Sozialrecht

Rentenversicherung: Beweiswürdigung bei nicht völlig übereinstimmenden Sachverständigengutachten

Aktenzeichen  L 13 R 54/19

Datum:
29.10.2020
Rechtsgebiet:
Fundstelle:
BeckRS – 2020, 49228
Gerichtsart:
LSG
Gerichtsort:
München
Rechtsweg:
Sozialgerichtsbarkeit
Normen:
SGB VI § 43
SGG § 103, § 109

 

Leitsatz

1. Zu den Voraussetzungen einer Rente wegen Erwerbsminderung. (Rn. 27 – 30)
2. Die Würdigung unterschiedlicher Gutachten gehört wie die anderer widersprechender Beweisergebnisse zur Beweiswürdigung selbst. (Rn. 31)
3. Dass zwischenzeitlich ein Gutachten von Amts wegen eingeholt worden ist, begründet nicht ausnahmslos das Erfordernis einer ergänzenden Stellungnahme des Gutachters nach § 109 SGG, sondern nur, wenn sich dadurch wesentliche Gesichtspunkte ergeben haben, zu denen sich der Gutachter nach § 109 SGG noch nicht hatte äußern können. (Rn. 32)

Verfahrensgang

S 3 R 385/17 2018-12-11 GeB SGREGENSBURG SG Regensburg

Tenor

I. Die Berufung gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 11. Dezember 2018 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

