Sozialrecht

Rehabilitationssport

Aktenzeichen  L 4 KR 399/14

Datum:
20.6.2017
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2017, 117802
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB V § 1 S. 2, § 11 Abs. 2, § 13 Abs. 3, § 43 Abs. 1 Nr. 1
SGB IX § 44 Abs. 1 Nr. 3

 

Leitsatz

1 Anspruch auf Rehabilitationssport besteht je nach im Einzelfall bestehender Schwere der gesundheitlichen Beeinträchtigungen bei Berücksichtigung des Rehabilitationszwecks eines Gemeinschaftserlebnisses, mit vergleichbar Betroffenen Sportliches leisten zu können. (Rn. 32) (redaktioneller Leitsatz)
2 Kriterien der Einzelfallprüfung sind die besonderen Belange behinderter und chronisch kranker Menschen bzw. ihre besonderen Anliegen zur Förderung ihrer Selbstbestimmung und ihrer gleichberechtigten Teilhabe. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
3 Eine Rahmenvereinbarung ist grundsätzlich nicht geeignet, Reha-Bedürftigen eigenständig und gegen die gesetzlichen Vorgaben einen höchstzulässigen Leistungsumfang festzulegen. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
4 Weil Reha-Sport und Vereins- oder VHS-Gymnastik fließend ineinander übergehen können, ist eine ärztliche Betreuung und Überwachung iSd § 44 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX erforderlich, welche im Falle eines vom Rehasportverein kalkulierten Unkostenbeitrages von 5,00 EUR je Übungseinheit anzuzweifeln ist. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 4 KR 218/12 2014-08-01 Urt SGLANDSHUT SG Landshut

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten werden das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 1. August 2014 aufgehoben und die Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 18. April 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 1. Juni 2012 abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten ist zulässig. Das Sozialgericht hat die Berufung zugelassen. Hieran ist der Senat gebunden. Sie ist auch begründet.
Der Senat konnte in Abwesenheit des Klägers bzw. dessen Prozessbevollmächtigten entscheiden, da dieser ordnungsgemäß geladen war und in der Ladung auf die Möglichkeit der Entscheidung auch im Falle des Ausbleibens hingewiesen wurde (§§ 110, 126, 132 SGG).
Der Kläger begehrte Kostenerstattung nach §§ 13 Abs. 3 S. 1 Alt. 2 i.V.m. §§ 11 Abs. 2 S. 1 letzter Fall, 43 Abs. 1 SGB V, 44 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX für seine Teilnahme am Rehabilitationssport in der Gruppe in Höhe von 250.- EUR. Dies hat ihm das Sozialgericht in dem von der Beklagten angefochtenen Urteil zugesprochen. Aufgrund der Bestätigung des TSV A-Stadt vom 21. Dezember 2016 sind verauslagte Kosten des Klägers für die Teilnahme in den Jahren 2012 und 2013 in Höhe von lediglich 224.- EUR und somit nicht von 250.- EUR nachgewiesen.
Soweit das Sozialgericht den darüber hinausgehenden Betrag in Höhe von 26.- EUR zugesprochen hat, ist die Berufung bereits mangels tatsächlich vom Kläger geleisteter Kosten begründet.
Die Berufung ist aber auch darüber hinaus begründet.
