Sozialrecht

Kostenübernahme für Mittagsbetreuung im Rahmen der Jugendhilfe

Aktenzeichen  12 BV 16.1855

Datum:
15.2.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
NZFam – 2017, 478
Gerichtsart:
VGH
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VIII § 22 Abs. 1 S. 1, Abs. 2, Abs. 3 § 90 Abs. 3 S. 1

 

Leitsatz

1. Eine Kindertageseinrichtung nach § 22 Abs. 1 SGB VIII liegt nicht vor, wenn Schülern eingebunden in die Schulorganisation nach der Beendigung des Unterrichts durch Fachlehrer die Möglichkeit der Hausaufgabenbetreuung, der Vertiefung des im Unterricht Gelernten oder des bloßen Aufenthalts geboten wird. Eine solche, rein an schulischen Zwecken orientierte Betreuung wird dem sehr umfassenden Förderbegriff des § 22 Abs. 2, Abs. 3 SGB VIII regelmäßig nicht gerecht. (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Tageseinrichtung nach § 22 SGB VIII liegt dann vor, wenn die angebotene Betreuung sich nicht auf rein schulische Zwecke wie Hausaufgabenbetreuung beschränkt, sondern ein umfangreiches Zusatzprogramm umfasst, welches der Erreichung der in § 22 Abs. 2 und 3 SGB VIII genannten Förderzwecken dient, indem etwa die Steigerung der sozialen Kompetenz der Schüler sowie die Unterstützung der Familien beim erzieherischen Prozess bezweckt wird. (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

M 18 K 15.2047 2016-05-04 Urt VGMUENCHEN VG München

Tenor

I.
Die Berufung wird zurückgewiesen.
II.
Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
III.
Die Entscheidung ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
IV.
Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.
Die Beteiligten streiten um die Übernahme der Kosten für eine Mittagsbetreuung im Zeitraum vom 1. September 2014 bis 30. April 2015 in Höhe von 827,20 €.
1. Mit Schreiben vom 28. November 2014 beantragte die Arbeitslosengeld II beziehende Klägerin beim Beklagten Übernahme der Kosten der Mittagsbetreuung für ihre am 25. November 2005 geborene Tochter. Diese besuche seit 1. September 2014 die von der … GmbH betriebene Mittagsbetreuung an der Grundschule P* … von Montag bis Freitag jeweils von 11:00 bis 15:00 Uhr sowie in den Ferien. Unter dem 22. Dezember 2014 stellte die Klägerin zusätzlich förmlichen Antrag auf Kostenübernahme im Rahmen der Jugendhilfe.
2. Mit Bescheid vom 22. Januar 2015 lehnte der Beklagte die Übernahme der Gebühren für die …-Mittagsbetreuung mit der Begründung ab, dass es sich bei der Mittagsbetreuung an der Grundschule P … nicht um eine Tageseinrichtung für Kinder im Sinne des § 22 Achtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) handele. Den hiergegen gerichteten Widerspruch wies die Regierung von Oberbayern mit Bescheid vom 20. April 2015 zurück.
3. Mit Beschluss vom 21. Dezember 2015 – 12 C 15.2352 -, NJW 2016, 1032 ff. gewährte der Senat der Klägerin im Beschwerdewege Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht, weil aufgrund des in den Behördenakten (vgl. Bl. 17 ff.) enthaltenen, umfangreichen Konzepts der … GmbH nicht mit hinreichender Gewissheit ausgeschlossen werden konnte, dass in der Grundschule P … im streitgegenständlichen Zeitraum tatsächlich eine Mittagsbetreuung geboten wurde, die die Voraussetzungen des § 22 Absätze 2 und 3 SGB VIII erfüllte (vgl. NJW 2016, 1032 [1034] Rn. 17 u. 18).