Die Berufung ist gemäß §§ 143,151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässig, insbesondere statthaft und form- und fristgerecht eingelegt. Sie ist aber unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 31.01.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.06.2017 ist gegenüber der Klägerin rechtmäßig ergangen und verletzt sie nicht in ihren Rechten.
Der Klägerin steht kein Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung gemäß § 43 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) bzw. Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung gemäß § 43 Abs. 1 SGB VI zu. Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß §§ 43 Abs. 1, 240 SGB VI kommt von vornherein nicht in Betracht, da die Klägerin nicht vor dem 02.01.1961 geboren ist (§ 240 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI).
Versicherte haben gemäß § 43 Abs. 1, Abs. 2 SGB VI bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung, wenn sie
1. voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind,
2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und
3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).
Die Voraussetzungen des § 43 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI können bei der Klägerin zur Überzeugung des Senats nicht festgestellt werden. Der Senat folgt dabei den Feststellungen der Beweisaufnahme von Amts wegen. Die davon abweichende Leistungseinschätzung von P vermag demgegenüber nicht zu überzeugen.
1. Weitere Ermittlungen wie die Einholung einer ergänzenden Stellungnahme von P sind zur Überzeugung des Senats nicht erforderlich, auch wenn die Gutachten von P und B sich nicht nur hinsichtlich der Leistungseinschätzung unterscheiden, sondern auch die Behandlungsmöglichkeiten sowie den Verlauf der Erkrankung zum Teil unterschiedlich beurteilen. Allerdings ist nicht erkennbar, dass die Gutachten über die zum Teil unterschiedliche Beurteilung des Krankheitsverlaufs und des Leistungsvermögens hinaus unlösbare Widersprüche enthalten oder inhaltliche Fehler enthalten würden, die weiterer Aufklärung bedürften. Die Würdigung unterschiedlicher Gutachten gehört wie die anderer widersprechender Beweisergebnisse zur Beweiswürdigung selbst (BSG, Beschluss vom 12.12.2003 – B 13 RJ 179/03 B -, SozR 4-1500 § 160a Nr. 3). Die Tatsache, dass P im Rahmen ihrer Begutachtung die Einschätzung des Krankheitsverlaufs der Klägerin und die verbleibenden Behandlungsmöglichkeiten weniger positiv sieht als B, betrifft im Wesentlichen die Frage, inwieweit danach die Einschränkungen voraussichtlich noch einer Besserung zugänglich sein werden. Dass beide hinsichtlich der Einschätzung des danach verbleibenden Restleistungsvermögens insofern abweichen, als B weiterhin sechsstündige Tätigkeiten für möglich hält, während P davon ausgeht, dass die Klägerin seit März 2018 nur noch im Umfang von drei bis vier Stunden täglich berufstätig sein kann, stellt keine im Rahmen einer weiteren Beweiserhebung zu klärende Tatsache dar, sondern betrifft den Kern der richterlichen Beweiswürdigung.
Auf § 109 SGG kann der Antrag auf Einholung einer ergänzenden Stellungnahme ebenfalls nicht mit Erfolg gestützt werden. Dass zwischenzeitlich ein Gutachten von Amts wegen eingeholt worden ist, begründet nicht ausnahmslos das Erfordernis einer ergänzenden Stellungnahme des Gutachters, sondern nur, wenn sich dadurch wesentliche Gesichtspunkte ergeben haben, zu denen sich der Gutachter nach § 109 SGG noch nicht hatte äußern können; diesem muss nicht generell das „letzte Wort“ verbleiben. Liegt kein besonderer Grund vor, ist das Antragsrecht nach § 109 verbraucht (Keller Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, Sozialgerichtsgesetz, 13. Auflage 2020, § 109, Rn. 10b, mwH). Vorliegend sind solche wesentlichen Gesichtspunkte nicht erkennbar.
2. Die festgestellten Einschränkungen lassen nicht die Feststellung zu, die Klägerin könne damit nicht mehr sechs Stunden täglich leidensangepasste Tätigkeiten verrichten.
