigt sich zu thematisieren, dass nach der BSG-Rechtsprechung Nahtlosigkeit nicht gefordert wird, sondern ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen der Existenzgründung und dem vorausgehenden Anspruch auf Arbeitslosengeld genügt (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.2010 – B 11 AL 11/09 R, Rn. 18 ff.; zuletzt BSG, Urteil vom 09.06.2017 – B 11 AL 13/16 R, Rn. 33 f.). Ob nach dem materiellen Recht ein Anspruch auf Arbeitslosengeld gegeben war, spielt im vorliegenden Fall keine Rolle. Denn die Beklagte hatte Arbeitslosengeld für den 02.02. und 03.02.2013 bewilligt. Damit erwuchs in Bestandskraft, dass für diese beiden Tage ein Anspruch auf Arbeitslosengeld tatsächlich zustand. Aufgrund der im Gesetz angelegten Tatbestandswirkung der Bewilligung von Arbeitslosengeld entfaltete diese insoweit Bindungswirkung im Rahmen der Bewilligung von Gründungzuschuss (vgl. BSG, Urteil vom 05.05.2010 – B 11 AL 28/09 R, Rn. 14).
c) Schließlich hat der Kläger, wie es § 93 Abs. 1 SGB III fordert, durch die Aufnahme der hauptberuflichen selbständigen Tätigkeit seine Arbeitslosigkeit beendet. Die rechtlichen Überlegungen, die zu diesem Ergebnis führen, erweisen sich indes als vielschichtig und schwierig und sind nicht durch BSG-Rechtsprechung abgesichert.
aa) Zunächst vertritt der Senat die Ansicht, dass die Passage in § 93 Abs. 1 SGB III, die Arbeitslosigkeit müsse beendet worden sein, überhaupt eine Tatbestandsvoraussetzung für einen Leistungsanspruch auf Gründungszuschuss verkörpert. Schon das erscheint keineswegs über alle Zweifel erhaben.
Ein Blick in die Gesetzgebungshistorie zeigt nämlich, dass Absatz 1 ursprünglich nicht als weitere Tatbestandsvoraussetzung konzipiert war. Hervorgerufen wird ein entsprechender „Anfangsverdacht“, weil die Systematik von § 93 SGB III den ersten Absatz eigentlich aus den Tatbestandsvoraussetzungen ausgrenzt. Absatz 2 scheint vielmehr für sich zu reklamieren, die Leistungsvoraussetzungen abschließend zu regeln. Von daher mutet es nicht unbedingt konsequent im Aufbau an, eine weitere, sehr wichtige Tatbestandsvoraussetzung dem Grunde nach in Absatz 1 zu verlagern Die historischen Betrachtungen geben derartigen Bedenken Nahrung. Im vor dem 01.01.1998 geltenden Recht regelte § 55a des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) das Überbrückungsgeld wie folgt:
“(1) 1Die Bundesanstalt kann Arbeitslosen bei Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von mindestens 18 Stunden Überbrückungsgeld gewähren, wenn der Arbeitslose bis zur Aufnahme dieser Tätigkeit oder bis zu der vorgeschalteten Teilnahme an einer Maßnahme zu deren Vorbereitung mindestens vier Wochen Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe bezogen hat. 2Voraussetzung für die Gewährung von Überbrückungsgeld ist die Vorlage einer Stellungnahme einer fachkundigen Stelle über die Tragfähigkeit der Existenzgründung.
(1a) Den Arbeitslosen nach Absatz 1 stehen Arbeitnehmer gleich, die vor Aufnahme der selbständigen Tätigkeit mindestens vier Wochen Kurzarbeitergeld nach § 63 Abs. 4 bezogen haben oder mindestens vier Wochen in einer Maßnahme zur Arbeitsbeschaffung nach den §§ 91 bis 96 oder in einer Maßnahme nach § 249h oder § 242s beschäftigt waren.
(2) Das Überbrückungsgeld wird grundsätzlich für 26 Wochen in Höhe des Betrages gewährt, den der Antragsteller als Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe zuletzt bezogen hat oder in den Fällen des Absatzes 1a bei Arbeitslosigkeit hätte beziehen können.
(3) 1Die Bundesanstalt gewährt Beziehern von Überbrückungsgeld auf Antrag Zuschüsse zu ihren Aufwendungen für eine Versicherung für den Fall der Krankheit und Pflegebedürftigkeit sowie eine Alters-, Invaliditäts- und Hinterbliebenenversorgung (Altersversorgung). 2Als Zuschüsse werden die Beträge gewährt, die die Bundesanstalt für den Antragsteller zuletzt für die Zeit des Bezugs von Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe als Beiträge zur Kranken- und Rentenversicherung sowie zur sozialen Pflegeversicherung entrichtet hat oder in den Fällen des Absatzes 1a bei Arbeitslosigkeit hätte entrichten müssen.
(4) 1Die Bundesanstalt kann das Nähere über Voraussetzungen und Verfahren der Gewährung von Überbrückungsgeld durch Anordnung bestimmen. 2Sie kann bestimmen, ob und unter welchen Voraussetzungen ausnahmsweise das Überbrückungsgeld für eine kürzere Dauer als 26 Wochen bewilligt werden darf. 3Sie kann die Zuschüsse nach Absatz 3 pauschalieren.“
Daran fällt auf, dass § 55a AFG eine § 93 Abs. 1 SGB III entsprechende Regelung nicht vorsah. Das einzige Tatbestandsmerkmal, das an eine vorangegangene Arbeitslosigkeit anknüpfte, war der – auch heute noch notwendige – Vorbezug der Entgeltersatzleistung.
Erst das Arbeitsförderungs-Reformgesetz hat zum 01.01.1998 den bewussten Absatz eingefügt. Die erste Fassung von § 57 SGB III lautete:
(1) Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beenden oder vermeiden, können zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung Überbrückungsgeld erhalten.
