Sozialrecht

(Grundsicherung für Arbeitsuchende – Behandlung eines Überprüfungsantrags nach § 44 Abs 1 S 1 SGB 10 als Antrag auf abschließende Entscheidung nach § 41a Abs 5 S 2 Nr 1 SGB 2)

Aktenzeichen  L 9 AS 1107/19 NZB

Datum:
24.2.2022
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Thüringer Landessozialgericht 9. Senat
Dokumenttyp:
Beschluss
ECLI:
ECLI:DE:LSGTH:2022:0224.L9AS1107.19NZB.00
Normen:
§ 44 Abs 1 S 1 SGB 10
§ 41a Abs 5 S 2 Nr 1 SGB 2
§ 41a Abs 6 SGB 2
Spruchkörper:
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Leitsatz

Jedenfalls dann, wenn das für die leistungsberechtigte Person zu niedrigeren Leistungen und einer Erstattungsforderung führte, verbietet es sich, einen Antrag nach § 44 Abs 1 S 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (juris: SGB 10) auf Überprüfung der vorläufigen Entscheidung als Antrag auf abschließende Entscheidung nach § 41a Abs 5 S 2 Nr 1 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (juris: SGB 2) anzusehen. (Rn.14)

Verfahrensgang

vorgehend SG Meiningen, 30. Juli 2019, S 11 AS 1214/18, Urteil

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Berufung im Urteil des Sozialgerichts Meiningen vom 30. Juli 2019 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe

