Sozialrecht

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Aktenzeichen  S 10 R 606/19

Datum:
30.6.2021
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2021, 53459
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Landshut
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig.
Die Klage ist jedoch nicht begründet.
Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid vom 01. Juli 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03. September 2019 mit dem es die Beklagte abgelehnt hat, der Klägerin eine Rente wegen Erwerbsminderung über den 30. November 2019 hinaus zu zahlen.
Der Bescheid der Beklagten ist nicht zu beanstanden. Der Klägerin steht kein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung gemäß § 43 Abs. 2 SGB VI mehr zu und auch kein Anspruch auf eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung (§ 43 Abs. 1 SGB VI) bzw. teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 Abs. 1, 2 SGB VI).
Gem. § 43 Abs. 1, 2 SGB VI haben Versicherte bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres Anspruch auf Rente wegen teilweiser bzw. voller Erwerbsminderung, wenn sie
1.teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind,
2.in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben,
3.vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Teilweise bzw. voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs bzw. drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Erwerbsgemindert ist gem. § 43 Abs. 3 SGB VI nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen.
Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung haben bei Erfüllung der sonstigen Voraussetzungen bis zur Vollendung des 65. Lebensjahres auch Versicherte, die vor dem 02. Januar 1961 geboren und berufsunfähig sind (§ 240 Abs. 1 SGB VI).
Keiner dieser Ansprüche steht der Klägerin zu. Dies steht zur Überzeugung des Gerichts nach dem Abschluss der Beweisaufnahme fest. Das Gericht legt seiner Entscheidung die schlüssig begründeten Sachverständigengutachten von Dr. F. vom 31. März 2021 und von Dr. G. vom 10. Mai 2021 zu Grunde. Es wurden in beiden Gutachten die vorliegenden medizinischen Unterlagen ausgewertet, es wurde die Klägerin von beiden Sachverständigen persönlich untersucht und es wurden die diagnostizierten Gesundheitsstörungen für die Kammer nachvollziehbar sozialmedizinisch bewertet.
Die Sachverständige Dr. F. hat folgende Gesundheitsstörungen festgestellt:
– Paranoide Schizophrenie mit episodischem Verlauf, derzeit remittiert ohne psychopharmakologische Medikation.
– Verdacht auf Ieichtgradiges schizophrenes Residualsyndrom mit leichter Störung im Bereich von Affekt und Psychomotorik,
– differentialdiagnostisch prämorbide Auffälligkeiten der Persönlichkeitsstruktur
– Chronisches Schmerzsyndrom vorwiegend bei orthopädischen Gesundheitsstörungen mit Hinweisen auf eine somatoforme Überlagerung
– Hüftgelenksarthrose beidseits,
– Arthrose des oberen Sprunggelenks links,
– lendenwirbelsäulenabhängige Beschwerden bei degenerativen Veränderungen und Bandscheibenschäden (derzeit ohne Hinweis auf belangvolle Nervenwurzelschädigungen),
– mediale Kniearthrose rechts.
Mit diesen Gesundheitsstörungen ist die Klägerin noch in der Lage seit dem 01. Dezember 2019, also nach dem Ablauf der befristeten Rente wegen Erwerbsminderung täglich mindestens sechs Stunden leichte Arbeiten in Tagesschicht, ohne besondere Anforderungen an die psychische Belastbarkeit, ohne erhöhten Zeitdruck, ohne Arbeiten mit Steuerung und Überwachung komplexer Arbeitsvorgänge und ohne Arbeiten ausschließlich im Stehen und Gehen regelmäßig zu verrichten. Die qualitativen Einschränkungen der Klägerin werden voraussichtlich bestehen bleiben.