Die Klägerin leidet zunächst an Aufbraucherscheinungen und orthopädischen Erkrankungen, die dazu führen, dass sie bestimmte Tätigkeiten nicht mehr ausüben kann und dadurch qualitativ in ihrem Leistungsvermögen eingeschränkt ist. Diese Beschwerden lassen auch die körperlich schwere Tätigkeit einer Pflegehelferin nicht mehr zu. Im Wesentlichen handelt es sich um wiederkehrende Beschwerden der Lendenwirbelsäule (LWS) bei degenerativen Veränderungen mit angegebener Ausstrahlung in die Beine. Insoweit bestehen auch schmerzhafte Bewegungseinschränkungen, vor allem in der Vorbeuge, die allerdings schon nach den Feststellungen des Gutachters Z nicht ausreichend körperlich erklärbar sind, weswegen die Gutachter übereinstimmend eine somatoforme Schmerzstörung angenommen haben, bei der die körperlichen Beschwerden psychisch überlagert bzw. verstärkt werden. Neuere orthopädische Befunde liegen nicht vor. Zuletzt hat die körperliche Untersuchung durch B einen ungestörten, wenn auch durch das massive Übergewicht etwas schwerfälligen Gang beschrieben, wobei der Klägerin sowohl Vorbeuge als auch Langsitz möglich waren. Die Klägerin selbst hat endgradige Beschwerden vor allem im Bereich der linken Hüftgelenksregion angegeben. Die grobe Kraft an Armen und Beinen war gut ausgeprägt. Wie die Vorgutachter hat B auch eine ungestörte Motorik und abgesehen von einer fleckförmigen Hypästhesie und Hypalgesie an der Vorderaußenseite des linken Oberschenkels keine Sensibilitätsstörungen festgestellt.
Dies führt aber zweifellos nur zu Einschränkungen dahingehend, dass der Klägerin damit bestimmte Tätigkeiten nicht mehr möglich sind. So kann die Klägerin nur noch leichte Arbeiten, möglichst wechselweise im Gehen, Stehen und Sitzen verrichten, wobei Tätigkeiten, die häufiges Bücken erfordern, das Heben und Tragen schwerer Lasten, Tätigkeiten auf Leitern und Gerüsten ihr nicht mehr zugemutet werden sollten.
Eine zeitliche Leistungseinschränkung ergibt sich aber auch aus den übrigen Gesundheitsstörungen nicht, wobei zunächst festzustellen ist, dass internistische Störungen von Relevanz, die einer Arbeitsleistung entgegenstehen, auch unter Berücksichtigung des Diabetes Mellitus und der Hypertonie nicht vorliegen. Beides hat bei der Klägerin noch nicht zu Folgeschäden geführt.
Nichts anderes gilt für die Schmerzerkrankung und die depressive Störung unter Berücksichtigung der intellektuellen Fähigkeiten der Klägerin. Keine dieser Störungen rechtfertigt von vornherein die Annahme, die Klägerin könne deswegen nicht mehr arbeiten. Das gilt insbesondere für die am unteren Rand angesiedelten intellektuellen Fähigkeiten, die die Klägerin aber in der Vergangenheit nicht daran gehindert haben, beruflich als Pflegehelferin tätig zu sein. Wie E zu der Annahme einer Debilität kommt, ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme unklar. Keiner der Gutachter hat relevante kognitiv-mnestische Defizite festgestellt. Das Gespräch mit der Klägerin war jeweils problemlos möglich. Soweit P im Rahmen der von ihr durchgeführten Tests einen einer Demenz entsprechenden Wert ermittelt hat, hat sie dies zwar mit nicht näher erläuterten schlechten Ergebnissen des Merkfähigkeitstests und Schwierigkeiten beim Zahlenumwandeln erklärt. Allerdings hat auch sie bei der Klägerin eine umfangreiche und detaillierte Anamnese erhoben, was bis auf gelegentliche leichte Unsicherheiten bei der zeitlichen Zuordnung problemlos möglich war, und der Merkfähigkeitstest war völlig ungestört. So konnte die Klägerin von fünf vorgegebenen Begriffen nach 10 Minuten noch fünf wiedergeben, was weder mit einer Demenz oder Debilität noch mit einer schlechten Merkfähigkeit zu vereinbaren wäre. Entsprechend ist auch sie letztlich wie B und die früheren Gutachter von einer im unteren Bereich der intellektuellen Leistungsfähigkeit angesiedelte Persönlichkeit ausgegangen, wobei Einschränkungen, wie von B bestätigt, vor allem in der Bearbeitung von Rechenaufgaben sowie in Form eines etwas verminderten Abstraktionsvermögens zutage getreten sind. Dass die Klägerin sich ausreichend gut ausdrücken und verständigen kann und auch Zusammenhänge versteht, ergibt sich zweifelsfrei aus den umfangreichen Gutachten und ihren eigenen Angaben. Schließlich ist sie auch zur gesetzlichen Betreuerin für ihre schwerbehinderte Tochter bestellt. Auch eine einfache berufliche Tätigkeit ohne besondere intellektuelle Anforderungen ist ihr damit noch möglich.
