Sozialrecht

Keine Anerkennung eines tätlichen Angriffs als Arbeitsunfall

Aktenzeichen  S 4 U 114/16

Datum:
20.10.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 129472
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VII § 8 Abs. 1

 

Leitsatz

1 Das Streitgespräch eines betriebsfremden Täters mit dem betriebsangehörigen Opfer stellt eine private, unversicherte Verrichtung dar. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2 Am erforderlichen inneren Zusammenhang fehlt es auch bei einem Streit unter Betriebsangehörigen, wenn diese dabei verunglücken und bei keinem der beiden die Handlungstendenz auf die Ausübung einer betriebsdienlichen Tätigkeit gerichtet ist (Anschluss an BSGE 13, 290). (Rn. 15) (redaktioneller Leitsatz)
3 Erst recht ist der innere Zusammenhang zu verneinen, wenn nur einer der beiden Betriebsangehöriger ist und zudem eine private Beziehung zwischen Täter und Opfer existiert. Der Täter hat das Opfer nicht in dessen Eigenschaft als Angestellter angegriffen, sondern hätte das auch außerhalb der Arbeitsstelle aufgrund seiner wahnhaften Vorstellung tun können. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)

Tenor

I. Die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 9. Dezember 2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. März 2016 wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

Das Gericht konnte gemäß § 105 Abs. 1 SGG ohne mündliche Verhandlung durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und insbesondere die Beteiligten zuvor Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten haben.
Die Klage wurde nach Durchführung des gesetzlich vorgeschriebenen Widerspruchsverfahrens form- und fristgerecht (§§ 87, 90, 92 SGG) beim zuständigen Sozialgericht Augsburg eingelegt und ist zulässig.
In der Sache erweist sich die Klage jedoch als unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 09.12.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.03.2016 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat keinen Anspruch auf die Anerkennung des tätlichen Angriffs vom 16.07.2015 als Arbeitsunfall.
Das Gericht folgt der Begründung der streitgegenständlichen Verwaltungsakte der Beklagten und macht von der Möglichkeit Gebrauch, nach § 136 Abs. 3 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abzusehen.
Lediglich ergänzend führt das Gericht Folgendes aus:
Gemäß § 8 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) sind Arbeitsunfälle Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit; Satz 1). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (Satz 2). Für einen Arbeitsunfall ist danach in der Regel erforderlich, dass die Handlung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis (dem Unfallereignis) geführt hat (Unfallkausalität) und das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität) (vgl. u.a. Bundessozialgericht – BSG -, Urteil vom 09.05.2006 – B 2 U 1/05 R – BSGE 96, 196 – 209 m.w.N.). Der Gesundheitserstschaden (Primärschaden, Gesundheitsbeeinträchtigung) ist eine den Versicherungsfall begründende Tatbestandsvoraussetzung und daher keine Folge des Arbeitsunfalls (vgl. BSG, Urteil vom 05.07.2011 – B 2 U 17/10 R -, BSGE 108, 274 – 289).
Maßgeblich für den inneren Zusammenhang, also die Zurechnung der Schädigung zur versicherten Tätigkeit, ist der Handlungszweck, der durch objektive Umstände des Einzelfalles bestätigt wird. Ist hiernach das Handeln des Versicherten dazu bestimmt, dem Unternehmen zu dienen, dann liegt eine versicherte Tätigkeit vor (vgl. G. Wagner in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, 2. Aufl. 2014, § 8 SGB VII, Rn. 30 ff.).
Im vorliegenden Fall vermag das Gericht nicht zu erkennen, inwieweit bereits das Streitgespräch des Klägers mit dem Täter seiner Verrichtung als freiwilliger Helfer auf dem Friedhof dienen sollte. Es handelt sich vielmehr um eine private Verrichtung. Dem privaten Bereich des Versicherten zuzurechnende Verrichtungen stellen das Gegenstück zu den dem Betrieb zu dienen bestimmten Verrichtungen dar. Sie sind prinzipiell unversichert.
Am erforderlichen inneren Zusammenhang fehlt es zudem in der Regel, wenn erwachsene Betriebsangehörige im Betrieb streiten und hierbei verunglücken. Ob der „Täter“ oder das „Opfers“ verunglücken, ist dabei irrelevant, wenn bei keinem der beiden die Handlungstendenz auf die Ausübung einer betriebsdienlichen Tätigkeit gerichtet ist (dazu bereits BSG, Urteil vom 31.01.1961 – 2 RU 251/58 -, BSGE 13, 290, SozR Nr. 34 zu § 542 RVO, vgl. auch G. Wagner in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VII, 2. Aufl. 2014, § 8 SGB VII, Rn. 74).
Wenn jedoch schon zwischen Betriebsangehörigen der innere Zusammenhang bei einem Streit/einer Tätlichkeit regelmäßig verneint wird, so muss dies erst Recht der Fall sein, wenn nur der Kläger als Opfer zum Betrieb gehört und zwischen dem Täter und dem Opfer eine private Beziehung existiert. Denn der Kläger ist eben nicht in seiner Eigenschaft als Friedhofsangestellter angegriffen worden sondern davon völlig losgelöst. Es genügt nach der ständigen Rechtsprechung nicht, dass die Verletzung während der Arbeitszeit oder auf der Arbeitsstelle geschieht. Nach der Überzeugung des Gerichts hätte der Täter den Kläger auch außerhalb dessen Arbeitsstelle wegen seiner wahnhaften Vorstellung und der gemeinsamen Vorgeschichte angegriffen.
Wie bereits in den Schreiben vom 23.06.2016 und 23.09.2016 und im PKH-Beschluss dargestellt, steht das Geschehen auf dem Friedhof am 16.07.2015 daher nach der Überzeugung des Gerichts nicht im inneren Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit des Klägers zur Zeit des Unfalls. Das Vorliegen eines Arbeitsunfalles war daher abzulehnen.
Nach alledem hatte die Klage keinen Erfolg.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.


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