4. Mit Urteil vom 4. Mai 2016 wies das Verwaltungsgericht München die auf Kostenübernahme im Zeitraum 1. September 2014 bis 30. April 2015 in Höhe von 827,20 € gerichtete Klage als unbegründet ab. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sei davon auszugehen, dass es sich bei der Mittagsbetreuung an der Grundschule P … im Schuljahr 2014/2015 nicht um eine Tageseinrichtung im Sinne des § 22 SGB VIII gehandelt habe. Seitens der … GmbH sei zwar entsprechend der vorgelegten Konzeption geplant gewesen, ein umfassenderes Betreuungsangebot als eine klassische Mittagsbetreuung anzubieten, allerdings sei zugleich auch deutlich geworden, dass dies aufgrund der Struktur und den Gegebenheiten vor Ort mit den zur Verfügung stehenden räumlichen, personellen, pädagogischen und finanziellen Ressourcen nicht möglich gewesen sei. Die in § 22 SGB VIII geforderte umfassende und gezielte Förderung, Bildung und Erziehung habe die streitgegenständliche Mittagsbetreuung deshalb nicht leisten können. Zudem habe auch keine Betriebserlaubnis gemäß § 45 SGB VIII vorgelegen.
5. Mit der vom Verwaltungsgericht zugelassenen Berufung verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter. Bei der Mittagsbetreuung der … GmbH an der Grundschule P … handele es sich um eine Einrichtung im Sinne des § 22 SGB VIII, wie dem Programm von … eindeutig zu entnehmen sei. Auf das Fehlen der Betriebserlaubnis gemäß § 45 SGB VIII komme es nicht an. Die Voraussetzungen für die Erlaubniserteilung hätten vorgelegen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
den Beklagten unter Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts vom 4. Mai 2016 und des zugrunde liegenden Bescheides vom 22. Januar 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. April 2015 zu verpflichten, ihr die Kosten der Mittagsbetreuung in Höhe von 827,20 € für den Zeitraum 1. September 2014 bis 30. April 2015 zu bezahlen und die Hinzuziehung ihrer Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt die Entscheidung des Verwaltungsgerichts. Die … GmbH habe selbst eingeräumt, dass ihr Konzept im streitgegenständlichen Zeitraum nicht habe umgesetzt werden können. Darüber hinaus hätten auch die Voraussetzungen für die Erteilung einer Betriebserlaubnis nicht vorgelegen.
6. Mit Beschluss vom 25. November 2016 lehnte der Senat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg ab. Nachdem die Bevollmächtigte der Klägerin sich trotz mehrfacher Aufforderung nicht mehr zur Sache äußerte, hörte der Senat die Verfahrensbeteiligten mit Schreiben vom 31. Januar 2017 unter Fristsetzung bis zum 14. Februar 2017 zur beabsichtigten Entscheidung durch Beschluss gemäß § 130a VwGO an. Seitens der Bevollmächtigten der Klägerin erfolgte auch insoweit keinerlei Reaktion.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
Die zulässige Berufung bleibt ohne Erfolg.
1. Der Senat entscheidet nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss über die Berufung der Klägerin. Er hält diese einstimmig für zulässig aber unbegründet und eine mündliche Verhandlung im Hinblick auf das schriftsätzliche Vorbringen nicht für erforderlich (§ 130a VwGO). Die Rechtssache weist nach den Umständen des Einzelfalls weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht außergewöhnliche Schwierigkeiten auf (vgl. zu diesem Erfordernis BVerwG, U.v. 30.6.2004 – 6 C 28.02 -, BVerwGE 121, 211 [212]; U.v. 9.12.2010 – 10 C 13.09 -, BVerwGE 138, 289 [297 f.]). Derart außergewöhnliche Schwierigkeiten liegen nicht schon dann vor, wenn das Verfahren die Notwendigkeit beinhaltet, Rechtsnormen nach Wortlaut, Entstehungsgeschichte, Systematik oder Sinn und Zweck auszulegen (vgl. BVerwG, B.v. 3.9.2015 – 2 B 29.14 – juris, Rn. 22). Vielmehr ist ein vereinfachtes Berufungsverfahren nach § 130a VwGO auch dann möglich, wenn – wie im vorliegenden Fall – die aufgeworfenen Rechtsfragen durch die ober- und höchstrichterliche Rechtsprechung hinreichend geklärt sind bzw. sich durch Subsumtion unter die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen lösen lassen. Die Beteiligten hatten im Berufungsverfahren hinreichend Gelegenheit, sich zu den entscheidungserheblichen Rechtsfragen zu äußern. Tatsachenfragen, die eine Beweiserhebung erfordert hätten, haben sich vorliegend entscheidungserheblich nicht gestellt; ebenso wenig haben die Verfahrensbeteiligten Beweisanträge formuliert. Mithin konnte der Senat nach § 130a Satz 1 VwGO in der Sache durch Beschluss entscheiden.
