Sozialrecht

Kein Anspruch eines Slowenen auf Erwerbsminderungsrente mangels versicherungsrechtlicher Voraussetzungen

Aktenzeichen  S 2 R 25/15 A

Datum:
18.8.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 129419
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Landshut
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
VO (EG) Nr. 883/2004 Art. 5, Art. 6, Art. 46, Art. 87, Art. 91
SGB VI § 43, § 55, § 58
SGB XII § 27

 

Leitsatz

1 Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erwerbsminderungsrente, da er die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt, da er in dem maßgeblichen 5-Jahres-Zeiraum keine Pflichtbeitragszeiten erfüllte. (Rn. 38 – 40 und 43) (redaktioneller Leitsatz)
2 Der zeitweise in Slowenien wohnende Kläger hat auch keine Pflichtbeitragszeiten zurückgelegt, die über gemeinschafts- bzw. unionsrechtliche Regelungen zu berücksichtigen wären. Der von ihm vorgetragene slowenische Sozialhilfebezug begründet diese nicht, da auch bei Bezug zum Lebensunterhalt nach §§ 27 ff. SGB XII keine Pflichtbeitragszeiten entstehen. (Rn. 45 – 53) (redaktioneller Leitsatz)
3 Auch eine Anrechnungszeit iSd § 58 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB VI lag nicht vor, weil in dem maßgeblichen Zeitraum keine gleichzustellenden Beitragszeiten oder Sachverhalte vorlagen. (Rn. 55 – 59) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 04.06.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.10.2014 wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

