Sozialrecht

Leistungen, Bescheid, Widerspruchsbescheid, Pflegeversicherung, Bewilligung, Antragstellung, Pflegegeld, Gutachten, Attest, MDK, Widerspruch, Gerichtsbescheid, Verpflichtungsklage, Hausarzt, Leistungen der Pflegeversicherung, Zeitpunkt der Antragstellung

Aktenzeichen  S 9 P 104/19

Datum:
9.7.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 45593
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage gegen den Bescheid vom 19. Oktober 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 2. Juli 2019 wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

Das Gericht kann durch Gerichtsbescheid entscheiden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der Sachverhalt geklärt ist. Die Beteiligten wurden hierzu gehört, § 105 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die Klage ist form- und fristgerecht erhoben und auch im Übrigen zulässig. Sie erweist sich jedoch als nicht begründet.
Die Klägerin begehrt im Wege einer kombinierten Anfechtungs- und Verpflichtungsklage, den Bescheid vom 19.10.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.07.2019 aufzuheben und den Bescheid vom 09.03.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.10.2017 insoweit abzuändern, als ihr Leistungen nach Pflegegrad 5 bereits ab dem 02.01.2017 gewährt werden.
Die insoweit erstrebte Rücknahme richtet sich nach § 44 SGB X. Danach ist ein im Sinne von § 45 Abs. 1 SGB X nicht begünstigender Verwaltungsakt zurückzunehmen, soweit er rechtswidrig ist. Der Verwaltungsakt ist immer mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen; § 44Abs. 2 Satz 1 SGB X, soweit er noch Rechtswirkungen hat, also noch nicht im Sinne von § 39 Abs. 2 SGB X erledigt ist. Die Rücknahme hat als gebundene Entscheidung für die Vergangenheit zu erfolgen, wenn wegen der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts „Sozialleistungen“ zu Unrecht nicht erbracht oder „Beiträge“ zu Unrecht erhoben worden sind (§ 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Das Gebot zur rückwirkenden Rücknahme gilt nicht in bestimmten Fällen der Bösgläubigkeit. Im Übrigen „kann“ der anfänglich rechtswidrige Verwaltungsakt auch in sonstigen Fällen, also über die Fälle des Abs. 1 Satz 1 hinaus, für die Vergangenheit zurückgenommen werden (§ 44 Abs. 2 Satz 2 SGB X).
Vorliegend wäre der Bescheid vom 19.10.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.07.2019 aufzuheben, wenn der Bescheid vom 09.03.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.10.2017 rechtswidrig wäre. Vorliegend wurden der Klägerin mit Bescheid vom 09.03.2017 und Widerspruchsbescheid vom 24.10.2017 Leistungen nach Pflegegrad 4 bewilligt. Grundlage dieser Bewilligung waren Gutachten des MDK vom 01.03.2017 und 29.05.2017, in denen bei der Klägerin jeweils 87,5 gewichtete Punkte festgestellt wurden. Dieses Ergebnis deckt sich mit den Feststellungen der Pflegesachverständigen Frau G., die in ihrem Sachverständigengutachten vom 21.04.2018 bei der Klägerin ebenfalls 87,5 gewichtete Punkte sowohl zum Zeitpunkt des Hausbesuchs wie auch zum Zeitpunkt der Antragstellung feststellte. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 15.06.2018 wurde vom Bevollmächtigten der Klägerin vorgetragen, dass krankengymnastische Übungen, Einreibungen, Blutdruck und Blutzucker messen sowie die Einhaltung einer speziellen Kost nicht berücksichtigt worden seien.
Im Rahmen des Überprüfungsverfahrens nach § 44 SGB X wurde ein ärztliches Attest von Dr. J. vom 26.06.2018 eingereicht, in dem dieser bestätigt, dass der Bevollmächtigte der Klägerin bei dieser täglich zweimal 30 Minuten Übungen aus dem physiotherapeutischen Formenkreis durchführt, dreimal täglich den Blutzucker und einmal täglich den Blutdruck misst sowie dass die Ernährung der Klägerin diabetesgerecht umgestellt wurde. Weiter wurde bescheinigt, dass zweimal im Monat ein Hausbesuch durch Dr. J. erfolge. Ein zeitlicher Beginn dieser Maßnahmen wurde vom behandelnden Arzt nicht genannt. Im vorangegangenen MDK-Gutachten vom 01.03.2017 wurde im Modul 5 (Bewältigung von und selbstständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen) im Item 4.5.1 die Häufigkeit der Medikation mit dreimal pro Tag sowie im Item 4.5.6 die Messung und Deutung von Körperzuständen mit einmal pro Woche angenommen, sodass sich hier eine Summe von 2 Einzelpunkten und eine Anzahl von 10 gewichteten Punkten ergab. Im darauf folgenden MDK-Gutachten vom 29.05.2017 wurden im Modul 5 weiterhin 10 gewichtete Punkte berücksichtigt. Im Sachverständigengutachten vom 21.04.2018 im Klageverfahren S 9 P 102/17 wurden im Modul 5 von der Gutachterin ebenfalls 10 gewichtete Punkte vergeben. Die Sachverständige setzte die zweimalige Gabe von Medikamenten und die Injektion von Lantus-Insulin einmal täglich sowie Messung und Deutung von Körperzuständen (Messung von Blutdruck und Blutzucker) mit zweimal täglich an. Einreibungen sowie Therapiemaßnahmen in häuslicher Umgebung wurden in keinem der Gutachten angesetzt. Dies deckt sich mit den sowohl im Verfahren S 9 P 102/17 wie auch im Verfahren S 9 P 104/19 eingeholten ärztlichen Befundberichten, in denen jeweils spezielle Therapiemaßnahmen wie z.B. Krankengymnastik als nicht verordnet bzw. nicht erforderlich aufgeführt wurden. Ebenso wurden Einreibungen von keinem der behandelnden Ärzte in einem Befundbericht als über einen längeren Zeitraum verordnet benannt. Insofern konnten hier keine weiteren Einzelpunkte bzw. gewichteten Punkte berücksichtigt werden.
Auch hinsichtlich von Arztbesuchen war eine weitergehende Berücksichtigung von Einzelpunkten bzw. gewichteten Punkten im Modul 5 nicht möglich, da der behandelnde Hausarzt zum einen von durchgeführten Hausbesuchen berichtete, die im Rahmen der Begutachtungsrichtlinie nicht berücksichtigungsfähig sind, zum anderen in den MDK-Gutachten aus dem Jahr 2017 einmal monatlich ein Arztbesuch berücksichtigt wurde bzw. gegenüber der gerichtlichen Sachverständigen mitgeteilt wurde, dass der Hausarzt nicht regelmäßig aufgesucht wird.
Eine weitergehende Berücksichtigung von Einzel- und gewichteten Punkten im Modul 5 war der Beklagten somit nicht möglich, sodass die Ablehnung der Gewährung von Leistungen nach Pflegegrad 5 im Bescheid vom 09.03.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.10.2017 rechtmäßig war. Insofern war auch der Überprüfungsbescheid nach § 44 SGB X vom 19.10.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.07.2019 korrekt.
Die Klage war daher als unbegründet mit der sich aus § 193 SGG ergebenden Kostenfolge abzuweisen.


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