Sozialrecht

Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit

Aktenzeichen  L 6 R 349/17

Datum:
7.3.2018
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2018, 5681
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VI § 43 Abs. 1 – 3, § 240
SGG § 109, § 153 Abs. 2

 

Leitsatz

Im Rahmen der Beweisaufnahme kommt eine ergänzende Stellungnahme von Amts wegen und erst recht nach § 109 SGG regelmäßig nur in Betracht, wenn zwischenzeitliche Ermittlungen von Amts wegen maßgebliche neue Gesichtspunkte ergeben haben. Dies ist jedoch nicht der Fall, wenn lediglich Unterschiede in der leistungsrechtlichen Beurteilung bestehen. (Rn. 18) (redaktioneller Leitsatz)

Verfahrensgang

S 13 R 1018/13 2017-05-03 Urt SGAUGSBURG SG Augsburg

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Augsburg vom 03. Mai 2017 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist nicht begründet.
Ausgangspunkt der Prüfung ist der Rentenantrag vom 07.11.2012. Prüfungsmaßstab ist damit die Vorschrift des § 43 SGB VI in der seit 01.01.2001 geltenden Fassung. Danach haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie 1. voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben. Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen, vgl. § 43 Abs. 1 bis 3 SGB VI.
Unter Berücksichtigung dieser Prämissen besteht nach dem Ergebnis der Ermittlungen kein Anspruch des Klägers auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Bereits das SG hat in der angegriffenen Entscheidung überzeugend dargelegt, warum schon aufgrund der in erster Instanz durchgeführten Ermittlungen ein Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nicht besteht. Der Senat schließt sich der Würdigung der vom SG eingeholten Gutachten sowie der hieraus gezogene Schlussfolgerungen im angegriffenen Urteil vom 03.05.2017 in vollem Umfang an und sieht gemäß § 153 Abs. 2 SGG von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.
Auch das Vorbringen der Berufung vermag einen Rentenanspruch des Klägers nicht zu begründen. Der Senat ist zunächst der Anregung des Klägerbevollmächtigten nachgekommen und hat ein weiteres Gutachten auf nervenärztlichen Fachgebiet eingeholt. Der Sachverständige Dr. Dr. C. hat mit seinem Gutachten vom 05.12.2017 die Einschätzung des SG in vollem Umfang bestätigt. Er hat unter Einbeziehung sämtlicher aktenkundiger Befunde eine umfassende Anamnese erhoben und hierbei insbesondere auch die Gutachten der Dr. J. und der Dr. N. umfassend gewürdigt. Er hat hierbei zurecht dem Umstand besondere Bedeutung beigemessen, dass der Kläger im Untersuchungsgespräch einen ausgefüllten Tagesablauf geschildert hat, wonach er sich um den Haushalt kümmere, sämtliche Mahlzeiten für seine in Vollzeit berufstätige Ehefrau sowie für seinen schulpflichtigen Sohn zubereitet, wasche, sauge, Einkäufe erledige, nachmittags seinem Sohn bei den Hausaufgaben helfe und den Hund spazieren führe. Zusammen mit der Familie fahre er regelmäßig Fahrrad oder gehe zum Schwimmen. Anlässlich der Exploration erwies sich der psychische Status des Klägers als voll orientiert und bewusstseinsklar; er fasste gut auf und setzte präzise um. Im den Bereichen Aufmerksamkeit, Vigilanz, Kognition und Gedächtnis bestanden keine Defizite. Obwohl der Kläger selbst seine psychophysische Minderbelastbarkeit in den Vordergrund stellte, wirkte die Antriebslage in keiner Weise verkürzt. Im Ergebnis stellt der Sachverständige fest, dass sich der Kläger mit der relativen Minderbelastbarkeit seines Achsenskeletts schwer tue und deshalb zu einer stark defizitorientierten Selbstwahrnehmung tendiere. Die Ausführung der alltagsrelevanten Verrichtungen werde dadurch jedoch in vergleichsweise geringem Umfang beeinträchtigt. Glaubhaft bestehe eine Dysthymie mit sozialen Expositionsängsten und mit einer Grübelneigung bezüglich der Lebenssituation, den gesundheitlichen Gefährdungen sowie des subjektiven Unvermögens. Eine depressive Störung könne hingegen nicht diagnostiziert werden; der insoweit zu fordernde Interessenverlust könne nur sehr vorsichtig bestätigt werden. Die weiter bestehende Schmerzstörung mit organischen und psychischen Faktoren beruhe maßgeblich auf intrapsychischen Hemmungen, eine ausreichende organische Grundlage fehle. Von daher seien Maßnahmen zur Teilhabe am Arbeitsleben geboten. Der Kläger sei unter qualitativen Einschränkungen jedoch nach wie vor in der Lage, leichte, zum Teil auch mittelschwere arbeiten im Umfang von 6 Stunden und mehr täglich zu verrichten.
