Sozialrecht

Kein Anspruch auf Hinterbliebenenleistungen bei Tod durch eine nicht nachgewiesene versicherte Tätigkeit

Aktenzeichen  L 2 U 430/15

Datum:
26.10.2016
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VII SGB VII § 2 Abs. 1 Nr. 12, § 3, § 6, § 8 Abs. 1 S. 1, § 63 Abs. 1 Nr. 1 – 3, § 64, § 65

 

Leitsatz

1 Bei einem in einem See ertrunkenen Mitglied der Wasserwacht ist für die Annahme eines Arbeitsunfalls erforderlich, dass die zum Zeitpunkt des Unfalls verrichtete Tätigkeit nach der objektiven Handlungstendenz auf die Erfüllung einer versicherten Tätigkeit gerichtet ist. (redaktioneller Leitsatz)
2 Das Eintragen in das Wachbuch in der Hütte der Wasserwacht reicht dafür nicht aus, da dadurch mangels Betriebsbanns nicht alle Tätigkeiten vor Ort versichert sind. Vielmehr lässt sich aus dem ermittelten erheblichen Alkohol- und Lösungsmittelkonsum eher auf eine unversicherte Tätigkeit, nämlich eine Selbsttötungsabsicht schließen. Das bestätigen die bereits versuchte Selbsttötung einige Jahre zuvor, die psychische Erkrankung und der Verlust zweier Söhne wenige Monate zuvor. (redaktioneller Leitsatz)
3 Es liegt auch keine Verrichtung mit gemischter Motivationslage bzw. gespaltener Handlungstendenz vor, denn diese ist nur gegeben, wenn eine Verrichtung auch eine versicherungsbezogene Handlungstendenz aufweist (BSG BeckRS 2009, 67321), wogegen vorliegend die objektiven Umstände sprechen. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 41 U 205/11 2015-09-28 Urt SGMUENCHEN SG München

Tenor

I.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 28.09.2015 wird zurückgewiesen.
II.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

A) Die zulässige, form- und fristgerecht eingelegte Berufung erweist sich als unbegründet.
Die Beklagte hat mit dem angegriffen Bescheid Ansprüche der Klägerin auf Leistungen aus der GUV und damit auf Hinterbliebenenleistungen wie Sterbegeld, Überführungskosten und Hinterbliebenenrente (§ 63 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2 und Nr. 3 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) i. V. m. §§ 64, 65 SGB VII) abgelehnt. Nach durchgeführter Beweisaufnahme gelangt auch der Senat zu der Überzeugung, dass die Klägerin keinen Anspruch auf diese Hinterbliebenenleistungen hat, weil ein Arbeitsunfall ihres Ehemanns am 16.07.2009 im Sinne von § 8 SGB VII nicht nachgewiesen ist und sein Tod nicht infolge eines Versicherungsfalls gemäß § 63 Abs. 1 Satz 2 SGB VII eingetreten ist.
Nach § 8 Abs. 1 SGB VII sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit; Satz 1). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (Satz 2). Ein Arbeitsunfall setzt daher voraus, dass der Verletzte durch eine Verrichtung vor dem fraglichen Unfallereignis den gesetzlichen Tatbestand einer versicherten Tätigkeit erfüllt hat und deshalb „Versicherter“ ist (vgl. BSG Urteil vom 04.07.2013 – B 2 U 3/13 R – Juris RdNr. 10). Die Verrichtung muss ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis und dadurch einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht haben (vgl. BSG Urteil vom 18.6.2013 – B 2 U 10/12 R – Juris RdNr. 12). Das Erfordernis der Einwirkung von außen dient der Abgrenzung von unfallbedingten Gesundheitsschäden zu Gesundheitsbeeinträchtigungen aus inneren Ursachen sowie zu Selbstschädigungen; nicht geschützt sollen Unfälle sein, die auf Ereignissen beruhen, die aus dem Menschen selbst kommen (vgl. BSG vom 29.11.2011 – B 2 U 10/11 R – Juris RdNr. 16). Besteht die Einwirkung auf den Versicherten in einer von seinem Willen getragenen und gesteuerten Eigenbewegung, kommt diese nicht von außen. Ein Unfall ist typischerweise dadurch gekennzeichnet, dass ein normaler Geschehensablauf plötzlich durch einen ungewollten Vorfall unterbrochen wird. Solange ein Versicherter in seiner von ihm gewollt herbeigeführten Einwirkung und damit in seiner Eigenbewegung nicht beeinträchtigt ist, wirkt kein äußeres Ereignis auf seinen Körper ein (vgl. BSG vom 29.11.2011 – B 2 U 10/11 R – Juris RdNr. 16).