(2) Überbrückungsgeld kann geleistet werden, wenn der Arbeitnehmer
1. bis zur Aufnahme der selbständigen Tätigkeit oder bis zu der vorgeschalteten Teilnahme an einer Maßnahme zu deren Vorbereitung mindestens vier Wochen
a) Arbeitslosengeld, Arbeitslosenhilfe oder Kurzarbeitergeld in einer betriebsorganisatorisch eigenständigen Einheit bezogen hat oder
b) eine Beschäftigung ausgeübt hat, die als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme oder als Strukturanpassungsmaßnahme gefördert worden ist, und
2. eine Stellungnahme einer fachkundigen Stelle über die Tragfähigkeit der Existenzgründung vorgelegt hat. …
Die Begründung im Regierungsentwurf des Arbeitsförderungs-Reformgesetzes (BT-Drs. 13/4941, S. 163/164) legte dar, der neue § 57 SGB III entspreche im Wesentlichen § 55a AFG. Und sehr wichtig: Die Benennung des Leistungszwecks in Absatz 1 verdeutliche lediglich die Zielsetzung des arbeitsmarktpolitischen Instruments Überbrückungsgeld, nämlich als Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung, und grenze diese Leistung, die als Zuschuss gezahlt werde, etwa gegen Investitionszuschüsse ab. Damit dürfte kaum zu leugnen sein, dass der Gesetzgeber keine weitere Tatbestandsvoraussetzung schaffen wollte; Absatz 1 sollte nur Einweisungsnorm sein.
Allerdings hat Absatz 1 seinen Charakter als reine Einweisungsnorm spätestens ab dem 27.11.2004 verloren. Damals wurde mit dem Vierten Gesetzes zur Änderung des Dritten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze nämlich das Kriterium der Hauptberuflichkeit in die Vorschrift aufgenommen. Aber auch wenn Ende 2004 ein echtes Tatbestandsmerkmal in § 57 Abs. 1 SGB III integriert worden sein sollte, so könnte man allein daraus noch nicht den sicheren Schluss ziehen, auch die Elemente, die von Anfang an eher programmatischen Charakter hatten, seien nun allesamt echte Tatbestandsmerkmale.
Gegen die Eigenschaft als eigenständige Tatbestandsvoraussetzung spricht weiter, dass ein eigenständiger Regelungsgehalt einer gesonderten Voraussetzung „Beendigung von Arbeitslosigkeit“ neben Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 (Bestehen eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld bei Aufnahme der Beschäftigung) kaum erkennbar wäre. Ein solcher ließe sich nur insoweit feststellen, als das Erfordernis der Arbeitslosigkeit weitergehende materielle Wirkung hätte als das Erfordernis des Bezugs von Arbeitslosengeld. Es stellt sich also folgende Frage: Gibt es Konstellationen, bei denen Ansprüche auf Arbeitslosengeld vorliegen, ohne dass Arbeitslosigkeit bestehen muss? Nach Einschätzung des Senats nicht in nennenswertem Umfang. Wirklich eigenständige Bedeutung hätte ein Erfordernis der Arbeitslosigkeit vor Aufnahme der selbständigen Tätigkeit lediglich beim Arbeitslosengeld bei beruflicher Weiterbildung (§ 144 SGB III); denn hier wird anders als in den Fällen des § 139 SGB III die Arbeitslosigkeit nicht fingiert.
Gleichwohl ist es inzwischen nahezu unstreitig, dass Absatz 1 auch bezüglich der Arbeitslosigkeit echtes Tatbestandsmerkmal ist – umstritten ist nur die Qualität seiner normativen Wirkung. Sollten noch Restzweifel bestanden haben, wären diese durch das Urteil des BSG vom 09.06.2017 – B 11 AL 13/16 R ausgeräumt. Denn unter Randnummer 18 dieser Entscheidung hat das BSG ausdrücklich von einer Tatbestandsvoraussetzung „Beendigung der Arbeitslosigkeit“ gesprochen.
bb) Allerdings ist auch nach dem BSG-Urteil vom 09.06.2017 – B 11 AL 13/16 R noch nicht restlos geklärt, wie der Terminus „Arbeitslosigkeit“ in § 93 Abs. 1 SGB III zu verstehen ist. Der insoweit bestehende Streit geht im Wesentlichen auf das BSG-Urteil vom 05.05.2010 – B 11 AL 11/09 R zurück. Dieses ist zu der zwischen dem 01.08.2006 und dem 31.12.2007 bestehenden Rechtslage ergangen. Bereits damals verdeutlichte das BSG, dass es die Beendigung der Arbeitslosigkeit im Sinn des seinerzeitigen § 57 Abs. 1 SGB III als Tatbestandsvoraussetzung für den Anspruch auf Überbrückungsgeld ansah. Jedoch hat es in den Entscheidungsgründen unter Berufung auf die Kommentierung von Link in Eicher/Schlegel, SGB III, ausgeführt, bei der Beurteilung, ob Arbeitslosigkeit in diesem Sinn beendet worden sei, werde – ausgehend vom aufgezeigten Sinn und Zweck des Förderinstruments – zu beachten sein, dass für das Merkmal der Beendigung von „Arbeitslosigkeit“ im Sinn des § 57 Abs. 1 SGB III grundsätzlich Beschäftigungslosigkeit beendet worden sein müsse. Diese Passage ist gemeinhin dahin verstanden worden, das BSG wolle den Begriff „Arbeitslosigkeit“ nicht im Sinn von § 138 SGB III interpretieren, sondern auf das nachgeordnete Tatbestandsmerkmal der Beschäftigungslosigkeit gemäß § 138 Abs. 1 Nr. 1 SGB III reduzieren. Rege Diskussionen entstanden, wie wohl die Einschränkung „grundsätzlich“ zu verstehen sei.
