Sozialrecht

Nichtannahmebeschluss: Leistungen nach SGB 2 und Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art 1 Abs 1 GG iVm Art 20 Abs 1 GG) – kein erhöhter Bedarf für Besuch einer Privatschule – anteilige Berücksichtigung von “Schüler-BAföG” als Einkommen iSd § 11 Abs 1 S 1 SGB 2 verfassungsgemäß

Aktenzeichen  1 BvR 2556/09

Datum:
7.7.2010
Rechtsgebiet:
Gerichtsart:
Dokumenttyp:
Nichtannahmebeschluss
ECLI:
ECLI:DE:BVerfG:2010:rk20100707.1bvr255609
Normen:
Art 1 Abs 1 GG
Art 20 Abs 1 GG
Art 3 Abs 1 GG
§ 1 BAföG
§ 11 BAföG
§ 12 BAföG
BAföGVwV
§ 11 Abs 1 S 1 SGB 2
§ 11 Abs 2 Nr 5 SGB 2
§ 11 Abs 3 Nr 1 Buchst a SGB 2
Spruchkörper:
1. Senat 3. Kammer

Verfahrensgang

vorgehend BSG, 17. März 2009, Az: B 14 AS 61/07 R, Urteilvorgehend BSG, 17. März 2009, Az: B 14 AS 62/07 R, Urteilvorgehend BSG, 17. März 2009, Az: B 14 AS 63/07 R, Urteil

Gründe

1
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Anrechnung von Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) auf die
Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II).

I.
2
Die im Februar 1988 geborene Beschwerdeführerin lebte im streitgegenständlichen Zeitraum gemeinsam mit ihrer Mutter und ihren
beiden Geschwistern in einem im Eigentum der Mutter stehenden Einfamilienhaus. Von August 2004 bis Juli 2007 befand sie sich
in einer Ausbildung in einer staatlich anerkannten Berufsfachschule in privater Trägerschaft. Ausweislich des Schulvertrags
war sie verpflichtet, Schulgebühren in monatlichen Raten in Höhe von 55 Euro beziehungsweise (im zweiten Ausbildungsjahr)
65 Euro zu zahlen. Zusätzlich entrichtete sie eine monatliche Aufwandspauschale in Höhe von 70 Euro für Zusatzleistungen des
Schulträgers.

3
Die Beschwerdeführerin bezog im streitgegenständlichen Zeitraum Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz in Höhe
von 192 Euro monatlich. Außerdem bezog sie Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch. Der Leistungsträger berücksichtigte
dabei die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz sowie das Kindergeld in Höhe von 154 Euro monatlich als bedarfsminderndes
Einkommen.

4
Auf die Klagen der Beschwerdeführerin sprachen ihr das Sozialgericht und das Landessozialgericht teilweise höhere Leistungen
nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch zu. Die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz seien nur teilweise als
Einkommen anzurechnen.