Das Umstellungsvermögen der Klägerin ist auf Tätigkeiten einfachster Art und auf ungelernte Tätigkeiten, die einer Einweisung bzw. Einarbeitung betrieblicher Art bedürfen, eingeschränkt. Eine Umstellungsfähigkeit auf angelernte Tätigkeiten, die für einen ungelernten Arbeitnehmer eine betriebliche Ausbildung von mindestens drei Monaten vom Facharbeiter aber aufgrund seiner Vorkenntnisse von höchstens drei Monaten erfordern liegt bei der Klägerin seit Oktober 2015 nicht mehr vor.
Die Klägerin kann aber die gesundheitlich möglichen Tätigkeiten unter arbeitsmarktüblichen Bedingungen ausüben. Zusätzliche Arbeitspausen sind nicht erforderlich. Ein halbstündiger Wechsel vom Sitzen zum Gehen ist nicht notwendig. Aus neurologisch-psychiatrischer Sicht liegen bei der Klägerin keine Einschränkungen der Wegstrecke vor.
Dies wird auch durch das Gutachten von Dr. G. bestätigt. Dr. G. hat folgende Gesundheitsstörungen festgestellt:
1. Seelische Erkrankung im Sinne einer paranoiden Schizophrenie
a. mit episodischem Verlauf, derzeit in Remission
b. ohne Einnahme psychopharmakologischer Medikamente
c. mit leichter Störung im Bereich von Affekt und Psychomotorik
d. mit Auffälligkeiten in der Persönlichkeitsstruktur
e. mit Hinweisen auf somatoforme Überlagerung.
2. mäßiggradige Abnutzungserscheinungen beider Hüftgelenke
3. Geringgradige Abnutzungserscheinungen des oberen Sprunggelenkes links
4. Mäßiggradige Abnutzungserscheinungen der Lendenwirbelsäule teilweise mit ausstrahlenden Nervenreizerscheinungen
5. Übergewicht
Wie Dr. G. festgehalten hat, berücksichtigen die aktenkundigen der Beklagten vorliegenden ärztlichen Gutachten sämtliche wesentliche und bis dahin bekannte Erkrankungen der Klägerin. Eine wesentliche Veränderung des Gesundheitszustandes im Vergleich zu den zuletzt von der Beklagten eingeholten Gutachten ist nicht eingetreten. Die dort beschriebenen Gesundheitsstörungen liegen weiterhin vor.
Der Klägerin sind keine schweren Arbeiten, Arbeiten mit Stressbelastungen oder unter Zeitdruck sowie Verantwortung für Personen und Maschinen oder Arbeiten in Nachtschicht zumutbar. Wegen der Erkrankung der Hüftgelenke und des linken Sprunggelenks sind keine Arbeiten mehr möglich mit Zwangshaltungen der Hüften, ausschließlich stehenden oder gehenden Tätigkeiten, ein Ersteigen von Treppen, Leitern oder Gerüsten und Arbeiten mit Absturzgefahr.
Auf Grund der Wirbelsäulenerkrankung kann die Klägerin keine Tätigkeiten mehr ausüben, die mit dem regelmäßigen Heben von Lasten mit mehr als 10 kg und Tragen von Lasten mit mehr als 5 Kilogramm ohne mechanische Hebehilfen oder mit Zwangshaltung der Wirbelsäule einhergehen.
Soweit die Klägerin vorgetragen hat, ihr Gehvermögen sei eingeschränkt, steht fest, dass sie für die Zurücklegung einer beobachteten Wegstrecke von mindestens 500 m deutlich weniger als 10 Minuten benötigte und das Gangbild unauffällig war. Das Muskelrelief der unteren Extremitäten ist bei der Klägerin seitengleich kräftig ausgeprägt und Lähmungserscheinungen konnten nicht eruiert werden. Auch benötigt die Klägerin keine Hilfsmittel wie zum Beispiel Gehstock, Unterarmgehstützen, Rollator oder Rollstuhl.
Die Erkrankung der Hüften und des linken Sprunggelenkes begründet eine geringgradige Einschränkung der Mobilität. Die Zurücklegung einer Gehstrecke von 500 m in 15 Minuten mehrfach täglich ist der Klägerin möglich. Auch benötigt sie nicht zusätzliche Arbeitspausen.
Mit diesem Leistungsvermögen erfüllt die Klägerin die Voraussetzungen für die Bewilligung einer Rente wegen Erwerbsminderung nicht mehr. Der Bescheid der Beklagten besteht zu Recht. Die Klage war daher abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz.


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