Die Rechtsprechung der Landessozialgerichte hat dem BSG in Bezug auf die Auslegung von „Arbeitslosigkeit“ zum Teil die Gefolgschaft verweigert (vgl. dazu ausführlich LSG Hamburg, Urteil vom 29.06.2016 – L 2 AL 27/16). Die Kommentarliteratur greift als Beleg für die Ansicht, die Beendigung von Arbeitslosigkeit im Sinn von § 93 Abs. 1 SGB III sei vollwertiges Tatbestandsmerkmal und in Anlehnung an § 138 SGB III auszulegen, zumeist auf das Urteil des LSG Berlin-Brandenburg vom 28.05.2014 – L 18 AL 236/13 zurück. Dieses Gericht hat betont, der Begriff der Arbeitslosigkeit in § 93 Abs. 1 SGB III stimme mit der Definition in § 138 Abs. 1 SGB III überein. Entgegen einer in der Literatur verbreiteten Meinung genüge im Rahmen des § 93 Abs. 1 SGB III das Vorliegen von Beschäftigungslosigkeit im Sinne des § 138 Abs. 1 Nr. 1 SGB III nicht. Soweit das BSG in seiner Rechtsprechung zu der § 93 Abs. 1 SGB III entsprechenden Vorschrift des § 57 Abs. 1 SGB III in der bis 27. Dezember 2011 geltenden Fassung darauf hinweise, dass für das Merkmal der Beendigung von „Arbeitslosigkeit“ „grundsätzlich“ die Beschäftigungslosigkeit beendet worden sein müsse, lasse dies nicht den Schluss zu, dass der Begriff der Arbeitslosigkeit im vorliegenden Zusammenhang abweichend auszulegen sei. Für eine derartige engere Auslegung des Begriffs der Arbeitslosigkeit im § 93 Abs. 1 SGB III biete der Wortlaut der Vorschrift keinen Anhalt. Sie ließe sich auch nicht mit dem Umstand vereinbaren, dass die Vorschrift anders als die bis zum 31. Juli 2006 geltende Vorläufernorm des § 57 Abs. 1 SGB III nicht mehr auf den Tatbestand der Vermeidung von Arbeitslosigkeit Bezug nehme.
Das aktuelle BSG-Urteil vom 09.06.2017 – B 11 AL 13/16 R lässt zwar die Tendenz erkennen, dass an dem Urteil vom 05.05.2010 – B 11 AL 11/09 R festgehalten werden soll. Endgültige Klarheit, wie Arbeitslosigkeit im Sinn von § 93 Abs. 1 SGB III zu verstehen ist, schafft diese Entscheidung aber nicht. Das BSG hat folgendermaßen formuliert (Randnummer 18):
„Unterstellt der Kläger hätte die Gewerbeanmeldung am 7.8.2014 vorgenommen, hat er damit seine Arbeitslosigkeit nicht iS des § 93 Abs. 1 SGB III beendet. Diese Vorschrift verweist mit der Tatbestandsvoraussetzung „Beendigung der Arbeitslosigkeit“ auf die Regelung des § 138 Abs. 3 SGB III (so wohl auch BSG vom 5.5.2010 – B 11 AL 11/09 R – SozR 4-4300 § 57 Nr. 6 RdNr. 26-27, wonach „Beschäftigungslosigkeit beendet worden sein muss“; so ausdrücklich Sächsisches LSG vom 20.11.2008 – L 3 AL 108/06; LSG Baden-Württemberg vom 24.5.2007 – L 7 AL 4485/05; LSG Berlin-Brandenburg vom 10.5.2016 – L 14 AL 243/12; zum Beitragsrecht BSG vom 3.6.2009 – B 12 AL 1/08 R – juris, RdNr. 15; siehe auch Ross in LPK-SGB III, 2. Aufl 2015, § 93 RdNr. 14; Winkler in Gagel, SGB II/SGB III, § 93 SGB III RdNr. 41; Kuhnke in jurisPK-SGB III, 1. Aufl 2014, § 93 RdNr. 15; Jüttner in NK-SGB III, 6. Aufl 2017, § 93 RdNr. 38; Hassel in Brand, SGB III, 7. Aufl 2015, § 93 RdNr. 8). Nach § 138 Abs. 3 SGB III wird die Beschäftigungslosigkeit und damit die Arbeitslosigkeit durch Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit beendet, wenn diese Tätigkeit 15 Stunden und mehr wöchentlich ausgeübt wird.“
Die Bezugnahme des BSG auf § 138 Abs. 3 SGB III legt nahe, dass „Arbeitslosigkeit“ tatsächlich nur als Beschäftigungslosigkeit verstanden werden soll. Immerhin hat das BSG nunmehr auf den Zusatz „grundsätzlich“ verzichtet, was seine Rechtsprechung klarer erscheinen lässt.
Gleichwohl vermag sich der Senat der Ansicht des BSG nicht anzuschließen. Er teilt vielmehr die Auffassung des LSG Berlin-Brandenburg, wonach „Arbeitslosigkeit“ innerhalb ein und desselben Gesetzes nicht einmal so und einmal anders interpretiert werden darf. Nur der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass auch § 16 Abs. 1 SGB III, der „Arbeitslose“ definiert, einer Reduzierung auf Beschäftigungslosigkeit entgegensteht. Daher prüft der Senat im Folgenden das Bestehen von Arbeitslosigkeit und deren Wegfall vollständig anhand von § 138 SGB III.
Der Senat ist im vorliegenden Fall davon überzeugt, dass die Arbeitslosigkeit des Klägers im Sinn von § 138 SGB III nicht unmittelbar an die Aufnahme der selbständigen Tätigkeit herangereicht hat, weil Ende Januar die subjektive Verfügbarkeit des Klägers entfallen war. Die Beschäftigungslosigkeit des Klägers trat mit Ablauf des 25.01.2013 ein. Vorher – seit der Kläger die Kündigung seines letzten Arbeitgebers erhalten hatte – war er ohne Zweifel auch für eine neue abhängige Beschäftigung offen. Eine Fixierung auf die selbständige Tätigkeit kann zunächst nicht festgestellt werden. Zwar hatte der Kläger die Selbständigkeit schon länger in Betracht gezogen – so hatte er schon Monate vorher ein Coaching zur Existenzgründung besucht. Allerdings „fuhr“ er lange Zeit „zweigleisig“.
Für den Zeitpunkt, in dem die Beschäftigungslosigkeit eintrat, lässt sich eine die subjektive Verfügbarkeit des Klägers ausschließende Fixierung auf die selbständige Tätigkeit somit noch nicht feststellen. Dennoch dürfte es zuletzt an der subjektiven Verfügbarkeit gefehlt haben.