Das Gericht konnte über die Klage gemäß § 105 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten haben.
Für die Entscheidung des Gerichts waren folgende Gründe maßgeblich:
Die Klage ist zulässig, weil sie nach Durchführung des gesetzlich vorgeschriebenen Widerspruchsverfahrens form- und fristgerecht (§§ 87, 90, 92 Sozialgerichtsgesetz – SGG) beim zuständigen Sozialgericht Landshut eingelegt wurde.
Streitgegenstand ist der Anspruch des Klägers auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung aus seinem Versicherungsverhältnis bei der Beklagten aufgrund der bei ihm vorliegenden Gesundheitsstörungen.
Die Klage ist jedoch nicht begründet.
Denn der ablehnende Bescheid der Beklagten vom 04.06.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.10.2014 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung.
Gemäß § 43 SG VI haben Versicherte Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung wenn sie teilweise oder voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeitragszeiten zurückgelegt und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
I.
Nach den Feststellungen des Gerichts sind bei dem Kläger zu dem Zeitpunkt der geltend gemachten Erwerbsminderung die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen gem. § 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 bzw. Abs. 2 S. 1 Nr. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) nicht erfüllt.
Sowohl die Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung als auch die Rente wegen voller Erwerbsminderung setzen gemäß § 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 bzw. Abs. 2 S. 1 Nr. 2 SGB VI voraus, dass der Versicherte in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben.
Der Zeitraum von fünf Jahren vor dem Eintritt der Erwerbsminderung verlängert sich gemäß § 43 Abs. 4 SGB VI um folgende Zeiten, die nicht mit Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit belegt sind:
1.Anrechnungszeiten und Zeiten des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit,
2.Berücksichtigungszeiten,
3.Zeiten, die nur deshalb keine Anrechnungszeiten sind, weil durch sie eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit nicht unterbrochen ist, wenn in den letzten sechs Kalendermonaten vor Beginn dieser Zeiten wenigstens ein Pflichtbeitrag für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit oder eine Zeit nach Nummer 1 oder 2 vorliegt,
4.Zeiten einer schulischen Ausbildung nach Vollendung des 17. Lebensjahres bis zu sieben Jahren, gemindert um Anrechnungszeiten wegen schulischer Ausbildung.
Im vorliegenden Fall hat der Kläger bei dem slowenischen Rentenversicherungsträger am 08.08.2013 den Antrag auf Invalidenrente gestellt. Durch das für den slowenischen Rentenversicherungsträger erstellte Gutachten vom 07.05.2014 ergab sich ein Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit ab dem 02.10.2013. Ein früherer geltend gemachter Eintritt der Erwerbsminderung geht aus den Unterlagen nicht hervor. Auch im Klageverfahren hat der Kläger nichts zu einem früheren Eintritt der Erwerbsminderung vorgebracht.
Maßgeblicher 5-Jahres-Zeitraum für die erforderlichen Pflichtbeitragszeiten war daher der Zeitraum vom 02.10.2008 bis zum 01.10.2013.
Es liegen in diesem Zeitraum keine Pflichtbeitragszeiten des Klägers vor.
1. Der Kläger hat keine Pflichtbeitragszeiten zurückgelegt, die unmittelbar in sein Versicherungskonto bei der Beklagten aufzunehmen waren. Der Kläger hat insoweit keine Einwendungen gegenüber dem ihm von der Beklagten im Kontenklärungsverfahren übersandten Versicherungsverlauf erhoben, welcher nach dem 03.01.2000 keine Pflichtbeitragszeiten ausweist.
2. Der Kläger hat auch keine Pflichtbeitragszeiten zurückgelegt, die aufgrund gemeinschaftsbzw. unionsrechtlicher Regelungen über die Anerkennung ausländischer Versicherungszeiten bei der Prüfung der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen gemäß § 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 und Abs. 2 S. 1 Nr. 2 SGB VI zu berücksichtigen wären.
Soweit in der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 vom 29.04.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit nichts anderes bestimmt ist, berücksichtigt nach Art. 6 S. 1, 1. Alternative Verordnung (EG) Nr. 883/2004 der zuständige Träger eines Mitgliedstaats, dessen Rechtsvorschriften den Erwerb, die Aufrechterhaltung, die Dauer oder das Wiederaufleben des Leistungsanspruchs von der Zurücklegung von Versicherungszeiten, Beschäftigungszeiten, Zeiten einer selbstständigen Erwerbstätigkeit oder Wohnzeiten abhängig machen, soweit erforderlich die nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats zurückgelegten Versicherungszeiten, Beschäftigungszeiten, Zeiten einer selbstständigen Erwerbstätigkeit oder Wohnzeiten, als ob es sich um Zeiten handeln würden, die nach den für diesen Träger geltenden Rechtsvorschriften zurückgelegt worden sind.
Gemäß Art. 91 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 gilt diese ab dem Tag des Inkrafttretens der Durchführungsverordnung, welche am 01.05.2010 in Kraft getreten ist (Verordnung (EG) Nr. 987/2009 vom 16.09.2009 zur Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit). Soweit die Verordnung (EG) Nr. 883/2004 von dem Rentenversicherungsträger anzuwenden ist, erfasst sie gemäß ihrem Art. 87 Abs. 2 alle Versicherungszeiten sowie gegebenenfalls auch alle Beschäftigungszeiten, Zeiten einer selbständigen Erwerbstätigkeit oder Wohnzeiten, die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates vor dem Beginn ihrer Anwendung in dem betreffenden Mitgliedstaat zurückgelegt worden sind.