Der verstorbene G.N. war zwar unentgeltlich und ehrenamtlich tätiges Mitglied der Wasserwacht des BRK und damit eines Unternehmens, das zur Hilfe bei Unglücksfällen tätig ist. Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 12 SGB VII sind Personen kraft Gesetzes in der GUV versichert, die in solchen Unternehmen zur Hilfe bei Unglücksfällen oder im Zivilschutz unentgeltlich, insbesondere ehrenamtlich tätig sind oder an Ausbildungsveranstaltungen dieser Unternehmen teilnehmen.
Es ist aber weder nachgewiesen noch nachweisbar, dass G.N. vor seinem Auffinden im K-See eine Verrichtung vorgenommen hatte, die im inneren bzw. sachlichen Zusammenhang mit Aufgaben der Wasserwacht stand. Versichert ist eine Verrichtung, wenn sie nach der objektivierten Handlungstendenz auf die Erfüllung eines versicherten Tatbestandes gerichtet ist (vgl. BSG vom 23.04.2015 – B 2 U 5/14 R – Juris RdNr. 12).
Zu den versicherten Tätigkeiten i. S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 12 SGB VII zählen neben allen Hilfen bei Unglücksfällen oder bei Unfällen, bei der Bergung von Toten und bei der Beseitigung von Unfallfolgen auch Verwaltungsarbeiten, Vorbereitungshandlungen oder sonstige Verrichtungen, die dem Unternehmen wesentlich zu dienen bestimmt sind (vgl. Bieresborn in Schlegel/Voelzke, Juris-PK SGB VII, Stand 13.05.2016, zu § 2 RdNr. 245; BSG Urteil vom 29.11.1990 – 2 RU 27/90 – Juris RdNr. 25 bis 27 zur Vorgängervorschrift § 539 Abs. 1 Nr. 8 SGB VII) und damit letztlich der Erfüllung der satzungsgemäßen Aufgaben des Unternehmens dienen. Neben der Erfüllung der in der Satzung festgelegten Aufgaben des Unternehmens i. S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 12 SGB VII sind damit Verrichtungen versichert, die der Betroffene nach objektivierter Handlungstendenz im Interesse des Unternehmens vornimmt und von denen er aufgrund der objektiven Verhältnisse annehmen durfte, dass diese dem Interesse des Unternehmens wesentlich dienen (vgl. hierzu BSG Urteil vom 04.08.1992 – 2 RU 39/91 Juris RdNr. 23).
Im vorliegenden Fall lässt sich nicht mehr aufklären, welche konkrete Verrichtung der Verstorbene zuletzt ausgeübt hatte, bevor er leblos im K-See trieb, bzw. welche Verrichtungen er nach seiner Ankunft am K-See im Verlauf der folgenden Stunden im Einzelnen verrichtet hat.
Offenbar hat sich G.N. um 15.30 Uhr in das Wachbuch der Wasserwacht eingetragen. Dieser Eintrag spricht dafür, dass er an diesem Nachmittag Aufgaben für die Wasserwacht übernehmen wollte und ggf. auch für einen Rettungseinsatz zur Verfügung stehen wollte, obwohl er nicht zum Dienst eingeteilt war, an einem Donnerstag die Station üblicherweise nicht besetzt ist und für eine vollständige Besetzung eine Person allein nicht ausreicht. Allerdings begründet der Eintrag in das Wachbuch keinen Versicherungsschutz für alle Tätigkeiten von G.N., die er anschließend im Bereich des K-Sees vorgenommen hat. Die GUV kennt mit Ausnahme der Erweiterung in § 10 SGB VII im Bereich der See- und Binnenschiffahrt keinen Betriebsbann. Versicherter i. S. von § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII ist jemand nur, wenn, solange und soweit er den Tatbestand einer versicherten Tätigkeit durch eigene Verrichtungen erfüllt (vgl. BSG vom 04.12.2014 – B 2 U 14/13 R – Juris RdNr. 12). Dabei müssen die Tatsachen, die die Tatbestandsmerkmale „versicherte Tätigkeit“ und „Verrichtung zur Zeit des Unfalls“ erfüllen sollen, im Grad des Vollbeweises – also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit – für das Gericht feststehen (vgl. BSG vom 31.01.2012 – B 2 U 2/11 R – Juris RdNr. 17). Die objektive Beweislast für eine versicherte Verrichtung als anspruchsbegründende Tatsache trifft dabei denjenigen, der daraus Ansprüche ableitet und damit hier die Klägerin (vgl. hierzu BSG vom 31.01.2012 – B 2 U 2/11 R – Juris RdNr. 28; vgl. BSG vom 07.09.2004 – B 2 U 25/03 R – Juris RdNr. 17).
