Sozialrecht

Rente wegen Erwerbsminderung

Aktenzeichen  S 12 R 437/14

Datum:
26.1.2016
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2016, 138253
Gerichtsart:
SG
Gerichtsort:
Augsburg
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGG § 109, § 183, § 193
SGB VI § 43 Abs. 2 S. 2, § 240

 

Leitsatz

Tenor

I. Die Klage gegen den Bescheid vom 01.07.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.03.2014 wird abgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Gründe

Das angerufene Gericht ist gemäß §§ 57 Abs. 1, 51 Abs. 1, 8 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zur Entscheidung des Rechtsstreits örtlich und sachlich zuständig. Die form- und fristgerecht erhobene Klage ist zulässig, erweist sich jedoch als unbegründet.
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung (§ 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch – SGB VI). Der Bescheid der Beklagten vom 01.07.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.03.2014 erweist sich als rechtmäßig.
Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI). Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit (§ 240 SGB VI) erhalten berufsunfähige Versicherte, die vor dem 02.01.1961 geboren sind.
Rente wegen Berufsunfähigkeit scheidet aus, da die Klägerin 1972 geboren ist. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung, da sie zur Überzeugung des Gerichts noch in der Lage ist, eine Tätigkeit als Pförtnerin an einer Nebenpforte mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Dabei stützt sich das Gericht insbesondere auf die im Klageverfahren eingeholten Gutachten der Sachverständigen Dr. H. und Dr. C … Grundproblem für die Leistungsfähigkeit der Klägerin ist ihre Rheumaerkrankung mit unterschiedlich ausgeprägten Gelenkschwellungen unter medikamentöser Therapie. Während bei der Untersuchung im Rentenverfahren unter der laufenden Schwangerschaft keine Gelenksschwellungen vorhanden waren, fand die Sachverständige Dr. H. typische Gelenkschwellungen am Grundgelenk des zweiten und dritten Zehs rechts, sowie an beiden Kniegelenken und einen akuten Entzündungszustand im Bereich der rechten Schulter mit stark eingeschränkter Beweglichkeit. Aus den Befundberichten und Arztbriefen des Dr. E. ist ein jeweils unterschiedlicher Befall im Bereich der Hände und Vorfüße sowie des Sprunggelenks ersichtlich. Eine dauerhafte Bewegungseinschränkung der rechten Schulter wird nicht beschrieben. Die Restaktivität der Rheumaerkrankung unter der medikamentösen Therapie ist unterschiedlich. So wurde im Januar 2015 eine inzwischen gute Krankheitssuppression berichtet. Dass insbesondere bei einem akuten Schub Arbeitsunfähigkeit vorliegt, ist nicht mit einer dauerhaften Einschränkung gleichzusetzen, die für die Feststellung einer Erwerbsminderung erforderlich wäre. Soweit die Klägerin in der ersten mündlichen Verhandlung über Nebenwirkungen der medikamentösen Therapie mit Cimzia berichtet hat, hat der behandelnde Rheumatologe dargelegt, dass entsprechende Nebenwirkungen nicht belegt sind. Hauptproblem der Klägerin ist die eingeschränkte Belastbarkeit und Einsatzfähigkeit der rechten Hand nach künstlichem Gelenksersatz des rechten Handgelenkes im Jahr 2007. Es besteht eine Wackelsteifigkeit des rechten Handgelenkes sowie wegen eines Strecksehnenabrisses ein Streckdefizit des vierten Fingers rechts. Der Faustschluss rechts ist nur unvollständig, beim Händedruck kann kaum Kraft entwickelt werden. Dagegen