Sozialrecht

Kein Anspruch auf Ausbildungsförderleistung nach Überschreiten der Altersgrenze

Aktenzeichen  12 ZB 19.2041

Datum:
10.8.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 20638
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
BAföG § 10 Abs. 3
SGB I § 33c
SGB IV § 19a
RL 2000/78/EG Art. 3

 

Leitsatz

1. Die Pflicht des Auszubildenden, die Ausbildung, für die Ausbildungsförderung beansprucht wird, umsichtig zu planen und zielstrebig durchzuführen, stellt mit wachsendem Überschreiten der Altersgrenze an das Hinausschieben des Ausbildungsbeginns immer strengere Anforderungen. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
2. Im Ausbildungsförderungsrecht gilt allein das Benachteiligungsverbot des § 33c SGB I, der das Bestehen einer Altersgrenze für die Leistung von Ausbildungsförderung – in Übereinstimmung mit der Richtlinie 2000/78/EG – gerade nicht verbietet; § 19a Satz 1 SGB IV ist nicht anwendbar.  (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

AN 2 K 19.557 2019-08-22 Urt VGANSBACH VG Ansbach

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt die im November 19xx geborene Klägerin einen Anspruch auf Ausbildungsförderungsleistungen für ihr im Wintersemester 2018/2019 aufgenommenes Bachelor-Studium der Sozialen Arbeit an der Technischen Hochschule Nürnberg weiter.
1. Sie erlangte zunächst durch eine integrative Ausbildung an der Berufsfachschule für Krankenpflege in Nürnberg und der Berufsfachschule für Altenpflege der Inneren Mission München von 2007 bis 2010 den Doppelabschluss „Altenpflegerin und Gesundheits- und Krankenpflegerin“. Von 2010 bis einschließlich Mai 2018 ging sie daraufhin einer Erwerbstätigkeit als Krankenpflegerin nach. Ab 2016 war sie jeweils über längere Zeiträume arbeitsunfähig. Eine sozialmedizinische gutachterliche Stellungnahme vom 30. Mai 2018 riet der Klägerin von einer weiteren Tätigkeit als Gesundheits- und Krankenpflegerin ab.
Nachdem sie am 26. Juni 2015 an einem privaten Abendgymnasium das Abitur erworben hatte, nahm sie ab dem Wintersemester 2018/2019 an der Technischen Universität Nürnberg das Bachelor-Studium der Sozialen Arbeit auf und beantragte hierfür am 28. Oktober 2018 beim beklagten Studentenwerk die Leistung von Ausbildungsförderung. Diesen Antrag lehnte das Studentenwerk mit Bescheid vom 4. Dezember 2018 wegen Überschreitens der Altersgrenze nach § 10 Abs. 3 Satz 1 Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) ab. Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren wies das angerufene Verwaltungsgericht Ansbach die auf die Gewährung von Ausbildungsförderung gerichtete Verpflichtungsklage ebenfalls ab.
Gegen die verwaltungsgerichtliche Entscheidung richtet sich nunmehr der Antrag auf Zulassung der Berufung, mit dem die Klägerin ernstliche Richtigkeitszweifel im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO vortragen lässt. Demgegenüber verteidigt das Studentenwerk die angefochtene Entscheidung.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die dem Senat vorliegenden Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
2. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, da der geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Richtigkeitszweifel nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gemessen an den vom Bevollmächtigten der Klägerin vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist, nicht vorliegt oder nicht den Erfordernissen des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO dargelegt wurde.