Die von G.N. gegenüber seiner Frau erwähnten beabsichtigten Einbau- bzw. Anpassungsarbeiten an der Küche in der Wasserwachthütte können nach Ansicht des Senats zwar versicherte Verrichtungen sein, da der Einbau nach Absprache mit dem Vorstand erfolgte und aufgrund der besseren Ausstattung der Wasserwachtstation den dort als Rettungsschwimmer tätigen Wasserwachtmitgliedern zugute kam, so dass diese Arbeiten dem Unternehmen der Wasserwacht wesentlich dienten. Unklar bleibt allerdings, ob G.N. entsprechend seiner telefonischen Ankündigung gegenüber der Kläger am Unfalltag tatsächlich entsprechende Arbeiten ausgeführt hat und wann er diese beendet hatte. Die wesentlichen Einbauarbeiten waren nach übereinstimmenden Angaben der Klägerin und des Zeugen C. vor dem Unfalltag bereits erfolgt und es standen lediglich Abschlussarbeiten aus, wie das Anbringen von (Zier-) Leisten. G.N. wurde nicht in der Hütte der Wasserwacht und damit im räumlichen Bereich der Küche, sondern im K-See treibend aufgefunden. Dabei trug er Badeshorts, während u. a. seine Armbanduhr in der Hütte lag. Der Senat geht daher davon aus, dass sich G.N. im Laufe des Nachmittags oder Abends in den See begeben hat.
Dass ein Mitglied der Wasserwacht an einem heißen Sommertag in einem Badesee badet oder schwimmt, genügt allein nicht, um einen inneren Zusammenhang zwischen dem Schwimmen und einer versicherten Tätigkeit für die Wasserwacht zu belegen, zumal Schwimmen bei heißem Wetter in einem Badesee eine durchaus übliche Freizeitbeschäftigung darstellt, unabhängig von einer Betätigung für die Wasserwacht. Vielmehr ist das Schwimmen eines Wasserwachtmitglieds nur versichert, wenn das Schwimmen nach der objektivierten Handlungstendenz dem Unternehmen Wasserwacht wesentlich dient, insbesondere beim Einsatz zur Rettung von Personen.
Anhaltspunkte dafür, dass G.N. Aufgaben der Wasserwacht im Sinne der Hilfeleistung oder des Gewässerschutzes etc. (vgl. § 3 der Ordnung für die Wasserwacht des BRK) erfüllen wollte, als er sich in den See begab, sind nicht ersichtlich. Der Zeuge C. hat dargelegt, dass vor einem Rettungseinsatz immer die Rettungsleitstelle informiert wird. Ein entsprechender Notruf von G.N. ist aber nicht erfolgt. Irgendwelche für die Rettung verwendeten und üblichen Hilfsmittel (z. B. Rettungsbrett) sind nicht in seiner Nähe aufgefunden worden.
Eigene Aussagen von G.N. darüber, zu welchem Zweck er sich am Unfalltag in den See begeben wollte, sind nicht bekannt. Auch im Telefonat mit seiner Ehefrau hat er sich dazu nicht geäußert. Zu prüfen ist daher, ob aus den vorliegenden objektiven Umständen Rückschlüsse auf seine Handlungstendenz gezogen werden können.