Der Kläger hat weder in Deutschland noch in Slowenien einem Sicherungssystem angehört, nach dem die Höhe der Leistungen bei Invalidität von der Dauer der Versicherungs- oder Wohnzeiten unabhängig ist. Somit sind gemäß Art. 46 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 vom 29.04.2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit die Vorschriften des 5. Kapitels dieser Verordnung maßgeblich.
Zu prüfen war daher, ob für den Kläger bei dem slowenischen Versicherungsträger Zeiten verbucht sind, die, wenn sie in Deutschland zurückgelegt worden wären, den Tatbestand der Pflichtbeitragszeiten oder gleichgestellten Zeiten gem. § 55 Abs. 1 S. 1, 1. Alt., S. 2 und Abs. 2 SGB VI erfüllen würden. Wie anhand der von dem slowenischen Versicherungsträger übersandten Unterlagen, insbesondere des Formulars E 205 festzustellen war, weist das Versicherungskonto des Klägers in Slowenien außer den genannten Zeiten aus dem Zeitraum zwischen dem 16.06.1986 und dem 06.07.1993 keine weiteren Pflichtbeiträge aus.
3. Gemäß Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 erfolgt eine Sachverhaltsgleichstellung. Sofern in der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 nicht anderes bestimmt ist, gilt unter Berücksichtigung der besonderen Durchführungsbestimmungen Folgendes: a) Hat nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaates der Bezug von Leistungen der sozialen Sicherheit oder sonstiger Einkünfte bestimmte Rechtswirkungen, so sind die entsprechenden Rechtsvorschriften auch bei Bezug von nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaates gewährten gleichartigen Leistungen oder bei Bezug von in einem anderen Mitgliedstaat erzielten Einkünften anwendbar; b) Hat nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaates der Eintritt bestimmter Sachverhalte oder Ereignisse Rechtswirkungen, so berücksichtigt dieser Mitgliedstaat die in einem anderen Mitgliedstaat eingetretenen entsprechenden Sachverhalte oder Ereignisse, als ob sie im eigenen Hoheitsgebiet eingetreten wären.
Weiter war daher zu prüfen, ob bei dem Kläger in Slowenien ein Leistungsbezug vorgelegen hat oder Sachverhalte eingetreten sind, die den Tatbestand von Pflichtbeitragszeiten oder gleichgestellten Zeiten erfüllen würden, wenn sie in entsprechender Weise in Deutschland vorgelegen hätten.
Solche Sachverhalte oder Zeiten einer Versicherungspflicht bei Bezug von Sozialleistungen sind nicht nachgewiesen.
Insbesondere begründet der vom Kläger vorgetragene Sozialhilfebezug keine Pflichtbeitragszeiten, da auch bei Bezug von Hilfe zum Lebensunterhalt nach deutschem Recht (§§ 27 ff. SGB XII) keine Pflichtbeitragszeiten entstehen.
Für das Vorliegen von sonstigen Zeiten, für die Pflichtbeiträge entrichtet wurden oder die solchen Zeiten gleichgestellt sind, ergaben sich keine Anhaltspunkte.
4. Allerdings war zu prüfen, ob nach § 43 Abs. 4 SGB VI eine Erweiterung des Zeitraums, innerhalb dessen die 3 Jahre Pflichtbeiträge vorliegen müssen, vorzunehmen war.
Insoweit war ebenfalls die Regelung des Art. 5 Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Sachverhaltsgleichstellung anzuwenden.
Insofern konnten Zeiten, in denen der Kläger in Slowenien arbeitslos gemeldet war und Sozialhilfe bezogen hat, den Tatbestand einer Anrechnungszeit gemäß § 58 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB VI erfüllen.
Nach den durchgeführten Ermittlungen lag innerhalb des nach § 43 Abs. 4 SGB VI maßgeblichen 5-Jahres-Zeitraums eine Arbeitslosmeldung allerdings nur vom 25.11.2011 bis zum 01.10.2013, also in 24 Monaten vor. Von diesen 24 Monaten hat der Kläger nur in 22 Monaten eine öffentlich-rechtliche Leistung im Sinne des § 58 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB VI bezogen. Insgesamt waren daher nur für 22 Monate die Voraussetzungen für eine Verlängerung des Rahmenzeitraums nach § 43 Abs. 4 SGB VI in Verbindung mit Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 und § 58 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB VI gegeben. Der Rahmenzeitraum verlängerte sich daher auf die Zeit vom 02.12.2006 bis zum 01.10.2013.
Auch in diesem Zeitraum liegen jedoch keine gleichzustellenden Beitragszeiten oder Sachverhalte vor.
Die übrigen Zeiten des Sozialhilfebezugs in Slowenien begründen keine Anrechnungszeit nach § 58 SGB VI, da sie diese Wirkung auch im Fall des Sozialhilfebezugs in Deutschland nicht hätten.
II.
Es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass noch bis zu dem Zeitpunkt, zu dem letztmals die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nach § 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 bzw. Abs. 2 S. 1 Nr. 2 SGB VI erfüllt waren, bei dem Kläger teilweise oder volle Erwerbsminderung eingetreten ist.
Der Kläger hatte aufgrund der Pflichtbeiträge im Zeitraum Februar bis Dezember 1996 (11), Januar, Februar und April bis Dezember 1997(11), Januar 1998 (1), Januar bis Dezember 1999 (12) und Januar 2000 (1) 36 Pflichtbeitragszeiten vorliegen. Der entsprechende Rahmenzeitraum nach § 43 Abs. 1 S.1 Nr. 2, Abs. 2 S. 1 Nr. 2 SGB VI von fünf Jahren endete daher spätestens mit dem 31.01.2001 (Beginn 01.02.1996).
Für eine bereits zu diesem Zeitpunkt eingetretene Erwerbsminderung liegen keinerlei Anhaltspunkte vor. Zwar ist das Gericht zu Ermittlungen von Amts wegen verpflichtet. Bei Fehlen konkreter Anhaltspunkte sind jedoch nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts Ermittlungen entbehrlich (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 11. Aufl. 2014, § 103 Rn. 7a).
Nach alledem hat der Kläger keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung, so dass die Beklagte zu Recht den Antrag des Klägers abgelehnt hat.
Die Klage konnte daher keinen Erfolg haben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.


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