2. Der Klägerin steht gegen den Beklagten ein Anspruch auf Übernahme der Kosten für die Mittagsbetreuung ihrer Tochter aus § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII im Zeitraum vom 1. September 2014 bis 30. April 2015 nicht zu.
a) Nach dieser Vorschrift soll im Falle der Inanspruchnahme von Angeboten der Förderung von Kindern in Tageseinrichtungen nach §§ 22 bis 24 SGB VIII der Teilnahmebeitrag oder die Gebühr auf Antrag ganz oder teilweise erlassen oder vom Träger der öffentlichen Jugendhilfe übernommen werden, wenn die Belastung den Eltern (hier der alleinerziehenden, Arbeitslosengeld II beziehenden Klägerin) und dem Kind nicht zuzumuten ist. Die Übernahme von Kostenbeiträgen kann damit nur für eine Betreuung erfolgen, die in einer Tageseinrichtung nach § 22 SGB VIII stattfindet.
Kindertageseinrichtungen im Sinne des § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII sind Einrichtungen, in denen sich Kinder für einen Teil des Tages oder ganztägig aufhalten und in Gruppen gefördert werden. In ihnen sollen die Entwicklung des Kindes zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit gefördert, die Erziehung und Bildung in der Familie unterstützt und ergänzt und den Eltern dabei geholfen werden, Erwerbstätigkeit und Kindererziehung besser miteinander zu vereinbaren (§ 22 Abs. 2 SGB VIII), wobei der Förderauftrag die Erziehung, Bildung und Betreuung des Kindes umfasst und sich auf die soziale, emotionale, körperliche und geistige Entwicklung des Kindes bezieht, die Vermittlung orientierender Werte und Regeln einschließt und die Förderung sich am Alter und Entwicklungsstand, den sprachlichen und sonstigen Fähigkeiten, der Lebenssituation sowie den Interessen und Bedürfnissen des einzelnen Kindes orientieren und seine ethnische Herkunft berücksichtigen soll (§ 22 Abs. 3 SGB VIII).
Eine Tageseinrichtung in diesem Sinne liegt dann nicht vor, wenn den Schülern einer Schule eingebunden in ihre Schulorganisation nach der Beendigung des Unterrichts durch Fachlehrer die bloße Möglichkeit beaufsichtigter Hausaufgabenanfertigung, der Vertiefung des im Unterricht Gelernten, der Behebung von Wissensdefiziten oder des bloßen Aufenthalts geboten wird. Eine derartige Betreuung, die rein an schulischen und schulergänzenden Zwecken orientiert ist, wird dem einer Tageseinrichtung im Sinne des § 22 SGB VIII kennzeichnenden, sehr umfassenden Förderbegriff des § 22 Abs. 2, Abs. 3 SGB VIII regelmäßig nicht gerecht (vgl. BayVGH, B.v. 21.12.2015 – 12 C 15.2352 -, NJW 2016, 1032 [1033] Rn. 13; B.v. 5.3.2012 – 12 ZB 10.1559 – juris, Rn. 8; B.v. 8.3.2005 – 12 C 04.2453 – juris, Rn. 2). Eine solche Betreuung stellt deshalb keine Tageseinrichtung im Sinne von § 22 SGB VIII dar, deren Gebühren gemäß § 90 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 90 Abs. 3 und Abs. 4 SGB VIII vom Träger der öffentlichen Jugendhilfe übernommen werden könnten. Einrichtungen, die primär dem Aufenthalt von Kindern und Jugendlichen während der Freizeit oder zur Hausaufgabenbetreuung dienen, zählen grundsätzlich nicht zu den Tageseinrichtungen im Sinne des § 22 SGB VIII (vgl. Struck, in: Wiesner, SGB VIII, 5. Aufl. 2015, § 22 Rn. 5; Dunkl/Eirich, BayKiBiG, 4. Aufl. 2015, Art. 2 Anm. 2). Denn Sinn einer solchen Mittagsbetreuung ist gerade nicht die gezielte Förderung, Bildung und Erziehung eines Kindes, wie es § 22 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGB VIII vorschreibt, sondern in erster Linie die Betreuung und Beaufsichtigung der einzelnen Kinder außerhalb der Unterrichtszeiten, d.h. während ihrer Freizeit, gegebenenfalls auch zur Erledigung und Überwachung der Hausaufgaben. Eine solche (Mittags-)Betreuung erhebt keinen – über schulische Zwecke hinausreichenden – pädagogischen Anspruch (vgl. BayVGH, B.v. 21.12.2015 – 12 C 15.2352 -, NJW 2016, 1032 [1033] Rn. 13).