Der Kläger hat an dem Reha-Sport bereits teilgenommen und die Kosten an den TSV A-Stadt als Ausführenden beglichen; es kommt nur ein Kostenerstattungsanspruch gemäß den Voraussetzungen des § 13 Abs. 3 SGB V in Betracht – da die Beklagte den Antrag auf Kostenübernahme mit dem streitgegenständlichen Bescheid ablehnte, hier in Form der zweiten Fallvariante: „zu Unrecht abgelehnt“. § 11 Abs. 2 S. 1 SGB V regelt einen Anspruch auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sowie auf unterhaltssichernde und andere ergänzende Leistungen, die notwendig sind, um eine Behinderung abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern, auszugleichen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder ihre Folgen zu mindern. Diese Leistungen werden unter Beachtung des SGB IX erbracht, soweit im SGB V nichts anderes bestimmt ist (§ 11 Abs. 2 S. 3 SGB V). Die Krankenkasse kann neben den Leistungen, die nach § 44 Abs. 1 Nrn. 2 bis 6 SGB IX sowie nach § 53 und § 54 SGB IX als ergänzende Leistungen zu erbringen sind, weitere Leistungen zur Rehabilitation ganz oder teilweise erbringen oder fördern, um das Ziel der Rehabilitation zu erreichen oder zu sichern. Dies gilt zum einen, wenn zuletzt die Krankenkasse Krankenbehandlung geleistet hat oder leistet sowie wenn die Leistungen zur Rehabilitation nicht zu den Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben oder zu den Leistungen zur allgemeinen sozialen Eingliederung gehören (§ 43 Abs. 1 Nr. 1 SGB V). § 44 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX sieht als ergänzende Leistung u.a. zur medizinischen Rehabilitation, welche die in § 6 Abs. 1 Nrn. 1 bis 5 SGB IX genannten Reha- -Träger (die Beklagte gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX) zu erbringen haben, „ärztlich verordneten Rehabilitationssport in Gruppen unter ärztlicher Betreuung und Überwachung“ vor. (zum Ganzen: BSG, Urteil vom 2. November 2010, a.a.O. – juris Rn. 12). Dabei besteht ein Rechtsanspruch auf die ergänzende Leistung „Reha-Sport in Gruppen“; die Regelungen zu den ergänzenden Leistungen zur Reha finden auch im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung Anwendung (siehe hierzu: BSG, a.a.O., Rn. 13). Die Leistung muss im Einzelfall geeignet, notwendig und wirtschaftlich sein (§ 11 Abs. 2 S. 1, § 43 Abs. 1 SGB V i.V.m. § 44 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX, § 12 Abs. 1 SGB V; BSG, a.a.O., Rn. 15). Vorliegend zielt die Verordnung des Dr. H. vom 8. Februar 2012 sowie der Antrag des Klägers ausdrücklich nicht auf eine Kostenübernahme für Funktionstraining, sondern auf Reha-Sport ab. Diese Differenzierung wird gerade auch in dem Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 1. Juni 2012 nicht hinreichend deutlich, in dem zum einen die Normen für „ergänzende Leistungen“ benannt werden, zum anderen aber in der Begründung auf Funktionstraining abgestellt wird. Allerdings ergibt sich hieraus nicht eine formelle Rechtswidrigkeit des Bescheides in der Gestalt des Widerspruchsbescheides, da die Auslegung des Tenors ergibt, dass die Kostenübernahme für Reha-Sport insgesamt abgelehnt wurde.
In der o.g. Entscheidung weist das BSG auf den Unterschied zwischen Funktionstraining und Reha-Sport in Gruppen wie folgt hin:
„Die Sachlage bei der vom Gesetz von vornherein nicht nur als “Reha-Sport”, sondern ausdrücklich als Reha-Sport “in Gruppen unter ärztlicher Betreuung und Überwachung” bezeichneten ergänzenden Leistung unterscheidet sich von derjenigen des Funktionstrainings in wesentlicher Hinsicht und kann folglich auch unterschiedlich geartete Ansprüche auslösen und in Bezug auf die “Notwendigkeit” anders beurteilt werden. Das Gesetz misst bereits durch die Leistungskennzeichnung der Betätigung behinderter Menschen gerade in einer rehabilitationsorientierten Sportgruppe einen besonderen Stellenwert im Zusammenhang mit ihren Auswirkungen auf die physische und psychische Gesundheit bei, der über denjenigen des gesundheitlichen Nutzens allgemeinen Sporttreibens und sinnvoller regelmäßiger körperteilbezogener gymnastischer Übungen hinausgeht. Die Hervorhebung des Sports “in Gruppen” beruht hier offensichtlich auf der Erkenntnis, dass für behinderte Menschen – zumal für Menschen, die wie der Kläger in jungen Jahren auf einen Rollstuhl angewiesen sind – häufig nur eine begrenzte Zahl von Sportarten in Betracht kommen wird (vgl. hierzu allgemein die in Nr. 5 bis 5.3 Rahmenvereinbarung 2003 hervorgehobenen Reha-Sportarten). Insoweit wirkt gerade das Gemeinschaftserlebnis, mit anderen vergleichbar Betroffenen Sportliches leisten zu können, in besonderer Weise rehabilitativ. Selbst die Rahmenvereinbarung 2003 enthält teilweise bereichsspezifische Regelungen für “Reha-Sport„einerseits (Nr. 2 bis 2.5, 4, 4.2, 4.4.2, 4.4.3, 4.6, 5 bis 5.3, 8 bis 8.8, 10 bis 10.3, 12 bis 12.2, 13 bis 13.3) und “Funktionstraining„andererseits (Nr. 3 bis 3.4, 4.4.4, 6, 9 bis 9.8, 11 bis 11.4, 14 bis 14.4). Entsprechend wäre im Falle des Klägers auch gar nicht einmal erkennbar, auf welche von ihm nur als Einzelperson zu betreibende und dem Reha-Sport in einer Gruppe gleichwertige sportliche Alternative – zumal “unter ärztlicher Betreuung und Überwachung„- er zumutbar verwiesen werden könnte, insbesondere dann, wenn sein Revisionsvorbringen zutreffen sollte, dass es bislang wesentlich auch um die Teilnahme am Rollstuhlbasketballsport ging.“ (BSG, a.a.O., Rn. 18).