Die Arbeitsbereitschaft, die die subjektive Verfügbarkeit konstituiert, stellt zwar eine innere Tatsache dar. Gleichwohl ist sie nicht auf das forum internum beschränkt, sondern bedarf der Vermittlung nach außen; denn nur auf diesem Weg kann die Agentur für Arbeit die Konsequenzen aus der inneren Arbeitsbereitschaft ziehen, indem sie die Vermittlungstätigkeit aufnimmt und betreibt (vgl. Senatsurteil vom 22.10.2015 – L 9 AL 308/12). Dieser Umstand führt dazu, dass die Arbeitsbereitschaft als „Erklärung“ bezeichnet wird (so Gutzler in: Mutschler/Schmidt-De Caluwe/Coseriu, Sozialgesetzbuch III, 6. Auflage 2017, § 138 Rn. 203). Man trifft in der Literatur auf die Aussage, die Arbeitsbereitschaft werde durch die Arbeitslosmeldung und deren Erneuerungen zum Ausdruck gebracht, es sei denn, es werde gleichzeitig eine andere Erklärung abgegeben. Die Arbeitsbereitschaft muss also – regelmäßig im Zuge der Arbeitslosmeldung – gegenüber der Agentur für Arbeit kommuniziert werden, erst dann hat sie das forum internum verlassen und erzeugt die subjektive Verfügbarkeit.
Gemessen daran trat die subjektive Verfügbarkeit des Klägers erst am 28.01.2013 ein, als dieser sich bei der Agentur für Arbeit persönlich arbeitslos meldete. Jedenfalls an diesem Tag war der Kläger noch nicht unumkehrbar auf die selbständige Tätigkeit fixiert. Die auf den 24.01.2013 datierte Zuweisung eines Kehrbezirks durch die Regierung von Niederbayern hatte der Kläger noch nicht oder erst ganz kurz in Händen – der 28.01.2013 war ein Montag, so dass ein verzögerter Zugang nicht unwahrscheinlich ist. Jedenfalls für den 28.01.2013 lagen alle Voraussetzungen der Arbeitslosigkeit nach § 138 SGB III vor. Der Senat ist allerdings gleichermaßen davon überzeugt, dass die Fixierung auf die selbständige Tätigkeit im Sinn einer Alternativlosigkeit, verbunden mit dem Wegfall der subjektiven Verfügbarkeit, nicht erst mit dem 04.02., sondern zwischen dem 28.01. und dem 04.02.2013 eintrat. Denn bereits unter dem Datum 05.02.2013 fertigte die BBK ihre Tragfähigkeits- und Plausibilitätserklärung sowie ihren Bericht an. Der Auftrag hierfür, den der Senat als sehr wichtiges Indiz für eine Festlegung zugunsten der selbständigen Tätigkeit wertet, kann nicht gerade einmal einen Tag vorher erteilt worden sein.
Letztlich kommt es aber nur darauf an, dass nach Eintritt der Beschäftigungslosigkeit überhaupt zumindest einen Tag lang Arbeitslosigkeit im Sinn von § 138 SGB III vorlag. Das war, wie oben ausgeführt, der Fall. Ob nun die Arbeitslosigkeit unmittelbar an die Aufnahme der selbständigen Tätigkeit hereinreichte, ist vor dem Hintergrund der Rechtssätze, die der Senat für relevant hält, nicht von Belang.
Dabei lässt sich bereits darüber streiten, ob der Umstand, dass die Beklagte Arbeitslosengeld für den 02. und 03.02.2013 bewilligt hatte, dazu zwingt, für diese beiden Tage Arbeitslosigkeit im Sinn von § 93 Abs. 1 in Verbindung mit § 138 SGB III zu bejahen. Zwar erstreckt sich die Bindungswirkung (Tatbestandswirkung) der Bewilligung von Arbeitslosengeld nur auf die Feststellung, dass ein Anspruch auf Arbeitslosengeld besteht, während es sich bei dem Element Arbeitslosigkeit nur um eine Anspruchsvoraussetzung, also ein Begründungselement handelt. Genauso wenig wie die präjudizielle Rechtskraftwirkung eines Urteils Begründungselemente umfasst, vermag dies die Tatbestandswirkung eines Arbeitslosengeld-Bewilligungsbescheids. Allerdings existiert von Verfassungs wegen ein übergreifender Grundsatz des Vertrauensschutzes. Ohne dessen Gehalt und Reichweite hier eingehend beleuchten zu müssen, sieht der Senat rechtliche Probleme, die Bewilligung von Arbeitslosengeld insoweit für irrelevant zu halten (anders zum Beispiel LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 10.12.2015 – L 9 AL 83/14, das aber zutreffend eine Tatbestandswirkung verneint).
Jedenfalls trat die Arbeitslosigkeit in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Aufnahme der selbständigen Tätigkeit auf, was nach Auffassung des Senats genügt, um die Tatbestandsvoraussetzung, durch die selbständige Tätigkeit müsse Arbeitslosigkeit beendet werden, zu erfüllen. Denn auch für das Tatbestandsmerkmal „Beendigung der Arbeitslosigkeit“ muss die für den Anspruch auf Arbeitslosengeld vom BSG entwickelte Erleichterung greifen, dass ein unmittelbares Heranreichen an die Aufnahme der selbständigen Tätigkeit nicht erforderlich ist, vielmehr ein enger zeitlicher Zusammenhang genügt (vgl. BSG, Urteile vom 05.05.2010 – B 11 AL 11/09 R und B 11 AL 28/09 R, bestätigt durch BSG, Urteil vom 09.06.2017 – B 11 AL 13/16 R, Rn. 33). Auch insoweit geht der Senat davon aus, dass eine Unterbrechung von bis zu einem Monat noch diesen engen zeitlichen Zusammenhang wahrt. Wenn nämlich schon die Beendigung von Arbeitslosigkeit im Sinn von § 93 Abs. 1 SGB III als eigenständige Tatbestandsvoraussetzung behandelt wird, so muss sie wenigstens so ausgelegt werden, dass sie die in § 93 Abs. 2 SGB III genannten Voraussetzungen nicht unterläuft. Würde man die unmittelbare Beendigung von Arbeitslosigkeit fordern, wäre die Rechtsprechung des BSG, wonach für das Bestehen eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld ein enger zeitlicher Zusammenhang ausreicht, unterminiert. Ein so definierter enger zeitlicher Zusammenhang ist hier gegeben.
