Sozialrecht

Mangel, Mindestgröße von Doppelzimmern, Nutzungsuntersagung, Bewohnerliste, fehlendes Entgegenstehen eines verbeschiedenen Befreiungsantrags, Ermessensfehler

Aktenzeichen  Au 3 K 18.1170

Datum:
23.11.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 40102
Gerichtsart:
VG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Normen:
PfleWoqG Art.13
AVPfleWoqG § 4 Abs. 2
AVPfleWoqG § 50 Abs. 1 S. 2

 

Leitsatz

Tenor

I. Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Beteiligten den Rechtsstreit hinsichtlich der Nutzungsuntersagung der Einzelzimmer mit den Nummern 610 und 611 und der Vorlage darauf bezogener Bewohnerlisten sowie hinsichtlich der Verpflichtung zur Benennung eines Ausweichraumes übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
III. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Gründe

A) Hinsichtlich der Verpflichtung zur Benennung eines Ausweichraums sowie der Nutzungsuntersagung der Einzelzimmer und der Vorlage darauf bezogener Bewohnerlisten war das Verfahren analog § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen, nachdem die Beteiligten den Rechtsstreit insoweit übereinstimmend für erledigt erklärt haben.
B) Im Übrigen ist die Klage, über die die Kammer mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte (§ 101 Abs. 2 VwGO), zulässig, aber nicht begründet. Der angegriffene Bescheid des Landratsamts * vom 12. Mai 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids der Regierung von * vom 14. Juni 2018 ist – soweit er nicht durch Bescheid des Landratsamts * vom 26. Oktober 2021 aufgehoben wurde – rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
I. Die in Nummer 1 des angefochtenen Bescheids ausgesprochene Nutzungsuntersagung begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
1. Rechtsgrundlage des angegriffenen Bescheids des Beklagten ist Art. 13 Abs. 1 Satz 1 PfleWoqG. Es handelt sich insoweit nicht um eine Untersagung des Betriebs nach Art. 15 PfleWoqG, da der Klägerin der Betrieb weder ganz noch in bestimmten Teilen untersagt, sondern lediglich eine geringere Zimmerbelegung mit entsprechenden Nachweispflichten angeordnet wird.
2. Die Anordnung ist formell rechtmäßig. Auf das Einvernehmen mit dem Träger der Sozialhilfe nach Art. 13 Abs. 3 Satz 2 PfleWoqG sowie auf die von der Klägerin vorgetragene fehlende Übereinstimmung mit Vereinbarungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch gem. Art. 13 Abs. 3 Satz 1 PfleWoqG kommt es nicht an, da diese Vorschriften keinen Drittschutz zugunsten der Klägerin entfalten. Das gilt auch für die Beteiligung der in Art. 12 Abs. 4 PfleWoqG genannten Stellen.
3. Die Anordnung ist auch materiell rechtmäßig.
a) Die streitgegenständlichen Zimmer weisen einen Mangel i.S.d. Art. 13 Abs. 1 Satz 1 PfleWoqG auf.
Nach § 4 Abs. 2 Satz 1 AVPfleWoqG muss der Wohnplatz für zwei Personen mindestens einen Wohn-Schlaf-Raum mit einer Wohnfläche von 20 m2 umfassen. Hierbei nicht enthalten sind ein zugehöriger Sanitärraum sowie ein etwaiger Vorraum, auch wenn er nicht baulich abgetrennt ist (§ 4 Abs. 2 Satz 2 AVPfleWoqG). Diese Größenvorgabe wird von den streitgegenständlichen Zimmern nicht erreicht. Ausweislich des von der Klägerin vorgelegten Grundrisses und den im Ortstermin vom 18. August 2021 vorgenommenen Messungen ergibt sich für die streitgegenständlichen Zimmer lediglich eine Fläche von 16,5 m2. Dabei ist der Bereich zwischen dem Eingang des Zimmers und der Schnittkante des Sanitärraums als Vorraum i.S.d. § 4 Abs. 2 Satz 2 AVPfleWoqG anzusehen, der in die gesetzlich geforderte Mindestgröße ausdrücklich nicht einzurechnen ist. Entlang der Längsseite des Sanitärraums befindet sich nur ein Korridor mit einer Breite von 1,85 Metern, der nach 2,39 Metern in den übrigen Raum mündet. Dieser Korridor ist bereits aufgrund seiner geringen Größe, seines Zuschnitts und seiner Lage nicht dazu geeignet, um hier wesentliche Tätigkeiten zu verrichten und so als Teil des Hauptraums zu erscheinen. Vielmehr dient er bei lebensnaher Betrachtung als Durchgangsbereich zwischen der Eingangstüre und dem hinter dem Sanitärraum beginnenden Wohnbereich, der nicht zuletzt aufgrund seiner Möblierung den Schwerpunkt des tatsächlichen Aufenthaltes im Raum bildet. Der streitgegenständliche Bereich hat demgegenüber – für Vorräume typisch – die Funktion einer Bewegungsfläche vor dem Sanitärraum bzw. einer Flur- und Schrankfläche. Das Gericht orientiert sich insoweit an dem Verständnis des Begriffs „Vorraum“, das in den Ausführungen der Obersten Baubehörde im Bayerischen Staatsministerium des Innern für Bau und Verkehr (Bl. 171 ff. d.A. in dem Verfahren Au 3 K 18.896) sowie in dem vergleichbaren § 3 Abs. 3 Satz 2 LHeimBauVO BW zum Ausdruck kommt.