bestanden an der linken Hand bei der Untersuchung durch Dr. H. keine Einschränkungen der Beweglichkeit des Handgelenkes, auch keine Synovialitis. Streckung der Finger und Faustschluss war vollständig möglich, die Kraftentwicklung annähernd im Normbereich. Der röntgenologische Befund der linken Hand zeigte bei Dr. H. noch keine rheumatypischen Veränderungen. Soweit inzwischen eine Schwellung des linken Handgelenkes und Schmerzen wegen eines vom Klägerbevollmächtigten so benannten Riesenzelltumors vorliegt, handelt es sich bislang noch um eine unklare Diagnose. Nach Mitteilung des Dr. E. klagte die Klägerin im Juni/Juli 2015 über Schmerzen und eine umschriebene Schwellung im linken Handgelenk, weshalb sie nach einem MRT-Befund vom Mai 2015, der zum Ausschluss eines Riesenzelltumors eine Biopsie empfohlen hatte, zur histologischen Klärung an den Handchirurgen überwiesen. Diese Abklärung hatte die Klägerin jedoch bis zur mündlichen Verhandlung nicht durchführen lassen. Dass sie bislang noch keine Möglichkeit gefunden hat, ihr Kind für längere Zeit unterzubringen, hätte einer ambulanten Abklärung mittels Biopsie nicht entgegen gestanden. Es ist daher bislang nicht belegt, ob es sich um einen dauerhaft einschränkenden Befund am linken Handgelenk handelt oder um eine behandelbare Erkrankung. Internistischerseits ist ein Mitralklappenprolaps bekannt, weshalb rezidivierend eine Tachykardie mit Schwindel auftritt. Die Klägerin ist deswegen mit einem Betablocker eingestellt. Des Weiteren besteht eine Beeinträchtigung durch vaskulär bedingte Kopfschmerzen mit teils migränoidem Charakter. Bei Dr. C. gab die Klägerin dazu an, dass die Kopfschmerzen etwa viermal wöchentlich auftreten würden, mit einer Dauer von bis zu einem Tag. Hiergegen nehme sie Paracetamol ein. In der ersten mündlichen Verhandlung hatte die Klägerin angegeben, etwa dreimal die Woche Kopfschmerzen zu haben, die nach Einnahme von Paracetamol nicht vollständig abklingen würden, jedoch meistens nach ein paar Stunden weg seien. Eine fachärztliche Therapie wegen der Kopfschmerzen erfolgt offensichtlich nicht. Nicht verständlich ist dabei für das Gericht, dass die Klägerin nur wenige Tage nach der ersten mündlichen Verhandlung bei einem Termin bei Dr. G. als Problem einen Schwindel und Taumel angab, jedoch die Kopfschmerzen nicht erwähnt sind.
Insgesamt ist die Klägerin bei den Erkrankungen und hieraus bedingten Leistungseinschränkungen zur Überzeugung des Gerichts noch in der Lage, eine durchgehend leichte Tätigkeit mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten. Die Einschätzungen der Gerichtssachverständigen erscheinen schlüssig. Dass die Klägerin ihre Hausarbeit und die Versorgung ihrer kleinen Tochter nur eingeschränkt und mit Hilfe erledigen kann, steht dem nicht entgegen. Denn Hausarbeit und Kleinkindversorgung sind keine ständig körperlich leichten Tätigkeiten.
Bei einer Berufstätigkeit der Klägerin sind zahlreiche qualitative Leistungseinschränkungen zu beachten. Tätigkeiten, die die volle Gebrauchsfähigkeit der rechten Hand voraussetzen, sind ebenso zu vermeiden wie grob manuelle Tätigkeiten, Arbeiten ausschließlich im Gehen und Stehen und mit Besteigen von Treppen, Leitern und Gerüsten, sowie Tätigkeiten in oder über Schulterhöhe. Generell ist das Heben und Tragen von Gegenständen über 2 kg zu vermeiden. Auch sollte es sich um eine Tätigkeit nicht unter Einfluss von Kälte, Nässe und Zugluft handeln. Wegen der Kopfschmerzen sind