Nach den objektiven Umständen der konkreten Verrichtung begab sich G.N., nachdem er sich um 15.30 Uhr in das Wachbuch eingetragen hatte, zu einem nicht näher bekannten Zeitpunkt am Nachmittag oder am Abend in den See, bekleidet mit Badeshorts, in denen sich ein Teppichmesser befand, mit einer Blutalkoholkonzentration von über 1,3 Promille sowie mit Lösungsmitteln in Magen, Blut und Lunge. Diese objektiven Anhaltspunkte der konkreten Verrichtung sprechen trotz des eigenen Eintrags in das Wachbuch in ihrer Gesamtschau nach Überzeugung des Senats deutlich dagegen, dass sich G.N. an seinem Todestag in den See begeben hatte, um eine Trainingseinheit zu absolvieren, die seinem Konditionsaufbau und damit mittelbar seiner Tätigkeit als Mitglied der Wasserwacht wesentlich dienen sollte. Eine übliche Trainingsstrecke vom Steg der Wasserwacht aus zum Gegenufer und zurück hatte der Zeuge C. mit ca. 400 bis 500 m geschätzt. Nach Entfernungsmessungen mit Hilfe von google maps beträgt die Strecke einfach bereits ca. 315 m und damit die Gesamtstrecke hin und zurück über 600 m. Mit einem ernsthaften Schwimmtraining sind aber der vorherige Alkoholkonsum am Unfalltag in einer Menge, wie es eine Blutalkoholkonzentration von 1,3 Promille voraussetzt, und die vorherige Einnahme von Lösungsmitteln nicht vereinbar. Der Zeuge C. hatte Alkoholkonsum während des Dienstes in der Wasserwachtstation als nicht üblich bezeichnet und die Klägerin hat ihren Mann als pflichtbewussten Menschen geschildert. Soweit der Zeuge mitgeteilt hat, der Auffindeort des Verstorbenen, ca. 50 m vom Steg entfernt, habe sich durchaus auf einer Strecke befunden, die üblicherweise von Mitgliedern der Wasserwacht beim Konditionstraining zurückgelegt wird, nämlich vom Steg zum gegenüberliegenden Ufer und zurück, handelt es sich nicht um ein aussagekräftiges Indiz. Beim Einsteigen in das Wasser vom Steg aus dürfte eine ca. 50 m entfernte Stelle häufig auch dann erreicht werden, wenn nur zum Vergnügen ein wenig geschwommen wird, ohne Trainingsabsicht, zumal der K-See nur von bestimmten Stellen aus zugänglich ist. Vor allem aber ist unbekannt, wie lange der Verstorbene bereits bewusstlos und damit ziellos im Wasser getrieben hatte. Schon deswegen können aus der Auffindestelle keine hinreichend verlässlichen Rückschlüsse auf eine am Unfalltag anvisierte Schwimmroute gezogen werden. Die konkrete Schwimmstrecke lässt sich weder nach Ziel noch Umfang bestimmen.
Die Einschätzung, dass dem Bad bzw. einem Schwimmen im See keine versicherungsbezogene Handlungstendenz zugrunde lag, wird nach Überzeugung des Senats bei Einbeziehung weiterer objektiver Umstände im Ergebnis noch gestützt statt widerlegt. So hat der Verstorbene den See an diesem Tag nicht wegen eines zeitlich bestimmten dienstlichen Auftrags aufgesucht, sondern im Wesentlichen aufgrund eigenen, freien Entschlusses. Er war am Unfalltag weder für den Wachdienst eingeteilt, zumal an Wochentagen gar kein Wachdienst vorgesehen war, noch unterlag er hinsichtlich der noch vorzunehmenden Abschlussarbeiten an der Küche irgendwelchen Vorgaben (z. B. Terminvorgaben). Aus den Schilderungen der Klägerin über das am Nachmittag gegen 14.00 Uhr mit ihrem Ehemann geführte Telefonat lässt sich entnehmen, dass dieser aufgrund des in B-Stadt geführten Gesprächs, bei dem er sich nochmals erfolglos um einen Betriebsrentenanspruch bemüht hatte, aufgebracht war, und dass sein Aufenthalt am See von vornherein vorrangig durch persönliche Gründen motiviert war, nämlich der Erholung, Entspannung bzw. Beruhigung. Diese insgesamt eher private Prägung für seinen Aufenthalt in der Wasserwachthütte könnte auch erklären, dass G.N. trotz Eintragung in das Wachbuch an diesem Nachmittag erhebliche Mengen Alkohol konsumiert hat.