Soweit die Klägerin annimmt, dass sich § 4 Abs. 2 Satz 2 AVPfleWoqG nicht auf den Wohn-Schlaf-Raum in § 4 Abs. 2 Satz 1 AVPfleWoqG und die Wohnflächenberechnung, sondern auf den Wohnplatz beziehe, überzeugt dies nicht. Satz 2 bezieht sich auf die Mindestgröße eines Wohn-Schlaf-Raums, nicht aber auf die Größe eines Wohnplatzes, zu dem auch ein zugehöriger Sanitärraum und ein etwaiger Vorraum zu rechnen sind.
Die streitgegenständlichen Zimmer erfüllen auch nicht etwa deshalb die gesetzlichen Mindestanforderungen, weil im Rahmen der Wohnflächenermittlung qualitativ berücksichtigt werden müsste, dass dem Vorraum eine wichtige Bedeutung für die Privat- und Intimsphäre der Bewohnerinnen und Bewohner zukommt. § 4 Abs. 2 Satz 2 AVPfleWoqG schließt die Berücksichtigung eines Vorraums unabhängig von dessen qualitativen Auswirkungen ausdrücklich aus.
b) Der Pflicht zur Behebung des festgestellten Mangels steht § 50 Abs. 1 Satz 2 AVPfleWoqG nicht entgegen. Zwar hatte die Klägerin zunächst einen Antrag auf Befreiung gestellt und war daher von ihrer Angleichungsverpflichtung bis zur Entscheidung über ihren Antrag zunächst vorläufig befreit. Der Antrag wurde jedoch am 10. Mai 2017, mithin zwei Tage vor dem Erlass des hier angefochtenen Bescheides vom 12. Mai 2017, abgelehnt, so dass zu diesem Zeitpunkt keine vorläufige Befreiung mehr vorlag. Soweit in der Begründung zu § 50 Abs. 1 Satz 2 AVPfleWoqG auf eine bestands- bzw. rechtskräftige Entscheidung abgestellt wird, steht dies im Widerspruch zum klaren Wortlaut der Verordnung, der nur auf die Entscheidung der Behörde als solche abstellt. Für eine einschränkende Auslegung ist angesichts des eindeutigen Wortlauts von § 50 Abs. 1 Satz 2 AVPfleWoqG, in dem die in der Begründung genannte Einschränkung keinen Niederschlag gefunden hat, kein Raum.
c) Durch das Unterschreiten der Mindestgröße ist der Anordnungsgrund der drohenden Beeinträchtigung des Wohls der Bewohnerinnen und Bewohner gegeben.
d) Ermessensfehler liegen nicht vor. Soweit die Klägerin pauschal und ohne konkrete Nachweise einwendet, der Beklagte habe den Bescheid aus bloßer Verärgerung erlassen, handelt es sich um eine unsubstantiierte Behauptung. Sachfremde Erwägungen des Beklagten lassen sich auch unter Berücksichtigung des Gesprächs vom 22. Dezember 2016 nicht erkennen. Insoweit kann dahinstehen, inwieweit sich aus dem hierzu gefertigten Gesprächsvermerk tatsächlich die Absicht des Landratsamts ergibt, auf die Klägerin durch den Entzug von Plätzen Handlungsdruck auszuüben. Streitgegenstand ist der Bescheid des Landratsamts * vom 12. Mai 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids der Regierung von * vom 14. Juni 2018. Dass die Regierung von * sich bei der Ermessensausübung von der Absicht, Handlungsdruck zu erzeugen, hätte leiten lassen, ist weder vorgetragen noch ersichtlich.
Daraus, dass der Beklagte Aspekte der angespannten Bedarfslage (zahlenmäßig ausreichende Pflegeinfrastruktur) und der Kostenlage (sozialverträgliche Entgelte für die gegenwärtigen und zukünftigen Bewohnerinnen und Bewohner sowie für die Gemeinschaft der Pflegeversicherten) nicht berücksichtigt haben soll, kann die Klägerin keine Rechte herleiten, da es sich insoweit um öffentliche bzw. Interessen Dritter handelt. Der Beklagte war auch nicht gehalten, als milderes Mittel zunächst das Verfahren Au 3 K 18.896 abzuwarten. Beide Verfahren sind inhaltlich so eng verknüpft, dass eine parallele Behandlung sachgerecht ist und Verzögerungen angemessen vermeidet.
II. Die in Nr. 3 des angefochtenen Bescheides enthaltene Verpflichtung zur Vorlage einer Bewohnerliste, einer Liste über die Auszüge bzw. Sterbefälle in diesem Zeitraum sowie eines Nachweises der aktuellen Belegung der streitgegenständlichen Doppelzimmer ist als Anordnung zur Durchsetzung und Überwachung der in Nr. 1 angeordneten Mängelbeseitigung ebenfalls von Art. 13 Abs. 1 Satz 1 PfleWoqG erfasst. Zur Rechtmäßigkeit gilt das Vorstehende entsprechend.
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, war über die Kosten gemäß § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO nach billigem Ermessen zu entscheiden. Billigem Ermessen entsprach es vorliegend, der Klägerin trotz Abhilfe durch den Beklagten die Kosten auch für den insoweit erledigten Teil des Verfahrens aufzuerlegen. Dabei war entsprechend § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO zu berücksichtigen, dass die Abhilfe des Beklagten nur einen geringen Teil des Rechtsstreits erfasst hat und die Klägerin im Übrigen unterlegen ist.
IV. Die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.


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