Zeitdruckarbeit, Akkord, Fließband- und taktgebundene Arbeiten sowie Wechselschicht und Nachtarbeiten zu vermeiden, ebenso Tätigkeiten mit besonderer Anforderung an die nervliche Belastbarkeit. Mit diesen Einschränkungen ist die Klägerin zur Überzeugung des Gerichts noch in der Lage, als Pförtnerin an einer Nebenpforte zu arbeiten. Eine funktionelle Einhändigkeit liegt nicht vor, die rechte Hand kann durchaus noch als Beihand eingesetzt werden. Dies zeigt sich auch darin, dass sie noch ihren Haushalt führt und ihre Tochter versorgt, was ohne zumindest gelegentlichen Einsatz auch der rechten Hand kaum denkbar wäre. Die Tätigkeit als Pförtner an einer Nebenpforte besteht hauptsächlich darin, überwiegend für den Verkehr der Betriebsangehörigen bei Bedarf von der Pförtnerloge aus Einlass zum Beispiel durch Öffnen einer Schranke oder Pforte mittels Knopfdruck zu gewähren. Der Arbeitsplatz ist in der Regel mit einem Schreibtisch und häufig mit Monitorwänden zur Videoüberwachung des Betriebsgeländes ausgestattet. Schwerpunktmäßig wird eine sitzende Tätigkeit verbunden mit stehenden und gehenden Anteilen ausgeübt. Die Tätigkeit ist nicht mit dem Heben und Tragen von Lasten verbunden. An die Funktionstüchtigkeit der Arme und Beine werden keine besonderen Anforderungen gestellt. Auch sind Pförtner an der Nebenpforte keine besonderen Anforderungen an das Kommunikationsvermögen ausgesetzt. Die Tätigkeit findet überwiegend in geschlossenen Räumen statt, nur gelegentlich muss der Pförtner die Pförtnerloge verlassen, um ein Geschehen in der näheren Umgebung zu kontrollieren (vgl. hierzu LSG Sachsen vom 27.05.2010 – L 3 R 510/06 – und vom 15.01.2009 – L 3 R 108/07; BayLSG 30.03.2011 – L 13 R 144/09). Die qualitativen Leistungseinschränkungen der Klägerin entsprechen diesen Anforderungen. Es handelt sich um eine Tätigkeit in wechselnder Körperhaltung, ohne Anforderungen an eine manuelle Tätigkeit, auch kaum mit Schreibarbeit. Auch zu Schichtarbeit im Sinne von Tagschicht (Frühschicht/Spätschicht) ist die Klägerin in der Lage, da der Sachverständige Dr. C. lediglich Nachtarbeit und Wechselschicht ausgeschlossen hat. Die Klägerin kann auch noch Wegstrecken von über 500 m zurücklegen, wie sich aus ihrem bei Dr. C. geschilderten Tagesablauf ergibt, wo sie für den Vortag einen 30 bis 45 minütigen Spaziergang angab. Sie ist daher in der Lage, bei Bedarf die Pförtnerloge gelegentlich zu verlassen. Soweit sie außerhalb der Pförtnerloge Kälte oder Nässe ausgesetzt ist, lassen sich negative Auswirkungen durch entsprechende angepasste Kleidung vermeiden. Zu bedenken ist dabei, dass die Klägerin auch auf dem Arbeitsweg entsprechenden Einflüssen von Natur aus ausgesetzt ist.
Da die Klägerin noch in der Lage ist, eine Tätigkeit als Pförtnerin an einer Nebenpforte mit mindestens sechs Stunden täglich zu verrichten, besteht kein Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung.
Das Risiko, dass die Klägerin wegen ihrer gesundheitlichen Einschränkungen nicht auf eine ihrem verbliebenen Leistungsvermögen entsprechende Arbeitsstelle vermittelt werden kann, fällt in den Bereich der Arbeitslosenversicherung und nicht in denjenigen der Rentenversicherung. Der Gesetzgeber hat in § 43 Abs. 3 SGB VI auch klargestellt, dass die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen ist.
Nach alledem war die Klage daher abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.


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