Anders verhält es sich hingegen dann, wenn die angebotene Betreuung sich nicht lediglich auf rein schulische Zwecke, wie Hausaufgabenbetreuung oder Notenverbesserung beschränkt, sondern darüber hinaus ein umfangreiches Zusatzangebot umfasst, welches mindestens zugleich auch der Erreichung der in § 22 Abs. 2 und 3 SGB VIII genannten Förderziele dient bzw. deren Erreichung unterstützen soll, etwa indem die Betreuung die Verbesserung der Organisationsfähigkeit und die Steigerung der sozialen Kompetenz der Schüler bezweckt und darüber hinaus der Unterstützung der Familien beim erzieherischen Prozess und der Lernfähigkeit der betreuten Schüler dient. Eine solche Betreuung kann über eine reine Hausaufgaben- und Aufenthaltsbetreuung im Sinne einer bloßen „Mittagsbetreuung“ hinausreichen. Denn Sinn einer solchen Betreuung ist – neben einer Hausaufgabenbetreuung – gerade auch die gezielte Förderung, Bildung und Erziehung des betreuten Kindes, wie es § 22 Abs. 2 Nr. 1 und 2 sowie Abs. 3 SGB VIII vorschreiben. Dies gilt namentlich dann, wenn sie sich nicht nur auf die Mittagspause beschränkt, sondern einen wesentlichen Teil des Tages ausmacht sowie darüber hinaus ein Teil des Programms auch an unterrichtsfreien Tagen und in den Schulferien stattfindet. Eine solche Betreuung umfasst regelmäßig auch die Erziehung und Bildung der zu betreuenden Kinder und schließt deren soziale, emotionale, körperliche und geistige Entwicklung, namentlich die Vermittlung orientierender Werte und Regeln, wie beispielsweise Teamfähigkeit und Eigenverantwortlichkeit, mit ein (vgl. BayVGH, B.v. 21.12.2015 – 12 C 15.2352 -, NJW 2016, 1032 [1033] Rn. 14; VG Ansbach, U.v. 4.6.2009 – AN 14 K 07.2668 – juris, Rn. 33 ff.).
Deshalb ist stets das konkrete Angebot der jeweiligen Einrichtung in den Blick zu nehmen und sodann anhand der in § 22 Abs. 2 und 3 SGB VIII festgelegten Kriterien zu prüfen und zu entscheiden, ob eine Nachmittagsbetreuung im Sinne einer reinen Hausaufgaben- und Aufenthaltsbetreuung oder – aufgrund des pädagogischen Anspruchs der Betreuung – bereits eine Tageseinrichtung im Sinne von § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII vorliegt. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Nachmittagsbetreuung nicht von der Schule selbst, sondern durch einen privatrechtlich organisierten Träger oder Kooperationspartner betrieben wird. Allein der Umstand, dass die Gesamtverantwortung für die Konzeption der Betreuung bei der Schulleitung liegt, die Klassenstundenpläne von der Schule mit dem Zeitplan der Betreuung koordiniert werden und die Betreuung selbst in den Räumen der Schule stattfindet, macht die (Mittags-) Betreuung in derartigen Fällen nicht zu einer Einrichtung der Schule (vgl. BayVGH, B.v. 21.12.2015 – 12 C 15.2352 -, NJW 2016, 1032 [1033] Rn. 15; VG Ansbach, U.v. 4.6.2009 – AN 14 K 07.2668 – juris, Rn. 33 ff.). Maßgeblich ist vielmehr allein, ob die Kriterien des § 22 Abs. 2 und 3 SGB VIII erfüllt werden (vgl. näher Lakies, in: Münder/Meysen/Trensczek, Frankfurter Kommentar SGB VIII, 7. Aufl. 2013, § 22 Rn. 13 f.). Nicht von Bedeutung ist hingegen, ob der privatrechtlich organisierte Träger bereits über die erforderliche Betriebserlaubnis (§ 45 SGB VIII) verfügt oder diese erst noch zu erteilen ist. Andernfalls könnte der zuständige Jugendhilfeträger die Kostenübernahme durch die Versagung der Erlaubnis steuern (vgl. BayVGH, B.v. 21.12.2015 – 12 C 15.2352 -, NJW 2016, 1032 [1033] Rn. 15).