Einen wesentlichen Unterschied in der Folge der Differenzierung hat das BSG in dem Urteil dargelegt: „Während beim “Funktionstraining in Gruppen unter fachkundiger Anleitung und Überwachung„in Betracht kommt, dass der Betroffene nach Erlernen von Übungen in der Gruppe (z.B. Wassergymnastik) nach bestimmter Zeit der fachkundigen Anleitung und Überwachung in der Lage ist, derartige Übungen auch eigenständig durchzuführen und einer gruppenweise durchgeführten Maßnahme nicht mehr bedarf, gilt das nicht in gleicher Weise für den Reha-Sport in Gruppen.“ (BSG, a.a.O., Rn. 17).
Das Sozialgericht hat diese Unterscheidung berücksichtigt und ist von einem Anspruch auf eine ergänzende Leistung Reha-Sport ausgegangen. Nur hierüber hat der Senat im Rahmen des Berufungsverfahrens zu entscheiden.
Der beantragte Reha-Sport ergänzte gemäß der vorliegenden Verordnung die ärztliche Behandlung des Klägers. Bei diesem bestehen ein Wirbelsäulenleiden sowie inzwischen auch eine starke Arthrose im Hüftgelenk, zwei versteifte Rückenwirbel sowie laut MRT-Bericht vom 15. Januar 2014 starke Verschleißerscheinungen an der HWS. Nach der unbestrittenen Darlegung des Klägers befindet er sich daher seit Jahren in hausärztlicher Behandlung sowie wegen Zunahme der Gesundheitsbeeinträchtigungen seit Dezember 2013 in orthopädischer Behandlung und in weiterer krankengymnastischer Behandlung – letztmalig wurden im streitigen Zeitraum im August 2013 auch Leistungen der physikalischen Therapie wegen Wirbelsäulenleidens beantragt. Umstritten ist, ob der Reha-Sport in Gruppen beim Kläger medizinisch notwendig war. Abzustellen ist dabei allerdings nicht auf die aktuellen Gesundheitsbeeinträchtigungen, sondern auf die in den streitbefangenen Jahren 2012 und 2013.
Das Vorbringen der Beklagten, dass das Sozialgericht die Geeignetheit, Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit in seiner Entscheidung nicht geprüft habe, ist nicht zutreffend. Vielmehr berief sich das Sozialgericht ausdrücklich auf den festgestellten Einzel-GdB sowie – in allgemeiner Form – auf die Äußerungen des Dr. H. und die Stellungnahmen des MDK. Soweit das Sozialgericht aber ausführte, dass die Notwendigkeit im Sinn des § 11 Abs. 2 Satz 1 SBG V nicht gleichzusetzen sei mit der zwingenden Erforderlichkeit des Reha-Sports in Gruppen, sondern es generell ausreiche, dass die Teilnahme des Versicherten am Reha-Sport in Gruppen im Hinblick auf das Behandlungsziel medizinisch sinnvoll und empfehlenswert sei, folgt der Senat dem nicht ausnahmslos. Abzustellen ist vielmehr auf den Einzelfall und hierbei auf den Schweregrad der Beeinträchtigungen unter Berücksichtigung des rehabilitativen Zwecks des Gemeinschaftserlebnisses, mit anderen vergleichbar Betroffenen Sportliches leisten zu können (vgl. auch § 1 SGB IX).