In Übereinstimmung mit den Ausführungen der Kriminalpolizei ist festzuhalten, dass die objektiven Gesamtumstände eine Selbsttötungsabsicht von G.N. nahelegen. Zwar sprechen Verabredungen von Terminen noch am Todestag oder das Bestehenlassen von Sicherungen geschäftlicher Daten gegen einen lang geplanten konkreten Entschluss zur Selbsttötung für diesen Tag. Allerdings lassen sich objektive Umstände, die anders kaum zu erklären sind, schlüssig mit einem spontan gefassten Selbsttötungsentschluss, ggf. beeinflusst durch den Alkoholkonsum, erklären. Das gilt insbesondere für die Einnahme von Lösungsmitteln, die sich u. a. im Magen befunden haben. Auch das Mitführen eines Teppichmessers in den Shorts ließe sich mit einer Selbstmordabsicht schlüssig erklären, nämlich um bei unzureichender Wirkung der eingenommenen Lösungsmittel ggf. mittels Schnittverletzungen das Leben zu beenden. Bereits einige Jahre zuvor hatte G.N. genau in dieser Wasserwachthütte wegen beruflicher Probleme versucht, sich das Leben durch Erhängen zu nehmen. Er hatte neun Monate zuvor durch einen tragischen Unfall zwei seiner Söhne verloren und war in der Zeit vor seinem Todestag, abgesehen von seinem Urlaub, immer wieder depressiv verstimmt gewesen, wie die Aussage seiner Ehefrau gegenüber der Polizei erkennen lässt. Ergänzend zu erwähnen sind gewisse Lebensüberdrussgedanken, geäußert gegenüber dem Hausarzt am 03.07.2009, bzw. die gedankliche Beschäftigung mit dem eigenen Tod in der Woche zuvor gegenüber seinen Eltern mit der Äußerung, seine Eltern sollten nicht bei seiner Beerdigung dabei sein. Andererseits hatte der Psychiater Dr. W. mitgeteilt, dass es G.N. wieder besser gegangen sei und dass bei seiner Behandlung am 14.07.2009 – zwei Tage zuvor – keine Hinweise auf einen Suizid bestanden hätten.
Letztlich kann der Senat offenlassen, ob eine Selbsttötung angesichts dieser Indizien im Vollbeweis nachgewiesen ist. Denn es fehlt schon an einer nachgewiesenen versicherten Verrichtung bzw. an einer auf eine versicherte Verrichtung nach den objektiven Umständen gerichteten Handlungstendenz. Daher kann das Schwimmen bzw. Baden von G.N. im K-See auch nicht als Verrichtung mit gemischter Motivationslage bzw. mit gespaltener Handlungstendenz beurteilt werden, wie der Klägerbevollmächtigte angeregt hat. Denn eine solche Verrichtung mit gemischter Motivationslage bzw. gespaltener Handlungstendenz liegt nur dann vor, wenn eine Verrichtung sowohl mit privatwirtschaftlicher als auch mit versicherungsbezogener Handlungstendenz erfolgt (vgl. BSG vom 09.11.2010 – B 2 U 14/10 R -Juris RdNr. 23; BSG vom 12.05.2009 – B 2 U 12/08 R – SozR 4-2700 § 8 Nr. 33 RdNr. 15). Hier sprechen die objektiven Umstände aber gegen eine versicherungsbezogene Handlungstendenz; eine solche versicherungsbezogene Handlungstendenz des Schwimmens ist nicht nachgewiesen.
Das vom Klägerbevollmächtigten zitierte BSG-Urteil vom 05.09.2006 (B 2 U 24/05 R – Juris) vermag ebenfalls keine andere rechtliche Einschätzung zu begründen. In dieser Entscheidung hatte das BSG im Wesentlichen dargelegt, dass der Versicherungsschutz in der GUV bei einer Verrichtung, die ausschließlich versicherten Zwecken dient, nur im Falle eines alkoholbedingten Leistungsausfalls entfällt. Hier fehlt es aber gerade an dem Nachweis, dass sich G.N. ausschließlich zu versicherten Zwecken in den See begeben hat.