2. Dass also die Tatbestandsvoraussetzungen für die Gewährung von Gründungszuschuss erfüllt sind, verhilft der Berufung des Klägers noch nicht zum Erfolg. Denn dieser besitzt keinen Rechtsanspruch auf die Leistung, sondern nur ein subjektives Recht auf fehlerfreie Ausübung des Ermessens. Das ihr zustehende Ermessen hat die Beklagte aber gerade nicht fehlerfrei ausgeübt, weswegen der Kläger in diesem subjektiven Recht verletzt ist und mit seiner Klage Erfolg hat.
Wie sich aus § 93 Abs. 2 Satz 1 SGB III ergibt, verkörpert die Gewährung von Gründungszuschuss auch schon für die erste Phase eine Ermessensentscheidung; es handelt sich um ein Entschließungsermessen. Die Leistungsablehnung seitens der Beklagten im Bescheid vom 08.04.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.06.2013 erfüllt nicht die Anforderungen an eine pflicht- und ordnungsgemäße Ermessensausübung. Nach § 39 Abs. 1 Satz 1 des Sozialgesetzbuchs Erstes Buch (SGB I) hatte die Beklagte ihr Ermessen entsprechend dem Zweck der Ermächtigung auszuüben und die gesetzlichen Grenzen des Ermessens einzuhalten. Das ist ihr nicht gelungen.
Der Senat verzichtet an dieser Stelle darauf, abstrakt darzustellen, welche Ermessensfehler unterschieden werden (vgl. dazu ausführlich Senatsurteil vom 20.04.2017 – L 9 AL 49/14). Vielmehr genügt es festzustellen, dass die Beklagte im vorliegenden Fall einerseits der Vermittlungsvorrang offenkundig „verabsolutiert“ hat und ihr insoweit eine Ermessensunterschreitung, wenn nicht gar ein Ermessensnichtgebrauch unterlaufen ist (dazu unten a), und dass sie andererseits die Eigenleistungsfähigkeit des Klägers anhand sachwidriger Maßstäbe beurteilt hat (dazu unten b).
Bei der Prüfung der Ermessensausübung kann der Senat die Entscheidung der Beklagten nur im Sinn einer Rechtskontrolle daraufhin überprüfen, ob die Beklagte ihr Ermessen entsprechend den Vorgaben von § 39 Abs. 1 Satz 1 SGB I rechtmäßig ausgeübt hat oder ob ein Ermessensfehler im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 2 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) vorliegt und der Kläger hierdurch beschwert ist. Er hat jedoch keine eigenen Ermessens- und Zweckmäßigkeitserwägungen anzustellen (vgl. Senatsurteil vom 20.04.2017 – L 9 AL 49/14 m.w.N.). Aber auch bei dieser bloßen Rahmenprüfung vermag die von der Beklagten getroffene Ermessensentscheidung nicht zu bestehen. Da beide von der Beklagten aktivierten Ermessensgesichtspunkte für sich allein nicht den Anforderungen an eine fehlerfreie Ermessensausübung gerecht werden, kommt es auf das im Senatsurteil vom 02.08.2017 – L 9 AL 98/16 im Fokus stehende Problem, ob die Ermessensaspekte alternativ oder kumulativ für die Ablehnung herangezogen worden waren, nicht an.
a) Der Gesichtspunkt des Vermittlungsvorrangs, der in § 4 SGB III eine gesetzliche Regelung erfahren hat, vermag die Leistungsablehnung durch die Beklagte nicht zu tragen. Nach § 4 Abs. 1 SGB III hat die Vermittlung in Ausbildung und Arbeit Vorrang vor den Leistungen zum Ersatz des Arbeitsentgelts bei Arbeitslosigkeit. Und § 4 Abs. 2 Satz 1 SGB III bestimmt, dass der Vermittlungsvorrang auch im Verhältnis zu den sonstigen Leistungen der aktiven Arbeitsförderung gilt, es sei denn, die Leistung ist für eine dauerhafte Eingliederung erforderlich.
In der Rechtsprechung der Landessozialgerichte ist einhellige Meinung, dass es sich beim Vermittlungsvorrang um einen Ermessensgesichtspunkt und nicht um eine weitere Tatbestandsvoraussetzung handelt (vgl. beispielsweise LSG Hessen, Urteil vom 11.11.2016 – L 3 AL 29/14; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 09.11.2016 – L 18 AL 127/15; LSG Hamburg, Urteil vom 23.09.2015 – L 2 AL 20/14; LSG Sachsen, Urteil vom 13.08.2015 – L 3 AL 156/13; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 28.11.2013 – L 9 AL 81/13). Dem schließt sich der Senat vorbehaltlos an.
Dafür, den Vermittlungsvorrang als Ermessensaspekt zu behandeln, spricht seine Abwägungsoffenheit und die Notwendigkeit, alle relevanten Gesichtspunkt mittels einer wertenden Betrachtung auszutarieren. Der Vermittlungsvorrang kann nicht über eine eindimensionale Wenn-Dann-Logik definiert werden. Vielmehr zeigt er sich gedanklich in doppelter Hinsicht abwägungsoffen.