5
Die Revisionen des Leistungsträgers hatten teilweise Erfolg. Das Bundessozialgericht entschied, dass die Leistungen nach dem
Bundesausbildungsförderungsgesetz in Höhe von 109,60 Euro monatlich als bedarfsminderndes Einkommen zu berücksichtigen seien
und lediglich ein Betrag in Höhe von 82,40 Euro als zweckbestimmte Einnahme privilegiert sei. Der zweckbestimmte Anteil sei
nicht konkret entsprechend der zweckgebundenen Verwendung durch die Beschwerdeführerin, sondern pauschal zu bestimmen. Mit
der Regelung des § 11 Abs. 3 Nr. 1 Buchstabe a SGB II solle einerseits vermieden werden, dass die besondere Zweckbestimmung
einer Leistung durch die Berücksichtigung im Rahmen des Sozialgesetzbuchs Zweites Buch verfehlt werde. Andererseits solle
die Vorschrift aber auch verhindern, dass für einen identischen Zweck Doppelleistungen erbracht würden. Die Leistungen nach
dem Bundesausbildungsförderungsgesetz dienten sowohl der Deckung des Lebensunterhalts während der Ausbildung als auch der
Deckung der Kosten der Ausbildung selbst. Unter Beachtung von Sinn und Zweck von § 11 SGB II sowie des in § 3 Abs. 3 Satz
1 SGB II normierten Nachranggrundsatzes sei erforderlich, den Anteil der Ausbildungsförderung, der eine Privilegierung nach
§ 11 Abs. 3 Nr. 1 Buchstabe a SGB II erfahre, betragsmäßig einzugrenzen. Dabei könne es nicht auf die subjektive Zweckbestimmung
durch den Empfänger der Leistung ankommen. Für eine Privilegierung sei vielmehr erforderlich, dass sich der Verwendungszweck
im Vorhinein nach objektiver Betrachtung erkennen lasse. Ansonsten würde je nach Ausgabeverhalten des Hilfeempfängers Einkommen
unter Schutz gestellt, das von der objektiven Zweckrichtung her durchaus (auch) der Sicherung des Lebensunterhalts dienen
solle. Im Übrigen werde nur eine pauschale Bestimmung des Ausbildungsanteils den Anforderungen einer Massenverwaltung gerecht.
In der Praxis der Sozialhilfeträger, der sich die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende überwiegend angeschlossen hätten,
sei ausgehend von einer entsprechenden Regelung in den Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum Bundesausbildungsförderungsgesetz
in der Fassung vom 21. Dezember 1990 davon ausgegangen worden, dass eine Pauschale von 20 vom Hundert von den Leistungen nach
dem Bundesausbildungsförderungsgesetz für ausbildungsbedingte Kosten gewährt werde. Die Pauschalierung in einer solchen Größenordnung
sei durchaus nachvollziehbar, da der überwiegende Teil der Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz zur Sicherung
des Lebensunterhalts bestimmt sei. Die Pauschalierung müsse sich allerdings von dem Betrag ableiten, der nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz
insgesamt als bedarfsdeckend angesehen werde. Eine nachvollziehbare Pauschalierung könne sich daher nur von dem durch den
Gesetzgeber des Bundesausbildungsförderungsgesetzes festgesetzten Gesamtbedarf eines Auszubildenden in entsprechender Ausbildungsform
ableiten. Die Pauschale sei vorliegend also ausgehend von dem Betrag zu bestimmen, mit dem ein Berufsfachschüler, der wegen
der Förderfähigkeit der Ausbildung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz nach § 7 Abs. 5 SGB II von Leistungen zur Sicherung
des Lebensunterhalts nach dem SGB II ausgeschlossen sei, seine gesamten Ausbildungskosten decken müsse. Dies seien nach §
12 Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 BAföG in der bis zum 31. Juli 2008 geltenden Fassung 412 Euro. Für die Beschwerdeführerin errechne
sich daraus eine Pauschale für zweckbestimmte Ausbildungskosten in Höhe von 82,40 Euro (20 vom Hundert von 412 Euro). Die
Ausbildungskosten, die über den zweckbestimmten Anteil der Ausbildungsförderung hinaus wegen der Besonderheiten der vorliegenden
Ausbildung angefallen seien, könne die Beschwerdeführerin nicht als mit der Erzielung des Einkommens verbundene notwendige
Ausgaben im Sinne des § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 SGB II vom Einkommen absetzen. Es könnten solche Ausgaben nicht als mit der
Erzielung des Einkommens notwendige Ausgaben abgesetzt werden, die der Art nach bereits bei der Ermittlung des Einkommens
wegen einer besonderen Zweckbestimmung berücksichtigt worden seien. Wenn diese Einnahme nicht erst über den entsprechenden
Mitteleinsatz des Leistungsempfängers ihre Zweckbindung erlangen könne, sondern sich die Zweckbindung nach objektiven Kriterien
bestimmen lassen müsse, könne deshalb eine weitergehende subjektive Zweckbestimmung bei Anwendung des § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr.
5 SGB II keine Beachtung finden.