Soweit der Klägerbevollmächtigte auf Entscheidungen des BSG bei nicht nachweisbarer Unterbrechung einer versicherten Beschäftigung hingewiesen hat (vgl. BSG Urteil vom 26.10.2004 – B 2 U 24/03 R; Urteil vom 04.09.2007 – B 2 U 28/06 R, Urteil vom 31.01.2012 – B 2 U 2/11 R; alle veröffentlicht bei Juris), lässt sich auch nach den dort entwickelten Grundsätzen kein Versicherungsschutz des G.N. begründen. Dabei kann der Senat offenlassen, ob die Ausführungen zur Beweislastverteilung hinsichtlich einer versicherten Verrichtung von abhängig Beschäftigten während der Arbeitszeit und im räumlichen Arbeitsbereich aufgrund Arbeitsvertrags ohne Weiteres auf versicherte Verrichtungen nach § 2 Abs. 1 Nr. 12 SGB VII übertragbar sind, bei denen „Arbeits“-Zeit, Einsatzort und Tätigkeiten häufig deutlich weniger konturiert sind als im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses. In diesen Urteilen hat das BSG herausgearbeitet, dass der Unfallversicherungsträger in bestimmten Konstellationen die objektive Beweislast für die Unterbrechung einer versicherten abhängigen Beschäftigung trägt. Das gilt für Fallkonstellationen, in denen die Ausführung einer versicherten Verrichtung nachgewiesen ist, in engem zeitlichen und örtlichen Zusammenhang zu dieser nachgewiesenen versicherten Verrichtung ein Unfallereignis eingetreten ist und weder eine Unterbrechung der versicherten Tätigkeit zur Unfallzeit noch konkrete Hilfstatsachen für eine solche Unterbrechung feststellbar sind (vgl. BSG Urteil vom 31.01.2012 – B 2 U 2/11 R – Juris RdNr. 28). Maßgeblich war insbesondere, dass die Beschäftigten in diesen Konstellationen ihren räumlichen Arbeitsbereich, wo sie zuletzt und kurz vor dem Unfall nachgewiesen versicherte Arbeiten verrichtet hatten, nicht verlassen hatten. Im vorliegenden Fall ist für einen Zeitraum von mehreren Stunden aber gänzlich unbekannt, ob und ggf. in welchem zeitlichen Umfang bzw. wann G.N. Verrichtungen für die Wasserwacht tatsächlich ausgeübt hatte. Feststellbar ist nur, dass er sich um 15:30 Uhr in das Wachbuch eingetragen hat und dass er ca. 3 1/2 bzw. 4 Stunden später aufgefunden wurde. Selbst wenn davon ausgegangen wird, dass er an diesem Nachmittag auch an der Küche gearbeitet und damit eine versicherte Verrichtung vorgenommen hatte, hatte er diese Verrichtung eindeutig unterbrochen bzw. beendet, weil er sich aus der Hütte heraus und in den See begeben hat. Er ist – im Gegensatz zu den vom BSG entschiedenen Fällen unter den Az. B 2 U 24/03 R und B 2 U 28/06 R – gerade nicht im räumlichen Arbeitsbereich seiner kurz zuvor ausgeübten, vorangegangenen versicherten Verrichtung verblieben. Völlig offen ist zudem, ob das Einsteigen in den See in einem engen zeitlichen Zusammenhang mit einer vorangegangenen versicherten Verrichtung stand oder ob G.N. zwischenzeitlich bzw. zuvor bereits private Verrichtungen vorgenommen hatte und in welchem zeitlichen Umfang, ob er also z. B. eine längere Arbeitspause eingelegt oder die Arbeiten an der Küche für diesen Tag abgeschlossen hatte. Es ist schon nicht nachweisbar, dass G.N. sein gegenüber seiner Ehefrau angekündigtes Vorhaben tatsächlich verwirklicht hat, weitere Abschlussarbeiten an der Küche in der Wasserwacht vorzunehmen, geschweige denn deren Umfang und Dauer. Letztlich ist unbekannt und nicht mehr aufklärbar, welche versicherten und unversicherten Verrichtungen G.N. an diesem Nachmittag und Abend ausgeübt hatte, in welcher Reihenfolge und in welchem zeitlichen Umfang.
Da eine versicherte Verrichtung von G.N. am Unfalltag nicht nachweisbar ist, die zu einem Unfallereignis und damit zu Gesundheitsschäden bzw. seinen Tod geführt haben könnte, liegt kein Arbeitsunfall von G.N. vor. Ansprüche der Klägerin auf Hinterbliebenenleistungen bestehen daher nicht.
B) Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
C) Gründe gemäß § 160 Abs. 2 SGG zur Zulassung der Revision liegen nicht vor.


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