Auf einer ersten Ebene, nämlich bei der Sammlung der für die eigentliche Ermessensausübung relevanten Tatsachen, verkörpert die Prüfung, ob überhaupt ein Primat der Vermittlung besteht, einen multifaktoriellen Vorgang, dem jeder Automatismus fremd ist. Bereits § 4 Abs. 1 SGB III legt nahe, dass der Vorrang der Vermittlung eine abstrakte und relative Größe sowie eine generelle Richtschnur verkörpert. Die Ergebnisfindung im Rahmen des Vermittlungsvorrangs erfolgt stets im Rahmen einer Abwägung aller relevanten Aspekte. Aus § 4 Abs. 1 SGB III kann schlechterdings nicht abgeleitet werden, in jedem Fall, in dem eine Vermittlung in Arbeit oder Ausbildung überhaupt möglich sei, seien Entgeltersatzleistungen ausgeschlossen; es geht nicht an, dass allein das Vorhandensein von offenen Stellen den Vermittlungsvorrang aktiviert. § 4 Abs. 1 SGB III verlangt keine ausnahmslose Handhabung, er erhebt keinen Absolutheitsanspruch. Die Formulierung „Vorrang“ lässt eine Abwägungsoffenheit zu. § 4 Abs. 2 Satz 1 SGB III relativiert den ohnehin nicht apodiktischen Vermittlungsvorrang noch weiter. Dieser soll im Verhältnis zu den sonstigen Leistungen der aktiven Arbeitsförderung nur dann greifen, wenn nicht die sonstige Leistung der aktiven Arbeitsförderung für eine dauerhafte Eingliederung erforderlich ist. Noch mehr als „Vorrang“ deutet das Tatbestandsmerkmal „erforderlich“ an, dass Abwägungsoffenheit besteht.
Ist auf der ersten Prüfungsebene der Vorrang der Vermittlung auf diese Weise festgestellt, darf der Gründungszuschuss nicht auf der zweiten Ebene automatisch abgelehnt werden. Denn an dieser Stelle findet die eigentliche Ermessensausübung statt. Der Vermittlungsvorrang hat keine absolute Durchsetzungskraft, stets müssen die Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden. Die Ermessensausübung mag zwar, da zahlreiche Aspekte vermutlich schon auf der ersten Ebene in die Abwägung eingeflossen sind, in verkürzter Form auftreten, verzichtbar ist sie jedoch nicht.
Nicht zuletzt die Systematik des Gesetzes spricht dafür, den Vermittlungsvorrang als einen der Abwägung zugänglichen Ermessensgesichtspunkt zu behandeln und nicht als weitere Tatbestandsvoraussetzung. Denn der Gesetzgeber hat die Regelung zum Vermittlungsvorrang bei den einleitenden, allgemeinen Vorschriften verortet. Im räumlichen Kontext von § 4 SGB III finden sich ausschließlich Bestimmungen, die allenfalls Leitlinien oder Optimierungsgebote sein können (zum Beispiel § 8, Vereinbarkeit von Familie und Beruf). Von daher erscheint es richtig, auch dem Vermittlungsvorrang keine Stringenz im konkreten Fall zuzuordnen. In diesem Zusammenhang fällt selbstverständlich auch ins Gewicht, dass § 93 SGB III, der die Leistungsvoraussetzungen abschließend regelt, keine Bezugnahme auf § 4 SGB III aufweist.
Soweit ersichtlich wird in der Rechtsprechung der Landessozialgerichte nicht in Zweifel gezogen, dass der Vermittlungsvorrang als Ermessensgesichtspunkt grundsätzlich sachgerecht ist. Auch diese Auffassung teilt der Senat in vollem Umfang; allein die Existenz von § 4 SGB III belegt dies eindrücklich.
Anders als andere Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit und anders als der Kläger fordert der Senat im Rahmen der Vermittlungsprognose nicht, dass jede gefundene offene Stelle individuell passgenau sein muss. Der Bestand an offenen Stellen muss lediglich die Aussicht zulassen, dass es sich aus der Perspektive der Agentur für Arbeit lohnt, in eine ernsthafte Vermittlungstätigkeit eintreten. Der Befund muss also dafür sprechen, dass die Agentur für Arbeit es „zunächst einmal versuchen darf“. Dazu müssen ausreichend einschlägige offene Stellen vorhanden sein. Individuelle Passgenauigkeit und eine Bewertung der individuellen Chancen für jede einzelne Stelle, selbige bekommen zu können, sind dagegen nicht notwendig. Dementsprechend dürfen auch die Dokumentationspflichten der Beklagten nicht überspannt werden.
Gleichwohl hat die Beklagte im vorliegenden Fall den Vermittlungsvorschlag nicht gesetzeskonform als Ermessensaspekt aktiviert. Denn in Zusammenschau von Ausgangs- und Widerspruchsbescheid hat die Beklagte bei Anlegung eines objektiven Empfängerhorizonts den Eindruck vermittelt, sie betrachte den Vermittlungsvorrang nicht als Ermessensaspekt, sondern quasi als vorgelagerte, erste Leistungsvoraussetzung, deren Fehlen von vornherein jede rechtliche Prüfung vereitelt. Dies verdeutlicht eine Analyse von Ausgangs- und Widerspruchsbescheid:
Im Ausgangsbescheid hat die Beklagte zunächst die Voraussetzungen des § 93 SGB III genannt. Dann hat sie geschrieben: „Doch ist dies allein nicht ausreichend, um Ihnen eine Förderung zu gewähren.“ Im folgenden Absatz hat die Beklagte den Eindruck einer gebundenen Entscheidung vermittelt: „Nach Sinn und Zweck der vorstehend genannten gesetzlichen Regelung kann der Gründungszuschuss nur an Personen geleistet werden, bei denen eine berufliche Integration auf andere Weise nicht nachhaltig und wirtschaftlich erreicht werden kann und bei denen die Sicherung des Lebensunterhalts und die soziale Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung nicht anderweitig sichergestellt ist.“ Erst dann – diese Reihenfolge erscheint sehr wichtig – ist geschrieben worden, es handle sich um eine Ermessensentscheidung. Diese Art und Weise der Darstellung suggeriert, die Beklagte würde die Subsidiarität der Förderung mittels Gründungszuschuss als Tatbestandsvoraussetzung und nicht als Ermessensgesichtspunkt sehen. Der Ausgangsbescheid vermittelt dem objektiven Leser sogar den Eindruck, die Subsidiarität ergebe sich gerade aus § 93 SGB III. Der Senat sieht durchaus, dass die Beklagte im Anschluss an den Hinweis, es handle sich um eine Ermessensentscheidung, den Vermittlungsvorrang erneut thematisiert hat. Trotzdem bleibt aus objektiver Empfängersicht der Eindruck zurück, die Beklagte würde die Aspekte „berufliche Integration auf anderem Weg nicht erreichbar“ und „Sicherung des Lebensunterhalts anderweitig nicht sichergestellt“ als Tatbestandsvoraussetzungen behandeln.