6
Mit der Verfassungsbeschwerde, die sich ausschließlich gegen die drei Entscheidungen des Bundessozialgerichts – sie betreffen
unterschiedliche Zeiträume, sind ansonsten aber im Wesentlichen identisch – richtet, rügt die Beschwerdeführerin insbesondere
eine Verletzung des Sozialstaatsprinzips, von Art. 1 Abs. 1 GG, Art. 2 GG sowie Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 3 Abs. 1 GG, da
die angegriffenen Entscheidungen ihrem Bedürfnis, eine Fachschulausbildung in einer Schule in privater Trägerschaft zu absolvieren,
nicht hinreichend Rechnung trage. Sie sei im Verhältnis zu vergleichbaren Auszubildenden in schulgeldfreien Ausbildungsstätten
benachteiligt. Das Sozialstaatsprinzip gebiete, dass Schüler und Auszubildende auch Ersatzschulen unabhängig von der wirtschaftlichen
Lage ihrer Eltern besuchen könnten. In diesem Zusammenhang sieht die Beschwerdeführerin auch eine Verletzung von Art. 7 Abs.
4 Satz 3 GG. Sie werde gegenüber Auszubildenden in bemittelten Elternhäusern oder von Auszubildenden an schulgeldfreien Schulen
benachteiligt. Der existenzielle Grundsicherungsbedarf schließe zudem auch das Erfordernis einer Rücklagenbildung ein.

II.
7
Die Verfassungsbeschwerde ist – unbeschadet des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand – nicht zur Entscheidung
anzunehmen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Sie hat keine hinreichende Aussicht
auf Erfolg, weil sie jedenfalls unbegründet ist. Daher ist der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe mangels Erfolgsaussichten
abzulehnen.

8
1. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die Aufwendungen der Beschwerdeführerin für den Besuch der privaten
Berufsfachschule nicht zu einem höheren, bei der Berechnung der Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch zu berücksichtigenden
gesetzlichen Bedarf führen.

9
a) Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip
des Art. 20 Abs. 1 GG enthält einen Anspruch auf die Zurverfügungstellung derjenigen Mittel, die zur Aufrechterhaltung eines
menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich sind (vgl. BVerfGE 82, 60 ; BVerfG, Urteil vom 9. Februar 2010 – 1 BvL
1/09 u. a. -, NJW 2010, S. 505 ). Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin enthält das Grundrecht keinen
Anspruch auf Leistungen zur Rücklagenbildung oder zur Finanzierung der Aufwendungen für den Besuch einer Privatschule. Wenn
die Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein der Bürger sichergestellt sind, liegt es allein in der Entscheidung
des Gesetzgebers, in welchem Umfang darüber hinaus soziale Hilfe gewährt wird (vgl. BVerfGE 17, 210 ; 40, 121 ;
82, 60 ; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 24. Oktober 1991 – 1 BvR 1159/91 -, juris, Rn. 8). Dabei
steht ihm ein weiter Gestaltungsspielraum zu (vgl. BVerfGE 17, 210 ; 82, 60 ).

10
b) Die Bemessung des Existenzminimums, dessen Sicherung Ziel des hier allein als Anspruchsgrundlage in Betracht kommenden
Sozialgesetzbuch Zweites Buch ist (vgl. § 1 Abs. 2 Nr. 2 SGB II), richtet sich ausschließlich nach Art. 1 Abs. 1 in Verbindung
mit Art. 20 Abs. 1 GG, so dass für den Rückgriff auf andere Grundrechte kein Raum ist (vgl. BVerfG, Urteil vom 9. Februar
2010 – 1 BvL 1/09 u. a. -, NJW 2010, S. 505 ). Deswegen sind die von der Beschwerdeführerin vorgetragenen Rügen,
sie sei durch die Nichtberücksichtigung ihrer durch den Besuch der Berufsfachschule entstandenen Kosten in ihren Grundrechten
aus Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 3 Abs. 1 GG verletzt, unbegründet.

11
c) Auch die Regelungen des Art. 7 Abs. 4 und 5 GG berühren die hier streitigen Fragen nicht. Dort sind lediglich die Voraussetzungen
für die Zulassung privater Schulen niedergelegt und der Schutz solcher Institutionen geregelt. Zwar lassen sich hieraus auch
staatliche Förderpflichten gegenüber den Trägern dieser Schulen ableiten (vgl. BVerfGE 75, 40 ; 90, 107 ).
Zur Frage der finanziellen Unterstützung von Schülern solcher Schulen verhält sich diese Vorschrift aber nicht (vgl. BVerwG,
Beschluss vom 4. Februar 1982 – 7 B 143/81 -, NVwZ 1982, S. 441 f.; BVerwG, Urteil vom 13. August 1992 – 5 C 70/88 -, NVwZ
1993, S. 691 ).