Auch soweit daneben eine Schmerzerkrankung und eine depressive Störung bestehen, ist entscheidend deren Ausmaß, wobei es wie bei den organischen Erkrankungen darauf ankommt, ob die Klägerin unter Berücksichtigung der üblichen Anforderungen der Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt trotz der Schmerzerkrankung noch mindestens sechs Stunden täglich tätig sein kann, wenn auch unter Beachtung qualitativer Leistungseinschränkungen. Ob ein derartiges Leistungsvermögen noch besteht oder nicht, ist dabei nicht anhand der subjektiven Überzeugungen festzustellen, sondern durch ärztliche Sachverständige, die die objektiv vorliegenden, aus den gesundheitlichen Erkrankungen folgenden Funktionseinschränkungen für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes festzustellen und subjektive Angaben und Überzeugungen des Versicherten in diesen objektiv festzustellenden Rahmen einzuordnen haben. Das ist zur Überzeugung des Senats bei der Klägerin nicht der Fall. Die Schmerzsymptomatik besteht seit vielen Jahren, war aber nie so ausgeprägt, dass eine konsequente Behandlung erforderlich gewesen wäre oder erfolgt ist. Auch während der Rehabilitationsmaßnahme 2011 war eine Behandlung der Schmerzen nur zeitweise erforderlich. Von den behandelnden Ärzten sind der Klägerin in der Vergangenheit im Wesentlichen physikalische Maßnahmen empfohlen worden. Weder von E noch von der Ambulanz W, wo sich die Klägerin am 11.06.2018 vorgestellt hat, sind gezielte schmerztherapeutische Behandlungen eingeleitet worden. Eine besondere Schmerzhaftigkeit ist auch bei keiner der Begutachtungen beobachtet worden.
Gegen einen besonderen Leidensdruck spricht neben dem Fehlen einer gezielten schmerztherapeutischen Behandlung außerdem, dass die daneben bestehende depressive Störung seit Rentenantragstellung ebenfalls nie besonders schwerwiegend gewesen ist. Selbst E, der der Klägerin seit Jahren ein aufgehobenes Leistungsvermögen attestiert, hat nie mehr als eine mittelgradige Ausprägung und zeitweise, so im Befundbericht vom 26.07.2016, sogar eine remittierte Depression mitgeteilt. Soweit P zwischenzeitlich wieder eine mittelschwere Depression beschrieben hat, nach ihren Angaben seit Juni 2018, hat sie im Wesentlichen eine Affektlabilität mit Weinen, gedanklicher Einengung auf die Lebenssituation und die Schmerzen, mittelschwere Konzentrationsstörungen und einen leicht verminderten Antrieb beschrieben. Dies entspricht jedenfalls nicht dem Bild einer schweren Depression, wobei entsprechende Auffälligkeiten bei keiner anderen Begutachtung zutage getreten sind. B hat zuletzt allenfalls eine leicht bedrückte Grundstimmung ohne Anhaltspunkte für eine depressionstypische Anhedonie oder Antriebsminderung erhoben. Insgesamt kann auch in einer Zusammenschau der im Verfahren erhobenen und von den behandelnden Ärzten mitgeteilten Befunde nicht von einer schwerwiegenden depressiven Erkrankung ausgegangen werden, die einer Erwerbstätigkeit im Umfang von sechs Stunden entgegenstehen würden. Dabei wird nicht verkannt, dass es einer rezidivierenden depressiven Erkrankung entspricht, wenn auch das psychische Befinden und damit die jeweilige Leistungsfähigkeit schwanken. Dies müsste aber, um rentenrechtlich relevant zu sein, in entsprechend schwerwiegender Ausprägung jedenfalls im Sinne eines mindestens sechs Monate andauernden Dauerzustandes festgestellt werden können. Dafür liegen vorliegend aber keine Anhaltspunkte vor, auch wenn P den psychopathologischen Befund etwas schwerwiegender beschrieben hat, als die Gutachter, die die Klägerin zuvor und danach untersucht haben. Vor allem zeigt das Funktions- und Aktivitätenniveau, das sich nach den vorliegenden Gutachten im Laufe des Verfahrens nicht wesentlich verändert hat, dass die Klägerin noch über ausreichende Strukturen und Ressourcen verfügt, die ihr auch eine Berufstätigkeit erlauben würden. So hat auch P bei der Klägerin einen umfangreichen Tagesablauf erhoben, der gerade nicht von der depressiven Erkrankung und den Schmerzen geprägt ist. So steht die Klägerin frühmorgens auf, um das Frühstück und Brotzeit für die jüngere Tochter zuzubereiten, die sie auch öfters in die Arbeit fahre. Sie kümmert sich auch um die ältere Tochter, die in einer Werkstatt für behinderte Menschen arbeitet. Tagsüber erledigt sie den Haushalt, geht einkaufen, mit dem Hund spazieren oder besucht ihre Eltern im gleichen Haus. Gegenüber B hat die Klägerin angegeben, Kontakte zu Freundinnen und früheren