Diesen Schluss allein aus der Gestaltung des Ausgangsbescheids zu ziehen, mag streng anmuten. Davon kann aber keine Rede mehr sein, wenn man realisiert, was die für den vorliegenden Fall einschlägigen (Stand: 01.04.2012) Geschäftsanweisungen der Beklagten zum Gründungszuschuss in Nr. 93.02 regeln:
„Sind zum Zeitpunkt der Beantragung eines Gründungszuschusses auf dem für die Kundin oder den Kunden erreichbaren Arbeitsmarkt keine Stellenangebote möglich, sind die Tatbestandsvoraussetzungen zu prüfen und das Ermessen auszuüben.“
Auch wenn der Senat an diese Passage aus den intern bindenden Weisungen der Beklagten mit Offenheit für unterschiedliche Interpretationsmöglichkeiten herangeht, vermag er nur zu dem Verständnis zu gelangen, der Vermittlungsvorrang stehe jenseits aller Ermessensausübung, ja sogar noch vor der Prüfung der Tatbestandsmerkmale. Diese ebenso apodiktische wie falsche Vorgabe in Verbindung mit dem geschilderten Aufbau des Ausgangsbescheids lässt es aus objektiver Warte naheliegend erscheinen, dass die Beklagte den Vermittlungsvorrang tatsächlich nicht als Ermessensgesichtspunkt, sondern als Tatbestandsvoraussetzung behandelt hat. So hat sich übrigens auch die Vermittlerin in einer Stellungnahme zum Widerspruch ausdrücklich auf die besagte Regelung in den Geschäftsanweisungen bezogen und darauf aufbauend die Meinung vertreten, die Ermessensausübung sei „nicht mehr zu prüfen“.
Der Senat legt Wert darauf klarzustellen, dass er zwingende Vorgaben der Beklagten, wie ihre Mitarbeiter bei Ermessensentscheidungen vorzugehen haben, keineswegs von vornherein für rechtswidrig hält. Wenn die Vermittlung in Arbeit im konkreten Fall möglich und zumutbar ist und bei Abwägung aller Aspekte Vorrang hat, kann die Beklagte durchaus die interne Marschroute ausgeben, die Agentur für Arbeit dürfe den Gründungszuschuss nicht bewilligen. Trotzdem bleibt der Vermittlungsvorrang nach außen Ermessensgesichtspunkt. Es ist daher unangebracht, wenn die Behörde ihre interne Gebundenheit auf das Außenverhältnis transferiert und entsprechend in Bescheiden kommuniziert.
Der Widerspruchsbescheid hat den groben Fehler des Ausgangsbescheids nicht korrigiert, sondern dem Ganzen noch eine skurrile Note gegeben. Dessen Insuffizienz wird schon daraus ersichtlich, dass dort das Wort „Ermessen“ überhaupt nicht auftaucht. Es liegt nahe, dass eine solche Widerspruchsentscheidung nicht im Stande ist, die ordnungsgemäße Ermessensausübung nachzuholen. Nur der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass der Widerspruchsbescheid Anlass zu der Befürchtung gibt, sein Verfasser sei von einem Sachverhalt ausgegangen, der in Wahrheit überhaupt nicht vorlag. Wenn die negative Widerspruchsentscheidung damit begründet worden ist, von 14 offenen Stellen, die am 01.02.2013 vorgefunden worden seien, stammten allein zehn aus Bayern, dann werden damit die geographischen Verhältnisse auf den Kopf gestellt: Die allermeisten offenen Stellen stammten nämlich aus Baden-Württemberg. Nun könnte der Kläger zwar auch auf Beschäftigungen in Baden-Württemberg verwiesen werden. Wenn aber in der Ermessensentscheidung hervorgehoben wird, zehn von 14 Stellen sein in Bayern angesiedelt, könnte der objektive Leser leicht den Eindruck gewinnen, dieser vermeintliche Umstand sei für die Behörde ausschlaggebend gewesen. Aber letztendlich kommt es angesichts der obigen Ausführungen darauf nicht an.
Die beschriebenen groben Mängel in der Darstellung lassen die Ermessensentscheidung als unzureichend erscheinen. Generell hängt die Rechtmäßigkeit einer Ermessensentscheidung in hohem Maß von der Darstellung im Bescheid ab. Insoweit weist die Begründung eine materiell-rechtliche Komponente auf. Ob die Ermessenserwägungen der Behörde den gesetzlichen Anforderungen genügen, wird im Wesentlichen, wenn nicht ausschließlich, anhand der Begründung des Bescheids beurteilt. Maßgebend ist der nach dem objektiven Empfängerhorizont auf dieser Grundlage entstehende Eindruck. Was sich die Behörde wirklich gedacht oder nicht gedacht haben mag, muss nicht mit Hilfe anderer Mittel erforscht werden.
Allerdings dürfen die Anforderungen an die Begründung einer Leistungsablehnung nicht überspannt werden. Wenn der jeweilige Einzelfall keine besonderen, die Vermittlung erschwerenden Umstände aufweist, kann auch nicht verlangt werden, dass die Agentur für Arbeit quasi nach solchen sucht und sie im Rahmen der Ermessensentscheidung behandelt; die Ermessensentscheidung muss nicht künstlich „aufgebläht“ werden. Sie muss aber all das enthalten und diskutieren, was nach Lage der konkreten Umstände relevant ist.