2.1 Dies gilt zunächst, soweit der Bevollmächtigte der Klägerin ausführt, das Verwaltungsgericht habe die Voraussetzungen für die Gewährung von Ausbildungsförderung nach Überschreiten der Altersgrenze in § 10 Abs. 3 Satz 3 BAföG, nämlich die Aufnahme der Ausbildung „unverzüglich nach Erreichen der Zugangsvoraussetzungen“ nur oberflächlich geprüft und eine schuldhafte Verzögerung des Ausbildungsbeginns unzutreffend bejaht. Vielmehr habe die Klägerin sowohl in der Widerspruchsbegründung wie in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht plausibel dargelegt, weshalb sich die Aufnahme des Studiums nach dem Erwerb des Abiturs so lange verzögert habe. So habe die Doppelbelastung während des Besuchs des Abendgymnasiums zunehmend dazu geführt, dass ihre physischen und psychischen Kräfte nachgelassen hätten. Nach Ablegung des Abiturs im Juni 2015 habe sie aus gesundheitlichen Gründen eine „Atempause“ benötigt, während sie weiterhin aus finanziellen Gründen auf die Fortführung ihrer Berufstätigkeit angewiesen gewesen sei. Im April 2016 sei sie dann für längere Zeit erkrankt. Nachdem während der Rehabilitation festgestellt worden sei, dass sie als Pflegefachkraft nicht mehr einsetzbar sei, habe sie sich beruflich völlig umorientieren müssen. Das Studium der Sozialwissenschaften habe sich erst nach längerer Zeit herauskristallisiert; die zunächst angeratene Umschulung zur Kauffrau habe nicht ihren persönlichen Neigungen und Fähigkeiten entsprochen. Diese von der Klägerin vorgetragenen Gründe für die Verzögerung des Studienbeginns erwiesen sich keineswegs als pauschal unsubstantiiert, sondern vielmehr aus dem Einzelfall heraus nachvollziehbar. Die Klägerin habe daher nicht gegen die Obliegenheit verstoßen, „so weit wie möglich mit dem Studium zu beginnen“.
Mit diesem Vorbringen kann die Klägerin ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung nicht begründen. So sieht § 10 Abs. 3 Satz 3 BAföG vor, dass eine Ausnahme von der Altersgrenze des § 10 Abs. 3 Satz 1 BAföG von 30 Jahren für die Aufnahme der Ausbildung aus den Gründen des § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 BAföG – im Fall der Klägerin durch den Erwerb der Hochschulzugangsberechtigung nach § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 lit. A BAföG an einem Abendgymnasium – nur dann gemacht werden kann, wenn der Auszubildende die Ausbildung unverzüglich nach Erreichen der Zugangsvoraussetzungen aufnimmt (vgl. hierzu und zum Folgenden Steinweg in Ramsauer/Stallbaum, BAföG, 7. Aufl. 2020, § 10 Rn. 40 ff.; Roggentin in Rothe/Blanke, BAföG, § 10 Rn. 24). „Unverzüglich“ bedeutet in diesem Zusammenhang zwar nicht grundsätzlich „unmittelbar danach“, sondern, worauf sowohl das Verwaltungsgericht wie auch der Bevollmächtigte der Klägerin zutreffend abstellen, ohne schuldhaftes Zögern (vgl. OVG Hamburg, B.v. 22.9.2014 – 4 Bf 200/12 – NVwZ-RR 2014, 882 Rn. 22). Dabei stellt die Pflicht des Auszubildenden, die Ausbildung, für die Ausbildungsförderung beansprucht wird, umsichtig zu planen und zielstrebig durchzuführen, mit wachsendem Überschreiten der Altersgrenze an das Hinausschieben des Ausbildungsbeginns immer strengere Anforderungen (vgl. BVerwG, U.v. 16.12.1992 – 11 C 24.92 – NVwZ-RR 1993, 415).