12
2. Die Berücksichtigung von Einkommen bei der Feststellung der Hilfebedürftigkeit und bei der Berechnung der zustehenden Leistungen
nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 9 Abs. 1, § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II ist mit dem Grundgesetz vereinbar (vgl. zur Anrechnung
des Kindergelds als Einkommen BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 11. März 2010 – 1 BvR 3163/09 -, juris,
Rn. 6 ff.).

13
a) Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip
des Art. 20 Abs. 1 GG) wird durch die Anrechnung von Einkommen nicht verletzt. Dieses Grundrecht greift dann ein, wenn und
soweit andere Mittel zur Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums nicht zur Verfügung stehen (vgl. BVerfG, Urteil
vom 9. Februar 2010 – 1 BvL 1/09 u. a. -, NJW 2010, S. 505 ; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats
vom 7. April 2010 -1 BvR 688/10 -, n.v.). Die Verfassung gebietet nicht die Gewährung von be-darfsunabhängigen, voraussetzungslosen
Sozialleistungen. Der Gesetzgeber hat vielmehr einen weiten Spielraum, wenn er Regelungen darüber trifft, ob und in welchem
Umfang bei der Gewährung von Sozialleistungen, die an die Bedürftigkeit des Empfängers anknüpfen, sonstiges Einkommen des
Empfängers auf den individuellen Bedarf angerechnet wird (vgl. BVerfGE 100, 195 ).

14
Es bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung, ob und in welchem Umfang die Privilegierung von bestimmten Einnahmen,
wie sie § 11 Abs. 3 SGB II vorsieht, verfassungsrechtlich geboten ist. Jedenfalls ist es nicht wegen Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung
mit Art. 20 Abs. 1 GG erforderlich, dass solche Einnahmen von der Berücksichtigung als Einkommen ausgenommen sind, auf die
der Hilfebedürftige zur Deckung seines Existenzminimums tatsächlich zurückgreifen kann. Aus verfassungsrechtlicher Sicht ist
es notwendig, aber auch ausreichend, dass das Existenzminimum gedeckt werden kann, ohne dass es auf den Rechtsgrund der Einnahme
oder die subjektive Verwendungsabsicht des Hilfebedürftigen ankäme.

15
Es kann dahinstehen, ob es andere freiheitsrechtliche Vorgaben in bestimmten Konstellationen gebieten, bestimmte Sozialleistungen
von der Einkommensanrechnung auszunehmen. Dies könnte dann notwendig sein, soweit anderenfalls etwaige verfassungsrechtliche
Leistungsansprüche aufgrund der Einkommensanrechnung im Rahmen des Sozialgesetzbuchs Zweites Buch de facto nicht erfüllt würden.
Dies ist hier jedoch nicht das Fall, weil jedenfalls der Besuch einer privaten Ausbildungseinrichtung nicht von Verfassungs
wegen durch die Gewährung staatlicher Mittel ermöglicht oder erleichtert werden muss.

16
b) Grundrechtlicher Prüfungsmaßstab ist ansonsten nur Art. 3 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 17, 210 ; 100, 195 ).

17
aa) Wird durch eine Norm eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten verschieden behandelt, obwohl
zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung
rechtfertigen könnten, verletzt sie den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 100, 195 ; 107,
205 ; 109, 96 ; stRspr). Art. 3 Abs. 1 GG gebietet, dass hinsichtlich der Ungleichbehandlung an ein sachlich gerechtfertigtes
Unterscheidungsmerkmal angeknüpft wird. Je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmal ergeben sich aus dem allgemeinen
Gleichheitssatz unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an
Verhältnismäßigkeitsgrundsätze reichen (vgl. BVerfGE 97, 271 ; 99, 367 ; 107, 27 m.w.N.). Auf dem Gebiet des
Sozialrechts ist dem Gesetzgeber eine besonders weite Gestaltungsfreiheit zuzugestehen (vgl. BVerfGE 17, 210 ; 77, 84
; 81, 156 ; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 24. Oktober 1991 – 1 BvR 1159/91 -, juris, Rn.
8). Rechtfertigender Grund für eine Ungleichbehandlung kann dabei insbesondere der Nachrang von Sozialleistungen, zu dem auch
der Einsatz anderweitigen Einkommens gehört, sein (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 24. Oktober 1991
– 1 BvR 1159/91 -, juris, Rn. 9).