b) Gemessen an diesem Maßstab ist das Verwaltungsgericht München auf der Grundlage der von ihm durchgeführten Beweiserhebung zu Recht davon ausgegangen, dass die von der … GmbH im Zeitraum September 2014 bis April 2015 an der Grundschule P … betriebene Mittagsbetreuung die strengen Voraussetzungen des § 22 Abs. 2 und 3 SGB VIII nicht erfüllte. Aus dem in der mündlichen Verhandlung vorgelegten und der Klägerbevollmächtigten laut Sitzungsprotokoll in Kopie übergebenen Schreiben der … GmbH an die Leiterin der Grundschule P … vom 13. November 2014 (vgl. Bl. 58 ff. d. VG-Akte) geht mit hinreichender Deutlichkeit hervor, dass zwar geplant war, entsprechend der vorgelegten Konzeption (vgl. Bl. 17 ff. d. Behördenakte) ein umfassenderes Betreuungsangebot als eine klassische Mittagsbetreuung anzubieten, dass dieses Konzept jedoch aus räumlichen, personellen, pädagogischen und finanziellen Gesichtspunkten nicht verwirklicht werden konnte. An Räumlichkeiten standen für 40 bis 50 angemeldete Schülerinnen und Schüler lediglich ein Stammraum mit ca. 45 qm, und – sofern frei – ein Werkraum und ein großer Klassenraum zur Verfügung. Die Sport- und Theaterhalle konnte – auch wegen fehlendem Personal – nicht genutzt werden. In dem Schreiben der … GmbH vom 13. November 2014 (vgl. Bl. 60 f. d.VG-Akte) heißt es insoweit wörtlich:
„Übertrüge man die aktuelle Belegungssituation, die Personalausstattung und die zur Verfügung stehenden Räume fiktiv auf die Rechtsgrundlagen eines Hortbetriebes, ergäbe sich folgendes Bild:
– Der erforderliche Personalschlüssel und die Regelungen zur Aufsichtspflicht stünden in einem krassen Missverhältnis zur gegenwärtigen Situation [….]. Im Minimum müsste eine komplette Vollzeitstelle zusätzlich eingerichtet werden.
– Das aktuelle Raumprogramm ist mit den Mindestvorgaben nach BayKiBiG nicht vereinbar. [….]
Aus dem bisher Ausgeführten ergibt sich für die … GmbH, dass eine Umstellung auf einen Hortbetrieb unausweichlich ist und wir die Weiterführung unseres Angebots ab dem kommenden Schuljahr auch nur unter dieser Voraussetzung weiterführen können.“
Demzufolge mag an der Grundschule P* … im streitgegenständlichen Zeitraum zwar ein pädagogisches Konzept bestanden haben, dem ein umfassenderes Betreuungsangebot als eine klassische Mittagsbetreuung zugrunde lag (vgl. Bl. 17 ff. d. Behördenakten). Dieses konnte aber selbst nach Auffassung der … GmbH nicht in dem Maße in die Tat umgesetzt werden, dass die strengen Kriterien des § 22 Abs. 2 und 3 SGB VIII bereits erfüllt worden wären, wie die … GmbH in ihrem Schreiben vom 13. November 2014 (erforderlicher Personalschlüssel in krassem Missverhältnis zur gegenwärtigen Situation; künftige Umstellung auf einen Hortbetrieb unausweichlich) selbst feststellt. Aufgrund dessen erübrigen sich weitere Beweiserhebungen.
Auch die Leiterin der Grundschule P* … hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht lediglich angeben können, dass neben der Hausaufgabenbetreuung verschiedene Projekte nach dem Konzept der Reggio-Pädagogik, orientiert an eigenen Vorstellungen der Kinder, stattgefunden hätten. Hinreichende Anhaltspunkte für die Verwirklichung der im Konzept der … GmbH ausdrücklich vorgesehenen Theaterprojekte, Dokumentationen und Präsentationen (vgl. Bl. 17 ff. d. Behördenakten) hat die Einvernahme der Schulleiterin hingegen nicht erbracht. Ungeachtet dessen hätte neben dem Mittagessen und der Hausaufgabenbetreuung für ein derart anspruchsvolles Angebot auch lediglich ein sehr beschränkter zeitlicher Rahmen zur Verfügung gestanden. Zudem ließ die Personalsituation eine Verwirklichung des anspruchsvollen Konzepts nicht zu.