Der Senat schließt sich ausdrücklich den in jeder Hinsicht überzeugenden und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen an, wonach sich aus den beim Kläger bestehenden Funktionsstörungen – und nur diese sind maßgeblich – eine zeitliche Leistungseinschränkung nicht begründen lässt. Es sind vorliegend auch keine Anhaltspunkte für eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder das Vorliegen einer schweren spezifischen Leistungsstörung ersichtlich, welche ausnahmsweise die Benennung einer Verweisungstätigkeit erforderlich machen würden (BSG, Urteil v. 20.10.2004, B 5 RJ 48/03 R m.w.N,). Ein zusätzliches Pausenerfordernis oder maßgebliche Einschränkungen der Wegefähigkeit wurden von keinem Sachverständigen festgestellt. Die daneben von Dr. Dr. C. beschriebenen qualitativen Leistungsminderungen sind bereits weitgehend dem Begriff der leichten und zum Teil mittelschweren Tätigkeit immanent (Möglichkeit der Wechselhaltung ohne Zwangshaltungen, kein schweres Heben und Tragen, kein häufiges Bücken). Soweit darüber hinaus Tätigkeiten ohne Kälteexposition sowie mit erhöhter nervlicher Belastung (mit Zeitdruck, in Wechsel- oder Nachtschicht) nicht mehr zumutbar erscheinen, schränkt dies die verbleibenden Arbeitsfelder nicht in erheblichem Umfang ein. Es ist nicht ersichtlich, dass der Kläger aufgrund dieser zusätzlichen Einschränkungen nicht in der Lage ist, ungelernte Tätigkeiten und auch einfache Anlernarbeiten wie z.B. Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen usw. auszuüben.
Die Erforderlichkeit weiterer Ermittlungen vermag der Senat nicht zu erkennen. Insbesondere war dem – in der mündlichen Verhandlung ohnehin nicht wiederholten – Antrag auf Einholung einer ergänzenden Stellungnahme der Sachverständigen Dr. J. nach § 109 SGG nicht nachzukommen. Eine solche wurde bereits vom SG eingeholt; die Sachverständige hat hierbei ihrer Auffassung bestätigt. Eine ergänzende Stellungnahme von Amts wegen und erst recht nach § 109 SGG kommt regelmäßig nur in Betracht, wenn zwischenzeitliche Ermittlungen von Amts wegen maßgebliche neue Gesichtspunkte ergeben haben. Dies ist jedoch nicht der Fall, wenn lediglich Unterschiede in der leistungsrechtlichen Beurteilung bestehen. Dem Sachverständigen nach § 109 SGG muss insoweit nicht das letzte Wort verbleiben. Im Übrigen ist das Antragsrecht nach § 109 SGG auf psychiatrischem Fachgebiet durch das in erster Instanz durch Dr. N. erstattete Gutachten verbraucht (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 12. Auflage 2017, Rn. 10 zu § 109). Der Senat sah sich im Weiteren auch nicht veranlasst, dem Antrag auf Ladung des Sachverständigen Dr. N. und Dr. J. als sachverständige Zeugen zur mündlichen Verhandlung nachzukommen. Unbeschadet der Tatsache, dass auch dieser im vorbereitenden Verfahren gestellte Antrag in der mündlichen Verhandlung nicht wiederholt wurde, besteht ein Anspruch auf – mündliche – Erläuterung grundsätzlich nur bezüglich der in der jeweiligen Instanz erstatteten Gutachten (Meyer-Ladewig, a.a.O., Rn 12g zu § 118), die Gutachten von Dr. N. und Dr. J. wurden aber vor dem SG erstattet so dass den entsprechenden Anträgen im Berufungsverfahren auch aus diesem Grunde nicht nachzukommen war.