Die Klägerin hat im vorliegenden Fall ihr Studium im Wintersemester 2018/2019 im Alter von fast 35 Jahren begonnen, nachdem sie drei Jahre zuvor – im Juni 2015 – mit dem Abitur ihre Hochschulzugangsberechtigung erworben hatte. Auch eingedenk des Vortrags im Berufungszulassungsverfahren ist ihr ein schuldhaftes Zögern beim Beginn ihres Studiums nach Erwerb der Hochschulzugangsberechtigung vorzuhalten. Denn nach dem Ablegen des Abiturs ging die Klägerin zunächst weiter einer Berufstätigkeit als Krankenpflegerin nach. Weshalb es ihr zu diesem Zeitpunkt mit fast 33 Jahren nicht möglich gewesen sein soll, ein Studium aufzunehmen, legt die Zulassungsbegründung nicht substantiiert dar. Insbesondere fehlt es an jeglichem Nachweis dazu, dass die Klägerin, wie vorgetragen, nach der Ablegung des Abiturs physisch und psychisch derart beansprucht gewesen sein soll, dass sie zunächst eine „Pause“ benötigt habe. Weiter fehlt es an jeglicher Darlegung, weshalb die Klägerin auch nach Eintritt ihrer längerfristigen Erkrankung ab dem Jahr 2016 gehindert gewesen sein soll, ein Studium aufzunehmen. Vielmehr ergibt sich umgekehrt aus der Verfahrensakte, insbesondere aus der „Begründung der Altersüberschreitung“ (Bl. 30 der Akte des Studentenwerks), dass die Klägerin trotz ihrer Erkrankung zunächst weiter an ihrer Berufstätigkeit festgehalten und sich erst zu dem Zeitpunkt zur Aufnahme des Studiums entschlossen hat, als anderweitige Umschulungsmöglichkeiten nicht mehr bestanden haben. Damit hat sie indes der Obliegenheit, nach Erwerb der Hochschulzugangsberechtigung angesichts der schon deutlichen Überschreitung der Altersgrenze ihr Studium umsichtig zu planen und zügig durchzuführen, nicht genügt. Mithin fehlt es am unverzüglichen Beginn der Ausbildung im Sinne von § 10 Abs. 3 Satz 3 BAföG, sodass die Ausnahme von der Altersgrenze des § 10 Abs. 3 Satz 1 BAföG nicht gegeben ist.
Dies gilt, wie das Verwaltungsgericht zutreffend angenommen hat, auch, wenn man im Eintritt der Berufsunfähigkeit der Klägerin eine einschneidende Veränderung der persönlichen Verhältnisse im Sinne von § 10 Abs. 3 Satz 2 Nr. 4 BAföG erblicken würde, da die Klägerin bereits eine abstrakt förderfähige Ausbildung berufsqualifizierend abgeschlossen hatte, sodass dieser Ausnahmetatbestand auf sie keine Anwendung findet.
Ernstliche Richtigkeitszweifel an der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung, die die Zulassung der Berufung gebieten würden, hat die Klägerin mithin im Hinblick auf ein Eingreifen der Ausnahmetatbestände zur förderungsrechtlichen Altersgrenze nicht substantiiert dargelegt.
2.2 Entgegen der Auffassung des Bevollmächtigten der Klägerin unterliegt das verwaltungsgerichtliche Urteil auch nicht deshalb ernstlichen Richtigkeitszweifeln, weil die Altersgrenze des § 10 Abs. 3 Satz 1 BAföG gegen die Richtlinie 2000/78/EG zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. 2000 L 303, 16 ff) verstieße. Zwar sieht insoweit Art. 3 Abs. 1 lit. b RL 2007/78/EG eine Geltung des Diskriminierungsverbots u.a. wegen des Alters auch für „den Zugang zu allen Formen und allen Ebenen der Berufsberatung, der Berufsausbildung, der beruflichen Weiterbildung und der Umschulung“ vor. Die Geltung der Richtlinie erfährt jedoch, was der Klägerbevollmächtigte ausblendet, nach Art. 3 Abs. 3 eine Ausnahme für „Leistungen jeder Art seitens der staatlichen Systeme einschließlich der staatlichen Systeme der sozialen Sicherheit oder des sozialen Schutzes“ (vgl. hierzu Mohr in Franzen/Gallner/Oetker, Kommentar zum Europäischen Arbeitsrecht, 2. Aufl. 2018, Rn. 32 f.; Steinweg in Ramsauer/Stallbaum, BAföG, 7. Aufl. 2020, § 10 Rn. 6). Auch § 33c Satz 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I), der auch für den Bereich des Ausbildungsförderungsrechts Geltung besitzt, greift das Kriterium des Alters bei der Statuierung von Benachteiligungsverboten für die Inanspruchnahme sozialer Rechte nicht auf.