I.
Streitig ist ein Bescheid über die endgültige Festsetzung von vorläufig bewilligten Grundsicherungsleistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) und ein entsprechender Erstattungsbescheid über einen Betrag in Höhe von EUR 189,23.
Dem Kläger wurden mit Bescheid vom 26. Juli 2016 und Änderungsbescheid vom 09. September 2016 für den Zeitraum August 2016 bis Januar 2017 und weiterem Änderungsbescheid vom 18. Oktober 2016 für die Monate Oktober 2016 bis Januar 2017 SGB II – Leistungen vorläufig bewilligt. Mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 22. Dezember 2017 beantragte er die Überprüfung der Bescheide nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Der Beklagte teilte dem Kläger unter dem 5. Januar 2018 mit, im Rahmen des Überprüfungsantrags sei zu überprüfen, „ob und inwieweit“ ein Leistungsanspruch besteht und forderte den Kläger zur Vorlage von Einkommensnachweisen auf. Nach deren Vorlage setzte der Beklagte mit Bescheiden vom 06. März 2018 die Leistungen für Oktober 2016 bis Januar 2017 endgültig sowie zugleich den Erstattungsbetrag auf EUR 189,23 fest.
Der Widerspruch des Klägers vom 09. April 2018 wurde durch Widerspruchsbescheid vom 03. Juli 2018 zurückgewiesen. Die gegen die Bescheide am 06. August 2018 erhobene Klage hat das Sozialgericht durch Urteil vom 30. Juli 2019 abgewiesen. Der Kläger habe innerhalb eines Jahres nach Ablauf des Bewilligungszeitraums eine abschließende Entscheidung beantragt. Die Ansicht des Klägers, es handele sich um einen bloßen Überprüfungsantrag, werde vom Gericht nicht geteilt. Die beantragte Rücknahme der Bescheide hätte bedeutet, dass dem Kläger keine Leistungen mehr zugestanden hätten. Unbeachtlich sei, dass in dem Erstattungsbescheid die einzelnen Monate mit den Beträgen falsch gerechnet worden seien. Das Gericht sei mit dem gestellten Überprüfungsantrag/Antrag auf endgültige Leistungsfestsetzung verpflichtet, die Ansprüche des Klägers in dem streitgegenständlichen Zeitraum August 2016 bis Januar 2017 insgesamt zu überprüfen und festzustellen, welche Leistungen überzahlt seien.
Gegen die Nichtzulassung der Berufung in dem am 30. August 2019 zugestellten Urteil richtet sich die Beschwerde des Klägers, die am 30. September 2019 beim Landessozialgericht eingegangen ist. Der Kläger beruft sich auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und trägt vor, das Gericht lasse hier hinsichtlich des den Ablauf der Frist nach § 41a Abs. 5 Satz 1 SGB II unterbrechenden Antrages einen Antrag im Zugunstenverfahren ausreichen und nehme eine zum Nachteil des Leistungsempfängers gereichende Auslegung des Antrages vor. Im Hinblick auf die Vielzahl der vorläufigen Leistungsbewilligungen sei hier insbesondere klärungsbedürftig, welche Anforderungen an den Antrag nach § 41a Abs. 5 Satz 1 SGB II zu stellen seien und insbesondere, ob hier konkret die abschließende Entscheidung beantragt sein muss oder jegliche Begehr des Hilfeempfängers auf nochmalige Prüfung seines Leistungsanspruchs genüge. Sollte dies der Fall sein, sei weiterhin klärungsbedürftig, ob es sodann zu einer Verschlechterung der Bewilligungslage kommen dürfe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der Verwaltungsakten des Beklagten verwiesen. Diese waren Gegenstand der geheimen Beratung.
II.
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist nach § 145 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und auch sonst zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben. Sie ist jedoch unbegründet.
Nach § 143 SGG findet gegen die Urteile der Sozialgerichte die Berufung an das Landessozialgericht statt, soweit sich aus § 144 SGG nichts anderes ergibt.
Die Berufung bedarf nach § 144 Abs. 1 Satz 1 SGG der Zulassung im Urteil des Sozialgerichts oder auf Beschwerde durch Beschluss des Landessozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands bei einer Klage, die eine Geld-, Dienst- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, EUR 750,00 nicht übersteigt. Dies gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (Abs. 1 Satz 2).
Zwischen den Beteiligten ist ein Bescheid über die endgültige Festsetzung und ein Erstattungsbescheid über einen Betrag von EUR 189,23 streitig. Der maßgebliche Beschwerdewert wird damit nicht erreicht. Es handelt sich auch nicht um wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr. Die Berufung wurde im Urteil des Sozialgerichts auch nicht ausdrücklich zugelassen.
Die Berufung war nicht zuzulassen, weil die besonderen Zulassungsgründe des § 144 Abs. 2 SGG nicht vorliegen. Danach ist die Berufung zuzulassen, wenn
1. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
2. das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
3. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Eine Rechtssache hat dann grundsätzliche Bedeutung, wenn eine bisher nicht geklärte Rechtsfrage aufgeworfen wird, deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Gericht zu erwarten (Klärungsfähigkeit) ist (so für die Zulassungsgründe des § 160 SGG: Bundessozialgericht, SozR 1500 § 160 a Nr. 60 und 65; Bundessozialgericht, Beschluss vom 27. April 2007, Az.: B 12 R 15/06 B; vgl. auch Bundesverfassungsgericht, SozR 3-1500 § 160 a Nr. 7). Ein Individualinteresse genügt hierbei nicht (Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 12. Aufl., Rn. 28 zu § 144). Eine derartige Rechtsfrage, deren Klärung von allgemeinem Interesse ist, wird vom Kläger nicht aufgeworfen. Der Kläger hält für klärungsbedürftig, ob sein ausdrücklich als Begehren nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X bezeichneter Antrag auch als Antrag auf abschließende Entscheidung nach § 41a Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 SGB II behandelt werden kann, wie es das Sozialgericht getan hat. Damit ist keine Frage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen. Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt nach näherer Maßgabe der Vorschrift zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Schon allein wegen dieser Zielrichtung verbietet es sich, einen ausdrücklich als Antrag nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X bezeichneten Antrag jedenfalls dann als Antrag auf abschließende Entscheidung nach § 41a Abs. 5 Satz 2 Nr. 1 SGB II anzusehen, wenn das für die leistungsberechtigte Person zu (gegenüber der vorläufigen Festsetzung) niedrigeren Leistungen und einer Erstattungsforderung führte. Damit korrespondiert die Zielsetzung der Möglichkeit eines Antrags auf abschließende Entscheidung, den Eintritt der Endgültigkeitsfiktion auszuschließen, um sicherzustellen, dass der oder die Leistungsberechtigte durch Untätigkeit der Behörde keine ungerechtfertigten Nachteile erleidet, was immer dann von Bedeutung ist, wenn eine Nachzahlung in Betracht kommt.
Auch die übrigen Zulassungsgründe des § 144 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Eine Abweichung von einer höchstrichterlichen Rechtsprechung i. S. v. § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG ist ebenso wenig ersichtlich wie ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel, auf dem das Urteil beruhen kann, geltend gemacht wird.
Mit der Ablehnung der Nichtzulassungsbeschwerde wird das Urteil des Sozialgerichts rechtskräftig (§ 145 Abs. 4 S. 4 SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).


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