Kolleginnen zu pflegen, sich über Zeitungen und Fernsehen zu informieren und gerne zu stricken. Außerdem pflegt sie seit 2011 eine Beziehung zu einem in B lebenden Freund, den sie alle zwei Wochen besucht oder der sie besucht, wobei sie auch mit dem Auto nach B fährt. Schließlich ist auch hier zu berücksichtigen, dass die Depression seit Jahren im Wesentlichen mit einer gleichbleibenden vergleichsweise niedrigen Medikamentation und stützenden Gesprächen bei E behandelt wird, was ungeachtet der Frage, ob die Klägerin die Medikation auch wie verschrieben einnimmt, zum einen Zweifel am Leidensdruck aufkommen lässt und zum anderen auch kurzfristig Behandlungsmöglichkeiten eröffnet, sollte sich die Situation tatsächlich verschlimmern.
Anhand der von den Gutachtern beschriebenen und von den Ärzten mitgeteilten Befunde ist auch nicht erkennbar, dass die Klägerin so wenig belastbar ist, dass ihr auch leichte körperliche Tätigkeiten ohne Zeitdruck, Nachtschicht und besondere intellektuelle Anforderungen nicht mehr im Umfang von sechs Stunden täglich möglich wären. Auch unter Berücksichtigung der möglicherweise auch kognitiv eingeschränkten Schmerzverarbeitung ist die Klägerin noch in der Lage, ihren Alltag mit der Betreuung ihrer beiden Töchter zu bewältigen und dabei auch noch Hobbies und Freundschaften zu pflegen, wobei bei einer Intensivierung der Behandlung und einer Gewichtsabnahme auch Verbesserungen der Leistungsfähigkeit zu erwarten wären. Woran P festmacht, dass die Klägerin seit März 2018 nicht mehr in der Lage wäre, die subjektiven Beschwerden so weit zu kompensieren, dass sie auch eine zustandsangemessene Tätigkeit noch sechs Stunden täglich ausüben könnte, erschließt sich nach den übrigen Befunden, aus denen eine Verschlechterung gerade nicht hervorgeht, nicht. Soweit sie den Verlauf im wesentlichen anhand der anamnestisch erhobenen Angaben der Klägerin beurteilt und daran die relevante Verschlechterung festgemacht hat, ist dies nicht überzeugend. Die familiären Belastungsfaktoren aufgrund einer früheren gewalttätigen Beziehung und der Sorge für die beiden psychisch angeschlagenen Töchter, wie sie P ausführlich dargelegt hat, rechtfertigen jedenfalls nicht die Zuerkennung einer Rente, solange die psychosoziale Belastung weder zu rentenrelevanten körperlichen Einschränkungen noch zu einer depressiven Erkrankung von einem Schweregrad geführt hat, der als Dauerzustand über eine Dysthymie bzw. phasenweise eine mittelschwere Depression hinausgehen würde, wobei sowohl die Depression als auch die Schmerzerkrankung nicht konsequent therapiert werden. Ob eine Intensivierung der Therapie noch zu einer Verbesserung führen würde, was B für realistisch ansieht, P aber bezweifelt, spielt für die Beurteilung des aktuellen Leistungsvermögens keine entscheidende Rolle.
Die gegenteilige Einschätzung des Hausarztes D ist angesichts der Gutachtenslage ebenfalls nicht geeignet, zu einer anderen Leistungsbeurteilung zu gelangen.
Der Klägerin ist der Arbeitsmarkt auch nicht aus anderen Gründen verschlossen. Ungeachtet der Frage, ob sie realistisch noch in eine geeignete Arbeitsstelle vermittelt werden kann, liegen weder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen noch eine schwere spezifische Leistungsbehinderung vor. Die Klägerin kann insbesondere die mit einer ungelernten Tätigkeit üblicherweise verbundenen Verrichtungen wie das Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, Verpacken und Zusammensetzen von Teilen noch ausführen. Mit Urteil vom 11.12.2019 (Az.: B 13 R 7/18 R) hat dazu das BSG aktuell entschieden, dass in diesem Fall weiterhin von einem offenen Arbeitsmarkt auszugehen ist. Auch die fortschreitende Digitalisierung hat bisher nicht dazu geführt, dass vom praktisch gänzlichen Fehlen von Arbeitsplätzen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, die nur mit leichten körperlichen und geistigen Anforderungen verknüpft sind, ausgegangen werden kann. Ein besonderer unüblicher Pausenbedarf besteht ebenfalls nicht und die Klägerin kann die üblichen Wege zur Arbeitsstelle von 500 m viermal täglich in jeweils 20 Minuten zurückzulegen. Sie ist außerdem in der Lage, ein Kraftfahrzeug zu führen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben.


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