Das BSG berücksichtigte bei der Frage der medizinischen Notwendigkeit in Abgrenzung zu der auch von der Beklagten vorgebrachten Argumentation, der Reha-Sport solle nur bloße „Hilfe zur Selbsthilfe“ bezwecken und sei nicht auf Dauer angelegt, gerade auch die besonderen Belange behinderter und chronisch kranker Menschen bzw. die besonderen Anliegen, behinderten Menschen zur Förderung ihrer Selbstbestimmung und gleichberechtigten Teilhabe besondere Rechte zu gewähren (§ 10 SGB I, § 1 SGB IX) wie ein Wunsch- und Wahlrecht nach § 33 SGB I (BSG, Urteil vom 2. November 2010, a.a.O., Rn. 16). Dabei muss in jedem Fall eine Einzelfallprüfung erfolgen. Vor diesem Hintergrund ist im Hinblick auf die ergänzende Leistung zwar nicht der Stellungnahme des MDK vom 18. Mai 2012 zu folgen, der bei seiner Ablehnung maßgeblich von einer Hilfe zur Selbsthilfe ausgegangen ist, die durch die vergangenen Reha-Sport-Bewilligungen bereits geleistet worden sei. Der Kläger hatte in der Vergangenheit (2004/2005 und 2007) bereits eine Kostenübernahme für die Teilnahme am Reha-Sport erhalten. Vor diesem Hintergrund hat die Beklagte auf die „Rahmenvereinbarung über den Rehabilitationssport und das Funktionstraining“ (vom 1. Januar 2011) verwiesen. Allerdings richtet sich ein Rechtsanspruch des Klägers allein nach den gesetzlichen Vorschriften. Eine Rahmenvereinbarung ist grundsätzlich “nicht geeignet, eigenständig und gegen die gesetzlichen Vorgaben einen höchstzulässigen Leistungsumfang für Reha-bedürftige Leistungsberechtigte in Bezug auf ergänzende Leistungen zu begründen (BSG, a.a.O., Rn. 14 unter Bezugnahme auf BSG, SozR 4-2500 § 43 Nr. 1 Rn. 31 ff).
Insgesamt ergibt sich aber, dass die gesundheitlichen Beeinträchtigungen des Klägers im orthopädischen Bereich zumindest zum damaligen Zeitpunkt noch wenig ausgeprägt waren und weitgehend altersentsprechend waren. Die Stellungnahmen des MDK gehen auf die gesundheitlichen Einschränkungen des Klägers nicht weiter ein; eine schwere Mobilitätsbehinderung wird allerdings offensichtlich nicht angenommen, eine außergewöhnliche Gesundheitsstörung entsprechend der Sonderregelung in der Rahmenvereinbarung zur Durchführung von Reha-Sport verneint. Jedoch sei zur weiteren Verbesserung bzw. zum Erhalt der Beweglichkeit, Koordination und Stabilisierung der stützenden Muskulatur eine regelmäßige Beübung auch weiterhin empfehlenswert.
In der Stellungnahme vom 17. Mai 2013 kommt der MDK zu dem Ergebnis, dass sich aus den vorliegenden Unterlagen nicht ableiten lasse, dass zum Erreichen der aufgeführten Behandlungsziele zwingend die Weiterführung von Reha-Sport in der Gruppe erforderlich sei. Durch die verordnungsbegründende Diagnose „WS-Leiden“ drohe weder eine Behinderung oder Pflegebedürftigkeit noch liege diese vor. Ein dem Reha-Sport gleichwertiger Effekt sei mit regelmäßigen Übungsstunden im Sportverein zu erzielen. Nach Ansicht des MDK ist ein rückenzentriertes Training in Eigenregie oder in anderer Form wie z.B. in Gymnastikgruppen im Sportverein, VHS etc. ausreichend. Dem schließt sich der Senat an. Der Kläger ist Jahrgang 1947. Nach der Verordnung liegen degenerative Wirbelsäulenleiden und eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung vor. Der Reha-Sport soll zur Stärkung der Rumpfmuskulatur dienen. Rehabilitationsziel ist die „Erhaltung der Beweglichkeit“. Der GdB nach dem Schwerbehindertenrecht betrug 20, wobei vor allem eine Hirnschädigung mit einem Einzel-GdB von 20 maßgeblich war, und beträgt 30 seit 2014. Der Kurs war als Trockengymnastik konzipiert und fand einmal wöchentlich für eine Stunde statt. Eine ärztliche Betreuung war nicht vor Ort, jedoch in Rufbereitschaft.