18
Daraus folgt, dass der Gesetzgeber gleichartige Einnahmen bei verschiedenen Personengruppen nicht unterschiedlich der Einkommensanrechnung
unterwerfen darf, ohne dass hierfür ein nach Art und Gewicht bestehender Unterschied besteht, der die ungleiche Behandlung
rechtfertigt. Dabei kann auch dem Gesichtspunkt der Verwaltungspraktikabilität bei der Regelung von Massenerscheinungen eine
besondere Bedeutung für die Rechtfertigung von Ungleichbehandlungen zukommen (vgl. BVerfGE 100, 195 ). Art. 3 Abs. 1
GG ist hingegen bereits nicht einschlägig, wenn verschiedenartige Einnahmen bei der Einkommensanrechnung unterschiedlich berücksichtigt
werden.

19
bb) § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II verletzt bei der hier in Rede stehenden Anrechnung des sogenannten Schüler-BAföG Art. 3 Abs.
1 GG nicht. Die von der Beschwerdeführerin behauptete Ungleichbehandlung liegt nicht vor.

20
Die Beschwerdeführerin wird durch die Anrechnung von Einkommen nicht anders behandelt als Auszubildende, die Leistungen nach
dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch beziehen und eine schulgeldfreie Schule besuchen. Die Einkommensanrechnung erfolgt in beiden
Fällen in gleicher Weise. Die gesetzliche Regelung differenziert hier nicht. Unterschiedlich ist lediglich das diesbezügliche
Ausgabeverhalten, das aber nicht von staatlicher Seite kompensiert werden muss.

21
Die Beschwerdeführerin wird auch gegenüber bemittelten Auszubildenden nicht schlechter behandelt. Personen, die über hinreichendes
Einkommen beziehungsweise Vermögen verfügen, erhalten weder Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch noch Leistungen
nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz. Die Beschwerdeführerin wird gegenüber diesen Personengruppen durch die Gewährung
staatlicher Leistungen vielmehr privilegiert. Dies gilt auch mit Blick auf diejenigen Personen, die nur Leistungen nach dem
Bundesausbildungsförderungsgesetz erhalten. Diese müssen – anders als die Beschwerdeführerin – ihren Lebensunterhalt, soweit
er nicht durch die Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz gedeckt werden kann, aus eigenen Mitteln finanzieren.

22
3. Das Bundessozialgericht hat die maßgeblichen Vorschriften auch in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise angewendet.

23
a) Das Bundesverfassungsgericht prüft – abgesehen vom Willkürverbot – insofern nur, ob eine angegriffene Entscheidung Auslegungsfehler
erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung eines Grundrechts, insbesondere vom Umfang
seines Schutzbereiches beruhen und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den Rechtsfall von einigem Gewicht sind (vgl. BVerfGE
97, 12 ; BVerfGK 6, 46 ; 10, 13 ; 10, 159 ; stRspr).

24
b) Solche Fehler sind hier nicht ersichtlich. Das Bundessozialgericht hat die mit Verfassungsrecht in Einklang stehenden Vorschriften
des einfachen Rechts angewendet, ohne dass dies verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen würde.

25
Dies gilt insbesondere mit Blick auf Art. 1 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG. Das Bundessozialgericht durfte nach
dem oben Ausgeführten davon ausgehen, dass ein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums nur besteht, soweit
andere Mittel nicht zur Verfügung stehen. Solche Mittel waren hier jedoch in Gestalt der Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz
verfügbar. Durch diese Leistungen einerseits und die gekürzte Regelleistung andererseits hat die Beschwerdeführerin im Ergebnis
sogar mehr staatliche Leistungen erhalten, als aufgrund § 20 Abs. 2 Satz 2, § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II im streitgegenständlichen
Zeitraum gesetzlich vorgesehen waren, weil die Anrechnung der Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz in den
angegriffenen Entscheidungen nur teilweise erfolgte.

26
Die Auffassung des Bundessozialgerichts, dass die mit dem Besuch der Privatschule verbundenen Aufwendungen nicht gemäß § 11
Abs. 2 Nr. 5 SGB II das zu berücksichtigende Einkommen mindern, weil nicht auf diesem Weg das Gebot, den Anteil der zweckbestimmten
Einnahmen nach objektiven Maßstäben festzulegen, umgangen werden darf, ist vertretbar und damit nicht willkürlich, so dass
auch dies keinen verfassungsrechtlichen Bedenken unterliegt.

27
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.


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