Von einem umfangreichen Zusatzangebot, das die Annahme der strengen Voraussetzungen des § 22 SGB VIII hätte rechtfertigen können, kann daher im streitgegenständlichen Zeitraum gerade nicht ausgegangen werden, auch wenn es erste positive Ansätze im Hinblick auf eine den Rahmen einer klassischen Hausaufgaben- und Aufenthaltsbetreuung überschreitenden Betreuung gegeben haben mag. Die strengen Voraussetzungen für das Bestehen einer Tageseinrichtung nach § 22 SGB VIII sind damit – wie das Verwaltungsgericht auf der Grundlage des Schreibens der … GmbH zutreffend festgestellt hat – nicht erfüllt worden mit der Folge, dass ein Anspruch auf Übernahme der Kosten der Mittagsbetreuung nach § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII ausscheidet. Ein Konzept, das überwiegend lediglich „auf dem Papier steht“, kann die Annahme der Voraussetzungen des § 22 Absätze 2 u. 3 i.V.m. § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB VIII nicht rechtfertigen.
Auf den vom Verwaltungsgericht darüber hinaus problematisierten Gesichtspunkt des Fehlens einer Betriebserlaubnis nach § 45 SGB VIII kommt es deshalb im Grunde nicht mehr an, wenngleich nicht übersehen werden darf, dass eine solche wegen des beschränkten Raumangebots (siehe hierzu § 45 Abs. 2 Nr. 1, 1. Alt. SGB VIII) nicht hätte erteilt werden können (vgl. hierzu das der Klägerbevollmächtigten laut Sitzungsprotokoll in der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts vom 4. Mai 2016 übergebene Schreiben des Landratsamts Starnberg an die … GmbH vom 2. Februar 2015, Bl. 63 d. VG-Akte). Dieses Schreiben hat insoweit im Wesentlichen folgenden Wortlaut:
„Nach Ihren Informationen besuchen derzeit knapp 50 Kinder die Mittagsbetreuung, wobei über 40 Kinder täglich anwesend sind. […] Die Räumlichkeiten sind sehr beengt. Zur alleinigen Nutzung steht der Mittagsbetreuung ein Raum mit ca. 45 qm zur Verfügung. Einige Klassenräume können nach Schulschluss mitgenutzt werden, wobei dies bei drei Teilzeitkräften zu Problemen mit der Aufsicht führt. […]
Wie im Gespräch schon erörtert, kann in den Ihnen derzeit zur Verfügung stehenden Räumlichkeiten kein Hort eröffnet werden. Für 25 Plätze ist nach dem Raumprogramm für Horte eine Quadratmeterzahl von mindestens 150 qm zuzüglich Sanitärräume notwendig.“
Mit Blick auf die begehrte Kostenerstattung vorübergehend entbehrlich gewesen wäre im Übrigen – wie auch bereits im Beschluss des Senats vom 21. Dezember 2015 – 12 C 15.2352 -, NJW 2016, 1032 (1033) Rn. 15 angedeutet – allenfalls der förmliche Akt der Erlaubniserteilung (vgl. hierzu näher Kepert, Die Zulassung des Betriebs von Einrichtungen i.S.v. § 45 SGB VIII durch behördliche Duldung, JAmt 2014, 186 [187]; Mörsberger, „Betriebserlaubnis light“ durch die Hinter…, JAmt 2014, 294 ff.), nicht aber das Vorliegen der Erteilungsvoraussetzungen selbst. Letzteres wäre eindeutig contra legem und käme schon allein deshalb nicht in Frage. Damit steht der begehrten Kostenerstattung vorliegend zugleich auch das Fehlen der Erlaubniserteilungsvoraussetzungen des § 45 SGB VIII entgegen.
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 i.V.m. § 188 Satz 2 VwGO und ist vorläufig vollstreckbar (§ 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO).
4. Gründe, nach § 132 VwGO die Revision gegen die vorliegende Entscheidung zuzulassen, sind nicht gegeben.


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