Soweit der Bevollmächtigte der Klägerin in diesem Zusammenhang meint, dass für das Ausbildungsförderungsrecht nicht § 33c SGB I sondern stattdessen § 19a Abs. 4 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) Anwendung findet, trifft dies nicht zu. Zwar sieht § 19a Satz 1 SGB IV ein Benachteiligungsverbot u.a. aus Altersgründen für die Inanspruchnahme von Leistungen, „die den Zugang zu allen Formen und allen Ebenen der Berufsberatung, der Berufsbildung, der beruflichen Weiterbildung, der Umschulung einschließlich der praktischen Berufserfahrung“ betreffen, vor. Ungeachtet, ob von der „Berufsbildung“ auch die Berufsausbildung in Form eines Studiums erfasst ist, scheidet die Anwendung von § 19a SGB IV im vorliegenden Fall jedoch bereits nach § 1 SGB IV aus, wonach der sachliche Geltungsbereich des Vierten Buchs Sozialgesetzbuch sich allein auf „die gesetzliche Kranken-, Unfall- und Rentenversicherung einschließlich der Alterssicherung der Landwirte sowie die soziale Pflegeversicherung (Versicherungszweige)“ erstreckt (insoweit den Anwendungsbereich vernachlässigend Zieglmeier in Kasseler Kommentar Sozialversicherungsrecht, Stand Mai 2020, § 19a SGB IV, Rn. 9). Damit kommt die Anwendung von § 19a Satz 1 SGB IV im Ausbildungsförderungsrecht nicht in Betracht und gilt, wie das Studentenwerk zutreffend ausführt, für das Ausbildungsförderungsrecht allein § 33c SGB I, der das Bestehen einer Altersgrenze für die Leistung von Ausbildungsförderung – in Übereinstimmung mit der Richtlinie 2007/78/EG – gerade nicht verbietet (so zutreffend VG Saarlouis, U.v. 16.1.2018 – 3 K 2570/16 – BeckRS 2018, 38908, LS 1). Nachdem auch im Übrigen von der Verfassungsmäßigkeit der Altersgrenze des § 10 Abs. 3 Satz 1 BAföG auszugehen ist (vgl. Steinweg in Ramsauer/Stallbaum, BAföG, 7. Aufl. 2020, § 10 Rn. 5), geht die Auffassung des Klägerbevollmächtigten, § 10 Abs. 3 Satz 1 BAföG dürfe im vorliegenden Fall nicht angewendet werden, fehl, sodass auch diesbezüglich eine Berufungszulassung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht in Betracht kommt.
2.3 Lediglich ergänzend weist der Senat in Anknüpfung an das verwaltungsgerichtliche Urteil darauf hin, dass angesichts des von der Klägerin mit ihrem Förderantrag angegebenen Vermögens (Bausparvertrag) selbst unter Berücksichtigung der Freibeträge des § 29 Abs. 1 Nr. 1 BAföG eine Vermögensanrechnung nach § 26 BAföG Platz gegriffen hätte, sodass jedenfalls im streitgegenständlichen Förderzeitraum kein Anspruch auf Ausbildungsförderung bestanden hätte.
3. Die Klägerin trägt nach § 154 Abs. 2 VwGO die Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden in Angelegenheiten des Ausbildungsförderungsrechts nach § 188 Satz 2, 1 VwGO nicht erhoben. Mit der Ablehnung des Berufungszulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach nach § 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO rechtskräftig.
Dieser Beschluss ist nach § 152 Abs. 1 VwGO unanfechtbar.


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