Trotzdem mündet im vorliegenden Fall die Darstellung in Ausgangs- und Widerspruchsbescheid in einen Ermessensfehler. Weist wie hier die Begründung einer Ermessensentscheidung den Duktus auf, die Behörde habe so entscheiden müssen, habe nicht anders entscheiden können oder sei sonst einer apriorischen Alternativlosigkeit ausgesetzt gewesen, liegt ein Ermessensfehler vor. Zu Gunsten der Behörde greift dann keine Vermutung, sie werde schon das Richtige gemeint beziehungsweise das Ermessen trotz der ungeschickten Formulierung schon richtig ausgeübt haben. Eine Auslegung „im Zweifel für die Behörde“ gibt es nicht.
b) Auch der zweite von der Beklagten bemühte Ermessensaspekt, die Eigenleistungsfähigkeit des Klägers, vermag die Ablehnung nicht zu tragen. Zwar hat der Senat keine Zweifel, dass die Eigenleistungsfähigkeit eines Antragstellers grundsätzlich zulässiger Ermessensgesichtspunkt ist (vgl. Senatsurteil vom 02.08.2017 – L 9 AL 98/16; vgl. weiter LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 10.12.2015 – L 9 AL 83/14; LSG Hamburg, Urteil vom 23.09.2015; LSG Saarland, Urteil vom 06.02.2015 – L 6 AL 8/13; LSG Sachsen, Urteil vom 10.04.2014 – L 3 AL 141/12; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 28.02.2014). Dass die Eigenleistungsfähigkeit generell Ermessensaspekt zu Lasten des Betroffenen sein darf, hat auch das BSG (für das Überbrückungsgeld) anerkannt (Urteil vom 01.06.2006 – B 7a AL 34/05 R). Ob ein Abstellen auf die Eigenleistungsfähigkeit den Zweckmäßigkeits- oder Gerechtigkeitsvorstellungen eines Gerichts der Sozialgerichtsbarkeit entspricht, ist nicht von Belang. Das Findungsrecht für Ermessensaspekte, begrenzt durch das Kriterium der Sachgerechtigkeit, steht allein der Beklagten zu. Es ist sicherlich nicht sachwidrig, darauf zu schauen, ob jemand Gründungszuschuss nötiger hat als andere. Just wenn in eine Leistung nur begrenzt Haushaltsmittel investiert werden sollen, ist das Abstellen auf die Bedürftigkeit ein sachgerechter Ansatzpunkt für Differenzierungen.
Dass es sich beim Gründungszuschuss um eine Versicherungsleistung handelt, steht nicht entgegen (aA offenbar Bienert, info also 2015, S. 165). Die Eigenschaft „Versicherungsleistung“ hat in Bezug auf das hier vorliegende Problem keine Aussagekraft. Sie bedeutet nur, dass der Gründungszuschuss aus Beitragsmitteln finanziert wird. Das impliziert aber nicht, dass im Rahmen des Ermessens nicht auf die Eigenleistungsfähigkeit abgestellt werden dürfte. Denn nirgendwo im Sozialgesetzbuch findet man einen Rechtssatz, der sagt, Finanzierung aus Beitragsmitteln und Relevanz der Eigenleistungsfähigkeit schlössen sich generell aus. Auch das Verfassungsrecht trifft keine solche Aussage. Zwar existiert ein im Wesentlichen auf Art. 2 Abs. 1 (weniger auf Art. 14 Abs. 1) des Grundgesetzes gestütztes Prinzip der Äquivalenz von Beitrag und Leistung. Dieses gebietet aber nur eine Globaläquivalenz. Das bedeutet, nur wenn das Arbeitsförderungsrecht in seiner Gesamtheit strukturelle Defizite aufwiese, könnte man die verfassungsrechtlich gebotene Äquivalenz gefährdet sehen. Dagegen vermag die im vorliegenden Fall streitige Frage derartige Bedenken nicht ansatzweise zu nähren.
Allerdings hat die Beklagte die Eigenleistungsfähigkeit anhand nicht sachgerechter Tatsachen bejaht. Denn sie hat lediglich einen monatlichen Durchschnittswert der vom Kläger prognostizierten Gewinne ermittelt und dann argumentiert, dieser Wert sei höher als der der Gründungszuschuss. Grundsätzlich darf die Beklagte die Angaben in der Gewinnvorschau als Material zur Beurteilung der Eigenleistungsfähigkeit verwenden; die mitunter vertretene Ansicht, diese Angaben dürften nur zur Beurteilung der Tragfähigkeit herangezogen werden, ist falsch. Aber noch im Ausgangsbescheid hatte die Beklagte keinerlei Berechnungstechnik mitgeteilt, sondern nur festgestellt, nach den vorgelegten Unterlagen seien die Einkommensprognosen des Klägers sehr gut; die voraussichtlichen Einnahmen deckten die Aufwendungen für Lebensunterhalt und soziale Sicherung. Erst im Widerspruchsbescheid hat die Beklagte geoffenbart, sie stelle insoweit auf den monatlichen Durchschnittsgewinn ab. Ein Durchschnittswert ermöglicht indes keine hinreichend valide Beurteilung, ob der Betroffene Gründungszuschuss tatsächlich „nicht braucht“.
Von einer hinreichenden Ermessensausübung kann vielmehr nur dann die Rede sein, wenn die konkret prognostizierte Einkommensentwicklung innerhalb des Förderzeitraums in den Fokus genommen wird. Nach der BSG-Rechtsprechung zum Überbrückungsgeld, die auch hier anwendbar ist, müssen die besonderen Umstände des Einzelfalles geprüft und in die Entscheidung erkennbar einbezogen werden (BSG, Urteil vom 11.11.1993 – 7 RAr 52/93). Dem wird nicht gerecht, von einem Durchschnittswert aus dem prognostizierten Gewinn für das Kalenderjahr 2013 auszugehen. Denn typischer Weise sind die allerersten Monate der selbständigen Tätigkeit die einkommensschwächsten; eine Durchschnittsbildung blendet diesen Umstand aus. Das gilt umso mehr, als hier in die Durchschnittsbildung zahlreiche, nämlich fünf Monate eingeflossen sind, die nicht mehr zum sechsmonatigen Förderzeitraum gehören.
Dass im vorliegenden Fall der Kläger in seiner Gewinnprognose nur den Jahresgewinn und keine Monatsgewinne mitgeteilt hat, vermag die Beklagte nicht zu entlasten. Wenn die einschlägigen Informationen durch einen Antragsteller zu „dünn“ sind, muss die Beklagte entweder noch ermitteln oder aber auf die Aktivierung der Eigenleistungsfähigkeit als Ermessensaspekt verzichten. Sie darf aber keine Schlüsse auf vermeintliche Tatsachen ziehen, welche die ihr zur Verfügung stehenden Grundlagen nicht hergeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision zugelassen, weil er eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache sieht.


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