Lediglich ergänzend wird ausgeführt, dass ein diesbezügliches Recht auch in zweiter Instanz bestehen kann, wenn die Anhörung bereits in erster Instanz geltend gemacht und diesem Begehren verfahrensfehlerhaft nicht entsprochen wurde. Ein solcher Verfahrensverlauf wäre vorliegend ebenfalls nicht erkennbar. Die Bevollmächtigten des Klägers haben vor dem SG erstmals mit Schriftsatz vom 30.01.2017 beantragt, Dr. J. zu den Einwendungen der beratungsärztlichen Stellungnahme des Dr. H. vom 12.12.2016 ergänzend zu hören, vorsorglich diese wie auch Dr. N. zur Erläuterung Ihrer Gutachten zur mündlichen Verhandlung zu laden. Auf diesen Antrag hin hat das SG eine ergänzende Stellungnahme der Dr. J. eingeholt, welche mit Datum vom 23.02.2017 erstattet wurde. Daraufhin wurde mit weiterem Schriftsatz vom 27.04.2017 nurmehr die Ladung von Dr. J. als sachverständige Zeugin beantragt. Hierbei wurde jedoch versäumt, eine konkrete Beschreibung des nunmehr noch offenen Fragenkomplexes im Sinne einer substantiierten Darlegung weiterhin bestehender Unklarheiten vorzulegen bzw. erläuterungsbedürftigen Punkte hinreichend konkret zu bezeichnen (zu Erforderlichkeit einer solchen Darlegung vgl. Meyer-Ladewig, a.a.O., Rn. 12f zu § 118; BSG, Urteil vom 12.04.2000, Az.: B 9 VS 2/99 R; BSG, Beschluss vom 09.12.2010; Az.: B 13 R 170/10 B). Insbesondere der Schriftsatz vom 27.04.2017 rügt im Wesentlichen nur die von den weiteren Gutachten abweichende Interpretation der bestehenden Gesundheitsstörungen im Hinblick auf das zeitliche Leistungsvermögen und fordert die Vernehmung von Dr. J. im Wesentlichen zur Bestätigung, dass die in den Gutachten gestellten Diagnosen und die getroffene Einschätzung zutreffend seien. Eine begründete Darlegung, warum trotz der eingeholten ergänzenden Stellungnahme weiterhin Erläuterungsbedarf gesehen wurde – beispielsweise aufgrund innerer Widersprüchlichkeit oder Lückenhaftigkeit, einem Abweichen von wissenschaftlichen Standards oder der Zugrundelegung eines falschen Sachverhalts (vgl. BSG, Urteil vom 12.04.2000, a.a.O.) – ist nicht erfolgt. Allein die Tatsache, dass die Beklagte unter Bezugnahme auf die vorgelegten beratungsärztlichen Stellungnahmen und in der Folge auch die erkennende Kammer am SG – ohne die Gutachten substantiell in Frage zu stellen – im Wesentlichen alleine den zeitlichen Leistungseinschätzungen der Sachverständigen nicht zu folgen vermochte, bedingt keine entsprechende Verpflichtung des Gerichts. Ein Fragerecht der Beteiligten ergibt sich nicht per se aus dem Umstand, dass sich ein Gutachten in Widerspruch zu anderen Gutachten setzt (vgl. Meyer-Ladewig, a.a.O., Rn 12c zu § 118). Soweit das SG dementsprechend in den Entscheidungsgründen seines Urteils ausführt, dass für eine Vernehmung der Sachverständigen keine Veranlassung bestand habe, ist dies im Ergebnis nicht zu beanstanden.
Der Kläger ist nach dem 02.01.1961 geboren, so dass Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß § 240 SGB VI bereits aus diesem Grunde ausgeschlossen ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 SGG liegen nicht vor.


Ähnliche Artikel

BAföG – das Bundesausbildungsförderungsgesetz einfach erklärt

Das Bundesausbildungsförderungsgesetz, kurz BAföG, sorgt seit über 50 Jahren für finanzielle Entlastung bei Studium und Ausbildung. Der folgende Artikel erläutert, wer Anspruch auf diese wichtige Förderung hat, wovon ihre Höhe abhängt und welche Besonderheiten es bei Studium und Ausbildung gibt.
Mehr lesen

Bankrecht

Schadensersatz, Schadensersatzanspruch, Sittenwidrigkeit, KapMuG, Anlageentscheidung, Aktien, Versicherung, Kenntnis, Schadensberechnung, Feststellungsziele, Verfahren, Aussetzung, Schutzgesetz, Berufungsverfahren, von Amts wegen
Mehr lesen

IT- und Medienrecht

Abtretung, Mietobjekt, Vertragsschluss, Kaufpreis, Beendigung, Vermieter, Zeitpunkt, Frist, Glaubhaftmachung, betrug, Auskunftsanspruch, Vertragsurkunde, Auskunft, Anlage, Sinn und Zweck, Vorwegnahme der Hauptsache, kein Anspruch
Mehr lesen


Nach oben