Beim Kläger lag zwar eine gewisse gesundheitliche Einschränkung bzw. Behinderung vor, diese war jedoch nicht stark ausgeprägt. Der Einzel-GdB für die 2012/2013 maßgeblichen Wirbelsäulenbeschwerden betrug nur 10. Erst ab 2014 wurde ein Einzel-GdB von 20 hierfür festgesetzt und ein Einzel-GdB von 10 für das neu aufgetretene Hüftleiden. Rehabilitationsgrund und -ziel sind vom verordnenden Arzt sehr allgemein gehalten. Eine orthopädische Behandlung fand offensichtlich erst seit Dezember 2013 statt, so dass auch der Leidensdruck nicht stark war. Nach Aktenlage hat sich erst in der 2. Jahreshälfte 2013 auch eine gewisse Verschlechterung der gesundheitlichen Situation ergeben.
Der Übergang zwischen Reha-Sport und allgemeiner Wirbelsäulengymnastik in einem Sportverein oder der VHS ist fließend. Eine ärztliche Betreuung fand während der Gymnastikstunden nicht statt. Nach § 44 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX ist jedoch eine „ärztliche Betreuung und Überwachung“ erforderlich. Die ständige, persönliche Anwesenheit eines Arztes während der Übungsveranstaltung ist jedoch nur bei Rehabilitationssport in Herzgruppen erforderlich (so auch die Rahmenvereinbarung über den Rehabilitationssport und das Funktionstraining vom 1. Januar 2011, Pkt. 12.2). Vorliegend bestand nach Angaben des TSV A-Stadt aber eine Rufbereitschaft. Offen ist, ob eine Betreuung der Rehabilitationssportgruppe durch einen Arzt in Form von Beratung erfolgte. Dies muss aufgrund der Kalkulation des Vereins (Vergütung von 5.- EUR je Übungseinheit) angezweifelt werden.
Die gesundheitlichen Einschränkungen des Klägers sind auf keinen Fall mit denen des vom BSG (a.a.O.) entschiedenen Falls eines jungen Mannes mit Querschnittslähmung nach Frakturen der BWS-Körper und Spastik der unteren Extremitäten vergleichbar. Dass sich auch nach dieser Entscheidung die Notwendigkeit einer Prüfung des Einzelfalls vor allem bzgl. der medizinischen Notwendigkeit ergibt, wurde oben dargelegt. Da eine Einzelfallprüfung notwendig ist, ist auch ein Eingehen auf die im Berufungsverfahren vom Kläger vorgelegten erstinstanzlichen Entscheidungen verschiedener Sozialgericht entbehrlich. Ganz überwiegend lagen diesen Entscheidungen jedenfalls erhebliche Gesundheitsbeeinträchtigungen wie Querschnittslähmungen, Herzinfarkt oder Parkinsonerkrankung zugrunde, die auch nach Einschätzung des Senats grundsätzlich zu einer Reduzierung der Anforderungen an die rein medizinische Notwendigkeit des Reha-Sports führen können. Es ist im Falle des Klägers nicht erkennbar, dass gerade das Gemeinschaftserlebnis, mit anderen vergleichbar Betroffenen Sportliches leisten zu können, in besonderer Weise rehabilitativ wirkt. Vielmehr betreibt der Kläger eine Wirbelsäulengymnastik wie tausende andere Personen in seinem Alter in Sportvereinen, den Volkshochschulen oder in privaten Fitnessstudios. Es bestand daher kein Anspruch auf Kostenübernahme für die ergänzende Leistung Rehabilitationssport in Gruppen.
Soweit die Beklagte den Anspruch unter dem Gesichtspunkt des Funktionstrainings abgelehnt hat, übernahm sie die Argumentation des MDK, dass der KIäger unter Berücksichtigung seiner konkret vorliegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen aufgrund der vor-angegangenen, übernommenen Trainingseinheiten in der Lage war, die Übungen eigenständig durchzuführen. Dies ist nicht zu beanstanden, da auch das BSG beim Funktionstraining in Gruppen unter fachkundiger Anleitung und Überwachung darauf hinweist, dass der Betroffene nach Erlernen von Übungen in der Gruppe nach bestimmter Zeit der fachkundigen Anleitung und Überwachung in der Lage ist, derartige Übungen auch eigenständig durchzuführen und einer gruppenweise durchgeführten Maßnahme nicht mehr bedarf (BSG, a.a.O., Rn. 17).
Die Genehmigungsfiktion des § 13 Abs. 3 a SGB V greift vorliegend nicht. Der Antrag des Klägers ist am 24. Februar 2012 bei der Beklagten eingegangen. Die Regelung des Absatz 3 a wurde jedoch erst durch Gesetz vom 20. Februar 2013 (BGBl. I S. 277) eingefügt.
Der Berufung der Beklagten war daher statt zu geben. Das Urteil des Sozialgerichts war deshalb aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).


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